Verwaltungsrecht

Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines Ausländers wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung

Aktenzeichen  10 C 20.530

Datum:
27.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9453
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 53 Abs. 1
StGB § 56 Abs. 1

 

Leitsatz

Erhält ein Ausländer, der rechtskräftig durch einen Strafbefehl u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, im verwaltungsrechtlichen Verfahren eine Ausweisung nach § 53 AufenthG, ist die Verwaltungsbehörde an die günstige Legalprognose des Strafrichters nicht gebunden. Dies gilt erst Recht, wenn der strafgerichtlichen Entscheidung keine Gründe zu entnehmen sind, aus denen sich ergibt, wie das Gericht überhaupt zu dieser Entscheidung gelangt ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.453 2020-03-04 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, mit der der Kläger den in erster Instanz (insoweit) abgelehnten Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für seine Klage gegen die mit Bescheid des Beklagten vom 21. Juni 2017 verfügte Ausweisung weiterverfolgt, bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind nicht erfüllt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Beklagten verfügte Ausweisung voraussichtlich rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es hat zutreffend festgestellt, dass die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage dieser Verfügung (§ 53 Abs. 1 AufenthG) vorliegen, weil der weitere Aufenthalt des Klägers die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne dieser Vorschrift gefährdet. Dabei hat es zu Recht auf die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Verbreitung pornographischer Schriften in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen des Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften durch rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 7. August 2015 abgestellt und berücksichtigt, dass der Kläger, der einem zum Tatzeitpunkt elf Jahre alten Mädchen ein Foto seines Geschlechtsteils per WhatsApp geschickt und zweimal von ihr Nacktbilder angefordert habe, im Hinblick auf das Alter seines Opfers sowie der offenkundigen Intention der sexuellen Lustbefriedigung ein verwerfliches Verhalten offenbare. Bei seiner Gefahrenprognose hat das Verwaltungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise weiter festgestellt, dass die Einlassung im Verwaltungsstreitverfahren, der Kläger habe das wahre Alter des Opfers nicht gekannt und den Strafbefehl nur auf Druck akzeptiert, auf eine fehlende bzw. unzureichende Aufarbeitung der Tat hindeutete. Dem Umstand, dass die Vollstreckung der Freiheitsstrafe vom Strafgericht – allerdings ohne Begründung – gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden ist, musste das Verwaltungsgericht bei der Gefahrenprognose keine ausschlaggebende Bedeutung beimessen (zur erheblichen indiziellen Wirkung für die ausländerrechtliche Gefahrenprognose, aber fehlenden rechtlichen Bindung einer Strafaussetzung nach § 56 StGB: vgl. BVerfG, B.v. 27.8.2010 – 2 BvR 130/10 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 30.8.2019 – 10 ZB 19.1519 – juris Rn. 13). Denn der strafgerichtlichen Entscheidung ist nicht zu entnehmen, wie das Gericht zu seiner Legalprognose gelangt ist und inwieweit dabei die nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB zu berücksichtigenden Umstände tatsächlich bewertet bzw. gewichtet worden sind. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht die Tatumstände, die besonders hohe Bedeutung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung und der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern und die offenbar fehlende Aufarbeitung der Tat durch den Kläger rechtsfehlerfrei gewürdigt.
Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass beim Kläger aufgrund seiner gegen die sexuelle Selbstbestimmung eines Kindes gerichteten Straftat im maßgeblichen Zeitpunkt auch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse besteht. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch (allein) generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen können (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris; BayVGH, zuletzt B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – Rn. 5).
Die vom Verwaltungsgericht gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG vorgenommene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist entgegen der Auffassung des Klägers ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden; es ist zu Recht davon ausgegangen, dass in der Gesamtschau letztlich ein eindeutiges Übergewicht der zu Ungunsten des Klägers sprechenden Belange besteht und demgemäß das öffentliche Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt. Eventuelle zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse mussten dabei schon mit Blick auf die Bindungswirkung gemäß § 42 Satz 1 AsylG nicht berücksichtigt werden.
Die Zentrale Ausländerbehörde hat die Ausweisung auch unter Beachtung des § 53 Abs. 4 AufenthG (bedingt) verfügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben