Verwaltungsrecht

Derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn

Aktenzeichen  M 9 S 16.51293

Datum:
9.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
GRCh GRCh Art. 4, Art. 6
EMRK EMRK Art. 3
RL 2013/32/EU Art. 8 Abs. 3, Art. 38, Art. 39, Art. 46
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Derzeit ist nicht zu befürchten, dass das das Asylverfahren und die Aufnahmedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der EU-Grundrechtecharta oder der Europäischen Menschenrechtskonvention begründen könnten. (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch der Umstand, dass in Ungarn seit dem 1. August 2015 ein geändertes Asylverfahrensgesetz in Kraft getreten ist, das die Rechte von Asylsuchenden einschränkt, begründet keinen systemischen Mangel.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller reiste wiederholt, zuletzt am … Oktober 2016, in das Bundesgebiet ein (Bl. 4ff. des Behördenakts – i.F.: BA -). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Ägyptens. Er befindet sich derzeit in Abschiebehaft.
Aufgrund eines Eurodac-Treffers, Nr. … (Bl. 14 des BA), wurde am … Oktober 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarn gerichtet (Bl. 33ff. des BA). Dieses ging am selben Tag bei den ungarischen Behörden ein (Bl. 37 des BA). Die ungarischen Behörden haben nach Aktenlage bis dato nicht geantwortet.
Daraufhin ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom … November 2016 die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 1) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 2).
In der Folge beantragte der Antragsteller mit dem Bundesamt am … November 2016 zugegangenem Schreiben aus der Haft heraus Asyl (Bl. 107 des BA). Eine für den … Dezember 2016 geplante Abschiebung scheiterte (Bl. 111ff. des BA).
Mit gegen Postzustellungsurkunde vom … Dezember 2016 zugestelltem Bescheid vom … Dezember 2016 hob das Bundesamt den Bescheid vom … November 2016 auf (Nr. 1), lehnte den (Asyl-) Antrag als unzulässig ab (Nr. 2), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3), ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 4) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5).
Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom … Dezember 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (i.F.: Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Ungarn ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus dem Eurodac-Treffer der Kategorie 1 und daraus, dass die ungarischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch vom … Oktober 2016 nicht fristgerecht geantwortet haben, Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO.
Die Überstellung an Ungarn ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Danach ist es unmöglich, einen Asylbewerber an den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass in dem Mitgliedsstaat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (EU-GRCh) mit sich bringen.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der EU-GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort.
Auf der Grundlage des dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn ist im Einklang mit weiten Teilen der Rechtsprechung (EGMR, U. v. 3.7.2014 – 71932/12 -; BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13A ZB 15.50097 -; B. v. 27.4.2015 – 14 ZB 13.30076 -; VG München, U. v. 10.6.2016 – M 12 K 16.50103 -; U. v. 31.8.2016 – M 7 K 15.50718 -; B. v. 5.8.2016 – M 1 S 16.50383 -; U. v. 16.8.2016 – M 9 K 14.50743 -; U. v. 4.10.2016 – M 9 K 15.50732 -; B. v. 14.11.2016 – M 3 S 16.50594 -; VG Cottbus, B. v. 13.9.2016 – 5 L 308/16.A -; VG Ansbach, B. v. 28.6.2016 – AN 3 S 16.50214 -; VG Osnabrück, U. v. 18.5.2016 – 5 A 68/16 -; VG Würzburg, U. v. 30.3.2016 – W 2 K 14.50204 -; VG Frankfurt a. M., B. v. 7.3.2016 – 5 L 432/16.F.A -; VG Berlin, U. v. 4.3.2016 – 23 K 323.14 A -; VG Gießen, U. v. 15.2.2016 – 2 K 4455/15.GI.A -; VG Augsburg, B. v. 27.1.2016 – Au 4 S 16.50004 -; VG Dresden, U. v. 12.1.2016 – 2 K 1695/15.A – jeweils zitiert nach juris) für die Person des Antragstellers derzeit nicht zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten. Aktuell zugrunde gelegt wurden insbesondere: Der Bericht des Hungarian Helsinki Committees zu den Änderungen des ungarischen Asylrechts vom 7. August 2015, der Bericht des Hungarian Helsinki Committees zur Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014, die Stellungnahme des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf, der Bericht von Amnesty International vom Juli 2015: „Europe‘s Borderlands – Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary“, der Bericht von Amnesty International zur Lage der Flüchtlinge in Ungarn, Oktober 2015: „Fenced out-Hungary‘s violations of the rights of refugees and migrants“, die Einschätzungen des UNHCR, 6. bis 12. November 2015, Europe‘s refugees emercency respons update, der Bericht des UNHCR „Hungary, As a Country of Asylum – Observations on restrictive legal measures and subsequent practice implemented between July 2015 and March 2016”, Mai 2016, die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 gegenüber dem Verwaltungsgericht Augsburg und das Informationsschreiben des UNHCR vom 9. September 2016 (abrufbar über http://www.unhcr.at/fileadmin/rechts-infos/fluechtlingsrecht/6_laenderinformationen/6_4_europa/HUN_092016.pdf).
Die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiert, ist kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bereits mit Urteil vom 3. Juli 2014 festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis nicht vorliegen und dass ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung i. S. des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (EGMR, U. v. 3.7.2014 – 71932/12). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dies in neueren Entscheidungen bestätigt (BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13A ZB 15.50097 – juris; B. v. 27.4.2015 – 14 ZB 13.30076 – juris). Diese Entscheidungen können für die heutigen Verhältnisse wieder herangezogen werden, da die Zahlen der Asylbewerber 2016 drastisch zurückgegangen sind. Die Haftgründe entsprechen im Wesentlichen den in der Europäischen Union zulässigen Haftgründen, die in Art. 8 Abs. 3 RL 2013/33/EU aufgeführt sind, und sind damit dem Grunde nach zulässig (VG München, B. v. 18.07.2016 – M 12 S 16.50473 -; VG Bayreuth, B. v. 22.9.2016 – B 3 S 16.50079 – jeweils zitiert nach juris). Auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Augsburg lässt sich schließen, dass für den Antragsteller bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht die konkrete Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung besteht. Dort wird für das Verfahren der Asylhaft und bezüglich der Unterbringungsbedingungen auszugsweise ausgeführt:
„Es liegen keine offiziellen statistischen Informationen vor, ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden. Es gelten für die Anordnung der Asylhaft die gleichen gesetzlichen Grundlagen wie für Nicht-Dublin-Fälle. Zur durchschnittlichen Verweildauer von Dublin-Rückkehrern in Asylhafteinrichtungen liegen ebenfalls keine offiziellen statistischen Informationen vor. Die gesetzliche Höchstdauer beträgt 6 Monate, im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern 1 Monat. Die Asylverfahren von Personen, die sich in Asylhaft befinden, werden vorrangig bearbeitet. Anzumerken ist, dass nach einer internen, nicht offiziellen Auswertung eines Verantwortlichen der Einrichtung Bekescsaba die durchschnittliche Haftdauer im Auswertungszeitraum 1.1.-10.12.2015 bei 24 Tagen lag.
Haftdauerverringernd wirkt sich neben dem Beschleunigungsgebot zum einen aus, dass die Asylbehörde nicht automatisch die maximal zulässige Haftverlängerung beantragt, zum anderen, dass das zuständige Gericht, welches über die Verlängerung der Haftanordnung entscheidet, kürzere Haftzeiten als beantragt gewährt. Anhand des Prüfungsaufwandes vom Einzelfall wird u. a. festgelegt, wie lange der Asylbewerber noch in Haft zu halten ist. So sind zum einen Fälle bekannt, in denen die Haft sofort beendet wurde, als auch Fälle, in denen die Haft für eine Woche vom Gericht verlängert wurde.
Die Asylbehörde ist als Betreiber der Einrichtungen mit Sachbearbeitern vor Ort in den Einrichtungen vertreten. Die Sachbearbeiter führen Anhörungen durch und treffen Entscheidungen.
Die Entscheidung über die Asylhaft wird dem Ausländer mündlich in seiner Muttersprache oder einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt und ihm die Anordnungsverfügung in ungarischer Sprache ausgehändigt. Asylhaft kann erstmalig maximal für 72 Stunden angeordnet werden. Asylhaft darf nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt wurde. Im Rahmen jeder Haftanordnung ist von der Asylbehörde zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann. Wenn der Anordnungsgrund auch durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, ist Haft nicht anzuordnen.
Soll die Asylhaft für länger als 72 Stunden andauern, muss die Asylbehörde binnen 24 Stunden nach der Erstanordnungsverfügung einen Verlängerungsantrag um maximal 60 Tage beim örtlichen Gericht stellen. Es findet somit eine automatische Überprüfung der Maßnahme spätestens 72 Stunden nach Verhängung der Maßnahme durch das örtlich zuständige Gericht statt. Der Verlängerungsantrag ist zu begründen. Bei dem Haftprüfungstermin muss der Betroffene anwaltlich vertreten sein und kann Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme einlegen. Auch nach gegebenenfalls Bestätigung der Maßnahme durch das Gericht kann der Betroffene jederzeit Einwendungen erheben, über die das Gericht binnen 8 Tagen zu entscheiden hat, wobei eine wiederholte Beschwerde aus denselben Gründen nicht statthaft ist. Sollte der Betroffene aus sprachlichen oder anderen Gründen gehindert sein, selbst einen Anwalt zu beauftragen, wird von Amts wegen vom zuständigen Gericht ein Anwalt beigeordnet. Die Verfahrenskosten trägt der ungarische Staat.
Es gibt in Ungarn drei Asylhafteinrichtungen: In allen ist eine 24/7 medizinische Versorgung gewährleistet. Psychologische Behandlung wird auf Nachfrage von einer Nichtregierungsorganisation durchgeführt, ist aber auch bei festgestelltem Bedarf in der nächstgelegenen Klinik verfügbar. Beschwerden gegen die Haftbedingungen können bis zum Leiter des Asyldirektorates eingereicht werden. Kontrolliert wird die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu den Bedingungen der Unterbringung von Asylsuchenden in Asylhafteinrichtungen durch das Büro der ungarischen Staatsanwaltschaft, das regelmäßig Kontrollbesuche durchführt. Die Einrichtungen verfügen in der Regel über Zimmer für die Insassen, einen Sozialraum, Verwaltungs- und Arztgebäude, eine Turn- oder Sporthalle sowie einen Innenhof. Der Sozialraum bietet Zugang zu Internet und Telefon. In den Asylhafteinrichtungen arbeiten auch Sozialpädagogen zwecks Betreuung der Asylbewerber. Die Unterbringung erfolgt in Mehrbetträumen, wobei alleinstehende Frauen und Familien von minderjährigen Kindern, die nach den gesetzlichen Regelungen auch in Asylhaft genommen werden können, in separaten Gebäuden oder Flügeln getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden müssen.“
Danach sind keine Anhaltspunkte für systemische Mängel erkennbar. Auch nach dem Informationsschreiben des UNHCR vom 9. September 2016 verfügten die meisten Gewahrsamseinrichtungen für Asylsuchende in Ungarn über eine angemessene Infrastruktur. Dem in diesem Zusammenhang teils gewählten rechtlichen Ansatz, wonach die Anwendung der Asylhaft auf „Dublin-Rückkehrer“ wegen Verstoßes gegen Art. 6 EU-GRCh zu einem Überstellungsverbot nach Ungarn führe, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. Juni 2015 – 13a ZB 15.50097 – eine Absage erteilt: Der EuGH (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 – C-394/12 – juris) entnehme den Maßstab zur Überprüfung der Überstellungsentscheidung, der in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO positiv festgeschrieben wurde, ausschließlich dem Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung in Art. 4 EU-GRCh; das Recht auf Freiheit und Sicherheit gemäß Art. 6 EU-GRCh sei demnach nicht unmittelbarer Prüfmaßstab im Rahmen einer Entscheidung gem. § 29, § 34a AsylG im Dublin-Verfahren.
Auch der Umstand, dass in Ungarn seit dem 1. August 2015 ein geändertes Asylverfahrensgesetzt in Kraft getreten ist, das die Rechte von Asylsuchenden einschränkt, ist nicht dazu geeignet, einen systemischen Mangel zu begründen. Die materiell-rechtliche Verschärfung des Asylrechts, wonach Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten eingereist sind, ist eine einschränkende Bestimmung, die ebenso wenig wie die entsprechende Regelung des § 26a AsylG einen systemischen Mangel darstellt. Auch die Regelungen, wonach das Asylverfahren verkürzt und Asylanträge dann abgelehnt werden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entfernt, kann nicht als systemischer Mangel betrachtet werden. Die Verkürzung der Asylverfahren durch Einführung eines Schnellverfahrens und die rasche Abschiebung ist der Versuch, Einreise, Registrierung, Aufenthalt, Anerkennung und Abschiebung von Flüchtlingen zu regulieren und entspricht der humanitären Forderung, die Verfahren rasch durchzuführen. Auch der Umstand, dass Asylanträge nur bearbeitet werden, wenn der Betreffende sich noch an dem ihm zur Verfügung gestellten und zugewiesenen Aufenthaltsort aufhält, begründet keinen systemischen Mangel. Aus dem Rechtsgutachten über das ungarische Asylrecht des Instituts für Ostrecht in … für das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Oktober 2015, in dem das ungarische Asylrecht übersetzt und erläutert wird, folgt, ebenso wie aus der Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 27. Januar 2016 an das Verwaltungsgericht Augsburg, dass die ungarische Rechtslage umfangreiche Regelungen über eine Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung, Rückschickungsverbote und Ausweisungen enthält und gegen die Entscheidung der Flüchtlingsbehörde sowie gegen die Ausweisung Rechtsmittel möglich sind. Danach findet das beschleunigte Verfahren nur statt, wenn u. a. ein Wiederholungsantrag gestellt wird, ohne dass neue Umstände oder Tatsachen vorliegen (§ 51 Abs. 2 Buchst. d) oder wenn ein sicherer Drittstaat existiert (§ 51 Abs. 2 Buchst. e). Dabei darf die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags wegen eines sicheren Drittstaats nur erfolgen, wenn der Antragsteller in diesem sicheren Drittstaat die Möglichkeit gehabt hätte, Schutz zu beanspruchen oder durch das Gebiet dieses Drittstaats gereist ist und dabei die Möglichkeit gehabt hätte, Schutz zu beanspruchen (§ 51 Abs. 4 Buchst. a und b). Eine Beweislastumkehr sieht Abs. 5 bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 4 vor. Sonstige Fälle eines beschleunigten Verfahrens regelt Abs. 7 u. a. für den Fall eines wiederholten Antrags, der nicht unzulässig ist, bei illegaler Einreise oder Aufenthalt ohne das Stellen eines Asylantrags in vernünftiger Frist, und u. a. bei der Weigerung, Fingerabdrücke abzugeben. Nach § 51 Abs. 11 hat der Antragsteller eine Frist von drei Tagen, um zu erklären, warum in seinem individuellen Fall das angegebene Land kein sicheres Herkunfts- oder Drittland ist (abgedruckt und übersetzt S. 16 bis 18 des Gutachtens). Der verfahrensrechtliche Ablauf bei Unzulässigkeit oder im Schnellverfahren lässt nach der Rechtslage keinen systemischen Mangel erkennen, insbesondere ist nicht erkennbar, dass diese schnelle Durchführung den Zugang zum Asyl faktisch unmöglich machen könnte oder internationale menschen- und flüchtlingsrechtliche Standards dadurch verletzt werden könnten.
Nach dem Informationsschreiben des UNHCR vom 9. September 2016 bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Gerichte negative behördliche Entscheidungen in Asylverfahren pauschal und ohne Prüfung des Einzelfalls bestätigen und damit keine wirksame gerichtliche Kontrolle besteht. Zwar werde die Überprüfung durch die verschiedenen regionalen Gerichte noch unterschiedlich gehandhabt, es seien aber eine erhebliche Anzahl an Entscheidungen, mit denen Asylanträge als unzulässig abgewiesen wurden, aufgehoben und an das zuständige Amt zurückverwiesen worden mit der Maßgabe, diese auf ihre Begründetheit zu prüfen.
Eine generelle Empfehlung, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen, enthält weder dieses Schreiben noch der Bericht des UNHCR vom Mai 2016. Diesem Fehlen einer generellen Empfehlung des UNHCR kommt unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amts des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besondere Bedeutung zu (EuGH, U. v. 30.5.2013 – C 528/11 – juris; BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – juris; VG München, B. v. 5.8.2016 – M 1 S 16.50383 – juris).
Auch die seit dem 1. August 2015 in Ungarn geltende Regelung, dass zu den sicheren Drittstaaten Serbien als EU-Aufnahmekandidat gehört, führt nicht zu einem systemischen Mangel in Ungarn. Nach dem Lagebericht des Bundesamts zum Mitgliedstaat Ungarn vom 13. Januar 2016 lehnt Serbien momentan die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ab. Dies deckt sich mit Aussagen der serbischen Regierung in der Tagespresse, wonach das bilaterale Rückführungsabkommen mit Ungarn nur für serbische Staatsangehörige gelte. Anhaltspunkte dafür, dass Serbien seinerseits Drittstaatsangehörige weiter zurückschiebt und so eine „Rückschiebekette“ entsteht, sind von keiner Seite ernsthaft belegt oder auf der Grundlage einer hohen Wahrscheinlichkeit behauptet worden. Dass dem Antragsteller konkret eine Überstellung nach Serbien droht, kann den jüngeren Berichten nicht entnommen werden. Insbesondere schreibt das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme vom 27. Januar 2016, dass Serbien die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn im Wege der Einzelfallprüfung ablehne, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass die Asylbewerber tatsächlich über Serbien nach Ungarn eingereist seien. Da Serbien in der Regel keine Registrierung der „durchreisenden“ Flüchtlinge vorgenommen habe und Ungarn auch keine Nachweise vorlägen, könne dieser Nachweis in der Regel nicht erbracht werden. Die Asylbehörde sei in diesen Fällen von Gesetzes wegen verpflichtet, die Entscheidung aufzuheben und das Asylverfahren weiter zu betreiben – d. h.: inhaltlich zu prüfen -, wenn der sichere Drittstaat die Übernahme ablehne. Hieraus ergibt sich, dass für den Antragsteller im Falle seiner Rückkehr nach Ungarn gerade keine konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht, da Abschiebungen nach Serbien tatsächlich nicht durchgeführt werden. Auch das Informationsschreiben des UNHCR vom 9. September 2016 bestätigt, dass jedenfalls keine massenhaften Abschiebungen, gerade von Dublin-Rückkehrern, stattfinden. Danach seien von September 2015 bis März 2016 nur 298 Drittstaatsangehörige unter dem bilateralen Rücknahmeabkommen von Ungarn nach Serbien überführt worden. Der UNHCR verfüge aber über keine Erkenntnisse, ob einige und gegebenenfalls wie viele dieser Personen zuvor nach der Dublin-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt worden seien. Weiter heißt es, Serbien habe in der ersten Hälfte des Jahres 2016 seine Zustimmung zur Übernahme von 114 Personen erteilt; dabei habe es sich um 35 serbische, 27 kosovarische, 22 albanische und 17 türkische Staatsangehörige gehandelt; weiter um sechs Staatsangehörige Mazedoniens und um sieben Personen sonstiger Staatsangehörigkeit. Die nach alledem bestenfalls theoretische Möglichkeit der Abschiebung des ägyptischen Antragstellers als Dublin-Rückkehrer nach Serbien begründet keinen systemischen Mangel des ungarischen Asylsystems (vgl. auch VG Stade, B. v. 4.11.2015 – 1 B 1749/15 -; VG München, U. v. 17.2.2016 – M 15 K 15.50140 -; B. v. 5.8.2016 – M 1 S 16.50383 – jeweils zitiert nach juris).
Unabhängig davon geht der EuGH in seiner Entscheidung vom 17. März 2016 (C-695/15) – vgl. dazu auch BayVGH, B. v. 9.5.2016 – 20 ZB 16.50036 – juris – davon aus, dass eine Rückführung nach Serbien durch ungarische Behörden unbedenklich auch dann möglich ist, wenn Ungarn im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens anerkannt hat, dass es nach der Dublin-Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, der von einer Person gestellt wurde, die Ungarn verlassen hat, bevor über ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in der Sache entschieden worden war. Weiter heißt es, der Betroffene verfüge hinsichtlich der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz im zuständigen Mitgliedstaat (d. h.: in Ungarn) nach Art. 46 der Richtlinie 2013/32 über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht dieses Mitgliedstaats, der es ihm ermögliche, die Entscheidung anzufechten, die auf den nationalen Rechtsvorschriften über sichere Drittstaaten beruht, auf der Grundlage, je nach seiner individuellen Situation, von Art. 38 oder Art. 39 der Richtlinie.
Der Antragsteller selbst hat in seinen Äußerungen gegenüber dem Bundesamt und im Gerichtsverfahren keinerlei systemische Mängel im ungarischen Asylverfahren schlüssig vorgetragen. Aus diesen Gründen bestand für die Antragsgegnerin keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben. Auch dass der Antragsteller nach eigener Aussage – die vonseiten des Bundesamts nicht verifiziert werden konnte (Bl. 32 des BA) – einen in Deutschland lebenden Bruder habe, führt zu keiner anderen Bewertung. Der Antragsteller ist volljährig, weshalb allein die Tatsache, dass er Verwandte in Deutschland hat, noch keinen Selbsteintritt der Antragsgegnerin aus humanitären Gründen zur Folge hat. Zudem wirft der Umstand, dass der Antragsteller nicht einmal das Geburtsdatum dieses Bruders nennen konnte (Bl. 9 des BA), erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage auf.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis (BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden darüber hinaus ebenfalls nicht dargelegt. Der Antragsteller hat in seiner Zweitbefragung (Bl. 97 des BA) zwar angegeben, seine rechte Hand sei gebrochen. Atteste dafür oder zu sonstigen Beschwerden habe er aber laut eigener Aussage nicht. Unabhängig davon haben weder der Antragsteller noch sein Bevollmächtigter dargelegt, dass diese Verletzung eine Reiseunfähigkeit bedingen könnte. Eine Handverletzung kann auch in Ungarn behandelt werden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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