Verwaltungsrecht

Dienstliche Beurteilung, Reihung, Beurteilungsspielraum, unmittelbarer Vorgesetzter, keine Plausibilisierung

Aktenzeichen  M 5 K 21.914

Datum:
11.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9760
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Art. 54LlbG

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für den Zeitraum vom … Juni 2017 bis … Mai 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen. Die dienstliche Beurteilung vom … Januar 2021 für den Beurteilungszeitraum … Juni 2017 bis … Mai 2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Aufhebung ihrer periodischen Beurteilung vom … Januar 2021 für den Beurteilungszeitraum … Juni 2017 bis … Mai 2020 und Erstellung einer neuen periodischen Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die streitgegenständliche Beurteilung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO analog, da einer dienstlichen Beurteilung keine Verwaltungsaktsqualität zukommt).
1. Dienstliche Beurteilungen sind ihrem Wesen nach persönlichkeitsbedingte Werturteile, die verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar sind (BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146.62 – BVerwGE 21, 127/129; U.v. 26.6.1980 – II C 8/78 – BVerwGE 60, 245 ständige Rechtsprechung). Nach dem erkennbaren Sinn der Regelung über die dienstliche Beurteilung soll nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde Beurteiler ein persönliches Werturteil darüber abgeben, ob und inwiefern der Beamte den vom Dienstherrn zu bestimmenden, zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes entspricht. Bei einem derartigen, dem Dienstherrn vorbehaltenden Akt wertender Erkenntnis steht diesem eine der gesetzlichen Regelung immanente Beurteilungsermächtigung zu. Demgegenüber hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf zu beschränken, ob der Beurteiler den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie den gesetzlichen Regelungen über die dienstliche Beurteilung und auch sonst mit gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen (BVerwG, U.v. 11.1.1999 – 2 A 6/98 – ZBR 2000, 269). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle kann dagegen nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche oder persönliche Beurteilung des Beamten durch den Dienstherrn in vollem Umfang nachvollzieht oder diese gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (BVerwG, U.v. 26.6.1980, a.a.O.). Innerhalb des durch die Art. 54 ff. des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaubahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) vom 5. August 2010 (GVBl S. 410) gezogenen Rahmens unterliegt es grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, wie er die ihm aufgegebene, für zukünftige Personalentscheidungen verwertbare Aussage zu den einzelnen Beurteilungsmerkmalen gestalten und begründen und worauf er im einzelnen sein Gesamturteil stützen will (BVerwG, U.v. 17.12.1981 – 2 C 69/81 – BayVBl 1982, 348). Tatsächliche Grundlagen, auf denen Werturteile beruhen, sind nicht notwendig in die dienstliche Beurteilung aufzunehmen (BVerwG, U.v. vom 16.10.1967 – VI C 44.64 – Buchholz 232, § 15 BBG Nr. 1; U.v. 26.6.1980, a.a.O.). Der Dienstherr kann einerseits einzelne Tatsachen oder Vorkommnisse im Beurteilungszeitraum aufgreifen und aus ihnen wertende Schlussfolgerungen ziehen, wenn er sie etwa zur Charakterisierung der Beamtin für besonders typisch hält oder für eine überzeugende Aussage zu einzelnen Beurteilungsmerkmalen für wesentlich erachtet. Er kann sich andererseits aber auch auf die Angabe zusammenfassender Werturteile aufgrund einer unbestimmten Vielzahl nicht benannter Einzeleindrücke beschränken. Schließlich kann er die aufgezeigten verschiedenen Möglichkeiten, über die Eignung und Leistung der Beamtin ein aussagekräftiges, auch für Dritte verständliches Urteil abzugeben, in abgestufter Form miteinander verwenden bzw. miteinander verbinden. Alle diese Gestaltungsformen einer dienstlichen Beurteilung halten sich in dem von den Laufbahnvorschriften vorgezeichneten rechtlichen Rahmen (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.1990 – 3 B 89.02832 m.w.N.; vgl. zum Ganzen auch: VG München, U.v. 7.12.1999 – M 5 K 99.2303).
Zugrunde zu legen sind vorliegend die Art. 54 ff. des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz/LlbG), die Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 13. Juli 2009, VV-BeamtR, FMBl. S. 190, Abschnitt 3: Dienstliche Beurteilung – materielle Beurteilungsrichtlinien), in der Fassung der Änderung durch Bekanntmachung vom 19. Oktober 2017 (FMBl S. 510), sowie die Richtlinien für die dienstliche Beurteilung, Leistungsfeststellungen nach Art. 30 und 66 des Bayerischen Besoldungsgesetzes/BayBesG – i.V.m. Art. 62 LlbG für die Beamtinnen und Beamten der Bayerischen Polizei und des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 12. Dezember 2017 (Beurteilungsbekanntmachung Polizei und Verfassungsschutz, AllMBl 2018, S. 3). Maßgebend ist, welches Beurteilungssystem und welche Regelungen zum Beurteilungsstichtag (hier: 31.5.2020) gegolten haben (vgl. BVerwG, U.v. 2.3.2000 – 2 C 7/99 – NVwZ-RR 2000, 621 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 14.2.1990 – 1 WB 181/88 – BVerwGE 86, 240).
2. Nach diesen Maßstäben ist die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung nicht hinreichend plausibilisiert worden.
a) Unter Plausibilisierung ist in diesem Zusammenhang eine inhaltliche Erläuterung zu verstehen, mit der der Dienstherr die Gründe darstellt, die zu den Werturteilen geführt haben, und auf deren Grundlage die Gerichte nachprüfen können, ob er bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung bzw. bei einzelnen in ihr enthaltenen Werturteilen von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, sachfremde Erwägungen angestellt oder allgemeingültige Wertmaßstäbe verletzt hat (VG Köln, U.v. 5.8.2021- 19 K 7364/18 – juris Rn. 61; Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2021, Art. 59 LlbG Rn. 26).
b) Der Beurteiler POR Z. hat zwar das Zustandekommen und den Maßstab dargestellt, der der dienstlichen Beurteilung für die Klägerin zugrunde lag. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten, insbesondere zur Einsatzbereitschaft zu Wochenenddiensten, warum die Klägerin mit 6 Punkten beurteilt wurde, hat er auf den Gruppenleiter verwiesen. Es ist auch grundsätzlich die Aufgabe des unmittelbaren Vorgesetzten, die einzelnen konkreten Umstände und Eindrücke der dienstlichen Leistungen darzulegen, auf deren Grundlage der Beurteiler den Leistungsvergleich anzustellen hat.
Der unmittelbare Vorgesetzte PHK K. konnte die erforderliche Plausibilisierung nicht vornehmen. Er hat angegeben, dass er seit November 2019 Leiter der Verfügungsgruppe gewesen sei, die Klägerin habe ebenfalls im November 2019 nach der Elternzeit wieder ihren Dienst angetreten. Zum Zeitpunkt der Reihung auf Dienststellenebene am … Januar 2020 (vom Zeugen K. benannt mit Ende Januar) habe er über die Dienstleistung der Klägerin keine genauere Kenntnis gehabt, sodass sein Vorgänger als Verfügungsgruppenleiter die Beamten der Verfügungsgruppe in dieser Besprechung vorgestellt habe. Andererseits hat der Zeuge PHK K. als unmittelbarer Vorgesetzter die dienstliche Beurteilung mit dem Ankreuzen der Rubrik „ohne Einwendungen“ mitgetragen und muss das Ergebnis plausibilisieren können.
Der Zeuge PHK K. hat angegeben, dass die Klägerin im Rahmen ihres Stundendeputats „gute Arbeit“ geleistet habe. Auch auf wiederholtes Nachfragen hat der Zeuge keine weiteren Angaben machen können, die das Leistungsbild der Klägerin im Einzelnen hätten darstellen können. Das sei für ihn „extrem schwierig“, da ein Beamter bei einem Fußballeinsatz im Vergleich zu anderen Beamten schlecht etwas besser machen könne.
c) Vor diesem Hintergrund ist die rechtsfehlerfreie Ausübung des – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Beurteilungsspielraums des Dienstherrn bei dienstlichen Beurteilungen nicht erfolgt. Es fehlen jegliche einzelnen Darstellungen, die eine Einordung der dienstlichen Leistungen der Klägerin in die Kategorien der Punktebewertung erkennen lassen könnten. Aufgrund welcher einzelnen Erkenntnisse der Leistungsvergleich der Klägerin mit den anderen Beamtinnen und Beamten der Vergleichsgruppe erfolgt ist, ist dem Gericht nicht in nachvollziehbarer Weise verdeutlicht worden. Die Formulierung des unmittelbaren Vorgesetzten, des Zeugen K., dass die Klägerin „gute Leistungen“ gezeigt habe, legt vielmehr nahe, dass sich die Klägerin mit ihren dienstlichen Leistungen wohl eher im Durchschnitt der Beamten befunden haben könnte. Andererseits muss vor diesem Hintergrund eine Auseinandersetzung damit stattfinden, warum die Klägerin trotz „guter Leistungen“ auf den letzten Platz der Reihungsliste gesetzt wurde. Dabei kann mit dem Attribut „gute Leistungen“ auch schwer die Umschreibung des Bereichs von 3 bis 6 Punkten in Nr. 3.2.2 des Abschnitts 3 „Dienstliche Beurteilung – allgemeine Beurteilungsrichtlinien“ der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht in Einklang gebracht werden. Dort ist angegeben, dass 3 bis 6 Punkte zu vergeben sind, wenn die Anforderungen des einzelnen Merkmals teilweise oder im Wesentlichen durchschnittlich erfüllt werden. 7 bis 10 Punkte sind danach zu vergeben, wenn die Erfüllung des einzelnen Merkmals in jeder Hinsicht den Anforderungen genügt oder diese übersteigt.
Dem kann auch nicht der Hinweis entgegengehalten werden, dass andere „frisch beförderte“ Beamtinnen und Beamte sogar noch eine stärkere Abstufung im Endergebnis zur letzten Beurteilung vor der Beförderung hätten hinnehmen müssen. Denn die Gruppe der Beamten der Besoldungsgruppe A 9 sei sehr leistungsstark. Das zeigt keine vergleichende Auseinandersetzung mit den konkreten dienstlichen Leistungen der Klägerin. Dabei ist auch anzumerken, ob von einem „frisch beförderten“ Beamten gesprochen werden kann, wenn die Beförderung bereits 16 Monate vor dem Ende der dreijährigen Beurteilungsperiode erfolgt ist.
3. Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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