Verwaltungsrecht

Einzelfall einer unbegründeten Asylklage

Aktenzeichen  Au 6 K 17.30859

Datum:
21.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10644
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 26 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG, wonach die Ehe schon im Verfolgerstaat „bestanden“ haben muss, setzt voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft im Verfolgerstaat tatsächlich bestanden hat.  (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Auf die Klage hin wird Ziffer 6 des Bescheids des …vom 9. Februar 2017 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen neu zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens sieben Achtel zu tragen; die Beklagte ein Achtel.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger abwenden, wenn dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur in geringem Umfang begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder § 26 AsylG sowie auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 9. Februar 2017 ist daher – bis auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort nieder lässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
a) Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er den Libanon aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat.
Die Äußerungen des Klägers hierzu sind äußerst vage, pauschal und detailarm. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt trug er lediglich vor, er habe Probleme mit der Hisbollah und anderen Gruppierungen gehabt; man habe von ihm verlangt, in Syrien zu kämpfen und deswegen auch sein Auto angezündet. Konkretere Angaben hinsichtlich Zeit, Ort, beteiligten Personen und Ablauf der Ereignisse machte der Kläger nicht. Einzelheiten fehlen völlig. Zudem führte er aus, seine Schwester sei behindert, sitze im Rollstuhl, habe einen Nervenzusammenbruch erlitten und sei schließlich von ihrem Ehemann verlassen worden; er habe etwas für seine Schwester tun wollen. Auch in der mündlichen Verhandlung blieben seine Angaben gänzlich pauschal. Der Kläger führte auch auf Nachfrage lediglich aus, er habe Probleme mit der Hisbollah gehabt, habe deswegen für einige Zeit seine Schwester in … besucht und als er zurück nach … gekommen sei, habe er festgestellt, dass sein Auto angezündet worden sei. Er glaube, dass Mitglieder der Hisbollah das Auto angezündet hätten. Die Hisbollah habe gewollt, dass er für sie arbeite. Es gebe in den Flüchtlingslagern für Palästinenser viele kriminelle Gruppierungen und Konflikte dieser Gruppierungen untereinander; darüber gebe es auch Videos und Handyaufnahmen. Er selbst sei auf diesen Videos nicht zu sehen und bei den entsprechenden Vorfällen auch nicht anwesend gewesen. Ein guter Freund habe für die Hisbollah gearbeitet und sei in Syrien gestorben. Weitere Angaben machte der Kläger nicht; insbesondere Beschimpfungen und Schläge durch Mitglieder der Hisbollah erwähnte der Kläger nicht mehr. Mangels Angabe genauer Einzelheiten ist der Vortrag des Klägers nicht glaubhaft. Im Zusammenhang mit seiner Aussage, etwas für seine kranke Schwester habe tun zu wollen, ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, dass der Kläger aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik eingereist ist.
b) Selbst wenn – wie nicht – der Kläger durch Mitglieder der Hisbollah verfolgt worden sein sollte, sind ihm jedoch sowohl Beirut und als auch andere Landesteile wie beispielsweise Tripoli als innerstaatliche Fluchtalternativen nach § 3e AsylG zumutbar.
Zwar hätten nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2018, der zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, staatliche Institutionen nicht in allen Landesteilen uneingeschränkten Zugriff, insbesondere nicht in den palästinensischen Flüchtlingslagern sowie in den Grenzregionen zu Syrien (Lagebericht vom 1.3.2018, S. 18). Die Hisbollah sei insbesondere in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes sowie in den südlichen Vororten von …Beirut präsent und übe Druck auf die staatlichen Institutionen aus. Verfolgung durch nicht-staatliche Akteure könne jedoch in der Regel durch Verlegung des Wohnorts außerhalb des Einflussbereichs dieser Akteure umgangen werden. So sei beispielsweise der Einfluss der Hisbollah im christlichen Kerngebiet des Mont Liban oder im sunnitischen Tripoli sehr gering (Lagebericht vom 1.3.2018, S. 18).
Der Kläger trug sowohl bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vor, wegen seiner Probleme mit der Hisbollah für ein paar Monate nach … zu seiner Schwester gezogen zu sein, wo ihn die Hisbollah nicht gefunden habe. Damit hat er selbst vorgetragen, dass … für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative darstellt. Auf Frage des Bundesamts, warum der Kläger nicht dauerhaft in eine andere Stadt, z.B., umgezogen sei, gab der Kläger an, er sei in … geboren und wolle sich dort aufhalten. Insoweit wäre dem Kläger jedoch ein Umzug in einen anderen, nicht im Einflussbereich der Hisbollah liegenden Landesteil zumutbar; dass er sich in … als seiner Geburtsstadt aufhalten will, ist insoweit unbeachtlich und angesichts seiner Ausreise in die Bundesrepublik auch unglaubhaft.
Dem Kläger ist ein Umzug nach Beirut oder in einen anderen Landesteil auch wirtschaftlich zumutbar. Ausweislich einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Göttingen vom 2. Januar 2017, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, hänge der Erfolg der Arbeitssuche von den Qualifikationen und Erfahrungen des Arbeitssuchenden ab. Die große Mehrzahl der libanesischen Erwerbstätigen könne mit ihrem Arbeitseinkommen Wohnung und Lebensunterhalt gewährleisten. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 1. März 2018 lag die Arbeitslosenquote bei 30% (Lagebericht, S. 22). Wesentliches Element sozialer Sicherung sei die Familie, daneben auch karitative und religiöse Einrichtungen.
Der Kläger verfügt über vielfältige Berufserfahrung; er war und ist sowohl im Libanon als auch in der Bundesrepublik erwerbstätig, u.a. als Gabelstapelfahrer und als Aluminiumfensterbauer. Er hat die Schule bis zur neunten Klasse besucht und an einer privaten Hochschule zwei Monate Elektronik studiert. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger wie schon vor seiner Ausreise trotz einer nicht unerheblichen Arbeitslosenquote einen Arbeitsplatz finden wird. Daneben verfügt er über ein enges und wirtschaftlich erfolgreiches Familiennetzwerk im Libanon. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, sein Vater sei Großhändler für Aluminiumprofile und die Familie habe gut davon leben können. In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, seine Eltern, ein Bruder, drei Schwestern, fünf Onkel und sechs Tanten lebten noch im Libanon; zu seinen Eltern halte er täglich Kontakt, zu seinen Onkeln und Tanten ungefähr alle ein bis zwei Wochen. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Kläger zusammen mit seiner Tochter und seiner Lebensgefährtin (dazu sogleich) in den Libanon zurückkehren würde, kann er aufgrund seiner hinreichenden Schulbildung und seiner Berufserfahrung durch Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Des Weiteren kann er auf ein enges und wirtschaftlich gut situiertes familiäres Netzwerk zurückgreifen, das ihn gerade in der Anfangszeit unterstützen kann.
2. Ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG besteht nicht. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in den Libanon ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht (vgl. oben). Hier steht dem Kläger zudem interner Schutz offen (§ 4 i.V.m. § 3e AsylG, vgl. oben).
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG.
Nach § 26 Abs. 1 AsylG wird der Ehegatte eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkennt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist, die Ehe mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, der Ehegatte vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Nach § 26 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 AsylG gilt § 26 Abs. 1 AsylG entsprechend für die Ehegatten von Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft oder – wie hier – der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde.
a) Die Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG gewährt dem begünstigten Familienangehörigen dieselbe Rechtsstellung wie die Zuerkennung des internationalen Schutzes nach § 3 bzw. § 4 AsylG. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsgrundlage ausgewechselt werden darf (BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 21 ZB 17.30451 – juris Rn. 8; B.v. 18.7.2017 – 21 ZB 16.30724 – Rn. 8; jeweils unter Verweis auf Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 26 AsylG Rn. 24). Das Bundesamt kann daher im gerichtlichen Verfahren zur Zuerkennung internationalen Schutzes nach § 26 AsylG verpflichtet werden, auch wenn es im behördlichen Verfahren noch keinen Anlass zur Prüfung des Familienschutzes hatte, denn insoweit handelt es sich nur um die Auswechslung der Anerkennungsgrundlage, ähnlich wie bei der Umstellung von Vorfluchtauch Nachfluchtgründe (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 26 AsylG Rn. 24). Mithin kann im Rahmen der Antragstellung nach § 13 AsylG auch über den internationalen Schutz für Familienangehörige als weitere Rechtsgrundlage neben §§ 3, 4 AsylG entschieden werden, ohne dass ein ausdrücklicher Antrag des Klägers nach § 26 AsylG erforderlich ist (a.A. VG Augsburg, U.v. 15.12.2017 – Au 4 K 16.32468 – UA Rn. 88).
b) Der Kläger hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, die syrische Staatsangehörige … in … (Syrien) geheiratet zu haben, so dass es vorliegend an einer Ehe i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG fehlt.
Eine Ehe i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG ist jede mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft.
Der Kläger hat zu seiner angeblich 2014 in … (Syrien) geschlossenen Ehe zum ersten Mal im Klageverfahren und damit nach Erhalt des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 9. Februar 2017 vorgetragen. Seine von ihm unterschriebene Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender vom 2. Dezember 2015 weist ihn als ledigen syrischen Staatsangehörigen aus (Bundesamt-Akte Bl. 50). Beim durchgeführten Datenabgleich im Rahmen seiner Asylantragstellung (ebenfalls vom Kläger sowie vom Dolmetscher unterschrieben) gab er an, lediger libanesischer Staatsangehöriger zu sein (Bundesamt-Akte Bl. 21). Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 31. März 2016 erwähnte der Kläger seine Eltern, seine Geschwister (einschließlich ihres Alters und Angaben zum Gesundheitszustand einer Schwester) und namentlich eine syrische Familie, mit der er ausgereist sei. Dass er verheiratet sei, trug der Kläger nicht vor. Es ist nicht glaubhaft, dass der Kläger wiederholt und ohne erkennbaren Grund nach seinem jetzigen Vortrag wahrheitswidrig vor deutschen Behörden angibt, ledig zu sein und seine angebliche syrische Ehefrau auch bei seiner Anhörung mit keinem Wort erwähnt, wohl aber seine sonstige Familie und syrische Nachbarn. Die Kopie seines libanesischen Personalausweises vom 4. Juli 2013 weist ihn ebenfalls als ledigen libanesischen Staatsangehörigen aus. Da der Kläger nach seinem eigenen Vortrag erst im September 2015 aus dem Libanon ausreiste, hätte nach seiner angeblichen Heirat im Juli 2014 genügend Zeit bestanden, seinen Personalausweis hinsichtlich seines Familienstandes zu berichtigen. Bezeichnend ist des Weiteren, dass der Kläger auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, warum er im behördlichen Verfahren stets entgegen seines jetzigen Vorbringens angab, ledig zu sein, lediglich vortrug, als libanesischer Staatsangehöriger bekomme er keine Asylanerkennung. Seine Ehefrau habe vor dem Tod ihres Vaters Syrien nicht verlassen wollen; erst nach dem Tod des Vaters sei sie mit ihrer Familie in die Türkei gereist, von dort aus habe er seine Ehefrau dann in die Bundesrepublik gebracht, während der Rest der Familie in die Niederlande weitergereist sei. Der Kläger hat die Frage des Gerichts damit nicht hinreichend beantwortet, sondern primär auf die aus seiner Sicht geringen Anerkennungschancen libanesischer Staatsangehöriger im deutschen Asylverfahren hingewiesen. Auch die Frage des Gerichts, wann genau die Heirat stattgefunden habe, konnte der Kläger zunächst nicht hinreichend beantworten, sondern trug lediglich vor, er habe vor ungefähr vier Jahren geheiratet. Nach längerem Durchlesen seiner auch dem Gericht vorgelegten Heiratsurkunde gab der Kläger schließlich an, am 7. Juli 2014 geheiratet zu haben. Dies widerspricht sowohl der Aussage der syrischen Staatsangehörigen, im September 2014 geheiratet zu haben als auch der Übersetzung der Heiratsurkunde, nach der die Heirat am 2. September 2014 stattfand. Es ist nicht glaubhaft, dass der Kläger ohne Einblick in seine Heiratsurkunde noch nicht einmal den Monat seiner Heirat bestimmen kann, insbesondere da er vom Gericht darauf hingewiesen wurde, dass er die Daten auch in einer im Libanon oder in Syrien üblichen Zeitrechnung angeben könne. Dass er sich schließlich entgegen der von ihm selbst vorgelegten Heiratsurkunde auf den 7. Juli 2014 als Hochzeitstermin festlegte, steht im Widerspruch zu den Angaben seiner angeblichen Ehefrau. Widersprüche ergaben sich auch auf die Frage des Gerichts, warum der Kläger in der 2014 stark umkämpften Stadt … anstatt im Libanon oder in einem anderen, sichereren Gebiet in Syrien geheiratet habe. Insoweit trug der Kläger vor, als Händler von Kleidung wiederholt vom Libanon nach … gereist zu sein und dort über deren Mutter seine jetzige Ehefrau kennengelernt zu haben. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger noch an, als Gabelstapelfahrer und Aluminiumfensterbauer gearbeitet zu haben, auch bei seiner Asylantragstellung wurde er als Handwerker geführt. Dass er einen Im- und Exporthandel für Kleidung geführt habe, trug er demgegenüber erstmals in der mündlichen Verhandlung vor. Widersprüchlich ist des Weiteren der Vortrag seiner angeblichen Ehefrau, ihr Ehemann sei zum Zeitpunkt ihrer Anhörung vor dem Bundesamt im November 2016 seit zwei Jahren ausgereist. Der Kläger verließ den Libanon nach seinen Angaben erst im September 2015, also vor etwas mehr als einem Jahr.
Der Kläger nannte als Geburtsdatum seiner angeblichen Ehefrau den … 1991, obwohl diese am …. … 1992 geboren ist. Gegen eine Heirat in Syrien spricht auch, dass der Kläger die Vaterschaft für das Kind … durch Erklärung vor dem Jugendamt nach § 1592 Nr. 2 BGB anerkannte. Dies wäre weder erforderlich noch zulässig, wenn der Kläger schon mit der syrischen Staatsangehörigen nach syrischem und libanesischem Recht wirksam verheiratet wäre, da er in diesem Fall nach § 1592 Nr. 1 BGB als Ehemann kraft Gesetzes der Vater des Kindes ist, wobei eine in Syrien geschlossene und registrierte Ehe einer syrischen und eines libanesischen volljährigen Staatsangehörigen grundsätzlich nach Art. 11, Art. 13 EGBGB auch von der deutschen Rechtsordnung anerkannt wird. Darüber hinaus konnte der Kläger auch kein Original der Heiratsurkunde vorlegen, sondern lediglich eine Kopie. Der Kopie kommt angesichts der festgestellten Widersprüche kein derart hoher Beweiswert zu, dass der Vortrag des Klägers insgesamt noch als glaubhaft zu bewerten wäre. Im Übrigen hat sich die überwiegende Zahl der dem Auswärtigen Amt zur Überprüfung vorgelegten Dokumente in libanesischen Asylangelegenheiten als Fälschungen erwiesen (Lagebericht vom 1.3.2018, S. 24). Es bestehe im Libanon leichter Zugang zu gefälschten Geburts- und Heiratsurkunden sowie sonstigen Dokumenten. Vieles deute darauf hin, dass diese Papiere von Fälschern in Deutschland hergestellt würden, teilweise unter Verwendung entwendeter echter libanesischer Stempel. Es ist aufgrund dieser Auskunftslage davon auszugehen, dass auch falsche syrische Heiratsurkunden für libanesische Staatsangehörige leicht zu beschaffen sind. Ohne eine plausible und nachvollziehbare Schilderung der Heirat fehlt es an einer Tatsachengrundlage, die durch die Kopie der Urkunde bestätigt werden könnte.
c) Selbst wenn jedoch – wie nicht – der Kläger die syrische Staatsangehörige im September 2014 in … (Syrien) wirksam geheiratet haben sollte, kommt die Zuerkennung als subsidiär schutzberechtigter Familienangehöriger gleichwohl nicht in Betracht, da es an der Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft in Syrien fehlt.
Durch das Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG, dass die Ehe schon im Verfolgerstaat „bestanden“ haben muss, wird zum Ausdruck gebracht, dass es auf das tatsächliche Bestehen einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Verfolgerstaat ankommt. Der bloße Bestand einer einmal geschlossenen Ehe genügt nicht für die dem Familienasyl zugrunde liegende Verfolgungsgemeinschaft. Denn nach dem Grundgedanken des § 26 AsylG rechtfertigt sich die Gewährung des Familienasyls für den Ehegatten – auch – wegen dessen Nähe zum Verfolgungsgeschehen und damit wegen der daraus gleichfalls für ihn herrührenden Gefahr. Eine Nähe des Ehegatten zum Verfolgungsgeschehen und eine eigene Gefährdung setzen aber voraus, dass die Ehegatten bereits im Verfolgerstaat zusammengelebt haben (so schon zu § 26 AsylVfG BVerwG, U.v. 15.12.1992 – 9 C 61/91 – juris Rn. 7; zur aktuellen Rechtslage VG Oldenburg, U.v. 2.1.2018 – 3 A 4808/16 – juris Rn. 25; VG Augsburg, B.v. 29.9.2017 – Au 4 S 17.34676 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 26 Rn. 12; Günther in BeckOK Ausländerrecht, 16. Ed. Stand 1.11.2017, § 26 Rn. 9). Für das Vorliegen einer ehelichen Lebensgemeinschaft kommt es auf den nachweisbar betätigten Willen beider Eheleute an, ein gemeinsames Leben zu führen. Eine eheliche Lebensgemeinschaft, die sich nach außen im Regelfall in einer gemeinsamen Lebensführung, also in dem erkennbaren Bemühen dokumentiert, die alltäglichen Dinge des Lebens miteinander in organisatorischer, emotionaler und geistiger Verbundenheit zu bewältigen, dreht sich im Idealfall um einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt und wird daher regelmäßig in einer von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Wohnung gelebt (so zu § 28 AufenthG VGH Kassel B. v. 9.8.2004 – 9 TG 1179/04 – FamRZ 2005, 982).
Nach seinem eigenen Vortrag sowohl bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger jedoch zu keinem Zeitpunkt in Syrien mit seiner (angeblichen) Ehefrau zusammengelebt. Vor seiner Ausreise in die Bundesrepublik lebte er vielmehr seit seiner Geburt im Libanon. Nach der Eheschließung sei seine Ehefrau in Syrien bei ihrer Familie geblieben; er selbst sei in den Libanon zurückgekehrt. Seinen Eltern und Geschwistern habe er von seiner Eheschließung erst erzählt, als er schon in der Bundesrepublik gewesen sei. Ein Zusammenleben der Eheleute in Syrien als für die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter maßgeblichen Staat fand damit auch nach Vortrag des Klägers zu keinem Zeitpunkt statt. Beide Ehegatten – eine Eheschließung (wie nicht) als wahr unterstellt – lebten auch nach der Heirat bei ihren Eltern und in ihrem Familienverbund, ohne dass die klägerische Familie überhaupt Kenntnis von der Eheschließung hatte. Die Ehegatten haben die alltäglichen Dinge des Lebens daher nicht gemeinsam bewältigt, sondern jeweils in Gemeinschaft mit ihren Eltern.
4. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes als Familienangehöriger kommt auch nicht nach § 26 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 AsylG in Betracht.
Zwar ist der Kläger durch die Anerkennung der Vaterschaft als Vater einer subsidiär schutzberechtigten syrischen Tochter anzusehen. Jedoch bestand auch insoweit keine familiäre Lebensgemeinschaft i.S.d. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Erforderlich ist jedenfalls, dass die Familie, in die das Kind hineingeboren wird, schon im Herkunftsstaat bestanden hat (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Zur Familie i.S.d. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) gehören der Ehegatte, minderjährige, unverheiratete Kinder sowie deren Eltern bzw. sonstige sorgeberechtigte Personen. Im vorliegenden Fall bestand weder eine eheliche Lebensgemeinschaft (vgl. oben) noch eine Betreuungs- und Erziehungsgemeinschaft in Syrien, da das einzige gemeinsame Kind des Klägers und seiner Lebensgefährtin erst in der Bundesrepublik geboren wurde.
5. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger hat sein Auskommen bisher in … sichern, arbeiten und sogar studieren können; auch andere Landesteile wie Beirut und Tripoli sind ihm zumutbar (vgl. oben).
6. Allerdings ist die Entscheidung in Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamts hinsichtlich der Befristung von Einreise – und Aufenthaltsverboten nach § 11 Abs. 1 AufenthG rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da das Bundesamt ausweislich seines Bescheids die familiäre Beziehung zum im Bundesgebiet lebenden, aufenthaltsberechtigten Kind nicht hinreichend berücksichtigt hat. Die Befristung auf 30 Monate im Falle einer Abschiebung bedeutet eine Trennung von Vater und Kind, die in der hier jedenfalls derzeit tatsächlich gelebten familiären Beziehung wohl die Rechte des Kindes aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK verletzt. Insoweit liegt ein Ermessensdefizit vor. Daher kann das Verwaltungsgericht auch keine Verpflichtung der Beklagten zu einer bestimmten Befristung aussprechen, sondern sie nur durch Aufhebung der bisherigen Befristung in den Verfahrensstand zurück versetzen, erneut von Amts wegen nach § 11 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG über die Dauer der Befristung – nunmehr unter stärkerer Berücksichtigung der familiären Belange des Klägers – neu zu entscheiden.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Der Neubescheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots kommt in Hinblick auf die übrigen, deutlich weitergehenden Verpflichtungsbegehren (§§ 3, 4, 26 AsylG, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG) nur untergeordnete Bedeutung zu, so dass die Verpflichtung des Bundesamts zur Neubescheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot im Rahmen der Kostenentscheidung nur zu einem Achtel zu berücksichtigen war. Da die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbot jedoch in Hinblick auf die Vater-Kind-Beziehung von Bedeutung ist, liegt gleichwohl keine Geringfügigkeit i.S.d. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO vor, so dass der Kläger nicht sämtliche Kosten zu tragen hat. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
8. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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