Verwaltungsrecht

Der Kosovo ist ein sicherer Herkunftsstaat

Aktenzeichen  M 17 S 17.34040

Datum:
29.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a
AsylG AsylG § 29a
AufenthG AufenthG § 58 Abs. 1a, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Bei einer Gefahr für Leib und Leben durch nichtstaatliche Dritte kann auf die zuständigen Behörden im Kosovo verwiesen werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die allgemein harten Lebensbedingungen im Kosovo begründen kein Abschiebungsverbot. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der minderjährige Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger, albanischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am … Mai 2015 als unbegleiteter Minderjähriger auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. Oktober 2016 einen Asylantrag.
Bei seiner informatorischen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Januar 2017 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, aus dem Kosovo geflohen zu sein, weil sein Vater ihn zur Arbeit gezwungen und körperlich misshandelt habe. Seitdem er zwölf Jahre alt ist, habe er nicht mehr zu Schule gehen dürfen, sondern arbeiten müssen. Die Arbeit habe dabei vor allem im häuslichen Umfeld stattgefunden, er habe beispielsweise auf das Vieh der Familie aufpassen müssen. Wenn er die von seinem Vater aufgetragenen Aufgaben nicht zu dessen Zufriedenheit erfüllt habe, sei er ab und zu – auch mit einem Kabel oder einem Stock – geschlagen worden. Dies sei auch grundlos geschehen. Der Antragsteller habe versucht, die Misshandlungen vor seiner Mutter zu verbergen, da er nicht gewollt habe, dass auch sie geschlagen werde. Wenn die Misshandlungen in der häuslichen Gemeinschaft passiert sind, hätten sich alle Verwandten ruhig verhalten, aus Angst vor der Gewalt des Vaters. In der Schule sei er von seinen Mitschülern wegen seiner blauen Flecken verspottet worden. Er habe weder den Lehrern, die das auch nicht interessiert habe, noch sonstigen staatlichen Stellen von den Misshandlungen erzählt. Die 200,00 € für die Ausreise habe der Antragsteller zum Teil mit Arbeiten auf Baustellen verdient, ohne seinen Vater darüber zu informieren. Für 70 € habe er ca. eine Woche gearbeitet. 150,00 € habe ihm sein Großvater gegeben. Sein Vater habe ihm nicht zugetraut, dass er von Zuhause fliehe. Ausgereist sei er dann nachts, da ihn sein Vater festgehalten hätte, wenn er seine Flucht bemerkt hätte. Er sei nachts um 3:00 Uhr von dem 7 km entfernten Ort …, wohin er von seinem Dorf aus zu Fuß gegangen sei, nach … gefahren. Der Antragsteller habe Kontakt zu einer Tante in … … und telefoniere mit seiner Mutter und seinen Geschwistern. Bei einer Rückkehr könnte es sein, dass ihn sein Vater nicht mehr zu Hause aufnehme und er auf der Straße leben müsse. Falls doch müsse er wieder das machen, was sein Vater ihm sage.
Mit Bescheid vom 22. Februar 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter jedoch offensichtlich nicht vorlägen. Der Antragsteller stamme aus Kosovo, einem sicheren Herkunftsstaat, so dass vermutet werde, dass er nicht verfolgt werde, solange er nicht Tatsachen vortrage, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung verfolgt wird. Der Antragsteller habe nichts glaubhaft vorgetragen oder vorgelegt, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass, entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage in seinem Herkunftsstaat, in seinem Fall die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung erfüllt seien. Er sei nach eigenen Angaben lediglich vor der häuslichen Gewalt geflohen, die ihm durch seinen Vater angetan worden seien. Dies stelle keine Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG dar. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Der Antragsteller habe zum einen nicht einmal versucht, staatliche Hilfe beizuziehen. Insofern sei er bereits an diesem Punkt auf die Möglichkeit des internen Schutzes zu verweisen. Eine solche Inanspruchnahme der Behörden sei auch einem Jugendlichen zumutbar. Er habe seine begründete Furcht einer Gefährdung nicht glaubhaft gemacht. Es sei höchst fraglich, ob die Schilderungen des Antragstellers der Realität entsprechen. Ein erstes starkes Indiz hiergegen sei, dass die Ausreisemodalitäten ausweislich des in … in … beantragten Visums anders abgelaufen sein dürften. Die Beantragung des Visums deute sehr stark auf eine geplante und von der Familie unterstützte Ausreise und nicht auf eine Flucht vor dem gewalttätigen Vater hin. Denn ohne die Mitwirkung des Erziehungsberechtigten sei die Erteilung des Visums praktisch ausgeschlossen. Auch die Schilderungen der familiären Umstände werfe Zweifel auf – so habe der Bruder des Antragstellers anders als der Antragsteller nach wie vor zur Schule gehen können. Auch sei es merkwürdig, wenn der gesamte Rest der Familie scheinbar kein Interesse daran gehabt habe, ebenfalls auszureisen, die vom Antragsteller geschilderte Reaktion der Geschwister auf die Ausreisepläne würden merkwürdig platt und wenig lebensnah wirken. Ähnliches gelte für die Reaktionen des Umfelds, diese würden wenig plastisch und abziehbildmäßig geschildert. Gleichfalls fragwürdig sei die Schilderung, er habe 70,00 € innerhalb einer Woche als jugendliche, ungelernte und unerfahrene Kraft auf dem Bau erarbeitet, wobei er gleichzeitig noch zu Hause gearbeitet haben will. Es sei äußerst unwahrscheinlich, dass der Antragsteller unter diesen Umständen ein Gehalt im Bereich des kosovarischen Durchschnittsgehalts von 300,00 bis 400,00 € im Monat bezogen habe. Aufgrund dieser Punkte sei davon auszugehen, dass keinesfalls die häusliche Gewalt wie geschildert der Grund der Ausreise sei, sondern vielmehr, wie der Antragsteller auch gegen Ende der Anhörung angedeutet habe, der Wunsch eine Ausbildung zu absolvieren und dann in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen. Die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten grundsätzlich Schutz und Sicherheit. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Eine allgemein schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründe kein Abschiebungsverbot, sie müsse und könne von dem Antragsteller ebenso wie von vielen ihrer Landsleute gegebenenfalls unter Aufbietung entsprechender Aktivitäten bewältigt werden. Anders als vom Antragsteller vorgetragen, sei davon auszugehen, dass die familiären Verhältnisse einer Rückkehr in den Familienkreis nicht entgegenstehen. Wie bereits im Rahmen der Prüfung des subsidiären Schutzes erläutert, sei vielmehr davon auszugehen, dass die Familie die Ausreise aus wirtschaftlichen Gründen unterstützt habe. Es sei anzunehmen, dass der Antragsteller in eine familiäre Beistandsgemeinschaft zurückkehre, die gemeinsam in der Lage sei, für angemessene Lebensumstände im Heimatland zu sorgen. Es sei unwahrscheinlich, dass der Antragsteller, wie von ihm vorgetragen, auf der Straße lande. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise sei im vorliegenden Fall angemessen. Der Antragsteller verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären. Der Antragsteller habe zwar vorgetragen, er habe einen Onkel und eine Tante mit dauerhaftem Aufenthalt in der Bundesrepublik, aufgrund des Umstands, dass der Großteil seiner Familie aber nach wie vor im Kosovo lebe, befinde sich dort der Lebensmittelpunkt des Antragstellers. Den Interessen des Antragstellers, Onkel und Tante weiterhin besuchen zu können, stehe das generalpräventive Interesse der Bundesrepublik entgegen, gerade bei sicheren Herkunftsländern die Migration aus wirtschaftlichen Gründen unter Nutzung des Asylverfahrens zu beschränken und zu verhindern. In Ausübung des Ermessens werde die Frist entsprechend der üblichen Dauer festgelegt. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ab dem Tag der Abschiebung auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall ebenfalls angemessen.
Mit Schreiben vom 3. März 2017, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag zugegangen, erhob der Vormund des Antragstellers Klage mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom 22. Februar 2017 in den Nrn. 4, 5, 6 und 7 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass bei dem Antragsteller Abschiebungsverbote gemäß § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise § 60 Abs. 5, 7 AufenthG hinsichtlich dem Kosovo vorliegen. Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass die „offensichtlich unbegründete“-Tenorierung nicht berechtigt sei. Der Bescheid basiere auf zwei grundsätzlichen Unterstellungen, die nachweislich falsch seien. Das Bundesamt würdige in keiner Weise den Vortrag des Antragstellers. Es gehe von falschen Annahmen und Tatsachen aus und unterlasse eine Berücksichtigung des Einzelfalls. Der Antragsteller sei nachweislich nicht mit einem österreichischen Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Richtig sei, dass er im Besitz eines vom … April 2015 bis … Mai 2015 gültigen österreichischen Visums gewesen sei. Die Flucht vom Kosovo nach Deutschland habe jedoch im Zeitraum … Mai 2015 bis … Mai 2015 stattgefunden. Ende April habe der Antragsteller seine schwerstkranke Mutter zu einem Besuch bei deren Bruder, dem Onkel des Antragstellers, in Österreich begleitet. Anlass des Besuchs seien medizinische Untersuchungen und Behandlungen gewesen. Der Onkel versichere, beide am … Mai 2015 in den Bus nach Kosovo gesetzt zu haben. Als Nachweis wurden zwei Bustickets von … nach … datiert auf den … Mai 2015 mit den Namen der Mutter und des Antragstellers vorgelegt. Wäre der Antragsteller in der Anhörung vor dem Bundesamt danach gefragt worden, hätte er den Irrtum aufklären können. Es könne zudem nicht von einer familiären Beistandsgemeinschaft gesprochen werden. Er und seine Familie hätten unter der Gewalt und der Unterdrückung seines Vaters gelitten. Vor allem seine Mutter und seine ältere Schwester seien Opfer langjähriger gewalttätiger Übergriffe durch den Vater gewesen. Die familiären Verhältnisse stünden einer Rückkehr entgegen. Dem noch minderjährigen Antragsteller drohten erhebliche Gefahren für Leib und Leben, ausgeübt durch den massiven gewaltbereiten und auf Vergeltung sinnenden Vater, dem er schutzlos ausgeliefert wäre.
Am 7. März 2017 übersandte die Antragsgegnerin die Behördenakten und stellte keinen Antrag.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen, insbesondere auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides.
II.
Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung zulässig (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG), jedoch unbegründet.
Entsprechend der Gesetzeslage des Art. 16 a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Die Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG). Das Gericht hat daher die Einschätzung des Bundesamts, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Maßgeblich ist dabei, ob sich diese Einschätzung im Ergebnis als tragfähig und rechtmäßig erweist. Darüber hinaus hat das Gericht gemessen am Maßstab der ernstlichen Zweifel auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat (vgl. zum Ganzen: Marx, Kommentar zum AsylVfG, 8. Auflage, § 36 Rdnr. 43, 56 f. jew. m.w.N.).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 22. Februar 2017. Die Ablehnung des Antrags auf Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet (Nr. 1 und 2 des Bescheides) wurden nicht angefochten und sind damit bestandskräftig. Obgleich der Klageantrag unter Ziffer I. der Klageschrift vom 3. März 2017 die Aufhebung der Ablehnung des Antrags auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet (Nr. 3 des Bescheides) nicht umfasst, ist aus dem Klageantrag unter II. ersichtlich, dass sich die Verpflichtungsklage auch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erstrecken soll.
Das Bundesamt ist aber zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus offensichtlich nicht vorliegen. Nicht zu beanstanden ist auch, dass das Bundesamt keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt hat. Dem Antragsteller droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation im Kosovo noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine Gefährdung im Sinne des § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 22. Februar 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Das Heimatland des Antragstellers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung von Kosovo als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
Weder im Eilverfahren noch im Hauptsacheverfahren wurden bisher von Antragstellerseite Gründe vorgebracht, die den streitgegenständlichen Bescheid in Frage stellen könnten.
1. Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Bei den vom Antragsteller geschilderten Misshandlungen durch seinen Vater handelt es sich – unterstellt man den Vortrag des Antragstellers als wahr – um kriminelles Unrecht. Bei der Bedrohung durch häusliche Gewalt muss der Antragsteller auf staatlichen Schutz verwiesen werden. Bei Annahme einer drohenden erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG durch einen nichtstaatlichen Akteur kommt gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylVfG die Gewährung subsidiären Schutzes nicht in Betracht, weil es an der Voraussetzung fehlt, dass der Staat erwiesenermaßen nicht schutzfähig oder -willig ist. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nach der aktuellen Auskunftslage nicht auszugehen (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9. Dezember 2015, im Folgenden: Lagebericht; Länderreport Kosovo (Stand September 2015) des Bundesamts; Ausführungen im Bescheid des Bundesamts zu Polizei, Justiz und EULEX, § 77 Abs. 2 AsylG; ebenso u.a. VG Leipzig, U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris). Der pauschale Hinweis, der Antragsteller habe sich niemandem anvertraut, da dies Lehrer nicht interessiert habe und er nicht gewollt habe, dass seine Mutter Opfer von Gewalt seines Vaters werde, ist nicht geeignet, den innerstaatlichen Schutz infrage zu stellen. Vielmehr räumt der Antragsteller selbst ein, den Versuch unterlassen zu haben, staatlichen Schutz, z.B. von der Polizei, zu erhalten. Eine völlig rechtlose Stellung des Antragstellers, die quasi dazu führen würde, dass sich das Geschehene wiederholt, ist vor diesem Hintergrund nicht konkret absehbar (so auch: VG München, B.v. 22.9.2015 – M 15 S. 15.31170 – juris Rn. 17).
2. Zudem liegen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 vor.
2.1. Allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse im Kosovo vermag sich der Antragsteller weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller eine Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen (vgl. dazu den streitgegenständlichen Bescheid, § 77 Abs. 2 AsylG). Unter Berücksichtigung dieser Umstände reicht der Verweis auf eine schwierige wirtschaftliche Situation im Kosovo und die Minderjährigkeit des Klägers nicht für § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aus. Der Familienverband des Klägers lebt im Kosovo. In seinem Heimatdorf … leben seine Eltern, Geschwister, Großvater sowie Onkel und Tanten. Der Antragsteller erhielt von seinem Großvater einen Teil des Geldes für die Reise nach Deutschland. Aus welchen Gründen diese Unterstützungen nun nicht mehr stattfinden sollten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mutmaßlich davon ausgeht, dass er bei einer Rückkehr in den Kosovo von seinem Vater nicht mehr aufgenommen werde, ist dies – wie der Antragsteller selbst ausführt – eine reine Vermutung. Zudem ist laut dem das „Amt für soziale Angelegenheiten“ der jeweiligen Gemeinde für unbegleitete Minderjährige zuständig, in der die Minderjährigen zuletzt registriert waren (Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG vom 7. Dezember 2016 (Stand September 2016, S. 27). Dort wird zunächst geprüft, ob eine Inobhutnahme bei Verwandten möglich ist. Falls eine Unterbringung bei Verwandten oder auch einer anderen aufnahmewilligen Familie nicht möglich ist, bestehen Unterbringungsmöglichkeiten in einem Kinderheim in Klina oder einem SOS-Kinderdorf.
2.2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche wurde nicht vorgetragen. Die allgemeine Gefahr, dass der Antragsteller mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, hat sich für den Antragsteller nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre.
3. Schließlich ist die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
4. Dass der Antragsteller noch minderjährig ist, macht die Abschiebungsandrohung nicht rechtswidrig. Dieser Umstand betrifft nicht (zielstaatsbezogen) die Abschiebung als solche, sondern ist im Vollzug durch die zuständige Ausländerbehörde hinsichtlich Zeitpunkt und Umständen der Abschiebung zu prüfen (VG München, B.v. 28.04.2015 – M 4 S. 15.30266).
Gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG hat sich die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Mit dieser Regelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden ist, hat der Gesetzgeber Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98) – Rückführungsrichtlinie – umgesetzt (BT-Drs. 17/5470 S. 24). § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung (BVerwG, U.v. 13.06.2013 – 10 C 13/12 – juris Rn. 17). Denn § 58 Abs. 1a AufenthG ist keiner gesonderten Feststellung durch das Bundesamt gemäß § 31 Abs. 3 AsylG zugänglich wie die dort genannten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG. Auch hat das Bundesamt im Rahmen der Abschiebungsandrohung die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht zu prüfen. Auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wirkt sich das Vollstreckungshindernis des § 58 Abs. 1a AufenthG nicht aus.
Die Ausländerbehörden müssen sich in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit davon verschaffen, dass die Übergabe des unbegleiteten Minderjährigen an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung nicht nur möglich ist, sondern tatsächlich auch erfolgen wird (konkrete Möglichkeit der Übergabe). § 58 Abs. 1a AufenthG verpflichtet die Ausländerbehörde, sich vor Durchführung jeder Abschiebung z.B. durch Einschaltung des Bundesamts oder der Botschaften und Konsulate vor Ort positiv davon zu vergewissern, dass eine Übergabe an konkret benannte Personen bzw. Stellen tatsächlich vollzogen wird. Nur dann entfällt das gesetzliche Vollstreckungshindernis für eine Abschiebung.
Auf Grund dieser Rechtslage besteht für den Antragsteller nicht die Gefahr einer Abschiebung in eine ungesicherte Zukunft im Heimatland. Die Voraussetzungen, die ein Abschiebungsverbot rechtfertigen würden, liegen daher derzeit nicht vor. Es besteht kein Anlass, anzunehmen, dass die zuständige Ausländerbehörde abweichend von den gesetzlichen Vorgaben die Abschiebung betreiben würde. Im Falle des Antragstellers bedeutet dies, dass nach einer Bezugsperson gesucht werden müsste, die eine entsprechende Aufnahme und Betreuung des Antragstellers gewährleisten würde. Insoweit ist sichergestellt, dass der Antragsteller nicht durch eine Abschiebung in eine ungewisse und auswegslose Lage gerät (vgl. insoweit auch: VG Ansbach vom 31.3.2004 Az. AN 15 K 02.32519; VG München vom 18.8.2009 Az. M 17 K 09.50081; VG Augsburg, U.v. 16.02.2011 – Au 6 K 10.30424 – juris). Im Falle seiner Rückkehr nach Kosovo wäre der Antragsteller gerade nicht auf sich alleine gestellt, sondern könnte in seiner Heimat zumindest auf Teile seines Familienverbandes – wie den Großvater, seine Mutter und seine Geschwister – zurückgreifen.
5. Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
6. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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