Verwaltungsrecht

Einstellung eines Asylverfahrens wegen Nichterscheinens zur Anhörung und Untertauchens

Aktenzeichen  M 23 K 16.33472

Datum:
5.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

Der Asylbewerber hat im Einzelfall gem. § 33 Abs. 2 S. 2 AsylG nachzuweisen, dass die Unauffindbarkeit auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte. Das Bundesamt ist grundsätzlich nicht gehalten, aktiv Nachforschungen nach dem aktuellen Aufenthalt zu betreiben. Hat das Bundesamt allerdings anderweitig Kenntnis vom neuen Wohnort des Ausländers erlangt, kann nicht (mehr) von einer Unauffindbarkeit die Rede sein. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wir der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom … September 2016 aufgehoben.
II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Gegenseite vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Durch die Zustimmung der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat im Umfang des Urteilsausspruchs Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung bezieht sich das Gericht auf die Gründe II. des Beschlusses vom 30. November 2016 im Verfahren M 23 S. 16.33473. Danach liegt keine ordnungsgemäße Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG vor, sodass das Asylverfahren nicht wegen Nichterscheinens zur Anhörung nach § 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG hätte eingestellt werden dürfen.
Im Übrigen führt das Gericht aus:
Ebenso wenig hätte das Asylverfahren – wie das Bundesamt ausweislich der Bescheidsbegründung meint – wegen Untertauchens nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG eingestellt werden dürfen. Untergetaucht ist der Ausländer, wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist (BT-Drs. 18/7538, 17). Im Ausgangspunkt obliegt es dem Ausländer, im Einzelfall gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nachzuweisen, dass die Unauffindbarkeit auf Umständen beruht, auf die er keinen Einfluss hatte. Das Bundesamt ist grundsätzlich nicht gehalten, aktiv Nachforschungen nach dem aktuellen Aufenthalt zu betreiben (BeckOK Ausländerrecht, 15. Edition, Stand: 1.8.2017, § 33 Rn. 21). Hat das Bundesamt allerdings anderweitig Kenntnis vom neuen Wohnort des Ausländers erlangt, kann nicht (mehr) von einer Unauffindbarkeit die Rede sein (VG Augsburg, U.v. 10.3.2017 – Au 4 K 17.30601, juris Rn. 27). Gleiches gilt, wenn vor Erlass des Bescheids ernstlich begründete Zweifel am Untertauchen bestehen und das Bundesamt durch einfachste Nachforschung den aktuellen Aufenthaltsort hätte ermitteln können, dies aber unterlässt.
Vorliegend war das Bundesamt angesichts der Umstände des Einzelfalls gehalten, ein Untertauchen zu hinterfragen und Nachforschungen zum aktuellen Aufenthaltsort des Klägers bei den zuständigen Stellen anzustrengen.
Wie die Auskünfte der Regierung von Oberbayern sowie der aktuelle Auszug aus dem Ausländerzentralregister zeigen war der Kläger zu keinem Zeitpunkt wirksam einer Unterkunft in Weilheim Schongau zugewiesen und auch zu keinem Zeitpunkt als unbekannt verzogen gemeldet. Zwar hat das Landratsamt Weilheim-Schongau den Kläger gegenüber dem Bundesamt mit Schreiben vom 22. März 2016 als unbekannt verzogen gemeldet. Auf diese Meldung hätte das Bundesamt jedoch nicht schlicht vertrauen dürfen. Schließlich war dieser Meldung der Zusatz beigefügt, dass sich diese Erkenntnis aus der Nichtbefolgung der Zuweisungsentscheidung zum
10. Juni 2015 ergebe. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Bundesamt ausweislich des Schreibens der Regierung von Oberbayern vom 16. September 2015 aber bereits Kenntnis von der Stornierung der Zuweisungsentscheidung zum Landkreis Weilheim-Schongau. Damit war bereits aus dem Akteninhalt offensichtlich, dass der Kläger weder im Bundesgebiet untergetaucht war noch dieses freiwillig verlassen hat mit der Folge, dass die die Zweifel am Fortbestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses begründenden Umstände entfallen waren (vgl. VG Düsseldorf, E.v. 2.5.1994 – 25 K 4061/93.A – juris Rn. 37). Dies hat das Bundesamt auch offensichtlich erkannt. Schließlich ist der Bescheid folgerichtig an die richtige – dem Rubrum entsprechende – Anschrift versandt worden, wenngleich der Bescheid unverständlicherweise selbst die falsche Adresse aufweist. Das Bundesamt hat damit kundgetan, dass es selbst nicht von der Richtigkeit der Anschrift in Weilheim-Schongau ausging.
Zudem hat der Kläger unverzüglich – das heißt ohne jedes schuldhafte Zögern – nachgewiesen, dass das vom Bundesamt (fälschlicherweise) angenommene Untertauchen auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte,
§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Erstmalig mit Erhalt des Bescheids hat der Kläger davon erfahren, dass er nach Ansicht des Bundesamts als untergetaucht gelte. Dem ist der Kläger mit Klageerhebung unter Verweis darauf, dass er stets unter den in der Klagebegründung angegebenen Anschriften wohnhaft war, entgegengetreten. Damit hat der Kläger nachgewiesen, dass für die (fehlerhafte, s.o.) Annahme des Untertauchens äußere Umstände ursächlich waren, die er nicht hat beeinflussen können. Dem Kläger ist es auch nicht vorzuhalten, dass er sich hierzu erst mit der Klageerhebung geäußert hat. Wie bereits geschildert hatte der Kläger frühestens mit Erhalt des Bescheids Kenntnis von den zu widerlegenden Umständen. Mit der Zuhilfenahme seines Prozessbevollmächtigten und der Klarstellung mit der Klageerhebung innerhalb von elf Tagen nach der Bekanntgabe des Bescheids hat sich der Kläger der gebotenen Sorgfalt entsprechend verhalten. Ihm kann nicht ernsthaft vorgeworfen werden, dass er sich hierzu zunächst anwaltlichen Rat eingeholt hat und dementsprechend Zeit verstrichen ist, die noch nicht mal die Klagefrist ausschöpft.
Somit war der Anfechtungsklage stattzugeben. Das Asylverfahren ist demnach fortzusetzen.
Im Übrigen war die Klage hingegen abzuweisen. Der Kläger kann nicht zulässigerweise Verpflichtungsklage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erheben, da das Gericht gehindert ist, mit der Aufhebung der nach § 33 AsylG getroffenen Entscheidung zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf materielle Schutzgewährung zu entscheiden. Die Sachentscheidung ist vielmehr nach den Regelungen des Asylgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten (BVerwG U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13, juris; VGH München U.v. 9.10.2014 – 20 B 13.30332, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und bemisst sich am Umfang des jeweiligen Unterliegens. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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