Verwaltungsrecht

Die harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse im Kosovo begründen kein Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  M 17 K 17.36709

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK EMRK Art. 3
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3c Nr. 3, § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 29a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist nach der aktuellen Auskunftslage nicht auszugehen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus den harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse im Kosovo ergibt sich ein Abschiebungsverbot weder aus § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG noch aus § 60 Abs. 5 AufenthG. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage konnte nach vorheriger Anhörung der Klägerseite durch Gerichts-bescheid entschieden werden, da sie keine besonderen Schwierigkeiten tatsächli-cher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 VwGO). Die Beklagte hat auf die Anhörung zu Entscheidungen durch Gerichtsbe-scheid generell verzichtet (s. Schreiben v. 25.02.2016).
2. Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist offensichtlich unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat offensichtlich weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Abschiebungsandrohung und die Befristung der Einreise- und Aufenthaltsverbote sind rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt eine Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet – mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (§ 78 Abs. 1 AsylG) – voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3; B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18).
So liegt der Fall hier.
Dem Kläger droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation im Kosovo noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG sowie der §§ 3 ff. AsylG, § 4 AsylG und § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 30. März 2017 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Das Heimatland des Klägers, Kosovo, ist ein sicherer Herkunftsstaat (vgl. § 29a Abs. 2 AsylG und Anlage II zu § 29a AsylG). Die Gerichte sind an diese Einstufung gebunden, es sei denn, sie sind der Überzeugung, dass sich die Einstufung als verfassungswidrig erweist (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1507/93 – juris Rn. 65). Verfassungs- oder europarechtliche Bedenken gegen die Einstufung von Kosovo als sicherer Herkunftsstaat sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat die durch § 29a AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung auch nicht durch den schlüssigen Vortrag von individuellen Verfolgungstatsachen erschüttern können.
2.1. Ein Verfolgungs- oder Lebensschicksal, das die Zuerkennung einer Rechtsstellung als Flüchtling rechtfertigen würde, ist vorliegend aus dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar.
Soweit der Kläger vorträgt, von den Familienmitgliedern seiner Freundin bedroht worden zu sein, lässt dies bereits keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennen. Danach bedarf es einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Bei der Bedrohung handelt es sich vielmehr um kriminelles Unrecht. Hierbei muss der Kläger allerdings auf staatlichen Schutz verwiesen werden. Nach § 3 c Nr. 3 AsylG erfordert bei einer von einem nichtstaatlichen Akteur ausgehenden Verfolgung, dass der Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, Schutz zu gewähren. Von einer Unwilligkeit oder Unfähigkeit der kosovarischen Behörden, ihre Staatsangehörigen vor strafbaren Handlungen zu schützen, ist aber nach der aktuellen Auskunftslage nicht auszugehen (Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG vom 7. Dezember 2016, Stand September 2016; Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 9. Dezember 2015, im Folgenden: Lagebericht; Länderreport Kosovo (Stand September 2015) des Bundesamts; Ausführungen im Bescheid des Bundesamts zu Polizei, Justiz und EULEX, § 77 Abs. 2 AsylG; ebenso u.a. VG Leipzig, U. v. 16.10.2015 – 7 K 643/15.A – juris; VG Darmstadt, B. v. 24.4.2015 – 2 L 430/15.DA.A – juris).
Außerdem hätte der Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo auch die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil niederzulassen, wenn er an seinem Herkunftsort weitere Übergriffe befürchtet (st. Rspr. der Kammer, VG München, U.v. 5.2.2015, M 17 K 14.31233; VG Würzburg, B.v. 29.11.2010 – W 1 S. 10.30287 – juris Rn. 20; VG Gelsenkirchen, U.v. 30.5.2012 – 7a K 646/12.A – juris Rn. 20; VG Aachen, B.v. 18.7.2014 – 9 L 424/14.A – juris bzgl. Blutrache bei Grundstücksstreit). Eine Übersiedelung in andere Teile des Landes unterliegt keinen rechtlichen Einschränkungen (Lagebericht S. 17).
2.2. Das Bundesamt hat im Übrigen auch zu Recht die Zuerkennung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) als offensichtlich unbegründet und das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt. Das Gericht nimmt auch insoweit auf die Begründung des Bundesamts Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Auch bei Annahme einer drohenden erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG durch einen nichtstaatlichen Akteur kommt gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. der entsprechenden Anwendung des § 3c Nr. 3 AsylG die Gewährung subsidiären Schutzes nicht in Betracht, weil es an der Voraussetzung, dass der Staat erwiesenermaßen nicht schutzfähig oder -willig ist, fehlt.
Allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse im Kosovo vermag sich der Kläger weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung von Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 – 26 sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine Existenzgrundlage bei seiner Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen. Unter Berücksichtigung der derzeit Lebensverhältnisse im Kosovo (vgl. dazu den streitgegenständlichen Bescheid, § 77 Abs. 2 AsylG) reicht hierfür der bloße Verweis auf eine schwierige wirtschaftliche Situation im Kosovo schon im Ansatz ganz offensichtlich nicht aus. Der Kläger hat Verwandte im Kosovo. Als junger und gesunder Mann ist davon auszugehen, dass der Kläger in der Lage ist, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, seinen Lebensunterhalt in seinem Heimatland durch eigene Tätigkeit sicherzustellen. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr des Klägers ist damit nicht ersichtlich (vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 9.12.2015).
2.3. Vor diesem Hintergrund ist die vom Bundesamt nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nicht zu beanstanden.
2.4. Schließlich ist auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG in Nr. 6 des Bescheids vom 30. März 2017 rechtmäßig. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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