Verwaltungsrecht

Einlegung der Berufung anstelle eines Antrags auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  12 B 17.2518

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3067
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1 Das unstatthafte Rechtsmittel der Berufung wahrt die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 S. 1 VwGO für den Antrag auf Zulassung der Berufung nicht. Da auch eine Umdeutung ausscheidet, fehlt es an einem fristgemäßen Antrag auf Zulassung der Berufung (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 46281). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es könnte nur vom Vorliegen eines Antrags auf Zulassung der Berufung ausgegangen werden, wenn der Rechtsmittelführer gleichsam nur versehentlich „Berufung“ eingelegt hat, sich aber aus den Gesamtumständen, etwa durch Bezeichnung und Darlegung von Zulassungsgründen innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 S. 1 VwGO ergibt, dass er sich lediglich im Ausdruck vergriffen hat (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 46281). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 15 K 15.5702 2017-07-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung (hilfsweise der Antrag auf Zulassung der Berufung) wird als unzulässig verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Kläger beansprucht im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft nach § 95 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom Beklagten die Leistung von Ausbildungsförderung unter Einschluss der Kosten der Unterbringung im Asthmazentrum B. für den Auszubildenden L.
1. Mit Urteil vom 27. Juli 2017 wies das Verwaltungsgericht München die auf die Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten gerichtet Klage als unbegründet ab. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Urteil wurde dem Kläger am 10. November 2017 zugestellt. Mit Telefax vom 4. Dezember 2017 legte dieser daraufhin „Berufung“ zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein und beantragte, „Ziffer 1 des Urteils vom 27.7.2017 aufzuheben, der Klage vom 17.12.2015 stattzugeben und dem Beklagten die Kosten beider Instanzen aufzuerlegen.“ Eine Begründung werde nachgereicht. Das Verwaltungsgericht München, bei dem der Berufungsantrag eingegangen war, leitete diesen als „Antrag auf Zulassung der Berufung“ an den Verwaltungsgerichtshof weiter.
Nachdem der Senat den Kläger mit Schreiben vom 27. Dezember 2017 auf den gesetzlichen Ausschluss des Rechtsmittels der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO hingewiesen und ihm zur Absicht des Senats, die „Berufung“ nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig zu verwerfen, Gelegenheit zur Äußerung gegeben hatte, teilte dieser mit Schriftsatz vom 11. Januar 2018 mit, dass er „versehentlich“ Berufung gegen das Urteil vom 27. Juli 2017 eingelegt habe. Entgegen der „versehentlich verwendeten Bezeichnung ‚Berufung‘“, habe er jedoch nicht Berufung einlegen, sondern einen Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 4 Satz 1 VwGO stellen wollen.
Entsprechend dem Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ könne dann vom Vorliegen eines Antrags auf Zulassung der Berufung ausgegangen werden, wenn der Rechtsmittelführer gleichsam versehentlich „Berufung“ eingelegt habe, und sich ferner aus den Gesamtumständen ergebe, dass er sich lediglich im Ausdruck vergriffen habe. Ebenfalls sei es nach dem Rechtsgrundsatz „falsa demonstratio non nocet“ für die Wirksamkeit einer „Erklärung“ unschädlich, wenn der Erklärende und der Erklärungsempfänger übereinstimmend dasselbe wollten, es aber lediglich falsch bezeichneten, solange der Erklärungsempfänger dies erkenne oder erkennen müsse. Im vorliegenden Fall habe der Erklärungsempfänger – das Bayerische Verwaltungsgericht München – den wirklichen Willen des Klägers erkannt, was sich daraus ableiten lasse, dass das eingelegte Rechtsmittel richtigerweise als Antrag auf Zulassung der Berufung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet worden sei. Auf die Gesamtumstände der Rechtsmitteleinlegung komme es daher nicht mehr an. Folglich sei der Antrag des Klägers vom 4. Dezember 2017 in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umzudeuten. Ferner machte der Kläger Ausführungen zum Vorliegen eines Zulassungsgrunds nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
2. Die Berufung des Klägers ist unzulässig.
2.1 Das vom Kläger mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017, beim Verwaltungsgericht München am 8. Dezember 2017 eingegangene Rechtsmittel der „Berufung“ ist mangels Zulassung durch das Verwaltungsgericht unzulässig (§ 124a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 VwGO). Auf das Erfordernis, zunächst die Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zu erwirken, ist der Kläger in der Rechtsbehelfsbelehrung:der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich hingewiesen worden. Die Berufung war folglich als unzulässig zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO; zu dieser Fallkonstellation vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2016 – 9 B 12.16 – juris; BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 12 B 13.2441 – Umdruck; B.v. 13.11.2017 – 12 B 17.2019 – juris).
Das unstatthafte Rechtsmittel der Berufung wahrt auch die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht und einen Antrag auf Zulassung der Berufung, der die Antragsfrist, die gemäß § 57 Abs. 2 VwGO am Tag der Zustellung der Entscheidung, dem 10. November 2017, zu laufen begann und gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 ff. BGB am Montag, den 11. Dezember 2017, ablief, allein hätte wahren können, hat der Kläger bis zu deren Ablauf nicht gestellt. Erst nach dem Hinweis des Senats auf die Unstatthaftigkeit der eingelegten „Berufung“ hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Januar 2017 die „Umdeutung“ seines Rechtsmittels beansprucht und einen Berufungszulassungsgrund geltend gemacht. Da eine Umdeutung im vorliegenden Fall indes ausscheidet (vgl. sub 2.2), fehlt es an einem fristgemäßen Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2016 – 9 B 12.16 – juris). Dieser Antrag ist deshalb – gleichsam hilfsweise – ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.
2.2 Zwar könnte entsprechend dem allgemeinen Rechtsgrundsatz „falsa demonstratio non nocet“ vom Vorliegen eines Antrags auf Zulassung der Berufung dann ausgegangen werden, wenn der Rechtsmittelführer gleichsam nur versehentlich „Berufung“ eingelegt hat, sich aber aus den Gesamtumständen, etwa durch Bezeichnung und Darlegung von Zulassungsgründen innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ergibt, dass er sich lediglich im Ausdruck vergriffen hat (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2016 – 9 B 12.16 – juris; B.v. 3.12.1998 – 1 B 110.98 – NVwZ 1999, 405).
Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Der Kläger, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die nach § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO wirksame Prozesshandlungen vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof nur durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten oder durch einen eigenen Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt vornehmen kann, hat mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 ausdrücklich „Berufung“ eingelegt und einen Berufungsantrag – Aufhebung des angefochtenen Urteils und antragsgemäße Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten – gestellt (vgl. zu dieser Konstellation BVerwG, B.v. 2.5.2016 – 9 B 12.16 – juris). Mithin lassen die Gesamtumstände der Rechtsmitteleinlegung eine „Umdeutung“ der „Berufung“ in einen Antrag auf Zulassung der Berufung nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht zu, zumal auch nicht innerhalb des Laufs der Antragsfrist „klargestellt“ wurde, dass es sich um einen Antrag auf Zulassung der Berufung handeln soll (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.8.2008 – 6 C 32.07 – NJW 2009, 162).
2.3 Soweit der Kläger, ebenfalls unter Berufung auf den Rechtsgrundsatz „falsa demonstratio non nocet“, im vorliegenden Fall die Gesamtumstände der Rechtsmittel-einlegung unberücksichtigt wissen will und zugleich darauf abstellt, das Verwaltungsgericht München habe als „Erklärungsempfänger“ erkannt, dass er lediglich „versehentlich“ Berufung eingelegt habe, in Wahrheit jedoch einen Antrag auf Zulassung der Berufung habe stellen wollen, was sich daraus ableite, dass es den Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 als Antrag auf Zulassung der Berufung an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet habe, sodass im Ergebnis das von Erklärendem und Erklärungsempfänger tatsächlich „Gewollte“, nämlich die Einreichung eines Antrags auf Zulassung der Berufung gelte, kann er damit nicht durchdringen. Denn das Verwaltungsgericht München ist nicht „Erklärungsempfänger“ seines Rechtsmittelantrags. Dem Verwaltungsgericht obliegt sowohl bei der Einlegung der Berufung wie auch bei Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung keine inhaltliche Prüfung und Einordnung des Rechtsmittels, sondern lediglich dessen Weiterleitung an das zuständige Rechtsmittelgericht, sodass der Bezeichnung auf dem Übermittlungsschreiben an den Verwaltungsgerichtshof – mag sie zutreffen oder nicht – keine rechtliche Relevanz zukommt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben.
4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 125 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO).


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