Verwaltungsrecht

Entlassung eines Zeitsoldaten wegen Drogenbesitzes

Aktenzeichen  6 CS 19.2403

Datum:
21.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4559
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SG § 7, § 11, § 17 Abs. 2 S. 1, § 55 Abs. 5
StPO § 153a Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung ist bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb des militärischen Kernbereichs regelmäßig anzunehmen, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt oder wenn eine Wiederholungsgefahr oder eine Nachahmungsgefahr droht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die fristlose Entlassung eines Zeitsoldaten aus dem Dienstverhältnis ist nicht zu beanstanden, wenn dieser während der ersten vier Dienstjahre durch den unerlaubten Besitz einer Ecstasy-Tablette in der Absicht, diese zu konsumieren, seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat; sein Verbleiben im Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Schwere der Dienstpflichtverletzung oder die Verwirklichung eines Straftatbestandes ist kein Tatbestandsmerkmal im Sinn von § 55 Abs. 5 SG. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21b S 19.4233 2019-11-15 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 15. November 2019 – M 21b S 19.4233 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.974,16 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller war am 1. Juli 2018 als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes (Besoldungsgruppe A 4) in die Bundeswehr eingestellt worden und wurde mit Wirkung vom 12. Juli 2018 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf den 30. Juni 2022 festgesetzt.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2019 entließ die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 55 Abs. 5 SG mit dem Tag der Aushändigung des Bescheids (am 30.7.2019) fristlos aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass er seine Dienstpflichten verletzt habe, weil er am 27. April 2019 in einer Diskothek vom dortigen Sicherheitsdienst mit einer Tablette angetroffen worden sei, die sich durch einen Schnelltest der Polizei als Ecstasy herausgestellt habe. Der Antragsteller habe der Polizei gegenüber in der Befragung vom 27. April 2019 angegeben, diese Pille von einem Freund erhalten zu haben und diese erstmals probieren zu wollen. Der unbefugte Besitz und/oder Konsum von Betäubungsmitteln sei für Soldaten im und außer Dienst verboten. Über die dienstrechtlichen Folgen des Missbrauchs von Betäubungsmitteln sei der Antragsteller schriftlich belehrt worden. Ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst würde die militärische Ordnung gefährden und eine negative Vorbildwirkung haben.
Über die vom Antragsteller gegen den Entlassungsbescheid erhobene Beschwerde vom 19. August 2019 ist noch nicht entschieden.
Am 20. August 2019 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gegen den Entlassungsbescheid vom 24. Juli 2019 anzuordnen.
Mit Beschluss vom 15. November 2019 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit zu Recht abgelehnt und sich darauf gestützt, dass die angefochtene Entlassungsverfügung bei summarischer Prüfung nach § 55 Abs. 5 SG rechtmäßig ist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
1. Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 8).
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 9).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinne des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 10).
2. Gemessen an diesem Maßstab ist die fristlose Entlassung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten gerechtfertigt und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat während der ersten vier Dienstjahre durch den unerlaubten Besitz einer Ecstasy-Tablette in der Absicht, diese zu konsumieren, seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt; sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis würde die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden. Die dagegen gerichteten Einwendungen des Antragstellers bleiben ohne Erfolg.
Den Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln leiten sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht aus den eigenen Angaben des Antragstellers im Rahmen der polizeilichen Vernehmung am Tattag, dem 27. April 2019, her. In dieser Beschuldigtenvernehmung hatte der Antragsteller angegeben, dass er die Ecstasy-Tablette von einem Freund bekommen und gedacht habe, „ich probier es mal“. Zwar hat er in späteren Einlassungen einen anderen Geschehensablauf geschildert, wonach ihm die Ecstasy-Tablette in der Diskothek „unbemerkt zugesteckt“ worden sein soll. Allerdings ist dieser neue – lebensfremde – Vortrag mit dem Verwaltungsgericht als offensichtliche Schutzbehauptung zu werten, um sich zu entlasten.
Das Verwaltungsgericht hat angesichts dessen zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller aufgrund des Besitzes einer Ecstasy-Tablette die Pflicht zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten nach § 17 Abs. 2 Satz 1 SG, die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) sowie die Gehorsamspflicht (§ 11 SG) verletzt hat. Im Rahmen seiner Einstellung war der Antragsteller schriftlich ausdrücklich darüber belehrt worden, dass sich ein Soldat strafbar macht, wenn er innerhalb oder außerhalb des Dienstes unbefugt Betäubungsmittel besitzt, und dass zu diesen auch sog. „weiche“ Drogen wie Haschisch und Marihuana sowie aufputschende Drogen wie zum Beispiel Ecstasy gehören. Darüber hinaus ist er über die dienstrechtliche Folge belehrt worden, dass bei Soldaten auf Zeit der Betäubungsmittelmissbrauch in den ersten vier Dienstjahren zu einer fristlosen Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG führen kann. Das Ansehen der Bundeswehr sowie die Achtung und das Vertrauen, die der Dienst als Soldat erfordern, gebieten es, dass sich der Soldat jeglichen Betäubungsmittelmissbrauchs enthält (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 2 B 98.99 – juris Rn. 4). Auch der einmalige Besitz einer Ecstasy-Tablette außerhalb der Kaserne ist geeignet, andere Soldaten zur Nachahmung anzureizen und so einer allgemeinen Disziplinlosigkeit Vorschub zu leisten. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als mehrere Kameraden den Vorfall in der Diskothek mitbekommen haben und auch im weiteren Kollegenkreis innerhalb der Kaserne darüber gesprochen worden ist. Ferner ist jede Art von Rauschgiftbesitz bei den Streitkräften mit den Erwartungen der Bevölkerung an die Integrität der Bundeswehr unvereinbar (vgl. BVerwG, B.v. 15.3.2000 – 2 B 98.99 – juris Rn. 7).
Entgegen der Ansicht des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass der Entlassungsbescheid vom 24. Juli 2019 ausschließlich auf den unbefugten Besitz von Betäubungsmitteln im oder außer Dienst gestützt ist und nicht versucht, „die Entscheidung der Antragsgegnerin in einem Bereich weitergehender als diese selbst in unzulässiger Weise zu stützen“. Vielmehr hat es ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob der Antragsteller auch Betäubungsmittel konsumiert und/oder mit ihnen gehandelt hat, weil ihm jedenfalls der Vorwurf des Besitzes der Ecstasy-Tablette in der Absicht, diese zu konsumieren, zu Recht gemacht werde (Rn. 41 des Beschlusses). Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes nach § 86 Abs. 1 VwGO ist das Gericht im Übrigen nicht gehindert, den gesamten Akteninhalt zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu würdigen.
Der vom Antragsteller vorgelegte forensisch-toxikologische Endbefund eines Labors, der bestätigt, dass beim Antragsteller am 17. Mai 2019 die Drogenanalytik negativ ausgefallen ist, besagt nichts über den Besitz von Drogen etwa drei Wochen zuvor am 27. April 2019. Abgesehen davon ist die Einnahme von Ecstasy nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Antragsgegnerin spätestens nach vier Tagen nicht mehr im Urin nachweisbar.
Dass die Staatsanwaltschaft L. das Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen Vergehens nach § 29 BtMG gemäß § 153a Abs. 1 StPO wegen geringer Schuld gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 150 € eingestellt hat, ist für das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung nicht relevant (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.2013 – 2 WD 20.12 – juris Rn. 41). Die Schwere der Dienstpflichtverletzung oder die Verwirklichung eines Straftatbestandes ist kein Tatbestandsmerkmal im Sinn von § 55 Abs. 5 SG.
Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 17. August 2017 (M 21 S17.2245) kann dem angefochtenen Beschluss schon deshalb nicht entgegenstehen, weil ihr eine andere Fallgestaltung zugrunde lag, nämlich ein außer Dienst begangener Diebstahl. Abgesehen davon erfordert jedenfalls die Beurteilung, ob aufgrund einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung eine Wiederholungs- oder eine Nachahmungsgefahr bestehen, jeweils eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 28.1.2013 – 2 B 114.11 – juris Rn. 10).
Die Antragsgegnerin hat schließlich das ihr nach § 55 Abs. 5 SG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Insbesondere sind atypische Aspekte, die im maßgeblichen Einzelfall des Antragstellers ausnahmsweise zu einer anderen Beurteilung führen könnten, weder ersichtlich noch vorgetragen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2018 – 6 CS 18.775 – juris Rn. 17; B.v. 19.4.2018 – 6 CS 18.580 – juris Rn. 19). Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers wird hier nicht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hauptsache vorweggenommen, so dass eine Erhöhung auf den Streitwert des Hauptsacheverfahrens nicht gerechtfertigt ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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