Verwaltungsrecht

Disziplinarklage zur Entfernung eines Lehrers aus dem Beamtenverhältnis wegen strafrechtlich nicht relevanter Internet-Chats mit schwerpunktmäßig sexuellen Inhalten

Aktenzeichen  M 19L DK 18.2045

Datum:
6.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53807
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 11
BeamtStG § 34 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Gegen den Beklagten wird auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 Bayerisches Disziplinargesetz – BayDG) erkannt.
1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Solche wurden von dem Beklagten auch nicht geltend gemacht.
2. Das Gericht legt seiner Entscheidung die Vorwürfe aus der Disziplinarklage zugrunde. Es sieht es als erwiesen an, dass der Beklagte im Februar und März 2014 auf der Kommunikationsplattform … unter dem Pseudonym „…“ und vom 8. November 2013 bis 22. März 2014 auf der Kommunikationsplattform … unter dem Pseudonym „… …“ gezielt Jungen im Alter von 13 bis 17 Jahren angesprochen und vorgegeben hat, er sei 18 Jahre alt und Schüler der Fachoberschule. Er hat auf … insgesamt 47 Kontaktversuche unternommen, aus denen sich mit 25 Personen Gespräche entwickelten, 12 davon mit schwerpunktmäßig sexuellen Themen, 13 mit belanglosen Inhalten; er hat weiter auf … drei Jungen angesprochen, mit denen sich dann auch Gespräche entwickelten, alle mit schwerpunktmäßig sexuellen Themen. Dies ergibt sich aus der rund 500-seitigen Auswertung vom 14. Juli 2015 seines Laptops und seines Handys durch die Firma … …, in der sämtliche Chat-Verläufe wörtlich wiedergegeben werden.
Der Ablauf der Unterhaltungen stellt sich dabei stets weitgehend identisch dar. Die Initiative ging ausnahmslos von dem Beklagten aus. Er schrieb die Jungen mit den Worten „Hallo, ich möchte dich/Sie als Kontakt aufnehmen. … …“ an, verwies auf eine Bekanntschaft aus „… …“ und fragte, wenn nicht sofort eine Reaktion erfolgte, nochmal nach „Nimmst mich auf?“. Bei Antwort des Gesprächspartners folgten Fragen nach Alter, Schule, Freizeitbeschäftigung und manchmal Fußball. Bei den Gesprächspartnern, mit denen sexuelle Inhalte besprochen wurden, wandte sich das Gespräch dann schon bald auf Initiative des Beklagten diesen Themen zu. So lenkte er etwa die Unterhaltung mit „…“ nach dessen Äußerung, dass Weggehen wegen der Abgeschiedenheit seines Wohnortes schwierig sei und er deshalb Leute über das Internet kennenlernen müsse, mit der Frage „Hast jz schon mal nen jungen kennengelernt zum wichsen?“ (…2.2014, 20:55:28 Uhr) auf das gewünschte Thema. Ebenso stellte er in dem Chat mit „…“ zur Einleitung des Themas die Frage „chattest du au über intimes?“ (…2.2014, 21:35:54 Uhr) sowie in Chats mit „…“ und „…“ die Eingangsfragen „ok hattest du schon sex“ (…2.2014, 21:05:58 Uhr) und „Hast dann schon ne freundin?“ (…3.2014, 16:55:57 Uhr). In den Gesprächen über sexuelle Themen behandelte der Beklagte insbesondere die Themen
– das erste Mal
z. B. „Erstes mal schon gehabt? … Hast sie schon mal gefickt?“ (zu „…“ am …4.2014, 18:42:49 und 18:52:44 Uhr)
– Intim-Sein und Geschlechtsverkehr mit Mädchen
z. B. „hast ihr in mund gespritzt? … und dann auf ihre brüste?“ (zu „…“ am …2.2014, 21:13:22 und 21:13:59 Uhr)
„was hatse zu deim sperma gesagt?“ (zu „…“ am …3.2014, 20:37:05 Uhr)
„passt deiner gut in sie rein oder isser bissi dick?“ (zu … (…) am …2.2014, 21.37 Uhr)
– Penislänge
z. B. „wie stehst du eig in der klasse da mit schwanzlänge und so?“ (zu „…“ am …2.2014, 20:24:03 Uhr)
„wie lang ist deiner überhaupt?“ zu „…“ am …3.2014, 17:17:29 Uhr)
„hast den größten in deiner klasse? … macht ihr kein schwanzvergleich?“ (zu „…“ am …3.2014 um 17:46:09 und 17:46:23 Uhr)
– Quantität und Beschaffenheit des Spermas
z. B. „hast du schon viel sperma?“ (zu „…“ am …2.2014, 21:12:15 Uhr)
„kommt bei dir dann schon viel sperma?“ (zu „… …“ am …3.2014, 17:45:50 Uhr)
„hast du dann schon viel sperma? … wieviel schübe kommen so beim abspritzen? … bei mir sinds so zw. 3 und 6 … wie weit kannst du spritzen? … au bis zur brust?“ (zu „… “ am …3.2014 zwischen 16:40:43 und 16:42:56 Uhr)
– Schambehaarung und Intimrasur
z. B. „bist dann schon voll behaart unten? … also buschig? … und no nie an rasur gedacht?“ (zu „…“ am …2.2014 zwischen 20:38:29 und 20:39:04 Uhr)
– Selbstbefriedigung (alleine, zusammen online, schon mal mit Freunden)
z. B. „Wie oft wichst du am tag? und Spritzt du auch auf dein bauch?“ (zu „…“ am …2.2014, 22:01:22 und 22:05:19 Uhr)
„wichst du echt 3x am Tag?“ (zu „…“ am …2.2014, 21:39:37)
„du hast also schon gerubbelt no ohne sperma? … bisser zuckt, gell?“ (zu „…“ am …2.2014, 20:14:47 und 20:15:05 Uhr)
„dich störts echt ned wenn ich nebenbei weiterwichse“ (zu „…“ am …2.2014, 21:46:37 Uhr)
Weiter tat er auch seine eigenen Erfahrungen zu den besprochenen Themen kund:
z. B. „Hab no bissi gerubbelt und bin dann glei weggepennt“ (zu „…“ am …2.2014, 12:52:42 Uhr)
„Ich bin halt sehr schnell gekommen hat sie damals gemeint … Und sie war da no gar ned für ihrn orgasmus bereit … Also beim reinstecken lass ich mir immer helfen … zu zweit gehts echt besser … Also steif bleiben hat immer geklappt … Da muss halt des vorspiel geil sein“ (zu „…“ am …2.2014 zwischen 22:28:46 und 22:31:14 Uhr)
„sie hat mir beim einführn immer seeehr geholfen! … bei mir spritzts schon so 2-4 mal raus beim kommen“ (zu „…“ am …2.2014, 19:53:55 und 20:07:57 Uhr)
„meiner is 14,5 cm steif und unten rasier ich mich 2-3 mal im jahr“ (zu „…“ am …2.2014, 20:24:10 und 20:37:07 Uhr)
Um Antworten zu erhalten, fragte der Beklagte beharrlich und insistierend nach, auch wenn dem Gesprächspartner das Thema ersichtlich langweilig oder unangenehm wurde. So äußerte „…“ auf die Frage des Beklagten, was seine Freundin zu seinem Sperma gesagt habe (…3.2014, 20:37:05 Uhr) „oke jung das wird etwas krank pls anderes tema“ (…3.2014, 20:41:33 Uhr); der Beklagte antwortete hierauf unbeirrt „Sry – Weil du doch mal gesagt hast sie möchte es ned in ihrn mund…“ (…3.2014, 20:54:08 Uhr).
Dem Beklagten ist zuzugestehen, dass zum tatsächlichen Alter der Chat-Partner keine Ermittlungen angestellt wurden. Fest steht aber, dass diese ein Alter zwischen 13 und 17 Jahren angegeben haben.
3. Die vom Beklagten geführten Internet-Chats begründen ein außerdienstliches Fehlverhalten. Dieses war weder formell in das Amt des Beamten noch materiell in die damit verbundene dienstliche Tätlichkeit eingebunden (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13 – juris Rn. 29), weil es außerhalb des Schulbetriebs erfolgte und seine Chat-Partner nicht seine Schüler waren.
Sein außerdienstliches Verhalten erfüllt jedoch die qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, weil es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für das Amt des Beamten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Zwar wird von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten erwartet als von jedem Bürger. Hier übersteigt das Fehlverhalten des Beamten jedoch das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Mindestmaß an disziplinarischer Relevanz deutlich. Im Hinblick auf den Lehrerberuf des Beklagten beeinträchtigen die vorgeworfenen Internet-Chats sowohl das Amt des Beamten im statusrechtlichen Sinne als Studienrat als auch den von ihm wahrzunehmenden Dienstposten (BVerwG, B.v. 27.12.2017 – 2 B 18.17 – juris Rn. 22; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Ls. 1 und Rn. 16 ff.).
Unabhängig von der nicht gegebenen Strafbarkeit begründen die vorgeworfenen Internet-Chats mit Minderjährigen unter Vortäuschen einer falschen Identität Anlass zu Zweifeln an seiner Eignung, dem einem Lehrer als Dienstpflicht obliegenden Bildungsauftrag gegenüber den ihm anvertrauten Schülern jederzeit gerecht zu werden. Dies gilt besonders für die Chats zu schwerpunktmäßig sexuellen Themen in obszöner Sprache, aber auch für die Chats zu belanglosen Themen, weil auch diese eine unzulässige Annäherung des Beklagten an einen besonders schutzwürdigen Personenkreis darstellen und mit einem Vertrauensmissbrauch verbunden sind. Nach Bekanntwerden eines derartigen Fehlverhaltens ist ein Lehrer bei der Aufgabenwahrnehmung zumindest stark beeinträchtigt, weil er elementare Rechte gerade derjenigen Personengruppe verletzt hat, deren Schutz und Erziehung ihm als Dienstpflicht obliegt und die ihm anvertraut sind. Insoweit genügt bereits die bloße Eignung für eine Vertrauensbeeinträchtigung; zu einem konkreten Ansehensschaden oder konkreten Übergriffen muss es nicht gekommen sein (vgl. BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 14.121 – juris Rn. 41; B.v. 26.6.2012 – 16a DC 11.2880 – juris Rn. 39).
Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule (vgl. Art. 131 Bayerische Verfassung – BV, Art. 1, 2 und 59 Bayerisches Erziehungs- und Unterrichtsgesetz – BayEUG) nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der seiner Obhut unterstehenden Kinder und Jugendlichen verpflichtet. Er muss insbesondere ihre geistige und sittliche Entwicklung fördern und schützen. Zudem muss er in seiner Vorbildfunktion die verfassungsrechtlich geschützte Wertordnung glaubhaft vermitteln. Die vorgeworfenen Chats sind mit diesem Bildungsauftrag unvereinbar und lassen dessen Erfüllung durch den Beamten zweifelhaft erscheinen. Der Beklagte beweist dadurch erhebliche Persönlichkeitsmängel, die eine nachhaltige Vertrauensbeeinträchtigung im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nach sich ziehen, weil er hierdurch das Vertrauen, das der Dienstherr in seine Selbstbeherrschung, seine Zuverlässigkeit und seine moralische Integrität setzt, von Grund auf erschüttert bzw. zerstört (vgl. BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 14.121 – juris Rn. 43). Die zitierte Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichthofs, die sich in den dort entschiedenen Fällen auf den Besitz kinderpornographischer Schriften durch einen Lehrer bezog, findet gleichermaßen auf die dem Beklagten vorgeworfenen Internet-Chats Anwendung, weil er auch hierdurch die einem Lehrer gezogene sittlichmoralische Grenze überschritten hat.
4. Die unter Vorspiegelung eines Alters von 18 Jahren und der Eigenschaft als Schüler geführten Internet-Chats mit Minderjährigen zu schwerpunktmäßig sexuellen Themen in obszöner Sprache und auch zu belanglosen Themen begründen eine Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauensvollem Verhalten (Art. 34 Satz 3 BeamtStG).
Der Vorwurf anstößigen Verhaltens bezieht sich dabei nicht nur auf die Chats selbst. Er beginnt vielmehr schon in der Anmeldung des Beklagten einerseits auf der typischerweise von Jugendlichen genutzten Kommunikationsplattform … unter dem neutralen Namen „… …“ und andererseits auf der von unterschiedlichen Personengruppen genutzten Kommunikationsplattform … unter dem Namen „…“, der das Geburtsjahr 1995 suggeriert und damit sein vorgespiegeltes Alter von 18 Jahren bestätigt. Weiter geht aus den geführten Chats hervor, dass er sich auf „…“ nach minderjährigen Jungen umgesehen hat, die für eine Kontaktaufnahme – und gegebenenfalls auch für eine Unterhaltung über sexuelle Themen – in Frage kamen. Mit diesem geplanten und zielgerichteten Vorgehen in Form der Erfindung einer zweiten Identität und der Suche nach einem Forum für seine sexuellen Phantasien ebnete er sich den Weg zu den gewünschten Kontakten. Weiter stellt auch die jeweilige Kontaktaufnahme zu den minderjährigen Jungen unter der vorgespielten Identität des 18-jährigen …, der eine Fachoberschule besucht, ein anstößiges Verhalten dar. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass Internet-User in der Regel nicht unter ihrer wahren Identität auftreten. Durch Nutzung der jeweiligen Plattform, Wahl eines das Geburtsjahr suggerierenden Chat-Namens, Ansprache vermeintlich Gleichaltriger, Schreibstil und Angaben zu seinen Lebensumständen (Schulbesuch, Eltern, erste Freundin etc.) konstruiert der Beklagte überzeugend die Person des 18-jährigen … … und erschleicht sich dadurch das Vertrauen seiner Chat-Partner.
Im Zentrum des Vorwurfs stehen jedoch eindeutig seine Chats zu sexuellen Themen und deren ausführliche, teilweise insistierende Behandlung in oft obszöner Sprache.
Ohne Bedeutung für den Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensmäßigem Verhalten ist, ob die Chat-Partner des Beklagten tatsächlich ausnahmslos das von ihnen angegebene Alter hatten. Für den Pflichtverstoß ist allein relevant, dass er sich auf Seiten begeben hat, auf denen Minderjährige im Internet chatten und dort mit einer gefakten Identität gezielt und ausschließlich vermeintliche minderjährige Jungen angesprochen hat. Dieses Verhalten belegt, dass sein Fokus allein auf diesen Personenkreis gerichtet war.
Für die Bejahung der beamtenrechtlichen Pflichtverletzung ist es unerheblich, dass das vorgeworfene Verhalten nicht strafbar ist; die Erfüllung eines Straftatbestands ist für das Disziplinarrecht nicht von Bedeutung (Hummel in Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, 6. Aufl. 2016, S. 103). Ein nicht strafbares außerdienstliches Verhalten eines Beamten kann etwa dann disziplinarrechtlich relevant sein, wenn es trotz der eingetretenen Liberalisierung der Anschauungen auf sittlichem Gebiet in weiten Teilen der Bevölkerung weiterhin als anstößig und nicht ehrenhaft angesehen wird (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 12.2.2014 – 31 K 3347/13.O – juris Rn. 102 ff.). Diese Voraussetzung erfüllt das Vorgehen des Beklagten.
5. Ihm ist hinsichtlich der Vorwürfe Vorsatz anzulasten. Er hat die Chats mit Wissen und Wollen geführt. Die Minderjährigkeit der Chat-Partner hat er jedenfalls billigend in Kauf genommen. Ein etwaiger Verbotsirrtum, d.h. die unrichtige Vorstellung über die Pflichtwidrigkeit seines Tuns, entlastet ihn nicht, weil ein solcher jedenfalls nicht unvermeidbar war (§ 17 Satz 1 StGB).
6. Das festgestellte einheitliche Dienstvergehen des Beklagten wiegt schwer im Sinn von Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Es hat zur Folge, dass er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Deshalb ist auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme zu erkennen.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu bemessen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Fallen einem Beamten mehrere Dienstpflichtverletzungen zur Last, die in ihrer Gesamtheit das einheitliche Dienstvergehen ergeben, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (vgl. nur BayVGH, U.v. 11.5.2016 – 16a D 13.1540 – juris Rn. 66). Das Gericht teilt die Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, dass hinsichtlich der Vorwerfbarkeit der Chats zwischen solchen mit sexuellen Themen und solchen mit belanglosen Inhalten zu unterscheiden ist. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hier auf den Chats mit sexuellen Inhalten.
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig seinen Dienstpflichten nicht ordnungsgemäß nachkommen oder aufgrund seines Fehlverhaltens sei eine erhebliche, nicht wieder gut zu machende Ansehensbeeinträchtigung eingetreten (BayVGH, U.v. 11.10.2017 – 16a D 15.2758 – juris Rn. 43). Hier ist nur, aber jedenfalls letzteres der Fall.
Der Beklagte hat über den Zeitraum von knapp fünf Monaten auf … und … 50 Jungen angeschrieben; davon entwickelten sich mit insgesamt 28 Personen Gespräche, wovon 15 schwerpunktmäßig sexuelle Themen zum Inhalt hatten. In allen Gesprächen missbrauchte er das Vertrauen des Chat-Partners durch Vorspiegelung der Identität eines fast gleichaltrigen oder nur wenige Jahre älteren Jungen. In den Gesprächen mit sexuellen Themen besprach er – jeweils auf seine Initiative hin – insistierend und häufig obszön Themen wie erstes Mal, Geschlechtsverkehr mit Mädchen, Quantität und Qualität des Spermas oder Selbstbefriedigung. Die Einstellung dieser Chats erfolgte nicht freiwillig, sondern nur aufgrund der polizeilichen Beschlagnahme seines in der Reparatur befindlichen Laptops. Bei diesem Verhalten durch einen Lehrer ist allein die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die erforderliche und geeignete Disziplinarmaßnahme.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass außerdienstliches Verhalten, das keinen Straftatbestand erfüllt, die Höchstmaßnahme regelmäßig nicht rechtfertigen kann (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 15; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 28). Eine Kürzung der Dienstbezüge (Art. 9 BayDG), die hier als mildere Maßnahme allein in Betracht käme, weil der Beklagte sich noch im Eingangsamt befindet (vgl. Art. 10 Abs. 1 Satz 1 BayDG), würde hier jedoch nicht ausreichen, um sein Fehlverhalten zu ahnden. Einem Lehrer, der das dem Beklagten vorgeworfene Verhalten gezeigt hat, kann von Schülern, Eltern, Vorgesetzten und Öffentlichkeit nicht mehr das nötige Maß an Respekt entgegen gebracht werden, das für ein glaubwürdiges erzieherisches Wirken erforderlich ist. Er hat sich, auch was seine Vorbildfunktion anbelangt, in der Schule untragbar gemacht.
Das Gericht ist sich dabei bewusst, dass der Beklagte sein sexuell orientiertes und auf minderjährige Jungen fokussiertes Verhalten weder im schulischen Umfeld noch gegenüber eigenen oder ihm aus dem Schulbetrieb bekannten Schülern ausgelebt hat. Es sieht auch, dass sein Verhalten in den Chats nicht auf den Austausch von Bildern oder das Zustandekommen realer Kontakte abzielte, er entsprechende Vorstöße der Chat-Partner vielmehr stets ablehnte. Selbst diese Umstände rechtfertigen jedoch keine mildere Disziplinarmaßnahme. Schüler, Eltern und Allgemeinheit können einem Lehrer, der die dem Beklagten vorgeworfenen Internet-Chats geführt hat, nicht mehr frei von der Befürchtung gegenübertreten, er sehe auch in den ihm zur Ausbildung und Erziehung überantworteten Jugendlichen Objekte sexuell motivierter Wünsche (vgl. BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 14.121 – juris Rn. 57). Maßgeblich ist insoweit, dass die Schüler an der Fachhochschule gerade in dem Alter der Jungen sind, denen der Beklagte sich in seinen Internet-Chats mit sexueller Zielrichtung genähert hat. Die daher aufgekommenen Zweifel an seiner sexuellen Integrität begründen einen endgültigen Vertrauensverlust. Dabei ist unerheblich, dass die Chats der Öffentlichkeit nicht bekannt wurden. Entscheidungsmaßstab ist vielmehr, in welchem Umfang Schüler, Eltern und Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftige pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können, wenn ihnen das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde (BVerwG, U.v. 17.11.2017 – 2 C 25.17 – juris Rn. 28; BayVGH, U.v. 10.11.2017 – 16a D 15.2758 – juris Rn. 54).
Auch die beiden Stellungnahmen des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten C.F. vom 28. Februar und 26. Juli 2018 führen nicht dazu, dass von einer Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte. Herr C.F. führt aus, dass sich der Beklagte seit Mai 2014 zu regelmäßigen Einzelgesprächen in seiner Praxis befinde. Der Beklagte sei eine zutiefst harmlose, exotische, bisweilen skurrile Persönlichkeit, von der eine Gefahr für die Allgemeinheit nicht ausgehe; Anhaltspunkte für eine psychische Störung im Sinne einer Pädophilie (ICD-10 F 65.4) gebe es nicht. Wie ausgeführt ist ein endgültiger Vertrauensverlust im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG eingetreten. Auf eine positive Zukunftsprognose kommt es deshalb nicht an.
Zum Vorwurf der Gespräche mit schwerpunktmäßig sexuellen Themen kommen die Gespräche ohne sexuelle Inhalte hinzu. Auch diese sind dem Beklagten als Missbrauch des ihm von den minderjährigen Chat-Partnern entgegengebrachten Vertrauens vorzuwerfen.
7. Von der danach auszusprechenden Höchstmaßnahme ist hier auch nicht deshalb zu Gunsten einer milderen Disziplinarmaßnahme abzuweichen, weil ein Milderungsgrund vorliegt, der geeignet ist, das schwere Dienstvergehen des Beklagten als weniger gravierend erscheinen zu lassen.
Als Milderungsgrund kommen hier die fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung des Beklagten und seine guten dienstlichen Leistungen in Betracht. Er erhielt in der letzten dienstlichen Beurteilung von 2014 das Gesamtprädikat VE (Leistung, die den Anforderungen voll entspricht). In dem Persönlichkeitsbild vom 19. Dezember 2017 sprach sich der Schulleiter der Staatlichen Fachoberschule und Berufsoberschule … sehr positiv über ihn aus und hob insbesondere seine Hilfsbereitschaft, sein Interesse an dem Wissenszuwachs und der Persönlichkeitsentwicklung seiner Schüler sowie sein Urteilsvermögen und seine Eigeninitiative hervor. Er sei eine Lehrerpersönlichkeit, die ihren Beruf ernst nehme, sich für keine Zusatzaufgaben zu schade sei und sich nicht persönlich in den Vordergrund spiele, sondern das Gesamtwohl im Auge habe. Allerdings können angesichts der Schwere des festgestellten Dienstvergehens weder die fehlende straf- und disziplinarrechtliche Vorbelastung noch die guten dienstlichen Leistungen zum Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Diese Umstände stellen ein normales Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar. Sie sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens so abzumildern, dass von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte. Die langjährige pflichtgemäße Dienstausübung ist – selbst bei überdurchschnittlichen Leistungen – für sich genommen regelmäßig nicht geeignet, derartige Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 18.3.2015 – 16a D 09. 3029 – juris Rn. 96).
Auch das Geständnis des Beklagten führt nicht zu einer milderen Beurteilung, da es nicht freiwillig vor drohender Entdeckung, sondern im Rahmen des bereits gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens erfolgt ist.
Weiter kann auch die Verfahrensdauer seit November 2015 dem Beklagten nicht zu Gunsten gereichen. Zum einen erscheint die Verfahrensdauer wegen der zeitintensiven und erst nach und nach erfolgten Klärung der Vorwürfe angemessen. Zum anderen lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, wenn die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass wegen eines schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist. Diese Schutzgüter und der Grundsatz der Gleichbehandlung schließen es aus, dass ein Beamter, der durch gravierendes Fehlverhalten im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist, gleichwohl weiterhin Dienst leisten und als Repräsentant des Dienstherrn hoheitliche Befugnisse ausüben kann, weil das gegen ihn geführte Disziplinarverfahren unangemessen lange gedauert hat (BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 2 B 1.18 – juris Rn. 9).
8. Die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die dem Beamten staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Zudem darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den vom Beamten hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Entfernung eines aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis als disziplinare Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung auch die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels durchgreifender Milderungsgründe das Vertrauen endgültig zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als erforderliche und geeignete Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. Abzuwägen sind dabei das Gewicht des Dienstvergehens und des dadurch eingetretenen Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehende Belastung andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis wie hier gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann nämlich auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem als für alle öffentlichrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Folge bei derartigen Pflichtverletzungen zuzurechnen (BayVGH, U.v. 11.10.2017 – 16a D 15.2758 – juris Rn. 56).
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.


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