Verwaltungsrecht

Durchführung eines Asylfolgeverfahrens eines iranischen Asylbewerbers infolge der Konversion zum Christentum

Aktenzeichen  W 8 K 19.30160

Datum:
11.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 12608
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 51
AsylG § 3, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71

 

Leitsatz

1 Nach § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist ein weiteres Asylverfahren dann durchzuführen, wenn aufgrund der Änderung der Sach- oder Rechtslage eine andere Entscheidung möglich erscheint (vgl. VGH Mannheim BeckRS 2008, 39226). Hierfür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der nicht vor vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; mithin genügt die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG BeckRS 2000, 30099513). (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Auch bei sich prozesshaft entwickelnden Dauersachverhalten beginnt die Frist des § 51 Abs. 3 S. 2 VwVfG grundsätzlich mit der erstmaligen Kenntnisnahme von den für eine Wiederaufnahme maßgeblichen Umständen. Diese Frist kann nur dann erneut in Lauf gesetzt werden, wenn der Dauersachverhalt einen Qualitätsumschlag erfährt (BVerwGE 92, 278 = BeckRS 9998, 48998). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Nach Kenntnisstand des Auswärtigen Amts wird im Iran Apostasie, der Abfall vom Islam, erst angenommen, wenn der eigentliche Übertritt in eine dem Islam nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft vorgenommen wird. Im Fall christlicher Glaubensgemeinschaften ist für einen Apostasievorwurf die Taufe notwendig. (Rn. 18) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die theoretische Möglichkeit, dass ein formaler Taufakt aus asyltaktischen Gründen erfolgt sein könnte, rechtfertigt für sich die Nichtdurchführung eines Folgeverfahrens nicht. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 11. Januar 2019 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Die im Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – BVerwGE 157, 18) betreffend die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für … vom 11. Januar 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Beklagte zu Unrecht den Asylantrag des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt hat. Denn entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist ein Folgeverfahren nach § 71 AsylG durchzuführen.
Die Voraussetzungen des § 51 VwVfG i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG sind aufgrund der mittlerweile erfolgten Konversion des Klägers zum Christentum und seiner damit verbundenen Taufe und weiteren Aktivitäten gegeben.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG). Nach § 71 Abs. 2 AsylG hat der Ausländer den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamts zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet gewesen war. Schriftlich ist der Folgeantrag nur in den Fällen des § 71 Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG zu stellen. In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden (§ 71 Abs. 3 Satz 1 bis 3 AsylG).
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Ein weiteres Asylverfahren ist hiernach dann durchzuführen, wenn aufgrund der Änderung der Sach- oder Rechtslage eine andere Entscheidung möglich erscheint (VGH BW, U.v. 20.5.2008 – A 10 S 3032/07 – juris). Hierfür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – DVBl. 2000, 1048). Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist darüber hinaus ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstige Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Gemäß § 51 Abs. 3 VwVfG ist der Antrag binnen einer Frist von drei Monaten zu stellen, wobei die Frist gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat. Auch bei Dauersachverhalten ist grundsätzlich die erstmalige Kenntnisnahme von den Umständen für den Fristbeginn maßgeblich. Diese Frist kann nur dann erneut in Lauf gesetzt werden, wenn der Dauersachverhalt einen Qualitätsumschlag erfährt. Das Erfordernis, die Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG einzuhalten, gilt auch für sich prozesshaft entwickelnde dauerhafte Sachverhalte sowie Wiederaufgreifensgründe, die während des gerichtlichen Verfahrens auftreten (BVerwG, U.v. 13.5.1993 – 9 C 49/92 – BVerwGE 92, 278; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 71 Rn. 97 ff.; Fritz/Vormeier in Funke-Kaiser, GK-AsylG, Lfg. 113, 1.1.2017, § 71, Rn. 290). Unbilligkeiten aufgrund des Umstandes, dass bei sich prozesshaft entwickelnden dauerhaften Sachverhalten der Zeitpunkt, zu welchem ein Qualitätssprung stattfindet bzw. der Zeitpunkt, zu welchem der Sachverhalt Asylerheblichkeit erreicht, nur schwer feststellbar ist, lassen sich dadurch vermeiden, dass für die Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes ein Wiederaufgreifen bei Versäumung auch nach Ermessen möglich ist. Eine Nichtanwendung der Frist im Rahmen des AsylG auf derartige Sachverhalte würde jedoch dem gesetzgeberischen Willen widersprechen (vgl. BT-Drucks. 15/420, 109 f.).
Dem Kläger ist es gelungen, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 71 AsylG und § 51 VwVfG hinsichtlich seiner Konversion zum Christentum glaubhaft zu machen. Dem Kläger war insoweit ein Wiederaufgreifensgrund zuzuerkennen, weil sich die Sachlage geändert hat. Der Kläger hat zeitnah und damit rechtzeitig innerhalb der Drei-Monats-Frist seine Konversion zum Christentum und konkret seine Taufe vorgetragen. Gerade bei sich fließend entwickelnden dauerhaften Sachverhalten wie hier bei der Religionskonversion ist unter anderem maßgeblich auf die Taufe als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. Zwar ist aus der Sicht des iranischen Staates bei der Konversion vom Islam zum Christentum nicht auf einen einzigen förmlichen Akt abzustellen, sondern auf den nach außen getragenen Abfall vom Islam unter Hinwendung zu einer anderen Religion. Jedoch ist grundsätzlich erforderlich, die Lösung vom Islam nach außen zu manifestieren und zu verfestigen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der Betreffende sich nachhaltig und auf Dauer sowie nach außen hin erkennbar ernstlich vom moslemischen Glauben abgewandt hat (vgl. HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1389/09.A – Asylmagazin 2010, 120, veröffentlicht auch unter: https://www.asyl.net/rsdb/m16712/ bzw. https://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/dokumente/16712.pdf). Eine solche Manifestation ist die christliche Taufe. Auch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts wird im Iran Apostasie, der Abfall vom Islam, erst angenommen, wenn der eigentliche Übertritt in eine dem Islam nicht zurechenbare Glaubensgemeinschaft vorgenommen wird. Im Fall christlicher Glaubensgemeinschaften ist für einen Apostasievorwurf die Taufe notwendig (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Schwerin vom 25.8.2015). Der entscheidende Qualitätsumschwung ist mit der Taufe in Deutschland am 21. November 2018 eingetreten. Hinzu kommt der vom Kläger dargelegte Glaubenswandel. Der Kläger hat auch die konkreten Umstände, aus denen sich ein ernsthafter Glaubenswandel erkennen lässt, vorgetragen und insbesondere in der mündlichen Verhandlung am 11. Juni 2019 vertieft. Dass der Kläger nicht schon vorher gegenüber dem Bundesamt in gleicher Tiefe seine Gründe vorgetragen hat, liegt darin, dass er nur formblattmäßig zur Geltendmachung seiner Gründe aufgefordert worden ist, jedoch keinen Anhörungstermin erhalten hat. Das Fehlen eines weitergehenden substanziierten Sachvortrags beim Bundesamt kann deshalb im vorliegenden Verfahren nicht zu seinen Lasten gewertet werden.
Im Ergebnis hat der Kläger schlüssig seine Konversion vorgetragen. Dabei genügt – wie ausgeführt – schon die Möglichkeit einer günstigen Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe. Die theoretische Möglichkeit, dass auch nur ein formaler Taufakt aus asyltaktischen Gründen erfolgt sein könnten, rechtfertigt für sich nicht die Nichtdurchführung eines Folgeverfahrens. Die eigentliche Sachprüfung hat nicht auf der Zulässigkeitsstufe zu erfolgen, sondern im Folgeverfahren. Die Schlüssigkeit wird durch das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, auf das im Einzelnen verwiesen wird, zusätzlich belegt. Das Vorbringen zeigt, dass die Taufe nicht bloß einen formalen Akt darstellt, sondern auf der Basis einer mehrjährigen Entwicklung nicht nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen erfolgt ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung, die aus einer tiefen Überzeugung heraus in identitätsprägender Weise vollzogen wurde, wie auch die beiden Beistände des Klägers in der mündlichen Verhandlung verdeutlichten. In der Folge ist ein weiteres Verfahren (Folgeverfahren) durchzuführen und der Kläger erforderlichenfalls zu seiner Konversion seitens des Bundesamtes ergänzend anzuhören.
Nach alledem konnte der streitgegenständliche Bescheid keinen Bestand haben. Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben