Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz, Bewährungsduldung, Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung

Aktenzeichen  W 7 E 21.898

Datum:
22.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30628
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahr 2003 im Alter von fünf Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2018 wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Auf den Inhalt dieses Bescheides wird Bezug genommen. Die hiergegen erhobene Klage (Az.: W 7 K 18.1153) nahm der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019 zurück. Auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019 wird verwiesen.
Aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Bamberg vom 8. März 2019 befand sich der Antragsteller seit 7. Mai 2019 im Maßregelvollzug in der R. M. Klinik für Forensische Psychiatrie in L. Mit Beschluss des Amtsgerichts Gemünden am Main vom 22. April 2021 wurde die weitere Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil vom 8. März 2019 zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Bewährung und der Führungsaufsicht wurde auf fünf Jahre festgesetzt. Auf die Gründe dieses Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit E-Mail seines Bevollmächtigten vom 9. April 2021 ließ der Kläger bei der Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken (ZAB) – „die Prüfung und Entscheidung über eine Bewährungsduldung aufgrund der Prognosen im Straf- und Maßregelvollzug gemäß Vereinbarung in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019“ beantragen. Mit E-Mail vom 4. Mai 2021 wurde an die Prüfung der Bewährungsduldung erinnert.
Mit Bescheid der ZAB vom 15. Juni 2021 wurde der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 40 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen (Ziffer 1). Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in die Türkei angedroht (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 dieses Bescheides wurde angeordnet (Ziffer 3). Auf den Inhalt dieses Bescheides wird Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10. Juni 2021, bei Gericht eingegangen am 18. Juni 2021, Klage erheben (Az.: W 7 K 21.818) und beantragen, den Antragsgegner unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2021 zu verpflichten, dem Antragsteller eine Bewährungsduldung zu erteilen, hilfsweise, über den Antrag auf Erteilung einer Bewährungsduldung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Den gleichzeitig gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021, bei Gericht eingegangen am 7. Juli 2021, zurück. Mit Beschluss vom 8. Juli 2021 wurde dieses Verfahren (Az: W 7 S 21.819) eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2021, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beantragen,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund der rechtskräftigen Ausweisungsverfügung vom 20. Juli 2018 vollziehbar ausreisepflichtig und nach Ablauf der 14-Tagesfrist akut von Abschiebung bedroht sei, so dass ein Anordnungsgrund gegeben sei. Der Anordnungsanspruch folge daraus, dass die Ausländerbehörde pflichtwidrig davon abgesehen habe, über den Antrag auf Erteilung einer Bewährungsduldung zu entscheiden.
Der Antragsgegner beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antrag jedenfalls unbegründet sei, da der Antragsteller sich nicht auf einen Duldungsgrund berufen könne. Insbesondere die seitens des Antragstellers angesprochene Rückfallwahrscheinlichkeit hinsichtlich der Begehung rechtswidriger Taten sei unerheblich; der Antragsteller sei bereits bestandskräftig ausgewiesen. Die Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers setze kein Ausweisungsinteresse voraus. Weitere Duldungsgründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt, auch in dem Verfahren W 7 K 18.1153, W 7 S 21.819, W 7 K 21.818 und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist demnach das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Ein Anordnungsanspruch liegt jedoch nicht vor. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Aufgrund des bestandkräftigen Ausweisungsbescheides vom 20. Juli 2018 ist der Antragsteller ausreisepflichtig. Eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit im Sinne dieser Vorschrift wird von der Antragstellerseite auch nicht geltend gemacht.
Allerdings hat der Antragsteller einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine sog. Bewährungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Zwar stellt das Bestreben des Antragstellers, seine im Maßregelvollzug begonnene Suchttherapie in Deutschland zu Ende zu bringen, keinen dringenden humanitären oder persönlichen Grund in diesem Sinne dar. Die Möglichkeit der Erteilung einer Bewährungsduldung war jedoch explizit Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019, wie sich aus dem zugehörigen Protokoll ergibt. Zwar wurde von der Antragsgegnerseite keine Zusicherung dahingehend getroffen, dass dem Kläger nach Abschluss des Maßregelvollzugs eine entsprechende Duldung erteilt werde; die Antragsgegnerseite hat jedoch erklärt, über eine solche Bewährungsduldung (nach pflichtgemäßem Ermessen) zu entscheiden, woraufhin letztendlich die Klage im Verfahren W 7 K 18.1153 zurückgenommen wurde. Unabhängig davon ergibt sich eine solche Verpflichtung schon aus dem Wortlaut des Gesetzes; ein expliziter Antrag auf eine solche Entscheidung wurde jedenfalls spätestens mit E-Mail des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 9. April 2021 gestellt.
Nach Auffassung der Kammer ist eine Entscheidung über die Erteilung einer Bewährungsduldung jedoch mit Schriftsatz vom 29. Juni 2021 im Verfahren W 7 S 21.819 ergangen. Auch wenn es sich hierbei nicht um einen formellen Bescheid mit Rechtsmittelbelehrunghandelt, so ist der effektive Rechtsschutz des Antragstellers jedenfalls dadurch gewahrt, dass ihm aufgrund der Vorschrift des § 58 Abs. 2 VwGO die Jahresfrist offensteht, um seinen eventuell bestehenden Anspruch durchzusetzen.
Die im Schriftsatz vom 29. Juni 2021 getroffene Ermessensentscheidung des Antragsgegners ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. § 114 VwGO). Sie enthält eine Würdigung der Umstände seit der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2019 und berücksichtigt auch, dass der Antragsteller nunmehr aus dem Maßregelvollzug entlassen wurde. Es bestehen in diesem Zusammenhang auch keine Bedenken, dass die Straffälligkeit des Klägers in der Haft (vor der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019) berücksichtigt wurde, da die daraus folgende Verurteilung zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte (Urteil des AG Bamberg vom 10.3.2020 i.V.m. Urteil des LG Bamberg vom 21.10.2020). Darüber hinaus wurde berücksichtigt, dass es im Maßregelvollzug zu einem Suchtmittelrückfall des Antragstellers im Juni 2019 gekommen ist und des Weiteren im Beschluss des Amtsgerichts Gemünden vom 22. April 2021 die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre festgesetzt wurde und dem Antragsteller zur Auflage gemacht wurde, sich innerhalb von zwei Wochen nach der Entlassung bei der forensischen Ambulanz des Bezirkskrankenhauses L. am Main vorzustellen, also seine begonnene Therapie fortzusetzen. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass daraus der Schluss gezogen wurde, dass nach wie vor eine Gefahr vom Antragsteller ausgeht und die Bewährungszeit gerade dazu dienen soll, dass sich der Antragsteller bewährt und mit Unterstützungen und der Aufsicht sich neu gefestigte Strukturen in Freiheit aufbaut.
Etwaige Anhaltspunkte dahingehend, dass der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland nunmehr über weitere als die bereits im Ausweisungsbescheid beschriebenen familiären Beziehungen verfügt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich, noch weitere besondere Umstände, die sich nach der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2019 oder seit der Entlassung aus dem Maßregelvollzug ergeben haben. Es erscheint daher nicht rechtsfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerseite die vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr von weiteren Straftaten in den Vordergrund stellt. Die Ermessensentscheidung ist damit rechtlich nicht zu beanstanden.
Nachdem schon keine Ermessenfehler ersichtlich sind, liegt erst recht keine Ermessensreduzierung auf Null vor, was jedoch für die Annahme eines Anordnungsanspruchs im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO erforderlich wäre.
Nach alldem war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung im Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO), wie sich aus vorstehenden Gründen ergibt.


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