Verwaltungsrecht

Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Klage gegen eine Wohnsitzauflage als Nebenbestimmung zur Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  M 25 K 15.595

Datum:
21.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 12 Abs. 2 S. 2, § 25 Abs. 3, § 60 Abs. 7 S. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 3 Abs. 3
VwGO VwGO § 114

 

Leitsatz

1 Die Betätigung des nach § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG eröffneten Ermessens ist nach § 114 S. 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist der Ausländerbehörde bekannt, dass der Kläger im Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen seinen Wohnsitz nicht gemäß der Auflage wird nehmen können, stellt der Wunsch des Klägers, von einer Auflage abzusehen, einen schutzwürdigen Belang dar. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte … & Kollegen, …-Str. …, … ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. In der Hauptsache wendet er sich gegen eine Nebenbestimmung zu seiner bis zum 18. November 2015 befristeten Aufenthaltserlaubnis, wonach bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII die Wohnsitznahme auf den Landkreis … beschränkt ist.
Der 23-jährige Kläger stammt aus Sierra Leone und reiste im April 2012 in das Bundesgebiet ein. Die Regierung von O. (Regierung) wies den Kläger im Mai 2012 dem Landkreis … zu. Im Mai 2014 ordnete das Amtsgericht … für den Kläger dauerhafte Betreuung an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stellte mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Oktober 2014 fest, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen chronischer, posttraumatischer Belastungsstörung vorliegt.
Auf seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen vom 27. November 2014, in dem der Kläger als vorgesehenen Aufenthaltsort die Gemeinde … im Landkreis … angegeben hatte, erteilte die Ausländerbehörde des Beklagten dem Kläger am selben Tag eine bis zum 26. Februar 2015 befristete Duldung mit der Beschränkung des Aufenthalts auf den Freistaat … und der Gestattung der Wohnsitznahme nur im Landkreis … Deshalb bat der damalige Betreuer des Klägers den Beklagten umgehend mit Telefax vom 2. Dezember 2014, die Auflagen der zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG so zu gestalten, dass eine Erstwohnsitzanmeldung in … im Landkreis … möglich sei. Er wies unter anderem darauf hin, dass die Unterbringung ausweislich einer amtsärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamts vom 14. Januar 2014 für die Dauer von 24 Monaten für erforderlich gehalten werde. Daraufhin fragte das Landratsamt des Beklagten beim Landratsamt … mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 an, ob dieses mit einem Zuzug des Klägers einverstanden sei. Bis zur Erteilung der bis zum 18. November 2015 befristeten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG am 19. Dezember 2014 erfolgte keine Reaktion des Landratsamts M. Die erteilte Aufenthaltserlaubnis enthält die Nebenbestimmung „Bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII ist die Wohnsitznahme auf den Landkreis … beschränkt.“
Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 13. Februar 2015, bei Gericht am selben Tag per Telefax eingegangen, Klage erheben und beantragen,
die Nebenbestimmung, dass bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII ist die Wohnsitznahme auf den Landkreis … beschränkt ist, aufzuheben und dem Kläger unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bei Prozess- und Verfahrenskostenhilfe vom 8. Februar 2015 wurde vorgelegt.
Die Klage wurde im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Nebenbestimmung sei rechtswidrig und willkürlich; sie verletze den Kläger in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Ausweislich eines Schreibens des Gesundheitsamts des Landratsamts … vom 14. Januar 2014 an die Regierung sei die Unterbringung des Klägers in einer therapeutischen Wohngemeinschaft aus amtsärztlicher Sicht für die Dauer von 24 Monaten erforderlich. Eine vergleichbare Therapiemöglichkeit im Landkreis … bestehe nicht. Dem Beklagten sei genau bekannt, dass eine Therapie des Klägers im Landkreis … während der Befristungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nicht möglich sei. Der Kläger müsse deshalb in einer therapeutischen Übergangswohngemeinschaft im Landkreis … untergebracht werden. Diese Unterbringung sei vom Landratsamt … nach Genehmigung durch die Regierung auch gestattet worden; die Kosten für die Unterbringung trage das Landratsamt …
Die Klage wurde dem Landratsamt am 20. Februar 2015 zugestellt, mit Schreiben vom 25. Februar 2015 übersandte es die „Personalakten“ an das Landratsamt … und erwiderte mit Schriftsatz vom 4. März 2015 auf die Klage, wobei beantragt wurde,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger lebe seit dem 6. Februar 2014 in einer Übergangswohngemeinschaft im Landkreis … Eine Zuweisung in diese Einrichtung sei bisher nicht erfolgt, da es sich um eine vorübergehende Unterbringungsart handele. Die Bitte um Einverständnis mit dem Zuzug des Klägers habe das Landratsamt M. noch nicht beantwortet. Die Nebenbestimmung finde ihre rechtliche Grundlage in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Auflage sei ermessensfehlerfrei ergangen. Sie sei mit Verweis auf den Inhalt der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 12 AufenthG begründet und damit der Sache nach auf eine die Ermessensausübung lenkende Verwaltungsvorschrift bezogen. Nach Punkt 12.2.5.2.2. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG sollten gegenüber Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, die Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt werden. Die besonderen individuellen Interessen des Klägers seien berücksichtigt worden. Die Unterbringung in der Übergangswohngemeinschaft im Landkreis M. werde dem Kläger durch die verfügte Auflage nicht verwehrt. Es handele es sich um einen vorübergehenden bzw. zeitlich befristeten Aufenthalt. Die Begründung eines Hauptwohnsitzes am Ort der Übergangswohngemeinschaft sei für den dortigen Aufenthalt nicht Voraussetzung. Insoweit werde auf die Regelung des Art. 25 Abs. 1 MeldeG Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 4. März 2015 stellte das Gericht das auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gerichtete Verfahren nach Antragsrücknahme ein (M 25 S. 15.596).
