Verwaltungsrecht

Dauer des Aufenthalts in einer Aufnahmeeinrichtung

Aktenzeichen  M 24 K 16.576

Datum:
10.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2013/33/EU Art. 21, Art. 25
AsylG AsylG § 29a, § 47 Abs. 1, § 47 Abs. 1a S. 1, § 50

 

Leitsatz

1 Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat, deren Asylverfahren noch läuft oder deren Asylantrag als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, sind verpflichtet, in der zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Das gilt auch, wenn sie vor Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes bereits erstverteilt worden sind. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die 6-Monats-Frist des § 47 Abs. 1 AsylG gilt nicht für Ausländer aus einem sicheren Herkunftstaat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Aus den Vorschriften der RL 2013/33/EU lässt sich kein Anspruch ableiten, nur an einem bestimmten Ort von einem bestimmten Therapeuten während der Dauer des gesamten Asylverfahrens behandelt zu werden. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2016 entscheiden, obwohl weder die Kläger noch ein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Denn in den jeweiligen Ladungsschreiben vom 12. Oktober 2016, das der Zustellbevollmächtigten der Kläger am 15. Oktober 2016 gegen Zustellungsurkunde und der Beklagten am 13. Oktober 2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, war darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Das Verwaltungsgericht … ist zur Entscheidung über die Klage örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO. Es handelt sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz, da Kern der Streitigkeit eine Vorschrift des Asylgesetzes, nämlich § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG, ist (BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 4). Die Kläger hatten im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG –) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (…) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) zu nehmen.
Aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer vom 19. Februar 2016 ist der Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Da die Kläger gegen den Gerichtsbescheid vom 4. Mai 2016 rechtzeitig, also innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, mündliche Verhandlung beantragt haben, gilt der Gerichtsbescheid als nicht ergangen. Über die Klage ist durch Urteil zu entscheiden (§ 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3.1. Rechtsgrundlage der im streitgegenständlichen Bescheid von Amts wegen verfügten landesinternen Umverteilung ist, da nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung für die Entscheidung maßgeblich ist, § 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl, in der seit 1. September 2016 geltenden Fassung, GVBl. S. 258 ff). Nach dieser Vorschrift kann aus Gründen des öffentlichen Interesses durch die insoweit nach § 9 Abs. 2 Satz 2 DVAsyl zuständige Regierung, in deren Bezirk die Verteilung erfolgen soll, landesintern eine Umverteilung in einen anderen Landkreis oder eine andere kreisfreie Gemeinde im selben oder in einem anderen Regierungsbezirk erfolgen.
Das öffentliche Interesse i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 DVAsyl (i.V.m. § 9 Abs. 5 DVAsyl i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Aufnahmegesetz (AufnG)) ergibt sich vorliegend aus § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift sind (abweichend von § 47 Abs. 1 AsylG, wonach Asylbewerber längstens sechs Monate zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung verpflichtet sind) Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 29a AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags nach § 29a AsylG als offensichtlich unbegründet oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG bleiben die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt.
Die ohne Übergangsregelung seit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungs-gesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 verbindliche Regelung des § 47 Abs. 1a AsylG findet dabei auch auf solche Asylbewerber Anwendung, die ihren Asylantrag vor dem 24. Oktober 2015 gestellt haben und vor diesem Tag aus der Aufnahmeeinrichtung heraus erstverteilt worden sind. Die Einzelrichterin schließt sich insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (in BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 21 CS 15.30249 – juris Rn. 7) an:
Die Bestimmung des § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG, wonach die §§ 48 bis 50 AsylG unberührt bleiben, spricht für sich genommen nicht gegen die Annahme des Beklagten, dass auch solche Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat der neu geschaffenen Wohnpflicht unterliegen, die bereits auf die Regierungsbezirke verteilt wurden. Damit ist lediglich bestimmt, dass die Wohnpflicht des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG aus den in den §§ 48 bis 50 AsylG geregelten Gründen endet. Es kann jedoch nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass die Gründe, die zu einem Ende der aus § 47 Abs. 1 (a.F.) folgenden Wohnpflicht geführt haben, auch einer späteren Umverteilung in eine auf der Grundlage des § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG bestehende Aufnahmeeinrichtung entgegenstehen. Denn diese Aufnahmeeinrichtungen wurden eigens für den Zweck geschaffen, bei Personen ohne flüchtlingsrelevanten Schutzbedarf – wie den Antragstellern – eine abschließende sowie im Ergebnis schnellere Bearbeitung der Asylverfahren und eine raschere Beendigung des Aufenthalts zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 18/6185 S. 33 f.).
