Verwaltungsrecht

deutsche Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitsgesetz, Staatsangehörigkeitsurkunden, Staatsangehörigkeitsnachweis, Waffenbesitzkarte, Waffenrechtliche Zuverlässigkeit, Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Kostenentscheidung, Gerichtsvollzieher, Verwaltungsgerichte, Widerruf, Waffenrechtliche Erlaubnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Staatenlose, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Gesamtergebnis des Verfahrens, Verpflichtungsklage, Unbrauchbarmachung, Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis

Aktenzeichen  M 7 K 17.4275

Datum:
1.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 40209
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 46 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Verfahren war gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Klage zurückgenommen wurde.
Soweit die Klage aufrechterhalten wurde, bleibt diese ohne Erfolg.
Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger beantragt, die vermutlich vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd beantragte Eintragung als sog. „Reichsbürger“ aus den Akten der Behörden, insbesondere beim Bayerischen Verfassungsschutz zu tilgen.
Die diesbezüglich erhobene Verpflichtungsklage ist unzulässig, da dem Kläger das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts. Dieses ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 11). Für die Verpflichtungsklage ist dabei anerkannt, dass ihre Zulässigkeit grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – juris Rn. 23). Vorliegend ist jedoch weder aus den Akten ersichtlich noch vorgetragen, dass der Kläger vor Klageerhebung einen dem Klageantrag entsprechenden Antrag beim Landratsamt bzw. bei der entsprechenden Behörde gestellt und dadurch versucht hätte, sein Klageziel schneller und einfacher zu erreichen.
Soweit der Kläger die Aufhebung des Bescheides vom 10. August 2017 begehrt, ist die diesbezüglich erhobene Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zwar zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 10. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, vorliegend des Bescheidserlasses (vgl. zum Fall des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 24.06 – juris Rn. 35) bzw. bzgl. Nr. 1.2 der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.
Der Widerruf der Waffenbesitzkarte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (Nr. I.1 des Bescheids) ist rechtmäßig.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis – vorliegend die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG – zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt.
Der Kläger verfügt nicht über die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden (Buchst. a) oder mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden (Buchst. b) oder Waffen oder Munition Personen überlasen werden die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind (Buchst. c).
Maßgeblich für die Beurteilung, ob die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nicht gegeben ist, ist eine auf Tatsachen gestützte Prognose eines spezifisch waffenrechtlich bedenklichen Verhaltens, aus dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt von Schäden für hohe Rechtsgüter resultiert (vgl. BT-Drs 14/7758, S. 54). Diese Prognose ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen zu erstellen. Dabei ist der allgemeine Zweck des Gesetzes nach § 1 Abs. 1 WaffG, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren, zu berücksichtigen. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umzugehen. In Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen und Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, ist für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2014 – 21 ZB 14.1512 – juris Rn. 12; B.v. 4.12.2013 – 21 CS 13.1969 – juris Rn. 14). Unter Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes ist die Prognose der Unzuverlässigkeit nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen werde (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17).
Der Kläger ist unzuverlässig im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG. Denn Personen, die der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig sind oder sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht haben, besitzen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2017 – 21 CS 17.1300; B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332; B.v. 10.1.2018 – 21 CS 17.1339; B.v. 15.1.2018 – 21 CS 17.1519; B.v. 12.3.2018 – 21 CS 17.1678; B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – alle juris).
Der Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes (S. 94) beschreibt die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als personell, organisatorisch und ideologisch heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne Organisationsanbindung, Kleinstund Kleingruppierungen, länderübergreifend aktiven Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Verbindendes Element der Szeneangehörigen ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 175) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei werden z.B. der Rechtsstand von 1937, 1914 zwei Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges oder auch 1871 genannt. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. In ihrer Gesamtheit ist die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als staatsfeindlich einzustufen (vgl. Verfassungsschutzbericht 2018 des Bundes (S. 95). Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 176).
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Dies gilt für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können, sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG). Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird, muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 21 CS 17.1964 – juris Rn. 15 m.w.N.). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn sich jemand (glaubhaft) selbst nicht als diesem Spektrum zugehörig betrachtet oder in einzelnen – auch wesentlichen – Bereichen von dort anzutreffenden Thesen nachvollziehbar und glaubhaft distanziert. Auch jenseits der Nähe zum eigentlichen „Reichsbürger“-Spektrum rechtfertigt eine Einstellung, die die Existenz und die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negiert und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung nicht als für sich verbindlich betrachtet, die Annahme der waffenrechtlichen absoluten Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG (vgl. OVG RhPf, B.v. 3.12.2018 – 7 B 11152/18 – juris Rn. 23).
Die Tatsachen, die dem Gericht vorliegen, rechtfertigen im Fall des Klägers die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
Das Verwaltungsgericht entscheidet gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ist hierbei insbesondere nicht an die Einschätzung der Behörden gebunden (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2020 – 24 ZB 18.2349 – juris Rn. 9). Das Gericht ist dabei vorliegend nach einer eigenständigen Würdigung des Verhaltens des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass die ermittelten Verhaltensweisen und Einlassungen des Klägers in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme begründen, dass dieser der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Es bestehen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die nach außen getätigten Äußerungen und Verhaltensweisen auch seine innere Einstellung widerspiegeln.
So spricht im konkreten Fall insbesondere die Stellung eines Antrags auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Hinweis auf das „RuStAG von 1913“ dafür, dass der Kläger der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat. Insoweit kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob sich der Kläger über die Richtigkeit seiner Angaben in dem Antrag auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit informiert hat und ihm dies von Seite der Behörde bestätigt wurde. Denn maßgebend ist vielmehr, ob der Kläger durch sein Verhalten Tatsachen geschaffen hat, die die Annahme rechtfertigen, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. sich deren Ideologie für sich binden zu eigen gemacht hat, wovon vorliegend auszugehen ist. Denn Reichsbürger und Selbstverwalter bestreiten die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und bezeichnen diese z.T. als „Firma BRD“. Sie sind der Auffassung, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besitzen bzw. aus dieser „austreten“ können. Ausgehend von der falschen Annahme, ohne Staatsangehörigkeitsausweis staatenlos zu sein, beantragen sie häufig einen Staatsangehörigkeitsausweis (sog. „gelber Schein“) zur Bestätigung ihrer Reichs- und Staatsangehörigkeit nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 179 ff.). Vom Staatsangehörigkeitsausweis erhofft sich dieser Personenkreis – rechtlich völlig unzutreffend – unter anderem den „Ausstieg aus der Firma BRD“ oder die Sicherung vermeintlicher Rechte beim „Untergang des Systems“ (vgl. BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 21 CS 17.2029 – juris Rn. 16). Der „gelbe Schein“ wird zudem als Nachweis der Rechtsstellung als Staatsangehöriger des vorgeblich fortbestehenden „Deutschen Reichs“ angesehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 180). Dieses reichsbürgertypische Argumentationsmuster kommt insbesondere in der Angabe des Klägers unter dem Punkt Nr. 4.3 des Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit zum Ausdruck, dass dieser neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die Staatsangehörigkeit „Kgr. Bayern, RuStAG 1913 4.1 seit Geburt erworben durch Abstammung“ besitze. Dies legt grundsätzlich „reichsbürgertypisch“ nahe, dass sich der Kläger nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansieht (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2018 – 21 CS 17.2310 – juris Rn. 19). Weiterhin hat der Kläger in dem Antrag als Geburts- und Wohnsitzstaat jeweils „Kgr. Bayern“ angegeben. Der Kläger hat hierdurch eine weitere für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Argumentationslinie zum Ausdruck gebracht (vgl. zur Angabe „Königreich Bayern“ BayVGH, B.v. 12.12.2017 – 21 CS 17.1332 – juris Rn. 15). Denn aus Sicht der „Reichsbürger“ bestimmt sich ihre Staatsangehörigkeit nach dem Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Jahr 1913 geltenden Fassung, wonach die Reichsangehörigkeit zum Deutschen Reich gegeben war, wenn eine Staatsangehörigkeit eines Landes des Deutschen Reichs bestand (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 180).
In diesem Kontext sind auch die Einlassungen in den Schreiben vom … Mai und
… August 2017 zu sehen, in denen der Kläger erklärt, dass er den Staatsangehörigkeitsnachweis unter Berufung auf das RuStAG von 1913 deswegen beantragt habe, da er 19** geboren worden sei und es zu diesem Zeitpunkt die „BRD“ noch nicht gegeben habe, so dass er bis zur Aushändigung des „gelben Scheins“ überhaupt keine Staatsangehörigkeit gehabt habe und de jure staatenlos gewesen sei. Begründet hat der Kläger dies damit, dass das Deutsche Reich bis heute nicht untergegangen sei, sondern das Deutsche Reich vor dem 1. Weltkrieg fortbestehe. Das Deutsche Reich von 1871 sei ein Staatenbund gewesen, dem auch das Königreich Bayern beigetreten sei. In Übereinstimmung mit geltendem Völkerrecht sei daher das Königreich Bayern als Geburts- und Wohnsitzstaat anzugeben gewesen. Deshalb habe er als Geburtsund Wohnsitzstaat jeweils Königreich Bayern angegeben, sowie Königreich Bayern und Königreich Preußen in weiteren Punkten vermerkt. Dies belegt ebenfalls, dass der Kläger reichsbürgertypische Argumentationsmuster verinnerlicht hat und die Gültigkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik aus grundsätzlichen Erwägungen in Frage stellt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 – 21 CS 18.1290 – juris Rn. 16)
Des Weiteren hat der Kläger – in reichsbürgertypischer Weise – zu erkennen gegeben, dass er das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und Vertretern des Staates die Legitimation abspricht, indem in seiner Einlassung vom … Mai 2017 angibt, dass sowohl der Gerichtsvollzieher als auch das Amtsgericht … gegen das Grundgesetz und das Gerichtsverfassungsgesetz verstoßen hätten, da das Rahmengesetz zur Gerichtsvollzieherordnung noch nicht verabschiedet worden sei und den Gerichtsvollziehern im Jahr 2012 der Beamtenstatus entzogen worden sei. Denn Reichsbürger überziehen regelmäßig Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und Justiz ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Zum Teil verfolgen sie damit das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z.B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld-, oder Verwaltungsverfahren zu entziehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 S. 181). Auch hierin kommt zum Ausdruck, dass der Kläger reichsbürgertypische Argumentationsmuster verinnerlicht hat und die Gültigkeit der Rechtsordnung der Bundesrepublik aus grundsätzlichen Erwägungen in Frage stellt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 – 21 CS 18.1290 – juris Rn. 16).
Auch zuletzt hat der Kläger mit Fax vom … Juni 2020 unter Verwendung reichsbürgertypischer Formulierungen („Mensch aus der Familie“) eindeutig zu erkennen gegeben, dass er der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat.
Die Einlassungen des Klägers sowohl im Anhörungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren vermögen demgegenüber – angesichts der eindeutigen, schriftlich getätigten vorhergehenden Äußerungen – an der Einschätzung des Gerichts nichts zu ändern.
Soweit der Kläger geltend macht, ein rechtstreuer Staatsbürger zu sein und sich an geltende Gesetze zu halten, steht auch dies dieser Einschätzung nicht entgegen. Der Umstand allein, dass sich eine Person in bestimmten, ihr opportun erscheinenden Situationen in Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorgaben verhält, begründet keine waffenrechtliche Zuverlässigkeit, wenn sie ihre Bindung an die Rechtsordnung, wie hier, durch Wort und Tat unter Vorbehalt stellt und auf diese Weise Zweifel weckt, ob sie waffenrechtliche Vorschriften auch dann noch einhält, wenn sie ihr nicht (mehr) opportun erscheinen (vgl. VGH BW, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17).
Zudem vermochte der Kläger den durch reichsbürgertypische Beantragung entstandenen Eindruck bzw. Anschein nicht – auch nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung – zu entkräften. Vielmehr hat der Kläger versucht, sein Verhalten zu relativieren bzw. zu rechtfertigen.
Schließlich lässt sich den Einlassungen des Klägers auch keine glaubhafte Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ entnehmen. Hinsichtlich der Anforderungen an eine glaubhafte Distanzierung kann aufgrund der identischen sicherheitsrechtlichen Schutzrichtung – Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – die ausländerrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – entsprechend herangezogen werden (vgl. VG München, Gerichtsbescheid v. 17.10.2018 – M 7 K 17.750 – juris Rn. 39). Dementsprechend ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2018 – 1 B 11/18 – juris Rn. 12). Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des ihm vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2017 – 10 B 16.1252 – juris Rn. 53).
Eine diesen Anforderungen genügende, glaubhafte Distanzierung des Klägers von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ lässt sich nicht feststellen. Hinreichende äußerlich feststellbare Umstände, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Kläger seine innere Einstellung verändert hat, sind nicht erkennbar. Ein Fehlverhalten hat der Kläger nicht eingeräumt. Vielmehr hat er dieses gerechtfertigt und relativiert. Allein ein Zeitablauf, während dessen der Betroffene nicht mehr „reichsbürgertypisch“ in Erscheinung getreten sein mag, vermag keine glaubhafte Distanzierung darzustellen.
Die Maßnahmen greifen auch nicht in nicht gerechtfertigter Weise in das Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Klägers ein (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 – 21 CS 18.1290 – juris Rn. 19). Ebenso wenig ist das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2019 – 21 CS 18.1290 – juris Rn. 20).
Des Weiteren bestehen auch gegen die mit dem Widerruf der Waffenbesitzkarte verbundenen notwendigen Anordnungen keine rechtlichen Bedenken. Die Verpflichtung zur Überlassung bzw. dauerhaften Unbrauchbarmachung der im Besitz des Klägers befindlichen Waffe und Munition (Nr. I.2 des Bescheides) ist ebenso rechtmäßig wie die Verpflichtung zur Rückgabe der Waffenbesitzkarte (Nr. I.3 des Bescheides). Diese wurde rechtlich zutreffend auf § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG bzw. § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG gestützt. Da entsprechend den obigen Ausführungen die Waffenbesitzkarte rechtmäßig widerrufen wurde, bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit. Ebenso wenig bestehen rechtliche Bedenken gegen die Angemessenheit der hierfür gesetzten Fristen. Die Anordnung der Sicherstellung wurde zutreffend auf § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG gestützt.
Schließlich sind auch die Zwangsgeldandrohung (Nr. I.5 des Bescheides) und die Kostenentscheidung (Nr. I.6 des Bescheides) rechtmäßig, da rechtliche Bedenken hiergegen weder vorgetragen wurden noch ersichtlich sind.
Da der Widerruf der Waffenbesitzkarte in Nr. 1.1 des Bescheids vom 10. August 2017 – entsprechend den obigen Ausführungen – rechtmäßig ist, ist dem Kläger diese nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO zurückzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit die Klage zurückgenommen wurde, auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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