Verwaltungsrecht

Elfenbeinküste – kein Abschiebungsverbot für Asylsuchende mit 12-jähriger Tochter

Aktenzeichen  W 2 K 18.32579

Datum:
14.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14419
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung dieser Person hinausgehen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die zulässige Klage konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 29. Mai 2019 zu Protokoll des Gerichts erklärte, auf eine weitere mündliche Verhandlung zu verzichten und die Beklagte mit der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtete.
Die zulässige Klage, über die am 29. Mai 2019 gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist unbegründet.
1. Der Bundesamtsbescheid vom 11. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig.
Das Gericht folgt der entsprechenden Begründung im Bescheid vom 11. Dezember 2018 hinsichtlich der Versagung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes und von Abschiebungsverboten und verweist auf die dortigen Ausführungen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten.
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gemäß Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die in Trinidad und Tobago geborene Klägerin ist nach obigen Kriterien weder vorverfolgt noch droht ihr ohne Vorverfolgung ein flüchtlingsrelevantes Verfolgungsrisiko. Sofern ihre Mutter die Befürchtung äußert, dass sie und die Tochter wegen der politischen Aktivitäten des Opas der Klägerin in der Elfenbeinküste verfolgt werden, kann dem nicht gefolgt werden. Auf die Gründe des Urteils vom 14. Juni 2019 im Verfahren W 2 K 18.32580 wird verwiesen. Sonstige asylrelevante Verfolgungsgründe sind nicht ersichtlich.
1.2 Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zu.
Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Weder die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht. Zur Überzeugung des Gerichts droht der Klägerin auch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Familie ihrer Mutter. Für die weiteren Einzelheiten, insbesondere zum gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch im Rahmen des subsidiären Schutzes zu beachtenden Vorrang der internen Fluchtalternative, wird auf die Ausführungen im Urteil vom 14. Juni 2019 im Verfahren der Mutter (Az. W 2 K 18.32580) Bezug genommen.
1.3 Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
1.3.1 Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11).
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Klägers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Klägers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände liegen für die Person der Klägerin auch unter Berücksichtigung ihrer eingeschränkten Gesundheit nicht vor. Denn es ist hierbei die Situation einer Rückkehr zusammen mit ihrer Mutter zugrunde zu legen. Diesbezüglich wird ebenfalls auf die Gründe des Urteils im Verfahren der Mutter (W 2 K 18.32580) verwiesen. Danach wird die Mutter der Klägerin in der Lage sein, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste jedenfalls eine bescheidene Existenz für sich und ihre Tochter aufzubauen.
Für die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bundesamtsbescheid Bezug genommen.
1.3.2 Gesundheitsbedingte Einschränkungen der Klägerin im für § 60 Abs. 7 AufenthG relevanten Schweregrad wurden auch unter Berücksichtigung des stationären Arztbriefes des Krankenhauses Barmherzige Brüder, Regensburg, vom 20. April 2019 nicht nachgewiesen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324). Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383; U.v. 27.4.1998 – 9 C 13/97 – NVwZ 1998, 973 und U.v. 21.9.1999 – 9 C 8/99 – NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – a.a.O. und U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung einer Krankheit anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen (vgl. OVG Münster, B.v. 20.9.2006 – 13 A 1740/05.A – InfAuslR 2006, 487). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs führen die gesundheitlichen Probleme der Klägerin zu keinem Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Klägerin bedingt durch ihre seit 2016 andauernden Bauchschmerzen sicherlich tatsächlich belastet ist. Diese Belastung erreicht mit der fachärztlichen Diagnose von rezidivierenden Bauchschmerzen, gastroösophagealen Reflux und Zustand nach Gallensteinen vor zwei Jahren jedoch keinen Schweregrad, der auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse in der Elfenbeinküste zu einem Abschiebungsverbot in der Person der Klägerin führen kann. Des Weiteren bietet das von der Klägerin vorgelegte Attest es mangels hinreichender Angaben zu Anamnese, Diagnose, Methodik, Quantität und Qualität der Exploration Anlass für eine weitere Amtsermittlung. Auch auf der Grundlage des unmittelbaren Eindrucks in der mündlichen Verhandlung ist das Gericht davon überzeugt, dass bei der Klägerin keine schwerwiegende körperliche Beeinträchtigung im für die Zuerkennung eines Abschiebeverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG notwendigen Schweregrad vorliegt.
Auftreten und Erscheinungsbild der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gaben jedenfalls keinen Anlass an einem stabilen Gesundheitszustand der Klägerin zu zweifeln, so dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
2. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind. Dass eine Abschiebung der Klägerin nur im Familienverbund in Frage kommt, ist eine Frage des Vollzugs und hindert nicht die Rechtmäßigkeit der auf die Klägerin bezogenen Abschiebungsandrohung.
3. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) sind keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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