Verwaltungsrecht

Bewertung von Erkenntnisquellen und Berufungszulassung

Aktenzeichen  2 ZB 17.31578

Datum:
11.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14537
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 117 Abs. 3 S. 2, § 138 Nr. 3
QRL Art. 9 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend bewertet wurden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat das Gericht im Tatbestand auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen, sind damit auch die von der Klägerseite eingeführten Erkenntnisquellen Inhalt des Tatbestandes und vom Gericht zur Kenntnis genommen worden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hat die für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage letztlich eine Gruppenverfolgung von Christen in Aserbaidschan zum Gegenstand, weil zum christlichen Glauben konvertierte Kinder sich einer Zwangsmissionierung durch islamische Lehrer nicht entziehen könnten, so muss sich der Zulassungsantrag mit den rechtlichen Anforderungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung auseinandersetzen. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 16 K 17.31247 2017-09-18 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt wurden bzw. nicht vorliegen.
1. Die Klägerin hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG),
ob bei im Bundesgebiet zum christlichen Glauben konvertierten Kindern mit aserbaidschanischer Staatsangehörigkeit, insbesondere im Grundschulalter, aufgrund der Unterrichtung durch Lehrer mit islamischer Religionszugehörigkeit bzw. durch die Unterrichtung der islamischen Religionslehre, generell ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Glaubensfreiheit des jeweiligen Kindes bzw. seiner Eltern vorliegt und somit eine schwerwiegende Verletzung des Art. 9 Abs. 1 QRL zu bejahen ist.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 88 m.w.N.). Eine Tatsachenfrage ist grundsätzlich nicht berufungsgerichtlich klärungsbedürftig, wenn das Verwaltungsgericht die verfügbaren Informationen herangezogen, aufbereitet und sachgerecht bewertet hat, ohne dass gegen diese Bewertung beachtliche Zweifel erkennbar sind und wenn keine gewichtigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Verhältnisse im Ergebnis unzutreffend beurteilt hat (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 139 f.). Es genügt also nicht, die gerichtlichen Feststellungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsland des Asylsuchenden bloß in Zweifel zu ziehen oder schlicht gegenteilige Behauptungen aufzustellen. Vielmehr muss durch Benennung bestimmter Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür dargelegt werden, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Behauptungen in der Antragsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf (vgl. OVG NW, B.v. 14.3.2018 – 13 A 341/18.A – juris Rn. 5 f. m.w.N.; BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 20 ZB 17.30393 – juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 8.2.2018 – 2 LA 1784/17 – juris Rn. 4). Das Verlangen nach bloßer Neubewertung unveränderter Tatsachen- oder Erkenntnisquellen rechtfertigt die Berufungszulassung grundsätzlich nicht (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 609).
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Das Erstgericht hat detailliert dargelegt und mit Erkenntnisquellen belegt, dass der Klägerin aufgrund ihrer Konversion zum Christentum bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan keine Verfolgung im Sinn des Gesetzes droht (UA S. 7 f.). Nach der zugrunde gelegten Auskunftslage sei nicht davon auszugehen, dass Repressionen oder andere Verfolgungen von staatlicher Seite drohten. Zwar übersehe das Gericht nicht, dass es aufgrund der Konversion zu einer sozialen Stigmatisierung der Klägerin kommen könne. Es sei jedoch nicht zu erwarten, dass ein solcher Grad an Intensität erreicht würde, der für eine Verfolgung oder für einen ernsthaften Schaden im Sinn des Gesetzes ausreichen würde. Das Gericht bezieht sich auf den Lagebericht des Auswärtigen Amts (Stand Januar 2017), eine Auskunft des Auswärtigen Amts an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vom 19. Juni 2013 sowie eine Stellungnahme an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof vom 25. Januar 2011. Vor diesem Hintergrund wird die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt, wenn die Klägerin behauptet, dass in Aserbaidschan ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Glaubensfreiheit eines konvertierten Kindes bzw. seiner Eltern vorliegen würde, weil sich die Klägerin einer Zwangsmissionierung durch Lehrer mit islamischer Religionszugehörigkeit nicht entziehen könne. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin die von ihr im Rahmen des Verfahrensmangels zitierten Quellen mit heranzieht, wird nicht dargelegt, inwieweit diese aktuelle andere Erkenntnisse als zum Beispiel der vom Erstgericht zugrunde gelegte Lagebericht des Auswärtigen Amts vom Januar 2017 vermitteln.
Im Übrigen setzt sich der Zulassungsantrag in keiner Weise mit den rechtlichen Anforderungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung auseinander. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, weil die von ihr formulierte für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage letztlich eine Gruppenverfolgung von Christen in Aserbaidschan zum Gegenstand hat.
2. Die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) liegen nicht vor.
a) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben. Die Klägerin sieht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, dass dem Gericht Berichte von Human Rights Watch, Open Doors, etc. übergeben worden seien, und das erstinstanzliche Gericht seiner Urteilsbegründung jedoch ausschließlich den Lagebericht sowie Auskünfte des Auswärtigen Amts zugrunde gelegt habe. Das Gericht hätte sich auch mit der aktuellen Situation in Aserbaidschan auseinandersetzen müssen.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986.91 – BVerfGE 86, 133/145). Dabei ist im Regelfall davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 16.7.1997 – 2 BvR 570.96 – juris). Im vorliegenden Fall sind derartige Umstände nicht ersichtlich. Am Ende des Tatbestands (UA S. 4) hat das Verwaltungsgericht gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO unter anderem auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen. Damit sind auch die von der Klägerseite eingeführten Erkenntnisquellen Inhalt des Tatbestands und vom Gericht zur Kenntnis genommen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Erstgericht insoweit das Vorbringen der Klägerin nicht in Erwägung gezogen hätte. Vielmehr lässt das Urteil eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den entscheidungserheblichen Fragen und eine ausreichende, schlüssige und überzeugende Begründung erkennen. Eine Befassung mit jedem einzelnen vorgetragenen Gesichtspunkt ist in den Urteilsgründen nicht erforderlich. Damit wurde der Anspruch der Klägerseite auf rechtliches Gehör gewahrt. Ein Verstoß gegen Grundsätze des Aufklärungs- und Beweisrechts ist nicht ersichtlich. Die bloße Kritik der Klägerseite an der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts und an der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zeigt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs auf.
b) Die Rüge, das Urteil des Verwaltungsgerichts sei nicht mit Gründen versehen (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO), greift nicht durch. Nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 1998 – 9 B 412.98 (NJW 1998, 3290) ist ein Begründungsmangel im Sinn von § 138 Nr. 6 VwGO – abgesehen vom vollständigen Fehlen von Gründen – nur dann anzunehmen, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgeblich gewesen sind. Davon kann hier ersichtlich nicht gesprochen werden. Die Klägerin wendet sich in Wirklichkeit gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Darstellung der Gründe; daraus lässt sich ein Begründungsmangel im Sinn von § 138 Nr. 6 VwGO aber nicht herleiten.
Damit hat die Klägerin mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung auch keinen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 166 VwGO, § 114 Satz 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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