Verwaltungsrecht

Darlegungsanforderungen hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung einer Tatsachenfrage

Aktenzeichen  9 ZB 18.32733

Datum:
31.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28784
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4

 

Leitsatz

1. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass erwerbsfähigen Asylantragstellern bei Rückkehr in ihren Heimatstaat die Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit grundsätzlich zumutbar ist. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Stützt sich das Verwaltungsgericht in seinem Urteil auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich behauptet wird, die tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vielmehr bedarf es zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder Erkenntnisquellen, die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders zu beantworten ist (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 20073 ). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Frage, ob es sachgerecht ist, die strapaziöse Fluchtroute, die sich als absolute Ausnahmesituation im Leben einer Person darstellt, als Anhaltspunkt für die Möglichkeit der Existenzsicherung heranzuziehen, betrifft die tatrichterliche Würdigung im Einzelfall, sodass damit kein in § 78 Abs. 3 AsylG genannter Zulassungsgrund dargetan wird (vgl. BayVGH BeckRS 2018, 20071). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 18.31073 2018-09-10 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substanziiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 14.12.2017 – 9 ZB 15.30129 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
Die Fragen,
„ob es Personen, die aufgrund des damaligen Bürgerkriegs und der damit verbundenen Flucht aus dem Land nicht in Sierra Leone aufgewachsen sind und damit weder mit den dort gesprochenen Sprachen, noch mit der Kultur und den Bräuchen sowie täglichen Umgangsformen der heimischen Menschen (vertraut sind) ohne soziales Netzwerk und den Schutz sowie die Unterstützung der Großfamilie zumutbar ist, auf die Möglichkeit der Sicherung des Existenzminimums durch tägliche Hilfsarbeit zu verweisen insbesondere unter Berücksichtigung der strukturellen Defizite des Landes im Rahmen der sehr hohen Arbeitslosenquote von 65 – 70% oder ob es sich hierbei nicht vielmehr um eine schutzwürdige Personengruppe handelt und ob es desweiteren sachgerecht ist, die strapaziöse Fluchtroute, die sich als absolute Ausnahmesituation im Leben einer Person darstellt, als Anhaltspunkt für die Möglichkeit der Existenzsicherung heranzuziehen“,
führen nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
1. Die (Teil-) Frage, ob es „zumutbar“ ist, einen Asylantragsteller auf die Möglichkeit der Sicherung des Existenzminimums durch tägliche Hilfsarbeit zu verweisen, ist nicht klärungsbedürftig.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass erwerbsfähigen Personen die Sicherung des wirtschaftlichen Existenzminimums durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit grundsätzlich zumutbar ist. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 68 = juris Rn. 11 m.w.N.). Aus Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU, auf die das Zulassungsvorbringen wohl abstellt (Art. 8 Abs. 1 „der maßgeblichen Ausführungsrichtlinie“), ergibt sich nichts anderes.
2. Ob für die in den aufgeworfenen Fragen umschriebene und nach Ansicht des Klägers „schutzwürdige Personengruppe“ etwas anderes gelten kann, ist mangels Entscheidungserheblichkeit nicht klärungsfähig.
Das Verwaltungsgericht hat entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass sich der 31 Jahre alte, gesunde und erwerbsfähige Kläger nach seiner Ausreise aus Gambia im Jahr 2014 in diversen, für ihn fremden Ländern („Senegal, Mali, Burkina Faso, Niger, Libyen, Italien“) nach eigenem Vortrag nicht nur zur Durchreise aufgehalten hat, sondern dass es ihm dort weithin gelang, zumindest durch einfache Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt zu bestreiten („Senegal, Mali, Italien“). Sierra Leone wäre für den Kläger kein fremderes Land als die Länder, in denen sich der Kläger seit dem Verlassen Sierra Leones aufgehalten hat. Es seien deshalb keine Gründe dafür ersichtlich, dass Kläger nicht in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone bestreiten zu können. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substanziiert auseinander (s. auch nachstehend Nr. 4).
3. Soweit den aufgeworfenen Fragen weiter die hohe Arbeitslosenquote in Sierra Leone von 65% bis 70% zugrunde gelegt wird, setzt sich der Kläger nicht mit der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 22. Mai 2018 auseinander, auf die das Verwaltungsgericht „im Übrigen“ nach § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen hat.
Danach bewege sich die Arbeitslosenrate in Sierra Leone zwar zwischen 65 und 70%. Gleichwohl gelinge es trotz der wirtschaftlich schlechten Lage selbst ungelernten Arbeitslosen durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten, Kleinhandel und ähnliche Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicherzustellen. Seine Bewertung stützt das Bundesamt auf Rechtsprechung, mit der sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinandersetzt. Allein das Vorbringen, die im angegangenen Ersturteil zugrunde gelegten Tatsachen seien unrichtig und zwischenzeitlich überholt, genügt nicht dem Darlegungsgebot.
Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier durch die Bezugnahme auf den Bundesamtsbescheid – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, genügt es den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG in Bezug auf die grundsätzliche Bedeutung einer Tatsachenfrage nicht, wenn lediglich die Behauptung aufgestellt wird, die für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse stellten sich anders dar als vom Verwaltungsgericht angenommen. Vielmehr bedarf es in diesen Fällen zumindest eines überprüfbaren Hinweises auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- und Erkenntnisquellen (z.B. Gutachten, Auskünfte, Presseberichte), die zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigen, dass die aufgeworfene Tatsachenfrage anders als in der angefochtenen Entscheidung zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 13.8.2018 – 9 ZB 18.50044 – juris Rn. 14 m.w.N.). Daran fehlt es.
4. Mit der Frage, ob es sachgerecht ist, die strapaziöse Fluchtroute, die sich als absolute Ausnahmesituation im Leben einer Person darstellt, als Anhaltspunkt für die Möglichkeit der Existenzsicherung heranzuziehen, wendet sich der Kläger im Gewand der Grundsatzrüge gegen die tatrichterliche Würdigung im Einzelfall. Damit wird kein in § 78 Abs. 3 AsylG genannter Zulassungsgrund dargetan (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2018 – 9 ZB 18.31792 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Davon abgesehen entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Überzeugungsbildung des Gerichts ist demgemäß auch der Beteiligtenvortrag zu Grunde zu legen. Dies hat das Verwaltungsgericht getan und aus dem Vortrag des Klägers nachvollziehbar geschlossen, dass dieser die Fähigkeit hat, auch in fremden Ländern zurechtzukommen, in denen er nicht aufgewachsen ist, deren Sprache er nicht spricht (die Amtssprache in Sierra Leone ist allerdings Englisch, was der Kläger nach seinen Angaben neben der Sprache Fula spricht), mit deren Kultur und Bräuchen sowie täglichen Umgangsformen er nicht vertraut ist und in denen er weder über ein soziales Netzwerk verfügt noch auf den Schutz oder die Unterstützung durch eine Großfamilie bauen kann. Was an dieser Würdigung „völlig unsachgemäß“ sein soll, ist weder ersichtlich noch wird dies substanziiert dargelegt. Insbesondere ergibt sich aus der klägerischen Bewertung, die Erlebnisse und Gegebenheiten aus der Fluchtroute gründeten auf eine Ausnahmesituation, nicht, weshalb dem Kläger die während seines mehrjährigen Reisewegs gezeigten Fähigkeiten in Sierra Leone nicht zur Verfügung stehen sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben