Verwaltungsrecht

Durchführung eines weiteren Asylverfahrens – neuer Sachverhalt durch die Umtriebe des IS im Irak

Aktenzeichen  AN 6 K 15.30282

Datum:
4.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2
GG GG Art. 6
AsylG AsylG § 4 Abs. 1, § 26a, § 71
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 2, Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Erfolgloser Folgeantrag mangels nachtäglicher Änderung der Sach- und Rechtslage wegen der Verfolgung aufgrund einer behaupteten Konvertierung zum Christentum weder durch die kurdische oder die irakische Regierung noch durch nichtstaatliche Akteure. (redaktioneller Leitsatz)
2 Kein subsidiärer Schutz, da kein landesweiter innerstaatlicher Konflikt im Irak. (redaktioneller Leitsatz)
3. Keine extreme Gefahrenlage iSd § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG wegen nicht ausreichend diagnostizierter psychischer Probleme. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

Das Gericht konnte auch in Abwesenheit der Beklagten verhandeln und entscheiden, da mit der Ladung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage gegen den neuerlichen Folgeantrag vom 27. Januar 2015 ist zulässig, aber unbegründet. Die der ablehnenden Entscheidung zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage hat sich nicht nachträglich zugunsten des Klägers geändert (§ 51 Abs. 1 Ziff. 1 VwVfG).
Einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter hat der Kläger schon gemäß § 26 a AsylG nicht, da er über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist ist.
Von der Behauptung des Klägers im Verfahren, er werde sowohl von der kurdischen Regierung wie von der irakischen Regierung politisch verfolgt, hat sich das Gericht keine Überzeugungsgewissheit bilden können. Während seiner Anwesenheit in Deutschland hat der Kläger sowohl zu den Vorfällen während des Golfkrieges unterschiedliche Angaben gemacht und auch seine Behauptung, er werde von der kurdischen Regierung verfolgt, ist nicht glaubwürdig. So wurde bereits in früheren Urteilen darauf hingewiesen, dass die Behauptung des Klägers, er werde im Irak wegen Entziehung von der Wehrpflicht gesucht, unglaubwürdig ist, da der Irak keine Wehrpflicht kennt. Auch zu den Vorfällen nach seiner Verletzung im Golfkrieg hat der Kläger unterschiedliche Angaben gemacht. Zum einen behauptet er, er habe nach dem Ausheilen seiner Verletzung erneut zum Militär gemusst, andererseits behauptet er, er sei aus dem Krankenhaus geflohen, um nicht mehr zum Militär zu müssen. Diese Angaben sind widersprüchlich, so dass das Gericht sich keine Überzeugung über die tatsächlichen Geschehnisse bilden kann. Auch seine Behauptung, sein Vater sei umgebracht worden, da er lange Jahre für Saddam Hussein als Brückenbauingenieur gearbeitet habe, ist nicht schlüssig. Insbesondere lässt sich alleine daraus nicht ableiten, dass auch der Kläger politisch verfolgt werden sollte. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger zudem erklärt, dass zwei seiner Schwestern in … verheiratet seien und jetzt dort lebten. Auch dies zeigt, dass die kurdische Regierung jedenfalls nicht die gesamte Familie des Klägers verfolgt. Da er in der mündlichen Verhandlung, entgegen früherer Behauptungen, auch eingeräumt hat, dass er perfekt Kurdisch spricht, erscheint eine inländische Fluchtalternative jedenfalls im Nordirak gegeben. Dem stehen auch die vom Kläger ausgeführten homosexuellen Praktiken (Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht … im Jahre 2001) nicht entgegen, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft versichert hat, dass er nicht homosexuell sei.
Auch eine Konvertierung zum Christentum steht einer Rückkehr in den Irak nicht entgegen, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung versichert hat, dass eine Taufe bisher nicht stattgefunden habe, er lediglich manchmal zum Gottesdienst in christliche Kirchen gehe. Da der Kläger bereits im Jahre 2012 den Übertritt zum Christentum behauptet hat, eine Taufe aber immer noch nicht erfolgt ist, kann sich das Gericht nicht die Überzeugung bilden, dass der Kläger aus ernsthafter, fester innerer Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist und für ihn dessen Ausübung auch bei der anstehenden Rückkehr in den Irak eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat. Vielmehr spricht einiges dafür, dass die Behauptung lediglich die Abschiebung hinauszögern sollte.
Der Kläger kann sich auch nicht auf Art. 6 GG berufen, da ein Zusammenleben mit Mutter und Kind zur Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung nicht vorliegt und somit keine Lebensgemeinschaft, sondern allerhöchstens eine Begegnungsgemeinschaft vorliegt (vgl. BayVGH v. 31.1.1994 – 10 CS 93.2882 -).
Der Wunsch, Frau … zu heiraten, den der Kläger im gerichtlichen Verfahren vorgetragen hat, führt ebenfalls zu keiner anderen Bewertung, da nicht dargelegt wurde, dass die Verehelichung unmittelbar bevorsteht, vielmehr bisher an fehlenden Unterlagen des Klägers scheitert. Ungeklärt im Verfahren ist geblieben, wo der Kläger tatsächlich geboren wurde, es spricht einiges dafür, dass die Feststellung im neuen irakischen Reisepass aus dem Jahre 2015 zutreffend ist und damit … als Geburtsort angesehen werden muss. Dem stehen allerdings die Angaben in der Staatsbürgerschaftsurkunde und dem alten Reisepass aus dem Jahre 2012 entgegen.
Allerdings kommt es darauf entscheidungserheblich nicht an, zumal nunmehr geklärt ist, dass Schwestern des Klägers sich in … niedergelassen haben und der Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür geliefert hat, dass ihm dies nicht auch möglich sein sollte.
Dem steht auch nicht im Wege, dass der Kläger bei der letzten Abschiebung von der kurdischen Regierung zunächst verhaftet wurde, möglicherweise um den Zweck seines Aufenthalts und seine Identität festzustellen. Der Kläger wurde nach eigenen Angaben nicht dauerhaft festgehalten, sondern es wurde ihm der Grenzübertritt nach … ermöglicht. Da nach eigenen Angaben des Klägers Teile der Familie auch in … wohnen, ist dieser „Grenzübertritt“ verständlich, dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass der Kläger nicht auch beispielsweise nach … hätte gehen können.
Der für den Kläger infrage kommende Aufenthaltsort … im Irak ist unter Berücksichtigung der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (Stand: 9.12.2015) auch von den Kämpfen in den westlichen und südlichen Nachbarprovinzen nicht unmittelbar betroffen, wenn auch die Sicherheitslage weiterhin dort angespannt ist. Der Kläger kann sich daher auch nicht auf eine politische Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte berufen.
Allerdings besteht in weiten Teilen des Iraks seit Mitte 2014 eine Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure in Gestalt der IS. Allerdings ist nach den Erkenntnissen des Gerichts und des Auswärtigen Amtes (vgl. dort den Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 23.12.2014) die Provinz …, zu der … gehört, sowie die Provinz … davon nicht betroffen. Vielmehr leben dort in großer Anzahl Flüchtlinge, die vor den Umtrieben der IS geflohen sind. Dies hat zur Folge, dass der Kläger an den von ihm auch schon bewohnten Ort im Irak … zurückkehren kann, jedenfalls aber bei seinen Schwestern Zuflucht finden kann. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ist prognostisch auch in Zukunft mit einer politischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure dort nicht zu rechnen. Nach der Rückeroberung der Großstadt … aus den Händen der IS-Miliz durch das irakische Militär (Spiegel-online vom 28.12.2015) und einer Verminderung der dschihadistischen Kämpfer im Irak (Spiegel-online vom 5.2.2016) besteht derzeit keine Verfolgungswahrscheinlichkeit in …, das von der kurdischen Regionalregierung beherrscht wird.
Auch eine subsidiäre Schutzberechtigung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i. V. m. § 4 Abs. 1 AsylG ist nicht erkennbar. Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und dem das irakische Militär wenig entgegenzusetzen hat. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. Der Kläger muss daher dort nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil oder diesen Landesteilen aufhält.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass eine Prognose der derzeitigen Situation im Irak ergibt, dass in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak derzeit keine Verfolgungsgefahr für den Kläger besteht. Weder eine staatliche noch eine Verfolgungsgefahr durch nichtstaatliche Dritte. Auch insoweit ist daher keine nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers festzustellen.
Dies gilt auch im Hinblick auf nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 Auf-enthG liegen im Verfahren nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Auf eine allgemeine Gefahrenlage, der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, ausgesetzt ist, kann im Hinblick auf die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann gestützt werden, wenn es dem Kläger im Hinblick auf den verfassungsrechtlich unabdingbar gebotenen Schutz insbesondere des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht zuzumuten wäre, in sein Heimatland zurückzukehren. Das wäre vorliegend dann anzunehmen, wenn der Kläger im Falle einer Abschiebung in den Nordirak dort gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (Urteil des BVerwG vom 8.12.1998 – 9 C 4.98 -). Eine solche extreme Gefährdungslage für den Kläger ist jedoch nicht ersichtlich. Soweit er im Verfahren vorträgt, es existiere eine „schwarze Akte“, was heißen solle, dass seine Familie im Nordirak verfolgt würde, ist dies nicht glaubhaft. Dies schon deshalb da er in der mündlichen Verhandlung zugegeben hat, dass zwei seiner Schwestern dort verheiratet
leben. Der Behauptung, er sei von der kurdischen Regierung verfolgt, widerspricht auch seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung, dass er nach der Entlassung aus dem Krankenhaus (Verletzung beim Militär) mit der Familie in den Norden Iraks geflüchtet sei und sich im Bereich von … niedergelassen hat, da er sich dort besser vor dem irakischen Militär habe verstecken können. Auch nach der Abschiebung nach Deutschland im Jahre 2012 nach … ist es dem Kläger offenbar gelungen, den Nordirak zu verlassen und sich nach … zu begeben. Auch dieser Umstand zeigt, dass dem Kläger weder im Nordirak noch im Irak politische Verfolgung droht. Den Irak hat er dann erst wegen der Angriffe der IS in … verlassen und nach eigenen Angaben nicht etwa wegen politischer Verfolgung durch den irakischen Staat oder die kurdische Regierung. Somit ist festzustellen, dass der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. März 2015 zu Recht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt hat, da zwar ein neuer Sachverhalt durch die Umtriebe der IS im Irak vorliegt, dieser Sachverhalt aber wegen der inländischen Fluchtalternative im Nordirak keine Änderung zugunsten des Klägers darstellt. Auch die erstmals anlässlich einer Notfallaufnahme im Herzzentrum am 5. April 2015 diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung führt nicht zu einer extremen Gefährdungslage im Falle einer Abschiebung. Zunächst ist festzustellen, dass diese Diagnose nur nebenbei (Psychosomatisches Konsil) erfolgte und bei einer erneuten Behandlung im Herzzentrum … vom 12. April bis 14. April 2015 der Kläger nach Substitution mit Psychopharmaka rasch beschwerdefrei wurde und auf eigenen Wunsch entlassen wurde. Eine weitere Behandlung hat nach Aktenlage bis zur Entscheidung des Gerichts nicht stattgefunden, so dass eine Gefährdung nicht erkennbar ist.
Auch in Ziffer 2. erweist sich der Bescheid somit als rechtmäßig, da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nach wie vor nicht vorliegen, so dass eine Abänderung des Bescheides vom 18. Mai 2012 nicht veranlasst war.
Die Klage war abzuweisen, die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.


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