Verwaltungsrecht

Durchführung eines weiteren Asylverfahrens

Aktenzeichen  Au 2 K 19.31720

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 19825
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5
AsylG § 71
AsylVfG § 51 Abs. 1, § 51 Abs. 2, § 51 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Soweit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes sowie hilfsweise des subsidiären Schutzes gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
II.
Im Übrigen ist die Klage sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet. Der Bescheid vom 27. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
1. Die zuletzt noch als Anfechtungsklage im Hauptantrag aufrecht erhaltene Klage gegen den Bescheid vom 27. November 2019 hat keinen Erfolg. Der Folgeantrag der Kläger wurde zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Verfahren nicht durchzuführen ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist im Fall der Stellung eines erneuten Asylantrags nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags (Folgeantrag) ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Der Grundsatz der Rechtssicherheit steht der Durchbrechung der Bestandskraft anfechtbar gewordener Bescheide somit grundsätzlich entgegen. Ausnahmsweise kann ein Verfahren gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 VwVfG auf Antrag des Betroffenen wieder aufgegriffen werden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind. Der Asylfolgeantrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf geltend zu machen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Für jeden neuen Wiederaufgreifensgrund, der während eines bereits anhängigen Asylfolgeverfahrens eingetreten ist, läuft eine eigenständige Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 VwVfG. Einzelne neue Tatsachen, die lediglich zur Begründung nachgeschoben werden und einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren und deshalb keinen qualitativ neuen Wiederaufgreifensgrund darstellen, brauchen allerdings nicht innerhalb der Ausschlussfrist vorgetragen zu werden (BVerwG, B.v. 31.1.2011 – 10 B 26/10 – juris Rn. 6).
Aufgrund des Vortrags der Klägerin zu 1 hat sich die dem Bescheid vom 24. November 2016 zugrundeliegende Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die beim Bundesamt noch vorgetragene Blutrache (dort Niederschrift vom 28.3.2019 S. 5) an den Klägern zu 2 und 3 nicht geändert. Diesen Sachverhalt hat die Klägerin zu 1 bereits im Erstverfahren vorgetragen. Soweit nunmehr bei der informatorischen Anhörung vorgebracht wurde, der Onkel der beiden Kläger habe sie aufgefordert nach Hause zu kommen, damit geklärt werde, was dann mit den Klägern passiere, ist jedenfalls die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG versäumt, nach dem sich dies nach Angaben der Klägerin noch vor ihrer Ausreise in die Russische Föderation zugetragen hat, sie aber dennoch zunächst dorthin zurückgekehrt ist.
Aber auch soweit die Klägerin zu 1 nunmehr einen neuen Sachverhalt geltend macht und erklärt, ihre Brüder würden sie bei einer Rückkehr umbringen, weil sie in Tsch. unverheiratet mit einem Mann zusammengelebt habe, führt dies nicht zu einer Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Von Relevanz könnte dieser Vortrag ohne hin nur im Hinblick auf eine Gewährung zumindest subsidiären Schutzes für die Klägerin zu 1 sein, nicht aber für die Kläger zu 2 und 3, da diese nach eigenem Vortrag der Klägerin zu 1 von dieser angeblichen Bedrohung nicht erfasst sind.
Eine Änderung der Sachlage erfolgt zugunsten des Betroffenen, wenn sie eine für ihn günstigere Entscheidung erfordert oder ermöglicht. Dafür ist allerdings zunächst erforderlich ein schlüssiger Sachvortrag. Aufgrund der Darlegungs- und Mitwirkungspflicht des Asylbewerbers muss dieser in glaubhafter Weise nachprüfbare Einzelschilderungen darlegen, um seinen Vortrag hinreichend zu substantiieren (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 9. Auflage 2018, § 51 Rn. 91 ff.; BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rn. 30, 32 f.; BVerwG, U.v. 23.6.1987 – 9 C 251/86 – juris Rn. 8; U.v. 10.2.1998 – 9 C 28.97 – juris; U.v. 17.8.2011 – 6 C 9/10 – juris Rn. 55; U.v. 20.11.2018 – 1 C 23/17 – juris Rn. 13, 18). Die Schilderung ihrer außerehelichen Beziehung und die Behauptung, deswegen von ihren Brüdern mit dem Tod bedroht zu werden, ist unsubstantiiert und insgesamt nicht glaubhaft. Das Gericht schließt sich insoweit zunächst der Würdigung im streitgegenständlichen Bescheid (dort Seite 6, 2. Absatz) an und macht sich diese Ausführungen zu eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung ist die Einzelrichterin nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass der Vortrag der Klägerin zu 1 glaubhaft ist und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Die Widersprüchlichkeit beginnt schon damit, dass die Klägerin bei ihrer informatorischen Anhörung am 28. März 2019 angab, sie sei nach Hause gefahren, weil eine Bedrohungslage von Seiten des Onkels der Kinder bestanden habe, in der mündlichen Verhandlung führte die Klägerin nunmehr aus, sie sei ausgereist, weil ihre Mutter krank gewesen sei. Völlig unglaubhaft für das Gericht ist, dass der Bruder, der zur damaligen Zeit in … gelebt hat, sie lediglich am Telefon bedroht haben soll und nicht nach … gekommen ist. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, er sei nicht nach … gekommen, weil sie ja Angst vor ihm gehabt hätte. Dies widerspricht jeglicher Logik. Auch die Angabe, sie habe sich vor ihm bei ihrer Freundin versteckt, erscheint gesteigert, davon hat die Klägerin bei der informatorischen Anhörung nichts angegeben. Dort erklärte sie vielmehr, dass sie ihr damaliger Geliebter, bei dem sie gelebt habe, wieder nach Deutschland geschickt habe. Auch hinsichtlich der Zahl ihrer Brüder, die sie nunmehr angeblich alle bedrohen, bestehen erhebliche Diskrepanzen in ihrem Vortrag vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung. Beim Bundesamt gab die Klägerin an, sie habe zwei Brüder, die noch leben würden, in der mündlichen Verhandlung erklärte sie, sie habe noch drei lebende Brüder, und zwar in Tsch., Österreich und Finnland. Von einem Bruder in Finnland, der nunmehr auch gedroht haben soll, sie „abzustechen“, war vorher nicht die Rede, dies muss als gesteigerter und damit unglaubhafter Sachvortrag angesehen werden. Auch im Übrigen hat sich die Klägerin in der mündlichen Verhandlung in Widersprüche verwickelt. Während sie zunächst angab, sie sei nicht zu ihrer Schwester nach … gegangen, weil diese es den Brüdern weitergesagt hätte, wenn sie ihr erklärt hätte, dass sie heiraten wollten, erklärte die Klägerin im weiteren Verlauf der Verhandlung, dass sie ihrer Schwester gesagt habe, dass sie mit dem Mann zusammen sei und diese das dann ihrem Bruder erzählt habe. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr nur das Zusammenleben erzählt hat, oder auch davon, ob sie ihn heiraten wolle.
Auch bezüglich ihrer Kinder, der Kläger zu 2 und 3, wird das Geschehen nach der Rückkehr nach … nicht einheitlich dargestellt. Beim Bundesamt erklärte die Klägerin (dort Seite 3 der Niederschrift, Bl. 67 Bundesamtsakte), dass zunächst sie und ein paar Tage später auch die Kinder in die Wohnung des Geliebten gezogen seien. Nunmehr gab sie an, dass sich die Freundin um die Kinder gekümmert habe und die Kinder nur manchmal bei ihr gewesen seien.
Damit konnte die Klägerin zu 1 keine Änderung der Sachlage glaubhaft zu ihren Gunsten darlegen.
2. Der Hilfsantrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG ist nicht begründet.
Die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids vom 27. November 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der mit dem Asylfolgeantrag verbundene Wiederaufgreifensantrag (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG) auf Abänderung des Bescheids vom 24. November 2016 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten wurde zurecht abgelehnt. Die Kläger können keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG geltend machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend wird ausgeführt:
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass der Betroffene im Falle einer Rückkehr einer besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt wäre. Dies ist insbesondere auch dann der Fall, wenn es ihm nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632). Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass die von der Klägerin behauptete Bedrohung durch ihre Brüder, und insbesondere auch durch den nunmehr in … lebenden Bruder nicht besteht, kann die Klägerin mit ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, nach … zurückkehren. Auch ihre Schwester lebt dort, sodass sie bei ihrer Rückkehr in die Heimat im Familienverband Unterstützung finden können.
Zugunsten der Klägerin zu 1 besteht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen ihrer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ – 2.
Insoweit liegt zwar eine nach Bestandskraft des Erstbescheids eingetretene Änderung der Sachlage vor, da das diesbezügliche Attest vom 13. Juni 2018 datiert.
Eine erhebliche konkrete Gefahr die einer Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen entgegen steht, liegt jedoch nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dass die Klägerin zu 1 nunmehr wegen ihrer Zuckerkrankheit Insulin spritzen müsste, hat sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Ein den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprechendes Attest wurde nicht vorgelegt. Das einzig vorhandene Attest datiert nach wie vor vom 13. Juni 2018 und bestätigt lediglich die Erforderlichkeit einer medikamentösen Behandlung. Diese ist jedoch auch in der Russischen Föderation möglich, wie der Bescheid zutreffend ausführt. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung dort mit der hier in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 S. 4 AufenthG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 VwGO (Einstellung), im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben