Verwaltungsrecht

Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen offener Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung  der Klärung schwieriger Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren

Aktenzeichen  AN 6 K 16.01533

Datum:
16.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 44 Abs. 4
VwGO VwGO §§ 166
ZPO ZPO § 114

 

Leitsatz

Prozesskostenhilfe ist zu bewilligen, da die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung offen sind und im Hauptsacheverfahren schwierige Rechtsfragen zu klären sind.

Tenor

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und antragsgemäß Rechtsanwältin …- … beigeordnet.

Gründe

I.
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, hat drei minderjährige Kinder und hat sich von dem nachträglich einreisenden Ehemann endgültig getrennt. Sie stellte am 26. Februar 2016 einen Antrag auf Zulassung zu einem Integrationskurs (Sprach- und Orientierungskurs) gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 AufenthG. Sie gab hierin an, Asylbewerberin aus Eritrea, Irak, Iran oder Syrien zu sein. Handschriftlich wurde auf dem Antrag „Afghanistan“ vermerkt. In der Beklagtenakte befindet sich eine Kopie einer vom Bundesamt am 17. Juni 2016 ausgestellten Aufenthaltsgestattung, die die Staatsangehörigkeit der Klägerin mit Afghanistan angibt.
Mit Ablehnungsbescheid vom 11. Mai 2016 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zulassung zum Integrationskurs gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nrn. 1 bis 3 AufenthG mangels guter Bleibeperspektive ab. Sie führte dazu aus, dass eine gute Bleibeperspektive für Asylbewerber bestehe, die die Staatsangehörigkeit eines Herkunftslandes mit einer hohen Schutzquote besäßen (Syrien, Eritrea, Iran oder Irak) und für deren Asylverfahren die Bundesrepublik Deutschland in Anwendung der Dublin-III-Verordnung zuständig sei. Nach den vorliegenden Erkenntnissen besäße die Klägerin nicht die Staatsangehörigkeit eines der genannten Herkunftsländer.
Mit Schreiben vom 2. Juni 2016 ließ die Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid vom 11. Mai 2016 Widerspruch erheben und ließ zur Begründung vortragen, es sei nicht klar, woraus sich ergeben solle, dass nur Zugehörige der genannten vier Länder Anrecht auf die Zulassung zu einem Integrationskurs während des Asylverfahrens besitzen sollen. Die gesetzliche Bestimmung des § 44 sehe als Voraussetzung vor, dass eine gute Bleibeperspektive bestehen solle. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin habe individuelle Verfolgungsgründe, die sie bei ihrer Anhörung beim Bundesamt noch im Einzelnen darlegen werde. Es sei mit der Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbotes zu rechnen. Es bestünde auch ein besonderes Bedürfnis für die Klägerin, die deutsche Sprache zu lernen. Zum Wohl der Kinder der Klägerin sei es von außerordentlich großer Wichtigkeit, dass ihre Mutter in die Lage versetzt werde, die Belange der Kinder adäquat wahrnehmen zu können. Niemand dürfe wegen seiner Abstammung, seiner Heimat und Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2016 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen mit der Begründung, dass die Klägerin während des laufenden Widerspruchsverfahrens dem Bundesamt nicht habe nachweisen können, dass die Voraussetzungen für eine Teilnahme am Integrationskurs erfüllt seien.
Mit Schriftsatz vom 9. August 2016 ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2016 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylbewerberin zum Integrationskurs nach § 44 Abs. 4 Satz 2 2. Alt. AufenthG zuzulassen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag dahingehend zu entscheiden, dass der Herkunftsstaat der Klägerin nicht als Entscheidungskriterium, hilfsweise nicht als Ausschlusskriterium bewertet werde.
Außerdem wurde beantragt, der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …- … zu gewähren.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei im Besitz einer Aufenthaltsgestattung und nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg hätten Familien mit Kindern aus Afghanistan gute Chancen auf die Zuerkennung eines Status. Die Klägerin sei als Mutter von drei minderjährigen Kindern zum Zwecke der Hilfe in schulischen Angelegenheiten und Gesprächen mit der Kindertagesstätte dringend auf ausreichende Deutschkenntnisse angewiesen, die Beklagte dürfe daher nicht die Herkunft aus den in den ablehnenden Bescheiden genannten Ländern fordern.
Mit Schriftsatz vom 23. Juni 2016 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Sie verwies auf eine Begründung zu einem späteren Zeitpunkt.
Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2016 ließ die Klägerin ergänzend vortragen, sie habe zwischenzeitlich in der Gemeinde oder vom Arbeitsamt einen Deutschkurs ermöglicht bekommen, der jedoch nur zweimal in der Woche stattfinde und nur äußerst rudimentäre Sprachkenntnisse vermittle. Für die Klägerin ergäben sich daher große Probleme im täglichen Leben in Deutschland. Es sei für sie auch problematisch, sich beim Arzt verständlich zu machen. Sie leide an gravierenden gynäkologischen Problemen. Als gelernte Schneiderin habe sie wegen des Fehlens der erforderlichen Deutschkenntnisse auch keine Möglichkeit, sich beruflich zu integrieren. Die Teilnahme an einem Integrationskurs wäre daher gerade für sie als Mutter und alleinstehende Frau von größter Wichtigkeit.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Beklagtenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Prozesskostenhilfe ist gemäß §§ 166 VwGO, 114 ZPO auf Antrag einem Beteiligten zu bewilligen, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entscheidung der Frage, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage gegeben ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife (BayVGH, B.v. 4.2.2003 – 12 C 02.1942 – und vom 28.4.2003 – 12 C 03.488). Als Zeitpunkt der Entscheidungsreife wird grundsätzlich der Zeitpunkt nach Eingang der Behördenakten und der Klageerwiderung angenommen (BayVGH, B.v. 28.12.2004 – 12 CE 04.2960 – u.a.). Maßstab für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfe-Bewilligungsgesuch ist das vom Grundgesetz aufgestellte Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation der Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten in einer den Unbemittelten benachteiligenden Weise nicht überspannt werden. Prozesskostenhilfe muss zwar danach nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als schwierig erscheint (BVerfG, B.v. 13.3.1990 – 2 BvR 1439/88). Hinreichende Erfolgsaussicht in diesem Sinne besteht jedoch z.B. dann, wenn die Entscheidung von rechtlich oder tatsächlich schwierigen Fragen abhängig ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 28.4.2003 – 12 C 03.488) oder zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife die Möglichkeit einer entscheidungserheblichen Beweisführung besteht (BayVGH, B.v. 4.2.2003 – 12 C 02.1942).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Klägerin Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da die Entscheidung von der rechtlich schwierigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals, ob ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist („gute Bleibeperspektive“), abhängt und die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung sich somit im Zeitpunkt der Bewilligungsreife jedenfalls noch als offen darstellen, was für die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten im Sinne des § 114 ZPO genügt (BVerwG, NVwZ-RR 1999, 588; Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 166 Rn. 8).
Ob der Klage unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2016 zu entsprechen ist, hängt entscheidungserheblich davon ab, ob der Klägerin eine gute Bleibeperspektive im Sinne des § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG zuzusprechen ist. Gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nr. 1 AufenthG können Ausländer, die eine Aufenthaltsgestattung besitzen und bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, im Rahmen verfügbarer Plätze zur Teilnahme an einem Integrationskurs zugelassen werden. Eine Legaldefinition, wann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt und mithin eine gute Bleibeperspektive zu erwarten ist, ist nicht vorhanden. Obergerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffes ist bislang nicht ergangen. Es stellt sich daher die schwierige Rechtsfrage, wie der Begriff des rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts auszulegen ist. Nach der Intention des Gesetzgebers soll über die in § 44 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 Nrn. 1 bis 3 AufenthG genannten Voraussetzungen der Kreis der Ausländer auf diejenigen eingegrenzt werden, die eine gute Bleibeperspektive haben. Von Nummer 1 sollen Asylbewerber erfasst sein, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen oder bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht (vgl. BT-Drs. 18/6185 Begr. S. 48 f.).
Eine gute Bleibeperspektive kann sich damit neben der Herkunft des Ausländers aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote auch aus einer belastbaren Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag im Einzelfall ergeben, wie dies die Klägerbevollmächtigte in ihrem Klagevorbringen anspricht. Zur Überzeugung der Kammer hat die Beklagte im Verfahren auf Zulassung zum Integrationskurs nach der erkennbaren Intention des Gesetzgebers, der die Integration im Bereich des Aufenthaltsgesetzes und nicht im Bereich des Asylgesetzes angesiedelt hat und auf eine Prognose im Sinne einer Erwartung abstellt, jedenfalls nicht die vom Asylantrag erfassten Rechtspositionen im Einzelfall – quasi in einem parallelen Asylverfahren – selbst durchzuprüfen. Wann im Übrigen jedoch eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag im Einzelfall vorliegt und welche Maßstäbe und Prüfungsdichte einer solchen Prognose zugrunde zu legen sind, bleibt einer gerichtlichen Klärung und Entscheidung im Klageverfahren vorbehalten.
Dass die Beklagte zur Beurteilung einer guten Bleibeperspektive neben einer belastbaren Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag auf die Herkunft des Ausländers aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote abstellt, ist von den gesetzlichen Vorgaben her ebenso nicht zu bestanden. Klärungsbedürftig bleibt jedoch hier die Frage, welche Anerkennungsquote eine gute Bleibeperspektive bedingt und ob neben den von der Beklagten benannten Ländern Syrien, Eritrea, Irak, Iran und (inzwischen) Somalia weitere Herkunftsländer – etwa Afghanistan – hierunter zu fassen sind.
Mit den aufgeworfenen Fragestellungen zur Definition des Begriffs der guten Bleibeperspektive stellen sich schwierige Rechtsfragen, deren Beantwortung nicht Gegenstand des Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahrens ist, sondern dem Klageverfahren vorbehalten bleibt. Aufgrund der jedenfalls noch offenen Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung kann daher eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage im Sinne des § 114 ZPO angenommen werden. Die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig und die Klägerin kann nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen. Es ist ihr daher Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin …- … zu bewilligen.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO).


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