Verwaltungsrecht

Darlegung der grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage

Aktenzeichen  8 ZB 18.32482

Datum:
2.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25045
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, § 83b
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
VwGO § 108 Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Zur Darlegung der grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage bedarf es zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (zB Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH BeckRS 2010, 45257; BeckRS 2016, 47774). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 7 K 17.33133 2018-08-08 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügt.
Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtlich Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 21.11.2017 – 1 B 148.17 u.a. – juris Rn. 4 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 30.9.2015 – 1 B 42.15 – juris Rn. 3). Darzulegen sind mithin die konkrete Frage sowie ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung (vgl. OVG NRW, B.v. 15.12.2017 – 13 A 2841/17.A – juris Rn. 3 ff.).
Stützt sich das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 1 ZB 07.30025 – juris Rn. 3; B.v. 13.6.2016 – 13a ZB 16.30062 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 12.12.2016 – 4 A 2939/15.A – juris Rn. 4 f.; SächsOVG, B.v. 30.11.2017 – 1 A 1046/17.A – juris Rn. 5; OVG SA, B.v. 29.3.2017 – 3 L 249/16 – juris Rn. 14; HessVGH, B.v. 17.1.2017 – 3 A 2970/16.Z.A – juris Rn. 2).
Diesen Anforderungen wird das klägerische Vorbringen nicht gerecht. Der Kläger zeigt hinsichtlich der im Zulassungsantrag für grundsätzlich bedeutsam gehaltenen Tatsachenfrage,
„ob die Versorgungs- und Sicherheitslage in Äthiopien für an Depressionen und Asthma erkrankte Personen aktuell so desolat ist, dass hieraus Abschiebungsverbote für diese gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK beziehungsweise § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzuleiten sind“,
keinen Klärungsbedarf auf. Er nennt keine Tatsachen- oder Erkenntnisquellen, die nahelegten, dass an Depressionen und Asthma erkrankten Personen aufgrund der medizinischen Versorgungslage in Äthiopien – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – eine wesentliche Verschlimmerung ihrer Erkrankung alsbald nach ihrer Rückkehr drohte (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 1 bis 3 AsylG; vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – NVwZ 2007, 712 = juris Rn. 15 ff.). Der Zulassungsantrag setzt sich mit der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 5. September 2013 („Äthiopien: Psychiatrische Versorgung“), auf die sich das Verwaltungsgericht tragend gestützt hat, nicht auseinander. Konkrete Anhaltspunkte, dass psychische Erkrankungen – wie die beim Kläger diagnostizierte (schwere) depressive Episode – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – in Äthiopien nicht behandelbar sind, zeigt er nicht auf. Der Bericht „Unsere Hilfe in Äthiopien“ der Organisation Ärzte ohne Grenzen vom 15. Juni 2018, auf den der Zulassungsantrag Bezug nimmt (unter Angabe des Datums 15.6.2017), verhält sich zur Behandelbarkeit speziell psychischer Erkrankungen nicht.
Die Zulassungsbegründung zeigt auch keinen Klärungsbedarf auf, soweit der Kläger geltend macht, dass es ihm unmöglich sei, sich in Äthiopien eine Existenzgrundlage zu schaffen, die mit § 60 Abs. 5 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK in Einklang zu bringen sei. Selbst wenn man dies zu seinen Gunsten unterstellte, wäre der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung wegen dieser Frage nicht gegeben, weil sie in einem Berufungsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Es kommt insofern nämlich nicht nur darauf an, ob sich im angestrebten Berufungsverfahren eine bestimmte Frage entscheidungserheblich stellen würde, sondern auch darauf, ob sie für die Vorinstanz entscheidungserheblich gewesen ist (vgl. BVerwG, B. v. 25.4.2014 – 8 B 87.13 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 9.3.2017 – 20 ZB 17.30213 – juris Rn. 4; B.v. 19.2.2018 – 20 ZB 18.30003 – juris Rn. 4; Seibert in Sodan/Ziekow, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 152). Das ist hier nicht der Fall. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung – selbständig tragend – darauf gestützt, dass dem Kläger, selbst wenn er keiner geregelten Arbeit nachgehen kann bzw. aufgrund seiner Verhaltensweisen keine dauerhafte Beschäftigung findet, innerhalb der Familie die notwendige existenzsichernde Unterstützung zukommt (vgl. S. 14, 19 des Urteilsabdrucks).
2. Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe nach der Erkenntnislage nicht davon ausgehen dürfen, dass die beim Kläger diagnostizierten Krankheiten in Äthiopien behandelbar sind und dass er sich dort eine Existenzgrundlage schaffen kann, richtet sich gegen die dem Gericht im Rahmen seiner Überzeugungsbildung obliegende Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist. Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts als solche nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG – anders als § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – den Zulassungsgrund der „ernstlichen Zweifel“ an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht. Durch Mängel der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann allenfalls der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sein, allerdings nur dann, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß vorliegt, vor allem wenn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (vgl. BVerwG, B.v. 31.1.2018 – 9 B 11.17 – juris Rn. 3; B.v. 12.3.2014 – 5 B 48.13 – NVwZ-RR 2014, 660 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 21 ZB 18.30867 – juris Rn. 4). Dass ein solcher Mangel vorliegt, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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