Verwaltungsrecht

Disziplinarmaß bei Veurteilung eines Hochschullehrers wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern oder Jugendlichen

Aktenzeichen  16a D 19.295

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30418
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayDG Art. 6 Abs. 1, Art. 11
BeamtStG § 33 Abs. 1, § 34 S. 3, § 47 Abs. 1 S. 2
StGB § 176 Abs. 1, § 182 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Bei Straftaten mit einem Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. bis zu drei Jahren reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Verhängung der Höchstmaßnahme bedarf es daneben keiner erschwerenden Umstände. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hervorragende dienstliche Leistungen können allenfalls in der Zusammenschau mit anderen entlastenden Momenten Bedeutung erlangen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13L DK 17.5387 2019-01-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt.
Der Beklagte hat ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen, das die Merkmale des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG erfüllt, weil es nach den festgestellten Umständen in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit und des Dienstherrn in einer für das Amt als Hochschullehrer bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (1.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens entsprechend seiner Schwere zu einer der in Art. 6 Abs. 1 BayDG genannten Disziplinarmaßnahmen erfordert hier die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens (2.). Ein Hochschulprofessor, der sich des zweifachen sexuellen Missbrauchs eines neunjährigen und eines 15-jährigen Mädchens schuldig gemacht hat, beeinträchtigt das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen des Dienstherrn und das Ansehen der Hochschullehrerschaft in der Öffentlichkeit auf das schwerste und macht sich untragbar.
1. Die dem Beklagten zur Last gelegten Sachverhalte ergeben sich aus dem rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 6. März 2017, auf das sich die Disziplinarklage vom 13. November 2017 bezieht und auf die wiederum das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (UA S. 19) Bezug nimmt. Die Sachverhalte stehen gemäß Art. 25 Abs. 1, Art. 55, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG mit bindender Wirkung fest. Der Senat macht sich insoweit die tatsächlichen Feststellungen der Disziplinarklage und des angefochtenen Urteils zu eigen (Art. 64 Abs. 1 Satz 2 BayDG, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 117 Abs. 5 VwGO). Im Übrigen hat der Beklagte weder vor dem Verwaltungsgericht noch im Berufungsverfahren den Ablauf der ihm zur Last gelegten Vorgänge infrage gestellt, sondern zumindest stillschweigend eingestanden. Die Bindungswirkung ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil das Strafurteil auf einer Verständigung gemäß § 257c StPO beruht, in deren Rahmen der Beklagte die vorgeworfenen Taten eingeräumt und damit eine strafmildernde Berücksichtigung erreicht hat (vgl. BayVGH, U.v. 10.10.2018 – 16a D 17.955 – UA Rn. 51).
2. Mit den beiden strafrechtlich abgeurteilten, am 5. August 2014 und 18. August 2015 begangenen Taten hat der Beklagte ein einheitliches außerdienstliches Dienstvergehen im Sinn von § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG (vgl. hierzu Zängl in Weiss/Niedermeier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Mai 2020, § 47 BeamtStG Rn. 62-74) verwirklicht. Durch die beiden von ihm begangenen Straftaten hat er gegen seine Grundpflicht zur Achtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 BeamtStG i.V.m. § 176 Abs. 1, § 182 Abs. 3 Nr. 1, § 53 StGB) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen. Die Straftaten sind außerdienstlicher Natur, weil ihnen ein Verhalten im privaten (häuslichen) Bereich ohne unmittelbare Dienstbezogenheit zugrunde liegt. Die erforderliche disziplinarrechtliche Relevanz außerdienstlich begangener Straftaten (Disziplinarwürdigkeit) und die Schwere von außerdienstlichem Fehlverhalten hängen maßgeblich davon ab, ob ein Bezug zur Dienstausübung des Beamten gegeben ist; dies setzt voraus, dass das Fehlverhalten nachteilige Schlüsse auf die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben zulässt oder eine Beschädigung von Autorität und Ansehen des Beamten zur Folge hat, die ihn in der Amtsführung dauerhaft beeinträchtigt (etwa BVerwG, B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 9). Die beiden (außerdienstlich) begangenen Straftaten stellen ein Dienstvergehen dar, weil sie nach den Umständen des Einzelfalls jedenfalls besonders geeignet sind, das Vertrauen der Allgemeinheit, des Dienstherrn und der mit dem Beklagten als Hochschulprofessor in Berührung kommenden Personen in einer für die Amtsausübung des Beklagten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Damit bestehen an der grundsätzlichen Disziplinarwürdigkeit der vom Beklagten begangenen Straftaten keine Zweifel.
Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts (UA S. 21) nicht, die begangenen Straftaten hätten deswegen einen besonderen Bezug zum innegehabten Amt, weil der Beklagte als Hochschullehrer eine besondere Fürsorgefunktion gegenüber den Studierenden zu erfüllen habe, die gerade auch die Einhaltung von Schutzvorschriften für Minderjährige im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung umfassten. Das erstinstanzliche Urteil nimmt insoweit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 22 mit Verweis auf drei Entscheidungen zu Lehrern). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch ausschließlich auf Erzieher und Lehrer, denen neben dem Bildungs- und Erziehungsauftrag als spezifische Dienstpflicht gerade Schutz und Obhut von Kindern als heranwachsenden Menschen obliegen; derartige Verpflichtungen bestehen für einen Professor an einer Hochschule nicht. Unabhängig von der Frage, ob er überhaupt (ggf. in welchem Umfang) beruflichen Kontakt zu minderjährigen Studierenden oder Studieninteressentinnen unterhält, hat ein Hochschullehrer in aller Regel mit Erwachsenen zu tun, sodass ihm schon aus diesem Grunde keine Fürsorgefunktion zukommt, die derjenigen vergleichbar wäre, die ein Lehrer gegenüber Kindern zu erfüllen hat, für die seine durch Autorität herausgehobene Position prägend ist.
Jedoch reicht hier – unabhängig von der Frage, ob nachteilige Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Fehlverhalten des Beklagten auf die Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben gezogen werden können – für die Annahme einer disziplinarrechtlichen Relevanz aus, dass Autorität und Ansehen des Beamten in einer Weise beschädigt sind, die ihn in seiner Amtsführung dauerhaft beeinträchtigt (BVerwG, B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 9; U.v. 19.8.2010 – 2 C 5.10 – juris Rn. 13 f.). Für die Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch die vom Beamten begangenen Straftaten hervorgerufen wurde, ist auf den gesetzlich bestimmten Strafrahmen zurückzugreifen (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14). Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht den Beklagten wegen je eines Falles des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB sowie von Jugendlichen (§ 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB) verurteilt und dabei die Regelstrafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. bis zu drei Jahren zugrunde gelegt. Dieser weite Strafrahmen zeigt die besondere Verwerflichkeit der vorsätzlich begangenen Taten und weist auf einen erheblichen Vertrauensverlust hin. Von dem dargestellten Strafrahmen ausgehend reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20).
3. Aus den gesetzlichen Zumessungskriterien folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund der Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung ist danach die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 16). Bei dieser Gesamtwürdigung haben die Gerichte zunächst die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und sie mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Auf der Grundlage des so zusammengestellten Tatsachenmaterials haben die Gerichte eine Prognose über das voraussichtliche künftige dienstliche Verhalten des Beamten zu treffen und das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist.
Der Beklagte hat hinsichtlich der objektiven Handlungsmerkmale der Taten durch den sexuellen Missbrauch eines neunsowie eines 15-jährigen Mädchens in zwei rechtlich und tatsächlich voneinander unabhängigen Handlungen eine außerordentlich schwerwiegende Pflichtverletzung begangen. Sein Fehlverhalten ist im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 BayDG derart gewichtig, dass er das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat und das Verwaltungsgericht daher zu Recht auf die Höchstmaßnahme erkannt hat. Im Berufungsverfahren wurden keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die die Verhängung einer für den Beklagten günstigeren Maßnahme rechtfertigen könnten. Vielmehr erschöpft sich das Berufungsvorbringen in einer Vertiefung und Anreicherung der erstinstanzlichen Argumentation.
3.1 Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme aus dem Katalog des Art. 6 BayDG. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden.
Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12). Für die Schwere können bestimmend sein: objektive Handlungsmerkmale, besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16). Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Beamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist seine Weiterverwendung wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 13).
3.2 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 2 C 83.08 – juris Ls. 2, Rn. 18, Justizvollzugsobersekretär) hat entschieden, dass bei einem mit einer Freiheitsstrafe geahndeten sexuellen Missbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) die Schwere des Dienstvergehens die Höchstmaßnahme rechtfertigt, wenn es nach den gesamten Umständen an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt. Unabhängig von dem konkreten Amt, das der Beamte innehat, sind derartige Straftaten grundsätzlich geeignet, als Richtschnur für die Bemessung der Maßnahme die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis vorzusehen (so auch BayVGH, U.v. 23.3.2011 – 16b D 09.2749 – juris Rn. 47, 48, Bundesbahnhauptsekretär). Zur Begründung führt das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O. Rn. 19) weiter aus:
„Das folgt aus der in hohem Maße schädlichen Wirkung eines sexuellen Missbrauchs für die Persönlichkeit des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG) verbunden mit einer schweren Verletzung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die auch in dem hohen Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB zum Ausdruck kommt. Der strafbare sexuelle Missbrauch eines Kindes ist in hohem Maße persönlichkeitsschädigend, weil er in den Reifeprozess eines jungen Menschen eingreift und nachhaltig die Entwicklung seiner Gesamtpersönlichkeit gefährdet. Ein Kind oder Jugendlicher kann wegen seiner fehlenden bzw. noch nicht hinreichenden Reife das Erlebte intellektuell und gefühlsmäßig in der Regel gar nicht oder nur sehr schwer verarbeiten. Zugleich benutzt der Täter sein kindliches Opfer als Mittel zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs. In dieser Herabminderung zum bloßen Objekt seines eigenen Sexualverhaltens liegt eine grobe Missachtung der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte des betroffenen Kindes. Sexualdelikte gegen Kinder unterliegen mittlerweile durchgängig einer starken gesellschaftlichen Ächtung. Der Gesetzgeber hat in Reaktion hierauf Kinder unter 14 Jahren unter einen uneingeschränkten strafrechtlichen Schutz gestellt. Die Tatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176, 176a, 176b, ebenso § 184b, vgl. auch § 5 Nr. 8b StGB) bezwecken, die Entwicklung des Kindes vor vorzeitigen sexuellen Erlebnissen zu schützen. Deshalb führt auch der außerhalb des Dienstes begangene sexuelle Missbrauch eines Kindes durch einen Beamten in der Vorstellungswelt eines vorurteilsfrei wertenden Betrachters zu einer erheblichen Ansehensbeeinträchtigung des Beamten, wenn nicht zu völligem Ansehensverlust, also zu einem Verlust des Vertrauens der Allgemeinheit in die Integrität des Beamtentums.“
Über diesen allgemeinen Zusammenhang hinaus sind die Gerichte jedoch verpflichtet, alle Umstände des Einzelfalls zu betrachten und mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu berücksichtigen. Erst damit wird dem auch im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen (vgl. etwa BVerfG, B.v. 18.1.2008 – 2 BvR 313/07 – juris Rn. 10).
3.2.1 Eine Abwägung aller zu Lasten und zu Gunsten des Beklagten sprechender Gesichtspunkte führt hier zu dem Ergebnis, dass ein angesichts der Schwere der Straftaten und damit der Dienstverfehlung zu forderndes hohes Maß an entlastenden Umständen nicht feststellbar ist.
3.2.2 Der Senat erachtet im vorliegenden Fall als ein das Dienstvergehen maßgeblich erschwerenden Umstand, dass sich der Beklagte von der Begehung der zweiten Tat im August 2015 an dem zweiten Opfer auch nicht dadurch hat abhalten lassen, dass die erste Tat im August 2014 nur deswegen nicht unmittelbar nach ihrer Begehung aufgedeckt und verfolgt wurde, weil man dem damals erst neunjährigen Mädchen keinen Glauben geschenkt hat. Weitere tat- oder täterbezogene Merkmale, die über das Eigengewicht der Tat hinaus zusätzlich erschwerende Wirkung haben könnten, sind nicht zu erkennen.
In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die beiden Opfer unter besonderen negativen Folgewirkungen, die über die Folgen der notwendigen Verwirklichung der maßgeblichen Tatbestände hinausgehen, zu leiden hatten oder noch leiden (hierzu: 3.2.3 sowie UA S. 25, 26). Fehl geht jedenfalls die Auffassung des Beklagten (vgl. Berufungsbegründung v. 21.3.2019, S. 9), es seien nur solche negativen Folgewirkungen „als erschwerend anzusehen, wenn der Geschädigte durch die Tat in die Gefahr einer erheblichen Schädigung der seelischen und körperlichen Entwicklung gebracht worden“ sei. Denn in diesem Fall wäre der Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (vgl. § 176a Abs. 2 Nr. 3 StGB) in der Person des neunjährigen Opfers erfüllt worden, der eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vorsieht und damit schon kraft Gesetzes (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG) zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte. Dem Beklagten kann jedenfalls nicht in belastender Weise angerechnet werden, dass er im Strafprozess erst nach der Aussage des ersten Opfers als Zeugin ein vollumfängliches Geständnis abgelegt hat; ein derartiges Vorgehen hält sich in den Grenzen eines angemessenen Verteidigungsverhaltens (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 62.11 – juris Rn. 51f.; von der Weiden, jurisPR-BVerwG 16/2013 Anm. 4)
3.2.3 Allerdings bedarf es solcher erschwerenden Umstände vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2010 (a.a.O.) auch nicht, um die Höchstmaßnahme verhängen zu können. Die in diesem Zusammenhang vom Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juli 2011 (2 C 16.10 – juris), die zu einem Fall einer strafbefreienden Selbstanzeige bei schwerwiegender Steuerhinterziehung (über eine Summe von mehr als 1,2 Mio. Euro, vgl. OVG NW, U.v. 23.9.2009 – 3d A 1849/08.O – juris) ergangen ist, führt im vorliegenden Fall schon wegen der Andersartigkeit der Delikte nicht weiter. Nach dem Urteil ziele ein außerdienstliches Dienstvergehen „regelmäßig nicht die Beendigung des Beamtenverhältnisses nach sich…, wenn es keine Rückschlüsse auf die Dienstausübung des Betroffenen zulässt“ und „seine disziplinarrechtliche Relevanz sich vielmehr ausschließlich aus dem…Ansehensschaden ergibt“; in dieser Situation komme die Höchstmaßnahme nur in Betracht, „wenn das Dienstvergehen im Einzelfall durch vom Regelfall abweichende, besonders erschwerende Umstände gekennzeichnet ist“ (BVerwG a.a.O. juris Rn. 33); dabei sei eine „außergewöhnliche Höhe des Hinterziehungsbetrags“ in den Blick zu nehmen. Eine Übertragung dieser speziell für den Deliktsbereich der Steuerhinterziehung getroffenen Aussagen (vgl. BVerwG a.a.O. juris Rn. 34) auf Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung scheidet wegen der Unterschiedlichkeit der Deliktstypen (Steuerhinterziehung und sexueller Missbrauch) aus, insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen von § 371 AO für einen Steuerhinterzieher bestehende Möglichkeit, durch rechtzeitige Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen und damit für den Bereich des Disziplinarrechts den Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung zu schaffen (BVerwG a.a.O. juris Rn. 36).
Damit verbleibt es hier dabei, dass nur dann von der Höchstmaßnahme abgesehen werden könnte, wenn die für den Beklagten sprechenden entlastenden Gesichtspunkte derart gewichtig sind, dass sie in einer Gesamtwürdigung den Schluss zuließen, er habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollends zerstört. Hierfür reichen die geltend gemachten Milderungsgründe jedoch nicht aus (vgl. UA S. 27 unten). Im Einzelnen:
3.2.3.1 Dem Verhalten des Beklagten im Strafprozess kommt weder ent- noch belastendes Gewicht zu; dementsprechend hat es das Verwaltungsgericht als neutral angesehen. Das in letzter Konsequenz erst im Rahmen der Verständigung nach § 257c StPO abgelegte Geständnis, mit dem wenigstens dem zweiten Opfer eine gerichtliche Aussage als Zeugin erspart wurde, kam zu spät, um dem Beklagten im Rahmen des Disziplinarverfahrens mit entlastender Wirkung zu Gute kommen zu können. Ob die maßgebliche Motivation des Beklagten für das Geständnis Reue und Einsicht waren oder ob es – wie der Kläger meint – rein taktischer Natur war, vermag der Senat nicht endgültig zu beurteilen. Fest steht aber, dass erst das Geständnis (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 2 StPO) den Weg zu einer Freiheitsstrafe von weniger als zwölf Monaten auf Bewährung freigemacht und damit die Gefahr einer Beendigung des Beamtenverhältnisses kraft Gesetzes (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG) verhindert hat. Die aufgeworfene Frage kann letztlich dahinstehen, denn insbesondere der späte Zeitpunkt des Geständnisses lässt die Frage nach seiner Motivation zweitrangig erscheinen.
3.2.3.2 Die vom Beklagten „freiwillig“ zugesagten Schmerzensgeldzahlungen an beide Opfer hält der Senat in erster Linie der Einsicht in die Notwendigkeit einer „Verständigung“ geschuldet, ohne dass allein aus der erheblichen Höhe (vgl. Strafurteil S. 5, IV.: „am obersten Rahmen dessen…, was normalerweise in solchen Fällen gezahlt wird“) ein gewichtiges entlastendes Moment abzuleiten wäre, mit dem ein Absehen von der Höchstmaßnahme begründet werden könnte. Gleiches gilt für den Vortrag, mit dem im Wege eines Vergleichs vereinbarten Schmerzensgeld habe eine – die Opfer erneut belastende – zivilprozessrechtliche Auseinandersetzung vermieden werden können. Anhaltspunkte dafür, dass die Schmerzensgeldvereinbarung Ausdruck echter Reue oder zumindest von Einsicht in den Unrechtsgehalt der Taten ist, vermag der Senat jedenfalls nicht zu erkennen.
3.2.3.3 Schließlich stellt auch nicht das Fehlen einer pädophilen Veranlagung des Beklagten und die vor diesem Hintergrund nach seinem Vortrag auszuschließende Gefahr der erneuten Begehung gleichgerichteter Straftaten einen durchschlagenden Milderungsgrund dar. Denn ungeachtet der Frage, ob sich „solche Vorfälle…nicht mehr ereignen werden“ (Berufungsbegründung S. 12), ist das Vertrauen des Dienstherrn und der Öffentlichkeit bereits durch die erstmalige Begehung zweier Straftaten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und einer Jugendlichen zerstört.
3.2.3.4 Die schließlich noch in breitem Umfang geltend gemachten herausragenden dienstlichen Leistungen des Beklagten, die insbesondere in den vom Dienstherr gezahlten Leistungsprämien und dem vom Präsidenten der Hochschule entworfenen positiven Persönlichkeitsbild des Beklagten vom 12. September 2017 ihre Bestätigung gefunden haben, rechtfertigen ebenfalls keine mildere Maßnahme. Hervorragende dienstliche Leistungen können allenfalls in der Zusammenschau mit anderen entlastenden Momenten Bedeutung erlangen. Selbst eine weit überdurchschnittliche Erfüllung der Dienstpflichten ist für sich genommen nicht geeignet, schwerwiegende Pflichtverstöße in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BVerwG, U.v. 19.3.2013 – 2 B 17.12 – juris Rn. 8; U.v. 23.1.2013 – 2 B 63.12 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 24.3.2020 – 16a D 18.1835 – UA Rn. 61). Die Würdigung der vom Beklagten unzweifelhaft erbrachten dienstlichen Leistungen führt demnach nicht zu einer milderen Bewertung des durch gravierendes Fehlverhalten verursachten endgültigen Vertrauensverlusts. Entsprechendes gilt schließlich für die in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Schwerbehinderung des Beklagten sowie das Fehlen jeglicher straf- und disziplinarrechtlicher Vorbelastungen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung sind weitere durchgreifende Entlastungsgründe, die ein Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigen könnten, nicht zu erkennen (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 6.14 – juris Rn. 36).
4. Nach alldem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Der festzustellende endgültige Vertrauensverlust des Dienstherrn infolge der Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums ist nicht wiedergutzumachen. Gegen den Beklagten war die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu verhängen (Art. 6 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Satz 1 BayDG).
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 BayDG.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG).


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