Verwaltungsrecht

einstweilige Sicherstellung von Schutzobjekten, Voraussetzungen von § 22 Abs. 3 BNatSchG

Aktenzeichen  W 4 S 21.1460

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40163
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BNatSchG § 22
BayNatSchG Art. 54
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vom Antragsgegner angeordneten einstweiligen Sicherstellung einer Traubeneiche.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks … … … in K* …, welches direkt an das Grundstück … … …, K* …, angrenzt. Auf dem letztgenannten Grundstück, das im Eigentum der Beigeladenen steht, befindet sich eine Traubeneiche.
Mit E-Mail vom 5. Juni 2021 bat die Beigeladene die Untere Naturschutzbehörde beim Landratsamt Aschaffenburg um Prüfung, ob die auf ihrem Grundstück stehende Traubeneiche als Naturdenkmal ausgewiesen werden könne.
Am 29. Juni 2021 fand daraufhin eine Ortseinsicht durch den Biodiversitätsberater statt. Dabei wurde die Lage des Grundstücks und die Traubeneiche begutachtet. Der Biodiversitätsberater stellte fest, dass aufgrund der exponierten Lage am Hang die Traubeneiche weithin einsehbar sei, sehr markant sei und einen ortsbildprägenden Charakter habe. Eine Ausweisung als Naturdenkmal aufgrund der Eigenart und Schönheit sei aus fachlicher Sicht sinnvoll und werde befürwortet. Durch eine Ausweisung als Naturdenkmal könne der Baum langfristig gesichert und erhalten werden.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 13. Oktober 2021 stellte der Antragsgegner die Traubeneiche daraufhin bis zum Abschluss des Unterschutzstellungsverfahrens zum Naturdenkmal, längstens jedoch bis zwei Jahre nach Zustellung des Bescheids, einstweilig sicher (Ziffer 1). Im sichergestellten Bereich sei es verboten, ohne Genehmigung der Unteren Naturschutzbehörde die Traubeneiche zu beseitigen, zu beschädigen, zu zerstören oder zu verändern (Ziffer 2). Für die Ziffern 1 und 2 wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 3). In Ziffer 4 wurde des Weiteren angeordnet, dass für den Fall, dass gegen Ziffer 2 des Bescheids verstoßen werde, ein Zwangsgeld in Höhe von 40.000,00 EUR bei einer Beseitigung oder Zerstörung des Naturdenkmals zur Zahlung fällig werde, ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR bei einer Beschädigung oder Veränderung des Naturdenkmals (Ziffer 4).
Mit Schriftsatz vom 15. November 2021 erhob der Antragsteller Klage, die beim Verwaltungsgericht Würzburg unter dem Az. W 4 K 21.1459 geführt wird und über die noch nicht entschieden wurde. Des Weiteren beantragte der Antragstellervertreter im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 13. Oktober 2021 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 23. November 2021, den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in den Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts Aschaffenburg vom 13. Oktober 2021 getroffenen Anordnungen entfällt, weil das Landratsamt in Ziffer 3 des Bescheids die unter den Ziffern 1 und 2 getroffenen Anordnungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat. In diesem Fall kann das Gericht der Hauptsache nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
Soweit der Antrag gegen die in Ziffer 4 des Bescheids vom 13. Oktober 2021 verfügten Zwangsgeldandrohungen gerichtet ist, ist er, bei wohlwollender Auslegung durch die Kammer, ebenfalls zulässig und insbesondere statthaft. Denn gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG entfaltet die Klage gegen die Zwangsgeldandrohung keine aufschiebende Wirkung. Gemäß Art. 21a Satz 2 VwZVG gelten § 80 Abs. 4, 5, 7 und 8 der VwGO entsprechend. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 13. Oktober 2021 hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Anordnung ist gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Hierbei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl 1988, 369, Schmidt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 68). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung offen, ist das Vollzugsinteresse gegen das Suspensivinteresse unabhängig von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs abzuwägen.
Vorliegend bestehen zunächst keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet.
Die Begründung des Sofortvollzugs erfordert besondere, auf den Einzelfall bezogene, konkrete Gründe, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (Schmidt in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 43). In diesem Sinne ist eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht ausreichend. Allerdings dürfen andererseits auch keine allzu hohen Anforderungen an die Begründung gestellt werden (Schmidt in Eyermann, VwGO, a.a.O., § 80 Rn. 43). Die Begründungspflicht soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl 1999, 465).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat das Landratsamt vorliegend in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit besteht, da die Gefahr existiere, dass die Vitalität der Traubeneiche durch nicht fachgemäß ausgeführte Rückschnitte gefährdet werde, wodurch der Baum seine Schutzwürdigkeit verliere und die geplante Ausweisung als Naturdenkmal nicht mehr möglich sei.
Des Weiteren sind die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen die in Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 13. Oktober 2021 ausgesprochenen Anordnungen äußerst gering. Es spricht sehr viel dafür, dass die in den Ziffern 1 und 2 getroffenen Regelungen formell und materiell rechtmäßig sind und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach summarischer Überprüfung findet die streitgegenständliche einstweilige Sicherstellungsanordnung, ebenso wie die Verbotsanordnung ihre Rechtsgrundlage in Art. 54 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 BayNatSchG i.V.m. § 22 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG.
Nach § 22 Abs. 3 BNatSchG können durch die zuständige Behörde Teile von Natur und Landschaft, deren Schutz beabsichtigt ist, für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren einstweilig sichergestellt werden, wenn zu befürchten ist, dass durch Veränderungen oder Störungen der beabsichtige Schutzzweck gefährdet wird. Die einstweilige Sicherstellung kann einmalig bis zu weiteren zwei Jahren verlängert werden. In dem einstweilig sichergestellten Teil von Natur und Landschaft sind Handlungen und Maßnahmen nach Maßgabe der Sicherstellungserklärung verboten, die geeignet sind, den Schutzgegenstand nachteilig zu verändern.
Wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 22 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG ergibt, ist es das Ziel einer einstweiligen Sicherstellung, zu verhindern, dass im Vorfeld einer beabsichtigten Unterschutzstellung zu Lasten des Naturschutzes vollendete Tatsachen geschaffen werden und dass der mit einer eventuell in Betracht zu ziehenden endgültigen Unterschutzstellung verfolgte Schutzzweck nicht bzw. nicht mehr sinnvoll erreicht werden kann. Aufgrund dieses vorläufigen Charakters kann bei einer einstweiligen Sicherstellung weder eine abschließende Prüfung der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit noch eine umfassende Prüfung und Abwägung sämtlicher für bzw. gegen eine Unterschutzstellung sprechender Belange gefordert werden, zumal das hierfür benötigte Abwägungsmaterial erst im Verfahren für die endgültige Unterschutzstellung gesammelt und bewertet werden kann (vgl. OVG Schleswig, B.v. 27.10.2017 – 1 M R 4/17 Rn. 68 – juris). Insoweit setzt die Anordnung einer einstweiligen Sicherstellung daher lediglich voraus, dass der in Rede stehende Schutzgegenstand bei einer summarischen, fachlichen Einschätzung eventuell für eine endgültige Unterschutzstellung in Betracht kommen könnte (vgl. OVG Greifswald, U.v. 18.7.2001 – 4 K 15/00 – juris). Mit anderen Worten: Bei der Entscheidung nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG gilt ein abgesenkter Prüfungsmaßstab für Anlass und Rechtfertigung. Die „Gefährdung“ i.S.v. § 22 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG des beabsichtigten Schutzzwecks ist schon dann zu befürchten, wenn der sichergestellte Bereich nach dem Ergebnis einer überschlägigen, fachlichen Bewertung für eine Unterschutzstellung in Betracht kommt und eine abstrakte Gefährdung des Bereichs durch die verbotenen Handlungen angenommen werden kann (vgl. OVG NRW, U.v. 13.12.2007 – 8 A 2810/04 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2003 – 5 S 2299/01 – NuR 2003, 627).
Die einstweilige Sicherstellung kann und soll somit die Formulierung und Konkretisierung der Schutzkriterien gerade nicht vorwegnehmen. Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Unterschutzstellung müssen zum Zeitpunkt der Anordnung der Sicherstellung noch nicht vorliegen. Eine abschließende Prüfung, wie sie der Antragstellervertreter vorliegend fordert, der Schutzwürdigkeit des betroffenen potenziellen Naturdenkmals nach Maßgabe von § 28 BNatSchG ist daher nicht erforderlich.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen hat die Kammer keine Bedenken im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der in den Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids angeordneten Maßnahmen. Der Antragsgegner hat substantiiert dargelegt, dass er beabsichtige, die Traubeneiche unter Schutz zu stellen, da sie aufgrund der Größe, des Alters und ihres markanten Standortes (ortsbildprägende Funktion) die Schutzwürdigkeitskriterien für ein Naturdenkmal nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG erfülle. Laut der Stellungnahme des Biodiversitätsberaters weist die Traubeneiche eine ausladende, typische Krone mit einem Kronendurchmesser von ca. 20 bis 25 m auf. Aufgrund der guten Standortbedingungen wird das Alter des Baumes auf ca. 80 bis 100 Jahre geschätzt. Das direkte Stammumfeld ist aus Sicht der Baumgesundheit in einem sehr guten Zustand, da kaum Versiegelungen oder andere Beeinträchtigungen vorliegen.
Der Antragsgegner hat des Weiteren substantiiert nachgewiesen, dass die Befürchtung bestehe, dass durch Veränderungen oder Störungen der beabsichtige Schutzzweck gefährdet werde. Er hat in diesem Zusammenhang dargelegt, dass die Gefahr bestehe, dass der Baum durch die angedachte Beseitigung des Überhangs durch den Antragsteller gefährdet sei. Es bestehe die Gefahr, dass der Antragsteller aufgrund eines Selbsthilferechts die Traubeneiche stark zurückschneiden werde. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen, wonach lediglich eine abstrakte Gefährdung der Schutzgüter (vgl. Gellermann in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 22 BNatSchG, Rn. 26) genügt, hat die Kammer keine Bedenken, dass auch insoweit die Voraussetzungen von § 22 Abs. 3 BNatSchG gegeben sind.
Keine Bedenken hat die Kammer schließlich im Hinblick auf die vom Antragsgegner angestellten Ermessenserwägungen. Die von ihr durchgeführte Abwägung zwischen dem Eigentumsgrundrecht des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse an der Sicherstellung der Traubeneiche ist nicht zu beanstanden.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Antragstellervertreters. Soweit er in seinen Schriftsätzen wiederholend den ortsbildprägenden Charakter des Baumes bestreitet bzw. die exponierte Lage und die Schönheit der Eiche, sei auf die obigen Ausführungen hingewiesen. Danach kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Antragstellervertreters an, sondern allein darauf, ob das Objekt bei summarischer Betrachtungsweise für die zuständige Naturschutzbehörde den Eindruck vermittelt, dass der Baum schutzwürdig sein könnte.
Auch der Vortrag, in der Vergangenheit sei bereits ein sehr großer Ast herabgefallen und mehrere kleine Äste, so dass die Gefahr bestehe, dass die Gesundheit und das Leben des Antragstellers in Gefahr seien, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Zu Recht weist der Antragsgegner darauf hin, dass die einstweilige Sicherstellung die Beigeladene nicht von der Ausübung ihrer Verkehrssicherungspflicht entbindet.
Da die Kammer auch keine Bedenken hat im Hinblick auf die in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Zwangsgeldandrohung, ist der insoweit gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ebenfalls unbegründet.
Nach alldem ist der Antrag vollumfänglich abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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