Die Kläger sind als mazedonische Staatsangehörige auch Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 47 Abs. 1a, §§ 29a AsylG i.V.m. der Anlage II zum AsylG. Dass sie aufgrund einer (abweichend von § 29a Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) positiven Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht mehr verpflichtet wären, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, wurde weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich.
Die im Regierungsbezirk Oberbayern in … gelegene … ist dabei auch eine (besondere) Aufnahmeeinrichtung i.S.v. § 47 Abs. 1a, § 44 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 1 DVAsyl.
3.2. Dass sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht i.S.v. § 47 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 50 Abs. 4 Satz 5 AsylG bzw. § 9 Abs. 6 DVAsyl bei den Klägern vorliegen würden, die die Umverteilungsentscheidung rechtswidrig erscheinen ließen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere stellen die psychischen Erkrankungen der Klägerin zu 2) keinen solchen humanitären Grund von vergleichbarem Gewicht dar.
Medizinische Aspekte, aus denen sich sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem, einer landesinternen Umverteilung entgegenstehenden Gewicht ergeben können, haben die Kläger im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO) vorzulegen und zu belegen. Speziell bei psychischen Erkrankungen haben diese Belege den insoweit typisierten Qualifikationsanforderungen zu genügen, insbesondere soweit es um posttraumatische Belastungsstörungen geht (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251, juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15). Darüber hinaus sind bei bloß bayerninternen Umverteilungen – angesichts der in Deutschland verfügbaren Medikamente und der im Raum … dichten medizinischen Versorgung – die Kläger im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht des Weiteren gehalten, solche fachärztlichen/fachtherapeutischen Belege vorzulegen, die eine explizite Begründung enthalten, warum eine Therapie im Raum … nicht möglich sein sollte und womit (mit welcher Wahrscheinlichkeit) konkret gerade im Falle einer Verlegung der Therapie in den Raum … zu rechnen wäre. Vor diesem Hintergrund sind an die Darlegung und Belegung gesundheitlicher Gefahren, die mit einer landesinternen Umverteilung in die Aufnahme- und Rückkehreinrichtung verbunden sein können, insgesamt hohe Anforderungen zu stellen.
Der aus lediglich zwei Sätzen bestehenden ärztlichen Stellungnahme vom 11. Februar 2016 ist nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, warum eine Behandlung oder Therapie des diagnostizierten Spannungskopfschmerzes, der seelischen Störung und der Depression nicht auch im Raum … möglich sein sollte und mit welcher Wahrscheinlichkeit mit welchen konkreten Folgen im Fall einer Verlegung der Behandlung in den Raum … zu rechnen wäre. Auch in der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO vorgelegten weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 31. März 2016 ist hierzu lediglich ausgeführt, dass aus medizinischer Sicht eine deutlichere Verschlechterung im Falle eines Ortswechsels zu befürchten ist, ohne dies weiter zu substantiieren.
Soweit bei der Klägerin zu 2) in der psychologischen Stellungnahme vom 29. Februar 2016 und in der ergänzenden psychodiagnostischen Stellungnahme vom 6. April 2016 eines Primär- und Traumatherapeuten von … Hilfe für Migranten, Flüchtlinge und Folterüberlebende e.V. spezifische (isolierte) Phobien, lokalisationsbezogene (fokale) (partielle) symptomatische Epilepsie und epileptische Syndrome mit einfach fokalen Anfällen, Somatisierungsstörung, chronischer Kopfschmerz und Schlafstörung diagnostiziert und ausgeführt wurde, dass die Klägerin zu 2) schon im Aufnahmezentrum in … wo viele Albaner und Kosovoalbaner, sowie Albaner aus Mazedonien leben würden, aufgrund ihrer Phobie vor albanischen Staatsbürgern und albanisch sprachigen Menschen in abgeschwächter Form unter der gleichen Symptomverstärkung leiden würde, wie es eine Abschiebung nach Mazedonien zur Folge haben werde, ergibt sich bereits angesichts der Äußerung der Beklagten, dass in einem Standort der … neben 285 Ukrainern lediglich 20 Albaner leben würden, kein humanitärer Grund von vergleichbarem Gewicht, der die Umverteilungsentscheidung rechtswidrig erscheinen ließe.
Auch aus den von der Bevollmächtigten angesprochenen Vorschriften der RL 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 ergibt sich kein Anspruch darauf, nur an einem bestimmten Ort von einem bestimmten Therapeuten während der Dauer des gesamten Asylverfahrens behandelt zu werden.
3.3. Der streitgegenständliche Bescheid leidet auch nicht unter Ermessensfehlern (§ 114 VwGO). Die vorliegende landesinterne Umverteilungsentscheidung bedarf gemäß § 9 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl (in der seit 1. September 2016 geltenden Fassung, GVBl. S. 258 ff) i.V.m. § 50 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 47 Abs. 1a Satz 2 AsylG zum einen von vornherein keiner expliziten Begründung. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass der Bescheid vom 2. Februar 2016 auf ermessensfehlerhaften Erwägungen beruhen könnte; vielmehr dient er der Umsetzung der bundesrechtlich in § 47 Abs. 1a AsylG verankerten Pflicht der Kläger, (wieder) in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
3.4. Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs entspricht den gesetzlichen Vorschriften (Art. 18 und Art. 19, Art. 29 i.V.m. Art. 34 und 36 Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben