Verwaltungsrecht

Entlassung eines Soldaten auf Zeit aus der Bundeswehr, ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung und des Ansehens der Bundeswehr, Vermummung und versuchte gefährliche Körperverletzung

Aktenzeichen  M 21a K 20.3020

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 54918
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 17 Abs. 2 S. 3
SG § 55 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Entlassungsverfügung vom … Februar 2020 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom … Juni 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Diese Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (vgl. BVerwG, B. v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 8; B.v. 16.8.2010 – 2 B 33/10 – juris Rn. 6).
Unter militärischer Ordnung ist der Inbegriff der Elemente zu verstehen, die die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr nach den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen erhalten. Dabei kann es nicht genügen, wenn Randbereiche des Militärischen berührt werden. Im Gegensatz zu der zweiten Alternative, die das Ansehen der Bundeswehr schützen soll, handelt es sich hier um den betriebsbezogenen Schutz, der erforderlich ist, um dem Zweck der Bundeswehr geordnet gerecht werden zu können (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – NJW 1984, 938).
Eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr, also ihres „guten Rufs“ bei Außenstehenden, liegt dann vor, wenn der betreffende Soldat als „Repräsentant“ der Bundeswehr oder eines bestimmten Truppenteils anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die Streitkräfte als Angehörige eines – an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG), insbesondere an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) gebundenen – Organs des sozialen und demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik Deutschland zulässt (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 2 WD 24.12 – juris Rn. 27; U.v. 13.2.2008 – 2 WD 5.07 – juris Rn. 74 m.w.N.). Der „gute Ruf“ der Bundeswehr bezieht sich namentlich auch auf die Qualität der Ausbildung, die sittlich-moralische Integrität und die allgemeine Dienstauffassung ihrer Soldatinnen und Soldaten sowie die – an Recht und Gesetz gebundene – militärische Disziplin der Truppe (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2008 – 2 WD 5/07 – juris Rn. 74 m.w.N.).
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 9).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung i.S.d. § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 10; B.v. 16.8.2010 – 2 B 33/10 – juris Rn. 8).
Unter Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich können schon begrifflich nur (schwere) innerdienstliche Dienstpflichtverletzungen fallen, oder außerdienstliches Verhalten, das unmittelbar hierauf gerichtet ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114/11 – juris Rn. 12). Es soll also gerade nicht jeder mit einem leichteren Fehlverhalten zwangsläufig einhergehende Verlust des „uneingeschränkten“ Vertrauens der Vorgesetzten zur Entlassung aus dem Dienstverhältnis führen können. Vielmehr müssen gerade bei leichterem Fehlverhalten entweder eine Wiederholungsgefahr oder eine Nachahmungsgefahr hinzukommen.
In Anwendung der vorstehenden Vorgaben und Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die streitige Entlassungsverfügung nicht zu beanstanden.
Im Zeitpunkt des Erlasses der Entlassungsverfügung hatte der Kläger noch keine vier Dienstjahre zurückgelegt. Auch eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung des Klägers ist gegeben. Aufgrund des Inhalts der vorgelegten Behördenakten sowie der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaften Chemnitz und Köln sowie der Einlassungen des Klägers im Verwaltungsverfahren ist die Kammer der Überzeugung, dass sich der Sachverhalt, wie im streitgegenständlichen Bescheid dargestellt, zugetragen hat.
Was den Vorfall am … April 2019 anbelangt, so hat der Kläger ausweislich der Niederschrift über seine Vernehmung am … Oktober 2019 selbst angegeben, dass er sich die Sturmhaube übergezogen habe, als Chemnitz gewonnen habe. Ferner führte er aus, dass er die Sturmhaube in seiner Tasche mitgeführt habe, weil er mit dem Moped zum Stadion gefahren sei. Soweit der Kläger im Beschwerdeverfahren und in der mündlichen Verhandlung behauptet hat, dass er sich lediglich eine Kapuze übergezogen habe und dabei seine Identität nicht habe verschleiern wollen, hält das Gericht dieses Vorbringen für eine reine Schutzbehauptung. In der Vernehmung am … Oktober 2019 hat der Kläger ausdrücklich von einer Sturmhaube gesprochen. Dabei wurde auch deutlich, dass er durchaus zwischen einer Sturmhaube und einer Kapuze differenziert, da er davon gesprochen hat, dass sich einige Personen auch Kapuzen übergezogen hätten. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung weiter vorgebracht hat, dass er bei der Polizei eingeräumt habe, dass er eine Sturmhaube getragen habe und deshalb dann bei der Befragung durch die Bundeswehr dabei geblieben sei, weil er gewusst habe, dass dies auch im Strafbefehl stehe, kann ihm daher nicht geglaubt werden. Der sich in der Akte der Staatsanwaltschaft Chemnitz (… …19) befindlichen Niederschrift über die Beschuldigtenvernehmung des Klägers bei der PD Chemnitz am … Juni 2019 kann zudem nicht einmal entnommen werden, dass er dort von einer Sturmhaube gesprochen hat. Vielmehr gab er „lediglich“ an, dass er die Vermummung zugebe. Ferner gab er im Rahmen der polizeilichen Befragung auf die Frage, warum er sich bei der Vermummung abgeduckt habe, an, dass er nicht habe gesehen werden wollen. Dem widerspricht allerdings wiederum der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er seine Identität nicht habe verschleiern wollen. Hinzu kommt, dass der Kläger auch noch in seiner Stellungnahme zu der beabsichtigten Entlassung vom … November 2019 von einer von ihm begangenen Straftat (Vermummung) spricht, hinsichtlich welcher er gegenüber seinen Vorgesetzten stets Reue gezeigt habe. Weiter führt er aus, dass ihm bewusst sei, dass seine Tat eine Kernpflichtverletzung darstelle und er bereit sei, als Folge seiner begangenen Straftat in eine andere Laufbahn versetzt zu werden, weil er das Werteverständnis eines Offiziers bzw. Offizieranwärters in Teilen verletzt habe.
Unabhängig davon, dass das Gericht angesichts der Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren davon ausgeht, dass dieser sich eine Sturmhaube übergezogen hat, stellt das sächsische Versammlungsgesetz in seinen §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 28 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 Buchst. c) ohnehin allgemein auf eine Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, ab. Die Vermummung hat der Kläger aber sowohl bei der polizeilichen Befragung als auch im Entlassungsverfahren eingeräumt. Sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, dass er seine Identität nicht habe verschleiern wollen, kann ihm angesichts seiner Angaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und im Verwaltungsverfahren, insbesondere in seiner Stellungnahme zur Entlassung vom … November 2019, nicht geglaubt werden. Das Gericht ist nach alledem davon überzeugt, dass der Kläger sich am 24. April 2019 zur Verhinderung der Feststellung seiner Identität vermummt und damit gegen das sächsische Versammlungsgesetz (Vermummungsverbot) verstoßen hat.
Hinsichtlich der dem Kläger weiter vorgeworfenen versuchten gefährlichen Körperverletzung am … Juli 2019 in Köln ist das Handeln des Klägers, insbesondere der Tritt in Richtung der Ordnungskraft, auf den sich in der Akte der Staatsanwaltschaft Köln befindlichen Foto- und Videoaufnahmen dokumentiert. Gegenüber der Staatsanwaltschaft Köln hat sich der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten im Strafverfahren vom … April 2020 (Blatt 156 f. der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte) zudem selbst zumindest dahingehend eingelassen, dass er sich einmalig dazu habe hinreißen lassen, eine Fußbewegung nach unten auszuführen, auch wenn er weiter ausführt, dass eine Verletzung Dritter nicht beabsichtigt gewesen sei, er die Verantwortung für das Entstehen des Tumults bei den Ordnungskräften sieht und einen dem Tumult vorausgegangenen tätlichen Übergriff des geschädigten Ordners A. vorbringt. In seiner Vernehmung am … Oktober 2019 hat er ebenfalls angegeben, dass er zur Verteidigung seiner Leute eingeschritten sei, als er eine Schlägerei zwischen Leuten aus seinem Block und dem Sicherheitspersonal bemerkt habe. Soweit er, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, vorgebracht hat, dass er nie jemanden treten wollen würde, es sich bei dem Erheben seines Fußes um einen Reflex gehandelt haben müsse und er nur bezweckt habe, den Ordner der Polizei zu übergeben, hält das Gericht auch dieses Vorbringen unter Berücksichtigung des Inhalts der staatsanwaltschaftlichen Akte für eine Schutzbehauptung. Auf den Bild- und insbesondere Videoaufnahmen ist zu sehen, dass der Ordner, der versucht, sich aus dem Gästeblock zu entfernen, bereits von mehreren Personen festgehalten wird, als der Kläger in seine Richtung tritt. Auch im Übrigen sind die Sachverhaltsfeststellung der Beklagten und ihre Würdigung des Inhalts der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte, insbesondere des Bildmaterials und der Zeugenaussagen, im Beschwerdebescheid nicht zu beanstanden. Soweit der Kläger einen dem Tumult vorausgegangenen Übergriff des geschädigten Ordners auf einen Herrn W. vorbringt, ist zum einen – insbesondere unter Berücksichtigung des vorliegenden Bildmaterials – nicht erkennbar, dass im Zeitpunkt des Eingreifens des Klägers vom Ordner A. – noch – irgendeine Gefahr für einen der Besucher des Fußballspiels ausging. Zum anderen haben den vom Kläger behaupteten Schlag des geschädigten Ordners weder einer der unbeteiligten Zeugen noch die Herren W. oder H., gegen welche ebenfalls ermittelt wurde, geschildert bzw. gesehen (vgl. Zeugenaussagen in der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte sowie Anklageschrift betreffend zwei an dem „Tumult“ beteiligte Personen vom … Juli 2020 (Blatt 187 der staatsanwaltschaftlichen Akte). Ausweislich der Strafanzeige (Blatt 1 ff. der staatsanwaltschaftlichen Akte) gab Herr W., der dabei gesehen wurde, wie er sich eine Sofort-Kühlkompresse an den Kopf hielt, zudem jedenfalls gegenüber dem Einsatzmittel lediglich an, dass er auf den Treppen gestürzt sei.
Aus dem Umstand, dass im Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung mittlerweile nach § 45 Abs. 2 JGG i.V.m. § 109 Abs. 2 JGG verfahren wurde, ergibt sich nichts anderes hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellung. Insbesondere wird nach § 45 Abs. 2 JGG grundsätzlich nur im Falle eines hinreichenden Tatverdachts und des Bejahens der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für das Verhalten verfahren (vgl. BeckOK JGG, 22. Edition, Stand: 1.11.2020, § 45 Rn. 49; Eisenberg/Kölbel, JGG; 22. Auflage 2021, § 45 Rn. 8; Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2018, § 45 JGG Rn. 23).
Hinzu kommt, dass die über die Entlassung entscheidende personalbearbeitende Stelle im Rahmen ihrer Entscheidungsgewalt befugt ist, die vorliegenden Beweismittel zur Ermittlung des Sachverhalts selbst und unabhängig vom Ausgang eines strafrechtlichen Verfahrens zu bewerten. Daraus folgt, dass die Entlassungsverfügung hier durchaus ohne Verstoß gegen die vom Kläger geltend gemachte Unschuldsvermutung auf das zusammengetragene Aktenmaterial gestützt werden konnte. Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass sich die Entlassungsverfügung ohnehin im Wesentlichen auf eigene Angaben des Klägers und das in der Akte der Staatsanwaltschaft Köln befindliche Bildmaterial betreffend das Handeln des Klägers stützt.
Unter Berücksichtigung des Inhalts der beigezogenen Akten und der Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren steht nach alledem zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sich bei dem Fußballspiel am 24. April 2019 vermummt hat und bei dem Fußballspiel am 28. Juli 2019 einen Tritt in Richtung eines Ordners ausgeführt hat, welcher von anderen Personen festgehalten und dabei auch geschlagen wurde.
Dieses Verhalten des Klägers stellt unzweifelhaft einen Verstoß gegen die Pflicht zum außerdienstlichen Wohlverhalten gem. § 17 Abs. 2 Satz 3 SG dar. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG hat sich der Soldat außer Dienst außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Bei dem Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 3 SG kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten geeignet war, eine solche Wirkung auszulösen. Denn die Vorschrift stellt allein auf das Verhalten des betreffenden Soldaten ab, ohne dass es für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung auf den konkreten Eintritt einer solchen Beeinträchtigung ankommt. Die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 52).
Das ist hier der Fall. Unzweifelhaft sind die Vermummung und die versuchte gefährliche Körperverletzung dazu geeignet, das Ansehen der Bundeswehr und die Achtung und das Vertrauen, die die dienstliche Stellung eines Soldaten erfordert, ernsthaft zu beeinträchtigen. Zu Recht führt die Beklagte im streitgegenständlichen Beschwerdebescheid aus, dass Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit durch Straftaten ernsthaft beeinträchtigt werden können. Ebenso ist das Begehen von Straftaten durch Soldaten dazu geeignet, das Ansehen der Bundeswehr ernsthaft zu beeinträchtigen. Was die dem Kläger im Bescheid vorgeworfene versuchte gefährliche Körperverletzung anbelangt, so ist zudem insbesondere zu berücksichtigten, dass eine körperliche Misshandlung sowohl mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem Verfassungsprinzip der Wahrung der Menschenrechte als auch mit der gesetzlichen Verpflichtung eines Vorgesetzten zu vorbildhaftem Verhalten gemäß § 10 Abs. 1 SG unvereinbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 22). Amtsinhaber, die – wie Soldaten – rechtmäßig das staatliche Gewaltmonopol wahrnehmen, müssen jederzeit Gewähr dafür bieten, dies verantwortungsvoll zu tun und (straf-)gesetzliche Grenzen der Gewaltanwendung zu respektieren.
Der Kläger hat seine Dienstpflicht aus § 17 Abs. 2 Satz 3 SG auch schuldhaft verletzt und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Für eine etwaige – etwa alkoholbedingte – Schuldunfähigkeit oder auch nur eine verminderte Schuldfähigkeit ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Das Verbleiben des Klägers in seinem Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden.
Zwar handelt es sich bei den Taten des Klägers aus Sicht des Gerichts um nicht dem militärischen Kernbereich zuzurechnende außerdienstliche Verfehlungen, da sie sich im privaten Bereich ohne zusätzlichen Bezug zur Dienstausübung abspielten. Jedoch ist vorliegend gleichwohl eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung zu bejahen.
Bei der dem Kläger im streitgegenständlichen Bescheid unter anderem vorgeworfenen versuchten gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 4, 23, 25 Abs. 2 StGB) handelt es sich um eine Straftat von erheblichem Gewicht. Das Strafgesetzbuch sieht als Strafrahmen die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor (§ 224 Abs. 1 StGB).
Die aus einem Verstoß gegen die Strafrechtsordnung resultierende Gefährdung der militärischen Ordnung ist umso erheblicher, je höher die Sanktionsdrohung derjenigen Norm ist, gegen die der Soldat verstoßen hat. Daher bietet zunächst vor allem der Strafrahmen der verletzten Norm des Strafgesetzbuchs einen Anhalt für die Beantwortung der Frage, wie schwerwiegend eine außerdienstlich begangene Straftat ist. Denn durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Delikts zum Ausdruck (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 21.4.2020 – 6 ZB 20.342 – juris Rn. 10 m.w.N.). Angesichts des hier gegebenen Strafrahmens ist von einer Straftat von erheblichem Gewicht auszugehen, welche in der Rechtsprechung bereits im Falle der Körperverletzung nach § 223 StGB angenommen wurde (BayVGH, B.v. 21.4.2020 – 6 ZB 20.342 – juris Rn. 11). Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei zusätzlicher Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles. Der Kläger hat vorliegend in Richtung des geschädigten Ordners getreten, während dieser von anderen Personen festgehalten und unter anderem auch geschlagen wurde und sich somit in einer deutlich schwächeren Position befunden hat. Dass vom Ordner (zu diesem Zeitpunkt) irgendeine Gefahr ausgegangen sein sollte, ist nicht erkennbar.
Die hier berührte Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten ist keine bloße Nebenpflicht, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Wer durch seine Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die Grenzen der rechtmäßigen Anwendung von Gewalt im außerdienstlichen Bereich zu achten, Achtung und Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordern, ernsthaft beeinträchtigt, gefährdet damit auch die Voraussetzungen seiner Verwendungsfähigkeit und beeinträchtigt den Ablauf des militärischen Dienstes (BVerwG, U.v. 21.6.2018 – 2 WD 4/18 – juris Rn. 22). Das außerdienstliche Verhalten des Klägers ist geeignet, zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust bei seinen Untergebenen zu führen. Der Kläger hat sich dadurch als Vorgesetzter, insbesondere von jungen Menschen, disqualifiziert. Das klägerische Verhalten stellt die Einsatzbereitschaft der Truppe deswegen infrage, weil ein erheblicher Achtungs- und Vertrauensverlust eines Soldaten in Vorgesetztenfunktion geeignet ist, die erforderliche Bereitschaft bei den Untergebenen zu Gehorsam und Pflichterfüllung zu schwächen, und weil auch das Vertrauen der Vorgesetzten in einen solchen Soldaten erschüttert ist (vgl. VG München, U.v. 18.2.2015 – M 21 K 13.290 – juris Rn. 16). Dabei kommt es nicht darauf an, ob ein strafbares Verhalten eines Soldaten in Vorgesetztenfunktion im außerdienstlichen Bereich die Einsatzbereitschaft der Truppe konkret beeinträchtigt. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass die militärische Ordnung gefährdet ist, wenn die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit von Soldaten mit Vorgesetztenfunktion durch ein außerdienstliches Verhalten gefährdet wird, das sie als Vorgesetzte, insbesondere von jungen Menschen, disqualifiziert. Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine derartige drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Sie soll künftigen Schaden verhindern und dient allein dem Schutz der Bundeswehr (BayVGH, B.v 30.8.2012 – 6 ZB 12.272 – juris Rn. 11).
Das Verhalten des Klägers ist auch einer gewissen Öffentlichkeit, insbesondere den anwesenden Fußballfans sowie den Ordnern und den Polizeibeamten zur Kenntnis gelangt. Ferner wurden von den Handlungen des Klägers betreffend den Vorfall am … Juli 2019 auch Bild- und Videoaufnahmen von der Polizei gefertigt.
Darüber hinaus bejaht die Beklagte im vorliegenden Fall auch eine Wiederholungsgefahr zu Recht. Der Kläger hat innerhalb kurzer Zeit zwei Dienstpflichtverletzungen begangen. Soweit er in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, dass es sich bei dem Fußballspiel am 28. Juli 2019 um das letzte von ihm besuchte Fußballspiel gehandelt habe, ändert dies hieran nichts. Aufgrund des wiederholten strafrechtlich relevanten Handelns des Klägers bzw. der wiederholten Begehung von Dienstpflichtverletzungen ist eine Wiederholungsgefahr ohne Weiteres anzunehmen.
Dass die Beklagte neben dem Vorliegen einer erheblichen Straftat und einer Wiederholungsgefahr zusätzlich auch eine Nachahmungsgefahr bejaht, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Denn das Verhalten des Klägers kann ohne Entlassung einen Anlass für Nachahmungshandlungen in der Form bieten, dass andere Soldaten Konflikte im privaten – wie auch im innerdienstlichen – Bereich bzw. im Rahmen von (Groß-)Veranstaltungen unter Anwendung von Gewalt lösen, weil sie die Risiken in dienstrechtlicher Hinsicht aufgrund der Signalwirkung des vorliegenden Falles gering einschätzen würden.
Überdies wäre bei einem Verbleiben des Klägers im Dienst auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich vorliegend bei der versuchten gefährlichen Körperverletzung um eine Straftat von erheblichem Gewicht handelt. Eine ernste Ansehensgefährdung wird zudem regelmäßig dann indiziert sein, wenn die zu beurteilende Verfehlung eines oder mehrerer Soldaten geeignet ist, bestehende Vorurteile gegen die Bundeswehr zu bestätigen, etwa dergestalt, dass dort sorglos mit öffentlichem Eigentum umgegangen werde, es sich um ein Sammelbecken von Anhängern nationalsozialistischen Gedankenguts handle, Alkohol- und Betäubungsmittelabusus, sexuelle Übergriffe und archaische Aufnahmerituale verbreitet seien oder ein unseliger Korpsgeist herrsche (VG München, B.v. 17.8.2017 – M 21 S 17.2245 – juris). Auch ein Soldat, der die (straf-)gesetzlichen Grenzen der Gewaltanwendung nicht respektiert, bestätigt abträgliche Vorurteile gegenüber Soldaten in der Bevölkerung. Das Ansehen der Bundeswehr wird unter anderem wesentlich von dem Vertrauen darauf getragen, dass sie sich den Werten des Grundgesetzes verpflichtet weiß (vgl. auch OVG SH, U.v. 19.10.2015 – 2 LB 25/14 – juris Rn. 36). Bei dem Verhalten des Klägers handelt es sich auch nicht um eine Bagatelle, sodass eine Reaktion der Öffentlichkeit zu besorgen ist, die eine ernstliche Gefahr für das Ansehen der Bundeswehr bedeutet. Dass das Verhalten des Klägers einer gewissen Öffentlichkeit zur Kenntnis gelangt ist, wurde bereits ausgeführt.
Weder der Gefährdung der militärischen Ordnung noch der Ansehensgefährdung kann vorliegend durch eine Disziplinarmaßnahme als ein milderes Mittel wirksam begegnet werden. Bei Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles ist nicht erkennbar, dass der Kläger aus dem Affekt heraus gehandelt haben könnte (vgl. nur BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – juris Rn. 23 m.w.N.), es sich um eine einmalige Verfehlung in einer schwierigen Lebenslage (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 20.6.1983 – 6 C 2/81 – juris Rn. 24 m.w.N; OVG NW, U.v. 5.12.2012 – 1 A 846/12 – juris Rn. 44 f. m.w.N.) gehandelt haben sollte oder die schuldhaft begangene Dienstpflichtverletzung als nur geringfügig zu bewerten wäre (vgl. hierzu OVG MV, B.v. 23.10.1997 – 2 L 32/97 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Vielmehr handelt es sich vorliegend um zwei Verfehlungen des Klägers, sodass gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich um eine einmalige Verfehlung infolge besondere Umstände handelte, die eine mildere Betrachtung rechtfertigen könnte und bei welcher man einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung und des Ansehens der Bundeswehr auch durch eine Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Dienstverhältnis wirksam begegnen könnte.
Die von der Beklagten getroffene Maßnahme ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine – sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende – drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck ist hier in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst – und zwar auf der Tatbestandsebene – konkretisiert worden. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum (vgl. OVG NW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 34 m.w.N.).
Dies zu Grunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts „kann“ im Sinne einer sogenannten „intendierten Entscheidung“ auf besondere (Ausnahme-)Fälle zu beschränken (vgl. OVG NW, B.v. 20.1.2005 – 1 B 2009/04 – juris Rn. 36 m.w.N.; BayVGH, U.v. 25.7.2001 – 3 B 96.1876 – juris Rn. 58 ff. m.w.N.).
Nach den Umständen des Falles war die fristlose Entlassung des Klägers als „intendierte Entscheidung“ wie geschehen auszusprechen. Für eine atypische Sachverhaltskonstellation ist in seinem Fall nichts ersichtlich. Insbesondere ergeben sich atypische Umstände bzw. eine Unverhältnismäßigkeit der Entlassungsverfügung nicht bereits daraus, dass es sich beim Kläger zum Zeitpunkt seiner Taten um einen Heranwachsenden handelte. Dass sich Soldaten auf Zeit in den ersten vier Dienstjahren, in welchen eine Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG in Betracht kommt, noch in diesem Alter befinden, stellt nichts Außergewöhnliches dar, sondern kommt vielmehr häufig vor. Im Falle des Klägers ist zudem auch zu sehen, dass es innerhalb kurzer Zeit zu zwei Verfehlungen kam, was zusätzlich gegen das Vorliegen atypischer Umstände spricht.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im Beschwerdebescheid, denen das Gericht folgt, Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben