Verwaltungsrecht

Duldung für Personen mit ungeklärter Identität

Aktenzeichen  10 C 21.502

Datum:
19.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26067
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60a Abs. 2, § 60b Abs. 1, Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Die Erteilung einer Duldung als “Duldung für Personen mit ungeklärter Identität” für einen Ausländer, der zwar eigeninitiativ bezüglich einer Passbeschaffung tätig geworden ist, sich aber weigert, daneben durch zumutbare Handlungen an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, ist rechtmäßig. (Rn. 7 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 20.5456, M 10 E 20.5457 2021-01-14 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit der Beschwerde verfolgt der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine beim Bayerischen Verwaltungsgericht München anhängige Klage (M 10 K 20.5456) sowie seinen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO (M 10 E 20.5457) Prozesskostenhilfe zu gewähren und ihm seinen Rechtsanwalt beizuordnen.
Die Klage richtet sich darauf, ihm eine Duldung ohne den Zusatz “für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b Abs. 1 AufenthG)” auszustellen. Mit Beschluss vom 14. Januar 2021 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweilige Anordnung (Nr. I. des Beschlusses) sowie den Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Klagewie das Eilverfahren (Nr. II. des Beschlusses) ab. Nach Einlegung der Beschwerde legte der Antragsteller am 18. März 2021 einen iranischen Nationalpass vor, worauf der Antragsgegner ihm eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (also ohne den “Zusatz”) ausstellte. Das Verfahren bezüglich des einstweiligen Rechtsschutzes wurde vom Senat mit Beschluss vom 5. Juli 2021 (10 CE 21.500) nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen dafür nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Anders als in dem Einstellungsbeschluss vom 5. Juli 2021 (10 CE 21.500), bei dem der Senat im Rahmen der zu treffenden Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO ohne eine weitere rechtliche Prüfung die Erfolgsaussichten offenlassen konnte, ist in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren eine Prüfung der Erfolgsaussichten vorzunehmen. Dabei dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Möglichkeit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, der gegeben ist, sobald die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und die Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme angehört worden ist. Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt der 22. Dezember 2020, als die Behördenakten und die Stellungnahme der Ausländerbehörde beim Verwaltungsgericht eingingen; die vollständigen Antragsunterlagen lagen bereits vor.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Klage und ebenso der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatten, weil die Ausländerbehörde dem Antragsteller am 12. Oktober 2020 nach summarischer Prüfung zu Recht (nur) eine “Duldung für Personen mit ungeklärter Identität” nach § 60b Abs. 1 AufenthG ausgestellt hatte.
Nach § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird die Duldung im Sinne des § 60a AufenthG als “Duldung für Personen mit ungeklärter Identität” erteilt, wenn die Abschiebung aus von der betreffenden Person selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, weil sie (unter anderem) zumutbare Handlungen zur Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht nach § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht vornimmt. Nach § 60b Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der keinen gültigen Pass besitzt, verpflichtet, alle ihm unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbaren Handlungen zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzes selbst vorzunehmen. In § 60b Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist beschrieben, was dem Ausländer in diesem Sinn regelmäßig zumutbar ist.
Die Ausländerbehörde wirft dem Antragsteller zu Recht vor, mehrmals – trotz entsprechender Belehrung über seine Mitwirkungspflicht und mögliche Folgen – die Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren verweigert zu haben, indem er am 25. November 2019 (siehe Bl. 269 der Behördenakte), am 5. Februar 2020 (siehe Bl. 277 der Behördenakte) und zuletzt am 12. Oktober 2020 (siehe Bl. 393 der Behördenakte) die Unterschrift unter einen entsprechenden Antrag (PEP-Antrag) verweigert hat. Sein Bevollmächtigter verteidigte in seinem Schreiben vom 7. September 2020 (Bl. 379 der Behördenakte) die Weigerung des Antragstellers, da dieser beim iranischen Generalkonsulat die Ausstellung eines Nationalpasses beantragt habe.
In der Rechtsprechung des Senats ist jedoch geklärt, dass ein Ausländer, der zwar eigeninitiativ bezüglich einer Passbeschaffung tätig geworden ist, sich gleichwohl nicht weigern darf, durch zumutbare Handlungen daneben an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken. Seine Mitwirkung muss sich neben dem eigenen Bemühen um einen Pass oder Passersatz auch auf die Beschaffung sonstiger Urkunden und Dokumente unabhängig vom Aussteller richten, sofern sie zu dem Zweck geeignet sind, die Ausländerbehörden bei der Umsetzung einer Rückführungsmöglichkeit zu unterstützen. Vom Betroffenen kann verlangt werden, es nicht bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und der Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Herkunftsstaates zu belassen, sondern er hat auch an der Ausstellung von Passersatzpapieren uneingeschränkt und gegebenenfalls parallel zu den eigenen Bemühungen mitzuwirken. Dies ist ihm auch zumutbar, weil von ihm keine von vornherein erkennbar aussichtslosen Handlungen verlangt werden; auch ist das Ansinnen der Ausländerbehörde nicht willkürlich, da sie über die eigene Passbeschaffungstätigkeit des Antragstellers keine Kontrolle hat und daher auch mit der Möglichkeit rechnen muss, dass die eigeninitiativen Tätigkeiten des Antragstellers letztlich nicht zur Ausstellung eines Nationalpasses führen (BayVGH, B.v. 2.5.2019 – 10 CE 19.273 – juris Rn. 5 u. 7; siehe auch BVerwG, U.v. 26.10.2010 – 1 C 18.09 – juris Rn. 22).
Aufgrund dieses Verhaltens hat die Ausländerbehörde aller Voraussicht nach zu Recht dem Antragsteller wegen seiner Weigerung, zumutbare Handlungen zur Erfüllung seiner Pflichten gemäß § 60b Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 AufenthG vorzunehmen, eine Duldung mit dem Zusatz “Duldung für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b Abs. 1 AufenthG)” ausgestellt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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