Mit weiterem Schreiben vom 9. März 2015 teilte der Beklagte mit, dass die Ausländerbehörde des Landratsamts … mit Schreiben vom 5. März 2015 ihre Zustimmung zur Änderung der wohnsitzbeschränkenden Auflage in Anlehnung an Nr. 12.2.5.2.4.2 AufenthG-VwV und die Zustimmung zur Fortführung des Verwaltungsverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG erteilt habe. Der Beklagte werde die wohnsitzbeschränkende Auflage zur Aufenthaltserlaubnis des Klägers insoweit anpassen, dass die Wohnsitzauflage auf den Landkreis M. beschränkt wird. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte auf die gerichtliche Frage, ob im Hinblick darauf eine verfahrensbeendende Erklärung abgegeben werden könne, mit, dass die Auflage mit dem Ziel der Aufhebung angefochten werde. Aus medizinischer Sicht sei bereits heute absehbar, dass der Kläger in eine therapeutische Wohnform wechseln werden müsse, und es sei unwahrscheinlich, dass diese wieder im Landkreis … sei. Übergangswohngemeinschaften würden von Art. 25 Abs. 1 MeldeG nicht erfasst. Die Rechtsgrundlage des § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffne Ermessen, von dem der Beklagte allenfalls defizitär Gebrauch gemacht habe. Es habe allenfalls eine Regelermessensausübung stattgefunden, ohne die Besonderheiten des Einzelfalls zu würdigen. Der vom Beklagten selbst angegebene Zweck habe eine völlig andere Zielrichtung, die beim Kläger nicht greifen könne. Sein Aufenthaltsort liege bereits in einem Ballungsraum. Das Interesse des Klägers an der Aufhebung sei es, bürokratische Hürden für seinen Betreuer bei der ohnehin gesundheitlich komplizierten Situation abzubauen. Es sei nicht erkennbar, welches Interesse der Beklagte daran habe, immer wieder Wohnsitzauflagen ändern zu müssen.
Mit Schreiben vom 17. März 2015 trug der Betreuer des Klägers vor, dass der Kläger am 21. Januar 2015 seinen alleinigen Wohnsitz in … im Landkreis … angemeldet habe. Der Kläger könne im Landkreis … keinen Wohnsitz anmelden, da er sich eine Wohnung nicht leisten könne und eine Zuweisung in eine Obdachlosenunterkunft voraussetze, dass der Kläger obdachlos sei. Auch mit einer auf den Landkreis M. bezogenen Auflage werde es früher oder später zum gleichen Problem kommen.
Mit Schreiben vom 24. April 2015 hörte das Gericht die Beteiligten im Hinblick auf das Vorabentscheidungsversuchen des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH vom 19. August 2014 (1 C1/14 – juris) zu einer Aussetzung gemäß § 94 VwGO an. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Richtlinie auf den Kläger nicht anwendbar sei.
Im Mai 2015 zog der Kläger in eine Übergangswohngemeinschaft in der Landeshauptstadt … um. Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt … verweigerte gegenüber dem Landkreis … ihre Zustimmung zu einem Zuzug nach … und bat darum, den Kläger aufzufordern, sich wieder in dem ihm erlaubten Bereich anzumelden.
Seit 1. Mai 2015 nimmt der Kläger SGB II-Leistungen in Anspruch. Am 2. Juni 2015 meldete sich der Kläger in … an.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2016 stellte der Prozessbevollmächtigte „nach Erledigung der Hauptsache die Klage um“ und beantragte festzustellen, dass die Wohnsitzauflage vom 19. Dezember 2014 rechtswidrig war, und den Prozesskostenhilfeantrag auf den geänderten Klageantrag zu erstrecken.
Die Wohnsitzauflage sei Bestandteil eines Verwaltungsakts, der nur bis zum 18. November 2015 befristet erteilt worden war, und sich somit erledigt habe. Vorliegend bestehe aber weiterhin Streit zwischen den Parteien und somit Wiederholungsgefahr. Es bedürfe der beantragten Feststellung, um den Beklagten in Zukunft zu rechtmäßigem Verhalten zu bewegen.
Am 29. Februar 2016 erhob der Kläger Untätigkeitsklage gegen den Beklagten und beantragte dessen Verurteilung zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels (M 25 K 16.975). Die Landeshauptstadt … war in diesem Verfahren beigeladen. Der Beklagte führte im dortigen Verfahren aus, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 9. Mai 2011 (19 B 10.2384 – juris) zwischen europarechtlichen und nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten unterschieden und für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die sich – wie beim Kläger – auf ein nationales Abschiebungsverbot stützt, eine wohnsitzbeschränkende Auflage aus fiskalpolitischen Gründen für zulässig erachtet habe. Nach jeweiliger Einzelfallprüfung könne eine Änderung der verfügten Wohnsitzauflage angezeigt erscheinen, soweit sich der Kläger auf medizinische Gründe berufe. Ein Anspruch auf eine generelle Befreiung von der Wohnsitzverpflichtung könne hieraus jedoch nicht gefolgert werden. Der Aufgabenkreis des durch gerichtliche Entscheidung bestellten Betreuers umfasse nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Kläger sei somit zur – wenn auch aus medizinischer Sicht für erforderlich erachteten – Wohnsitznahme in therapeutischen Einrichtungen nicht verpflichtet, sondern könne hierüber frei entscheiden.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. Oktober 2016 verpflichtete das Gericht den Beklagten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen (M 25 K 16.975) und bejahte die örtliche Zuständigkeit des Beklagten.
Mit Schreiben vom 27. April 2017 fragte das Gericht unter Hinweis auf den Beschluss des OVG Lüneburg vom 4. April 2017 (8 PA 46/17 – juris) die Beteiligten nach dem aktuellen Sachstand und ob die Aufenthaltserlaubnis des Klägers mittlerweile verlängert und mit einer Wohnsitzauflage versehen worden sei.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2017, bei Gericht am 9. Mai 2017 eingegangen, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers bezüglich des Prozesskostenhilfeantrags vom 13. Februar 2015 sowie der Erinnerung hieran vom 2. Dezember 2015 Verzögerungsrüge.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2017 teilte der Beklagte mit, dass der Kläger am 24. April 2017 mit seinem (neuen) Betreuer persönlich vorgesprochen habe und ihm die Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG bis zum 18. November 2017 verlängert worden sei. Die Aufenthaltserlaubnis sei wiederum mit einer Wohnsitzauflage versehen worden. Mit Schreiben vom 7. Juli 2017, bei Gericht am 11. Juli 2017 eingegangen, ließ der Kläger auch hiergegen durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben (M 25 K 17.3091) und beantragen,
die Nebenbestimmung „Bei Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII ist die Wohnsitznahme auf den Landkreis … beschränkt“ zur Aufenthaltserlaubnis vom 2. Juni 2017 aufzuheben.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2017 legte der Prozessbevollmächtigte eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe vor, verzichtete auf mündliche Verhandlung und erklärte sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten Rechtsanwalts hat Erfolg.
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
1. Aus dem Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) folgt, dass an das Tatbestandsmerkmal der „hinreichenden Erfolgsaussichten“ als Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. etwa BVerfG, B.v. 14.6.2006 – 2 BvR 626/06 und 2 BvR 656/06 -, juris Rn. 11 ff.; B.v. 27.11.2000 – 2 BvR 2109/99 -, juris Rn. 8; B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88 -, BVerfGE 81, 347, juris Rn. 25 ff.). Die Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nur summarisch vorzunehmen (vgl. BVerfG, B.v. 26.2.2007 – 1 BvR 474/05 – juris). Insbesondere soll die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vor zu verlagern und dieses dadurch faktisch an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren soll den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Die begehrte Prozesskostenhilfe darf indessen versagt werden, wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.3.1990, a.a.O., Rn. 26). So liegt es hier jedoch nicht.
2. Maßgeblich für die gerichtliche Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch ist grundsätzlich der letzte Erkenntnisstand, also der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Dies gilt uneingeschränkt für die Frage der Bedürftigkeit. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist hingegen auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife abzustellen, die regelmäßig dann eintritt, wenn die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen durch den Antragsteller vorgelegt worden sind und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zu äußern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.9.2007 – 10 C 39.07 und 10 PKH 16.07 -, juris Rn. 1; OVG NRW, B.v. 28.6.2017 – 13 E 231/17 – juris, Rn. 3), hier mithin am 9. März 2015 (Eingang der Klageerwiderung vom 4. März 2015).
3. Zu diesem Zeitpunkt bestanden – gemessen an den o.g. Maßstäben – hinreichende Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Klägers. Denn die Existenz eines Anspruchs des Antragstellers auf Aufhebung der Nebenbestimmung war – zumindest damals und insbesondere unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Dauer der vorübergehenden Unterbringung von 24 Monaten und mithin über die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hinaus – offen.
3.1. Eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen darf auf der Grundlage des § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG grundsätzlich mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage versehen werden. Ein Ausnahmefall, in dem die Erteilung einer Wohnsitzauflage von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. etwa zu wohnsitzbeschränkenden Auflagen für Asylberechtigte BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 17.12 – juris; anerkannte Flüchtlinge BVerwG, U.v. 15.1.2008 – 1 C 17.07 – juris; und subsidiärer Schutzberechtigte EuGH, U.v. 1.3.2016 – C-443/14 u.a. – juris) liegt hier nicht vor. Der Kläger ist insbesondere nicht subsidiär schutzberechtigt im Sinne des § 4 AsylG. Für den Kläger wurde lediglich ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Sierra Leone festgestellt.
3.2. Die Betätigung des nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffneten Ermessens ist nach § 114 Satz 1 VwGO gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Dabei ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn sich die Ausländerbehörde auf generelle Regelungen in Verwaltungsvorschriften bezieht, wie sie sich für die Erteilung einer Wohnsitzauflage in Nummern 12.2.5.2.1.1 ff. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG – AVwV AufenthG – vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 877) finden. Danach wird die Wohnsitzauflage erteilt und aufrechterhalten bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG, soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem AsylbLG beziehen (Nr. 12.2.5.2.2 Satz 1 AVwV AufenthG). Die hierdurch bewirkte Ermessensbindung findet ihre Grenze allerdings dort, wo wesentlichen Besonderheiten des Einzelfalls nicht mehr hinreichend Rechnung getragen wird, wobei Ausnahmen auf atypische Sachverhalte beschränkt bleiben dürften (BayVGH, U.v. 9.5.2011 – 19 B 10.2384 – juris Rn. 19). Die Ermessenslenkung dient ersichtlich dem Zweck, Wohnsitzwechsel zu verhindern, die den Finanz- und Verwaltungsaufwand vor allem der Sozialleistungsträger erhöhen und durch keine schutzwürdigen Gründe motiviert sind (vgl. BayVGH, U.v. 9.5.2011, a.a.O., juris Rn. 21). Die Ausländerbehörde hat die ihr bekannten oder erkennbaren Belange des Ausländers, die einer bestimmten Beschränkung der Wohnsitznahme im Einzelfall entgegenstehen, von Amts wegen bereits bei der Entscheidung über die Auflagenerteilung zu berücksichtigen (Nr. 12.2.5.1.2 AVwV AufenthG). Ob dies im vorliegenden Fall hinreichend beachtet wurde, mithin die Ermessensausübung ermessensgerecht ist, erscheint fraglich, die Erfolgsaussichten der Klage waren im Zeitpunkt der Entscheidungsreife zumindest als offen zu betrachten.
Es bestehen vorliegend begründete Zweifel daran, dass der Beklagte die ihm bekannten Belange des Ausländers bereits bei der Entscheidung über die Auflagenerteilung mit dem ihnen zukommenden Gewicht angemessen berücksichtigt hat. Dem Beklagten war bekannt, dass der Kläger im Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen seinen Wohnsitz nicht im Landkreis … wird nehmen können. Der Wunsch des Klägers, von einer Auflage abzusehen bzw. diese so zu gestalten, dass eine Erstwohnsitzanmeldung in einem anderen Landkreis möglich ist, stellt einen schutzwürdigen Belang dar.
4. Antragsgemäß war dem Kläger auch ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beizuordnen, da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 166 VwGO, § 121 Abs. 2 ZPO).
Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ergeht kostenfrei, Auslagen werden nicht erstattet.

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