Verwaltungsrecht

Chronische Hepatitis B kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 2 S7 16.31692

Datum:
19.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Der Umstand, dass es bei einer unbehandelten chronischer Hepatitis B bei einem Teil der Betroffenen im Laufe der Jahre möglicherweise zu schwerwiegenden Folgen kommen kann, stellt gerade nicht die von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte erhebliche konkrete Gefahr dar, denn die Vorschrift gewährleistet nicht, dass der Antragsteller in Deutschland eine optimale Gesundheitsvorsorge erhält. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 2 S 16.30477 2016-03-24 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben senegalesischer Staatsangehöriger.
Das Bundesamt … lehnte mit Bescheid vom 25. Februar 2016 die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) jeweils als offensichtlich unbegründet sowie den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als unbegründet ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4.), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde er abgeschoben (Ziffer 5.), ordnete eine Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG an und befristete dieses auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise (Ziffer 6.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 7.).
Der Antragsteller ließ gegen diesen Bescheid durch seinen Bevollmächtigten am 8. März 2016 Klage erheben (Az. M 2 K 16.30476), über die noch nicht entschieden ist. Den ebenfalls am 8. März 2016 gestellten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, lehnte das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 24. März 2016 ab (Az. M 2 S 16.30477). Zur Begründung führte das Gericht insbesondere aus, dass die Voraussetzungen eines krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG nicht vorliegen.
Am 12. Juli 2016 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht München sinngemäß beantragen,
unter Abänderung des Beschlusses vom 24. März 2016 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung ließ er unter Vorlage entsprechender Unterlagen u. a. vortragen, aus der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers sowie den vorgelegten Geburtsurkunden werde ersichtlich, dass das traumatisierende Ereignis stattgefunden habe. Die eidesstattliche Erklärung biete eine nachvollziehbare Begründung für die abweichenden Angaben vor dem Bundesamt. Damit sei ein Abschiebeverbot aufgrund einer bestehenden psychischen Erkrankung soweit nachgewiesen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestünden. Zusätzlich ergebe sich ein Abschiebeverbot auch aus dem klarstellenden Attest des Dr. …. Beim Antragsteller liege ein atypischer Fall einer Hepatitis B mit einer besonders hohen Viruslast vor. Zur Vorlage kam eine „Versicherung an Eides statt“ (ohne Datum) des Antragstellers: Er habe zum Zeitpunkt der Anhörung des Bundesamts noch nicht gewusst, dass er einen Bruder habe. Er habe seinen Bruder erst Ende des Jahres 2015 zufällig kennengelernt. Sein Bruder habe ihm dann mitgeteilt, dass sein Vater mit Vornamen … heiße. Allerdings habe er seinen Vater gar nicht unter diesem Namen gekannt, er kenne ihn nur unter seinem Rufnamen … Er habe dann seine Mutter im Senegal angerufen und diese habe ihm bestätigt, dass es sich bei … um den ihm als … bekannten Vater handele. Sein Vater sei verstorben, als er ungefähr sechs Jahre alt gewesen sei. Als sein Vater gestorben sei, sei seine Mutter mit seinem Bruder schwanger gewesen. Als seine Mutter den Sohn geboren habe, habe sie mit ihm und seiner Schwester das Dorf verlassen und seinen Bruder dort zurückgelassen. Sie habe nie über seinen Bruder gesprochen und deshalb habe er nicht gewusst, dass er existiert. Allerdings habe seine Mutter und sein Bruder weiterhin Kontakt gehabt. Als die Journalisten der … Zeitung ihn interviewt hätten, habe er gesagt, dass es sich um seinen Cousin handele, da er ja zuvor im Interview beim Bundesamt gesagt habe, dass er keinen Bruder habe. Er habe Angst in Schwierigkeiten zu geraten, weil er ja wisse, dass es kaum glaubhaft sei, dass er seinen Bruder so zufällig in Deutschland nach seinem Interview treffe. Zur Vorlage kam ein Zeitungsbericht, in dem es u. a. heißt, im Namen der Familie des Verstorbenen habe dessen „Cousin …“ einige Worte sprechen sollen. Ferner kamen zur Vorlage jeweils am 11. April 2016 von dem Standesbeamten der Gemeinde … „…“ ausgestellte „Auszüge aus dem Register der Geburtsurkunden“ (jeweils Kopien in französischer Sprache sowie anhand elektronischer Kopien gefertigte deutsche Übersetzungen) für den Antragsteller sowie für „…“, in denen jeweils als Mutter „…“ und als Vater „…“ vermerkt ist. Als Geburtsdatum des Antragstellers ist in dem Auszug der … Dezember 1990 angegeben. Schließlich kam zur Vorlage ein weiteres Attest des Dr. … vom 23. Juni 2016, wonach der Antragsteller an einer chronischen Hepatitis B Infektion leide. Es könne jederzeit zum Ausbruch einer vulminanten Hepatits kommen bzw. über längere Zeit könne es unbehandelt zur Entwicklung von Leberkrebs kommen. Der Patient werde alle drei bis sechs Monate bezüglich seiner Viruslast überprüft. Es sei nicht auszuschließen, dass es kurzfristig zu einem Behandlungsbeginn der Hepatitis B mit antiviralem Wirkstoff kommen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten in den Verfahren M 2 S7 16.31692, M 2 S 16.30477 und M 2 K 16.30476 verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Der Änderungsantrag ist nur statthaft, wenn das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Zulässigkeit eines Änderungsantrags setzt voraus, dass veränderte oder im vorangegangenen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen werden, die ein Abweichen von der ursprünglichen Entscheidung rechtfertigen können (Schmidt in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 103 m. w. N.). Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist. Es dient allein der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen (BVerwG, B. v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris Rn. 5; vgl. auch Schmidt in Eyermann, a. a. O., § 80 Rn. 101).
Daran gemessen ist der Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 7 VwGO jedenfalls unbegründet. Auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens des Antragstellers einschließlich der vorgelegten Unterlagen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Bundesamts vom 25. Februar 2016. Insbesondere kann unverändert nicht von einem krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG (vgl. dazu ausführlich den Beschluss vom 24. März 2016, BA S. 13 ff.) ausgegangen werden:
Hinsichtlich der vorgebrachten psychischen Erkrankung fehlt es unverändert an einem tragfähigen ärztlichen Attest. Insbesondere bestehen nach wie vor ganz erhebliche und durchgreifende Zweifel, ob das behauptet traumatisierende Ereignis (Tötung eines Bruders am 21. Februar 2016) tatsächlich stattgefunden hat: Wie der Antragsteller in seiner „Versicherung an Eides statt“ selbst einräumt, ist sein Vorbringen, er habe seinen Bruder bei der Anhörung durch das Bundesamt (2. November 2015) deshalb nicht erwähnt, weil er seinen Bruder erst nach seiner Anhörung beim Bundesamt zufällig in Deutschland getroffen habe, „kaum glaubhaft“. Seine Einlassungen in seiner „Versicherung an Eides statt“ lassen dieses Vorbringen keineswegs nachvollziehbarer erscheinen. Im Gegenteil: Diese Einlassungen verstärken die Zweifel des Gerichts, weil es widersprüchlich und unplausibel ist: So behauptet der Antragsteller etwa in seiner eidesstattlichen Erklärung, erst nachdem er seinen Bruder kennengelernt habe, habe er von diesem erfahren, dass sein Vater mit Vornamen nicht …, sondern … geheißen habe. Er habe dann seine Mutter im Senegal angerufen, die ihm das bestätigt habe. Allerdings hatte der Antragsteller den Namen seines Vaters bereits bei seiner Erstbefragung am 22. August 2013 mit „…“ und bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 2. November 2015 mit „…“ angegeben gehabt. Die Darstellung des Antragstellers, er habe erst nach seiner Anhörung beim Bundesamt von seinem Bruder den richtigen Namen seines Vaters erfahren, kann demnach nicht richtig sein. Nicht nachvollziehbar ist auch, warum der Antragsteller gegenüber den Journalisten der Süddeutschen Zeitung nicht von einem Bruder, sondern von einem Cousin gesprochen hat. Die Erklärung des Antragstellers, er habe sich nicht in Widerspruch zu seinen Angaben bei der Anhörung des Bundesamts setzen wollen, kann nicht überzeugen: Denn beim Bundesamt hatte der Antragsteller davon gesprochen, außer seiner Mutter und seiner Schwester habe er keine weiteren Verwandten, die er kenne; Verwandte im Ausland kenne er nicht. Zu dieser Einlassung steht auch die Angabe gegenüber den Journalisten, bei dem Getöteten handele es sich um seinen Cousin, im Widerspruch. Gänzlich unplausibel ist auch die Erklärung dafür, warum er von seinem angeblichen Bruder zunächst keine Kenntnis gehabt haben will: Es ist nicht nachvollziehbar, dass und warum die Mutter des Antragstellers ihren zweiten Sohn kurz nach dessen Geburt im Dorf zurückgelassen haben will und mit dem Antragsteller und dessen Schwester weggezogen sein will, zumal gerade ihr Ehemann und gemeinsamer Vater der Kinder verstorben sein soll, und in der Folgezeit zwar Kontakt zum Bruder des Antragstellers gehabt haben soll, dies dem Antragsteller aber gleichwohl jahrelang verheimlicht haben soll. Die vom Antragsteller vorgelegten angeblichen Auszüge aus dem Register der Geburtsurkunden haben schon deshalb wenig Beweiskraft, weil sie nur in Kopie vorliegen. Auffällig ist jedenfalls, dass das in der für den Antragsteller vorgelegten Urkunde genannte Geburtsdatum … Dezember 1990 von jenem abweicht, dass der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt angegeben hat (… Februar 1990). Da demnach unverändert schon erhebliche Zweifel an der behaupteten schweren Traumatisierung des Antragstellers durch den Tod eines Bruders bestehen, kommt es weiterhin nicht darauf an, ob und inwieweit hinsichtlich der vorgebrachten psychischen Erkrankung die übrigen Voraussetzungen für ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis bestehen.
Hinsichtlich der chronischen Hepatitis B des Antragstellers hatte des Gericht bereits in seinem Beschluss vom 24. März 2016 ausführlich dargelegt, dass und warum aus einer solchen Erkrankung keine krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis in Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 Sätze 1 bis 4 AufenthG abgeleitet werden kann. An dieser Einschätzung vermag das neuerliche Attest des Dr. … vom 23. Juni 2016 nichts zu ändern. Der Umstand, dass es bei einer unbehandelten chronischer Hepatitis B bei einem Teil der Betroffenen im Laufe der Jahre möglicherweise zu schwerwiegende Folgen kommen kann, stellt gerade nicht die von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte erhebliche konkrete Gefahr dar. § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 4 AufenthG gewährleisten nicht, dass der Antragsteller in Deutschland eine optimale Gesundheitsvorsorge erhält. Es ist auch nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat der Abschiebung mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Nach alldem war der gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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