Verwaltungsrecht

Entschädigung aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz

Aktenzeichen  15 O 10858/20

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8842
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 2, § 16, § 17, § 31, § 32, § 56, § 65
BayPAG § 87 Abs. 1
LStVG Art. 11
GG Art. 14, Art. 100 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 6, § 80 Abs. 5, § 123

 

Leitsatz

1. Da § 65 IfSG auf die Vorschriften aus dem 4. Abschnitt des IfSG Bezug nimmt, umfasst die Entschädigung nur Maßnahmen, die zum Zwecke der Verhütung übertragbarer Krankheiten getroffen wurden, nicht aber Maßnahmen zu deren Bekämpfung. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 65 IfSG ist nicht deshalb anwendbar, weil Verhütungsmaßnahmen nach § 16 IfSG und Bekämpfungsmaßnahmen nach § 28 IfSG nicht medizinisch exakt zu trennen seien und Maßnahmen der Infektionsprophylaxe oftmals zugleich auch der Bekämpfung der Weiterverbreitung des Virus dienten, weshalb § 65 IfSG erweiternd ausgelegt werden müsse. (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Voraussetzung für einen Zahlungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BayPAG iVm Art. 11 LStVG ist, dass das Infektionsschutzgesetz insoweit keine abschließende Regelung enthält, da Ansprüche aus § 87 BayPAG nur dann in Betracht kommen, wenn das Infektionsschutzgesetz als spezielles Gefahrenabwehrrecht keine Normen enthält, die die Anwendung des BayPAG sperren. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Infolge der Entpolizeilichung der Verwaltung gilt das BayPAG nur für die staatliche Vollzugspolizei. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Staat haftet nicht für legislatives Unrecht. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.364,73 € festgesetzt.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Die Klagepartei kann keine Zahlungsansprüche gegen den Beklagten geltend machen. Dabei kann dahinstehen, dass die Allgemeinverfügung vom 16.03.2020 und die BaylfSMV vom 27.03.2020 nicht unmittelbar den Betrieb des Klägers untersagen, sondern Veranstaltungen verbieten, auf denen der Kläger für Auftritte gebucht war. Denn ein Anspruch scheidet bereits aus anderen Gründen aus.
1. Die Klagepartei hat keinen Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Es ist unstreitig, dass der Kläger nicht zu diesem Personenkreis des § 56 Abs. 1 i.V.m. § 2 IfSG gehört. Die Schließung des Betriebes wurde nicht angeordnet, weil der Kläger oder einer seiner Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern war. Weitere Anspruchsgrundlagen im Rahmen des § 56 IfSG kommen nicht in Betracht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus § 65 Abs. 1 IfSG.
Danach ist eine Entschädigung in Geld zu leisten, soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht worden ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht gegeben.
a. Da § 65 IfSG auf die Vorschriften aus dem 4. Abschnitt des IfSG Bezug nimmt, umfasst die Entschädigung nur Maßnahmen, die zum Zwecke der Verhütung übertragbarer Krankheiten getroffen wurden, nicht aber Maßnahmen zu deren Bekämpfung (BeckOK InfSchR/Kruse, 3. Ed. 1.1.2021, IfSG § 65 Rn. 9; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 42). Vorliegend wurden jedoch sowohl die Allgemeinverfügung als auch die danach folgenden Verordnungen auf §§ 28 Abs. 1 und 32 IfSG gestützt. Die Maßnahmen wurden durch die Bundesländer erst angeordnet, nachdem bereits die WHO am 11.03.2020 den Covid-19-Ausbruch zu einer Pandemie erklärt hat. Mit Stand vom 11.03.2020 gab es in Bayern bereits 366 bestätigte SARS-CoV-2-Fälle und deutschlandweit insgesamt 1.567 bestätigte SARS-CoV-2-Fälle (https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/6507/11_2020_DOI_6535.pdf?sequence=1&isAllowed=y). Die Behörden handelten nicht präventiv im Vorfeld einer drohenden Pandemie, sondern haben Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung getroffen (so auch Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 29). Daher ist § 65 Abs. 1 IfSG seinem Wortlaut nach nicht anwendbar (LG Hannover, Urteil vom 09.07.2020 – 8 O 2/20, NJW-RR 2020, 1226, 1227; LG Köln, Urteil vom 12.01.2021 – 15 O 215/20, BeckRS 2021, 264, Rz. 37; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet/; Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417, 420; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666, 669; Siegel, NVwZ 2020, 577, 583; Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 29).
b. In der Literatur wird teilweise auch argumentiert, § 65 IfSG sei anwendbar, weil Verhütungsmaßnahmen nach § 16 IfSG und Bekämpfungsmaßnahmen nach § 28 IfSG nicht medizinisch exakt zu trennen seien und Maßnahmen der Infektionsprophylaxe oftmals zugleich auch der Bekämpfung der Weiterverbreitung des Virus dienten, weshalb § 65 IfSG erweiternd ausgelegt werden müsse (Rommelfanger, CoVuR 2020, 178, 180).
Diese Argumentation ist jedoch mit der gesetzlichen Systematik und dem gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang zu bringen.
Das Infektionsschutzgesetz unterscheidet wie schon das frühere Bundesseuchengesetz zwischen Maßnahmen zur Verhütung und Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. Diese Unterscheidung zeigt sich systematisch darin, dass der 4. Abschnitt des IfSG die Verhütung übertragbarer Krankheiten zum Gegenstand hat und der 5. Abschnitt des IfSG die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten regelt. § 16 IfSG stellt dabei die Generalklausel für Verhütungsmaßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten dar, § 28 IfSG die Generalklausel für Bekämpfungsmaßnahmen (BVerwG, Urteil v. 22.03.2012 – 3 C 16/11, NJW 2012, 2823, 2825; LG Hannover, Urteil v. 11.12.2020 – 8 O 4/20; Gerhardt, 5. Aufl. 2021, IfSG § 28 Rn. 1 a; BeckOK InfSchR/Johann/Gabriel, 3. Ed. 1.1.2021, IfSG § 28 Rn. 1; Kießling, 1. Aufl. 2020, IfSG, § 28 Rn. 1).
Es ist zwar richtig, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten zugleich auch deren Weiterverbreitung verhindern. Der Gesetzgeber hat dies auch gesehen, und sich dennoch für die (weitere) Unterscheidung beider Begriffe entschieden. Zu den Bekämpfungsmaßnahmen gehören solche Maßnahmen, die an das Auftreten einer übertragbaren Krankheit, eines Krankheitsverdachts, eines Ansteckungsverdachts oder eines Ausscheidungsverdachts anknüpfen; für diese Fälle sollte ausschließlich der 5. Abschnitt gelten (BT-Drs. 3/1888, S. 21). Verhütungsmaßnahmen, welche im 4. Abschnitt geregelt sind, betrafen dagegen nur Maßnahmen zur Entstehung übertragbarer Krankheiten, nicht aber die Verhinderung der Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten (BT-Drs. 3/1888, S. 21 f.). Der Gesetzgeber hat demnach an der Abgrenzung der Begriffe „Verhütung“ und „Bekämpfung“ festgehalten. Daher stehen § 16 Abs. 1 IfSG einerseits und § 28 Abs. 1 IfSG andererseits in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.11.2020 – 13 MN 411/20, BeckRS 2020, 29454; Cornils, https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet; zu den entsprechenden und weitgehend identischen Vorgängervorschriften §§ 10 Abs. 1, 34 Abs. 1 BSeuchG siehe BVerwG, Urteil vom 16.12.1971 – I C 60/67 -, juris, Rdnr. 28).
3. Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf Zahlung von Entschädigung aus einer analogen Anwendung der § 56 bzw. 65 IfSG.
Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 27.01.2010 – XII ZR 22/07, NJW 2010, 1065, 1066 m.w.N.).
a. Teilweise wird in der Literatur eine planwidrige Regelungslücke mit dem Argument bejaht, der Gesetzgeber sowohl des Bundesseuchengesetzes als auch des Infektionsschutzgesetzes habe bei der Schaffung der gesetzlichen Entschädigungstatbestände derartige, auf § 28 IfSG gestützte, kollektive Betriebs- bzw. Gewerbeuntersagungen im Rahmen einer Epidemie nicht im Blick gehabt. Daher müsse im Wege eines erst-recht-Schlusses auch den von einer Bekämpfungsmaßnahme betroffenen Nichtstörern ein Ausgleich ihrer Vermögensnachteile gewährt werden, da sie keinen Anlass für die Infektionsschutzmaßnahmen gesetzt hätten und schicksalhaft zu Geschädigten geworden seien (vgl. eine Analogie von § 56 IfSG bejahend Rommelfanger, COVuR 2020, 178, 180; eine Analogie von § 65 IfSG wohl bejahend Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 30 ff.; eine analoge Anwendbarkeit verneinend: LG Köln, Urteil v. 12.01.2021, BeckRS 2021, 264 Rz. 30 ff.; LG Hannover, Urteil v. 09.07.2020, NJW-RR 2020, 1226 Rz. 31 ff.; LG Heilbronn, Urteil v. 29.04.2020, NVwZ 2020, 975 Rz. 20; BeckOGK/Dörr, 1.2.2021, BGB § 839 Rn. 1066; Rinze/Schwab, NJW 2020, 1905, 1906; Schmitz/Neubert, NVwZ 2020, 666 669; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 49 ff.).
b. Vorliegend fehlt jedoch eine solche planwidrige Regelungslücke. Sowohl die historische Betrachtung des Gesetzgeberwillens als auch die Analyse der aktuellen gesetzgeberischen Tätigkeit stehen der Annahme einer solchen planwidrigen Regelungslücke entgegen.
aa. Bereits das Bundesseuchengesetz (BSeuchG) vom 18.07.1961 unterschied zwischen den im 4. Abschnitt geregelten Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§§ 10 ff. BSeuchG) und den im 5. Abschnitt geregelten Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 30 ff. BSeuchG).
Das BSeuchG von 1961 sah in zwei Fällen Entschädigungsansprüche vor. Zum einen für Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige oder Ansteckungsverdächtige, deren Erwerbstätigkeit behördlich beschränkt wurde (§ 49 BSeuchG) und zum anderen für Eigentümer, deren Gegenstände aufgrund einer Entseuchungsmaßnahme vernichtet oder beschädigt wurden (§ 57 BSeuchG). Diese Entschädigungsregeln sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine ausschließliche Regelung darstellen, allerdings die wichtigsten der nach dem Gesetz in Betracht kommenden Entschädigungsfälle regeln (BT-Drs. 3/1888, 27).
Nach § 57 BSeuchG wurde eine Entschädigung für Maßnahmen der Infektionsbekämpfung (§ 39 BSeuchG) (BT-Drs. 3/1888, S. 26) gewährt. Im Rahmen der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich aufgeführt: „Diese Entschädigung bei Entseuchungs-, Entwesungs- oder Entrattungsmaßnahmen ist begrifflich keine Enteignungsentschädigung, weil der Verfügungsberechtigte Störer ist. Gleichwohl erscheint es gerechtfertigt, in diesen Fällen eine Entschädigung zu gewähren, weil der Verfügungsberechtigte regelmäßig ohne Verschulden und schicksalsbedingt Störer geworden ist und im Interesse der Allgemeinheit zu dem Opfer genötigt wird“ (BT-Drs. 3/1888, S. 29).
Mit Urteil des BGH wurde bereits auf die Trennung von Maßnahmen nach § 10 BSeuchG und § 39 BSeuchG hingewiesen (BGH, Urteil v. 01.03.1971 – III ZR 29/68, BGHZ 55, 366, 369 ff.). Bereits im Jahr 1971 hatte der BGH in diesem Urteil eine analoge Anwendung des § 57 BSeuchG auf Anordnungen nach § 10 BSeuchG verneint. Die Voraussetzungen eines behördlichen Einschreitens und die behördlichen Befugnisse nach § 10 decken sich nicht mit den Maßnahmen, die § 39 BSG behandelt; die Behörde handelt zum Zwecke der Verhütung (§ 10) unter anderen Voraussetzungen und Verhältnissen als in den Fällen der Bekämpfung (§ 39), bei der die Lage bereits durch eine öffentliche Not gekennzeichnet ist, die ein schärferes und weitergespanntes Einschreiten gebietet und rechtfertigt (BGH, Urteil v. 01.03.1971 – III ZR 29/68, BGHZ 55, 366, 368). Der BGH sah auch deshalb die Entschädigungsregelungen der §§ 49 ff. BSeuchG nicht als abschließend an, sodass auch deshalb keine Notwendigkeit für eine entsprechende Anwendung vorlag (BGH, Urteil v. 01.03.1971 – III ZR 29/68, BGHZ 55, 366, 369).
Der Gesetzgeber erweiterte sodann mit dem zweiten Gesetz zur Änderung des BSeuchG die Entschädigungsregelung auf Anordnungen nach § 10 BSeuchG, da „eine Enteignungsentschädigung auch bei Maßnahmen nach § 10 in Betracht kommen kann“ (BT-Drs. 6/1568, S. 10).
Mit dem vierten Gesetz zur Änderung des Bundesseuchengesetzes vom 18.12.1979 (BGBl. I, S. 2262) wurde die Vernichtung von Gegenständen nunmehr im Bereich der Präventivmaßnahmen im vierten Abschnitt geregelt. Da Maßnahmen (z.B. Entseuchung und Entwesung) sowohl bei der Verhütung als auch bei der Bekämpfung eine Rolle spielen, wurde die frühere Regelung des § 39 BSeuchG als § 10 a BSeuchG neu gefasst (BT-Drs. 8/2468, S. 19). § 39 BSeuchG wurde gestrichen. Daher wurde auch in § 57 Abs. 1 BSeuchG die Entschädigung für Maßnahmen nach den §§ 10-10 c BSeuchG gewährt. Der Regierungsentwurf enthält keine weitergehende Begründung (BT-Drs. 8/2468, S. 32).
Damit wurde bewusst die Regelung des § 39 BSeuchG aus dem Bereich der Gefahrbekämpfung in den Bereich der Gefahrverhütung verschoben. Es ist nicht erkennbar, dass dem Gesetzgeber die Konsequenz dieser Änderung, dass damit eine Entschädigung nur noch bei Präventionsmaßnahmen möglich ist, angesichts der vorangegangenen Rechtsprechung und Änderungen nicht vor Augen gestanden hätte (Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 56; zweifelnd Struß/Fabi, DÖV 2020, 665; zu einer vergleichbaren Problematik bei § 49 Abs. 3 a S. 2 BSeuchG in der Fassung vom 25.08.1971 s. BVerfGE 57, 107).
bb. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes eine Veränderung der Entschädigungsregelungen vornehmen wollte. § 56 IfSG und § 65 IfSG entsprechen im Wesentlichen den Vorschriften der § 49 BSeuchG und § 57 BSeuchG (BT-Drs. 14/2530, 88 f.). Weitergehende Änderungen, insbesondere Erweiterungen der Entschädigungsregelungen finden sich nicht, vielmehr ging der Gesetzgeber davon aus, dass mit diesen Entschädigungsregeln des 12. Abschnitts der von der Rechtsprechung entwickelte allgemeine Aufopferungsanspruch umfassend ersetzt sei und diesem keine lückenschließende Funktion mehr zukomme (BT-Drs. 14/2530, 87).
cc. Auch die aktuelle gesetzgeberische Tätigkeit zum Infektionsschutzgesetz spricht gegen eine planwidrige Regelungslücke.
(1) Mit Gesetz vom 27.3.2020 (BGBl. 2020 I 587) hat der Gesetzgeber während der bereits andauernden Corona-Pandemie den § 56 IfSG mit Absatz 1 a um einen weiteren Entschädigungstatbestand ergänzt, welcher Sorgeberechtigten betreuungsbedürftiger Kinder den Verdienstausfall ersetzt, den diese aufgrund von Schließungen von Schulen oder Betreuungseinrichtungen erleiden.
Dieser Gesetzesergänzung ist eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 16.03.2020 vorausgegangen, die sich mit der Entschädigung von Nachteilen auf Grund von Verordnungen nach dem IfSG auseinandersetzt. Dabei kam der wissenschaftliche Dienst zu dem Ergebnis, dass z.B. für die Schließung von Bars und anderen Einrichtungen auf Grund von Verordnungen zur Eindämmung des Coronavirus keine Entschädigungsansprüche im IfSG vorgesehen seien (Wiss. Dienst des BT, WD – 3000 – 069/20, https://www.bundestag.de/resource/blob/692602/352cce5e021a097d9d87700cbb4f0409/WD-3-069-20-pdf-data.pdf).
Dem Gesetzgeber war somit bei Schaffung des neuen Entschädigungstatbestands gem. § 56 Abs. 1 a IfSG bekannt, dass es für Betriebsschließungen keine seuchengesetzlichen Entschädigungsansprüche gab. Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege ist vom selben Tag, auch der Katastrophenfall wurde am 16.03.2020 in Bayern ausgerufen (vgl. https://www.bayern.de/corona-pandemie-bayern-ruft-den-katastrophenfall-aus-veranstaltungsverbote-und-betriebsuntersagungen).
Da der Gesetzgeber in dieser Lage und trotz dieser Kenntnis mit § 56 Abs. 1 a IfSG nur einen eng begrenzten Fall der Entschädigungslosigkeit beseitigt und für Betriebsschließungen aufgrund von Maßnahmen der Epidemiebekämpfung keinen Entschädigungstatbestand geschaffen hat, gibt es keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass es sich hierbei um eine planwidrige Regelungslücke handele (LG Hannover, Urteil v. 09.07.2020 – 8 O 2/20, NJW-RR 2020, 1226 Rz. 46).
(2) Seitdem wurde das Infektionsschutzgesetz mehrfach geändert. Auch gegenwärtig, im April 2021, soll das Infektionsschutzgesetz erneut geändert werden. Der Gesetzentwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite soll zwei wesentliche Lücken im geltenden Infektionsschutzgesetz (BT-Drs. 19/28444, S. 1) schließen. An den Entschädigungsvorschriften soll jedoch nichts geändert werden.
Der Gesetzgeber kennt also Lücken des Infektionsschutzgesetzes und wusste, dass es keinen Entschädigungstatbestand für Betriebsschließungen gibt. Wäre diese Lücke planwidrig, wäre sie im Rahmen einer Änderung des Gesetzes geändert worden. Da dies nicht geschehen ist, kann auch nicht von einer Planwidrigkeit ausgegangen werden. Stattdessen zeigen auch die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, dass der Gesetzgeber insbesondere dieses Gesetz derzeit genau im Auge hat und weiß, was geregelt wurde – oder eben absichtlich nicht geregelt wurde.
4. Der Klägerin steht auch kein Zahlungsanspruch aus § 87 Abs. 1 PAG i.V.m. Art. 11 LStVG zu.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit ist, dass das Infektionsschutzgesetz insoweit keine abschließende Regelung enthält, da Ansprüche aus § 87 PAG nur dann in Betracht kommen, wenn das Infektionsschutzgesetz als spezielles Gefahrenabwehrrecht keine Normen enthält, die die Anwendung des PAG sperren (Kießling/Krümper, 1. Aufl. 2020, § 65 Rn. 16).
a. Eine abschließende Entschädigungsregelung des IfSG wird in der Literatur mit der Sperrwirkung für das allgemeine Polizeirecht teilweise unter Verweis auf den Willen des seuchenschutzrechtlichen Bundesgesetzgebers verneint (Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, 417, 420 f.; Rommelfanger, COVuR 2020, 178, 181 ff.; Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 59). Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber des Bundesseuchengesetzes von 1961 dessen Entschädigungsregelungen explizit nicht als umfassend ausschließliche Regelung bezeichnet hat (BT-Drs. 3/1888, 27).
b. Eine andere Ansicht geht indes davon aus, dass die Regelungen des IfSG die Anwendbarkeit der polizeirechtlichen Regelungen sperrt. Für die Sperrwirkung sei es nicht erforderlich, dass es eine vollkommen umfassende, jeden denkbaren Entschädigungsanspruch enthaltende Regelung enthält. Ausreichend sei hierfür vielmehr, wenn die Normen des IfSG eine abschließende Regelung für die einschlägige Fallkonstellation der Inanspruchnahme von Nichtstörern treffen (vgl. BGHZ 136, 172 = NJW 1998, 544 Rn. 11 f.; LG Hannover, Urteil v. 09.07.2020 – 8 O 2/20, NJW-RR 2020, 1226 Rz. 54; LG Köln, Urteil v. 12.01.2021 – 5 O 215/20, BeckRS 2021, 264 Rz. 40; Kießling/Krümper, 1. Aufl. 2020, § 65 Rn. 16).
c. Dies kann vorliegend jedoch dahingestellt bleiben. Eine weitere Voraussetzung ist es nämlich auch, dass die Polizei oder die im jeweiligen Gesetz bezeichnete Ordnungsbehörde die Maßnahme getroffen hat (Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 73).
Infolge der Entpolizeilichung der Verwaltung gilt das PAG nur für die staatliche Vollzugspolizei (BeckOK PoIR Bayern/Unterreitmeier, 15. Ed. 1.11.2020, LStVG Art. 11 Rn. 1). Art. 6 LStVG bezeichnet als Sicherheitsbehörden die Gemeinden, Landratsämter, Regierungen und das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. Vorliegend hat jedoch keine Sicherheitsbehörde i.S.d. LStVG gehandelt, sondern das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege. Die betroffene Maßnahme beruht auf § 28 IfSG.
d. Soweit die Klägerin sich hier auf das Urteil des OLG Naumburg bezieht, in dem eine Gaststätte und Pension einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 69 Abs. 1 SOG LSA hatte, weil sie als Nichtstörer in Anspruch genommen wurde (OLG Naumburg, Urteil v. 11.01.2018 – 9 U 48/17, BeckRS 2018, 16717), ist diese Norm nicht mit § 87 Abs. 1 PAG vergleichbar. In § 87 Abs. 1 PAG ist ausdrücklich geregelt, dass ein Entschädigungsanspruch nur dann besteht „soweit der Schaden durch die polizeiliche Maßnahme entstanden ist“. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SOG LSA ist demjenigen, der „infolge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 10 einen Schaden“ erleidet, ein „angemessener Ausgleich zu gewähren“.
5. Der Klägerin steht auch kein Zahlungsanspruch aus dem Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs oder des enteignungsgleichen Eingriffs zu.
a. Ansprüche aus enteignendem Eingriff und des enteignungsgleichen Eingriffs sind gesetzlich nicht geregelt. Sie basieren vielmehr auf dem – vormals in §§ 74 f. des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten positiv-rechtlich normierten – allgemeinen Aufopferungsgedanken und entspringen richterrechtlicher Rechtsfortbildung (BGH, Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478, 479; Eibenstein, NVwZ, 2020, 930, 933). Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoheitlicher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird (BGH, Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 302/05, NJW 2007, 830, 833 m.w.N.).
Eine Haftung aus enteignendem Eingriff kommt hingegen in Betracht, wenn eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einem Betroffenen zu – meist atypischen und unvorhergesehen – Nachteilen führt, die er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen hinnehmen muss, die aber die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren übersteigen (BGH, Urteil vom 19.01.2006 – III ZR 121/05, NVwZ 2006, 1086 m.w.N.).
Hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen „geschützte Rechtsposition“, „Sonderopfer“ sowie hinsichtlich des Umfangs der Entschädigungsansprüche sind beide Haftungsinstitute kongruent; sie unterscheiden sich auch nicht hinsichtlich des Eingriffstatbestandes als solchen, sondern nur darin, ob der Eingriff rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen war. Dies hat die praktische Konsequenz, dass mitunter im Einzelfall dahingestellt bleiben kann, ob die streitige Maßnahme der öffentlichen Gewalt als (rechtswidriger) enteignungsgleicher oder als (rechtmäßiger) enteignender Eingriff zu werten ist (vgl. BGHZ 117, 240/253). So liegt der Fall auch hier.
b. Vorliegend kommt es nicht darauf an, ob die streitige Maßnahme rechtswidrig oder rechtmäßig war. Es kommt ebenfalls nicht darauf an, ob die Maßnahme einen Eingriff in den eigentumsrechtlichen Schutzbereich von Art. 14 GG fällt. Stattdessen scheitert ein Anspruch an dem Umstand, dass richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitute des enteignenden (und enteignungsgleichen) Eingriffs nur auf einzelfallbezogene Eigentumsbeeinträchtigungen angewandt werden können und keine geeignete Grundlage darstellt, um massenhaft auftretende Schäden auszugleichen (BGH, Urteil v. 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478, 479; BGH, Urteil v. 10.02.2005 – III ZR 330/04, NJW 2005, 1363 f.; speziell im Hinblick auf Covid-19: LG Köln, Urteil v. 12.01.2021 – 5 O 215/20, BeckRS 2021, 264 Rz. 43; LG Hannover, Urteil v. 09.07.2020 – 8 O 2/20, NJW-RR 2020, 1226 Rz. 87).
aa. Zwar wird teilweise die Ansicht vertreten, dass diese Argumentation nicht für untergesetzliche Rechtsetzungsakte wie Rechtsverordnungen oder Satzungen Anwendung findet (vgl. hierzu MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2020, Vor § 903, Rn. 95; Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 84), dem ist aber nicht zu folgen. Der BGH hat bislang stets eine Haftung für legislatives und weitestgehend auch für normatives Unrecht mangels Drittbezogenheit abgelehnt (BGHZ 56, 40, 46; 84, 292, 300; 87, 321, 335; 100, 136; 102, 350; 125, 27; BGH, Urteil v. 16.04.2015 – III ZR 204/13, BeckRS 2015, 08777 Rn. 32; BeckOK BGB/Reinert, 57. Ed. 1.2.2021, BGB § 839 Rn. 69).
bb. Hierzu hat das Landgericht Hannover bereits in seinem Urteil vom 09.07.2020 (Az. 8 O 2/20) ausführlich zur Covid-19-Pandemie Stellung genommen:
„Die vom BGH zur Ablehnung der Haftung für legislatives Unrecht entwickelte Argumentation trifft nach hiesigem Verständnis auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem massenhafte Ansprüche auf Grund von Rechtsverordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu erwarten wären. Die Zubilligung von Entschädigungs- oder Ausgleichsansprüchen gegen den Staat für vielfach auftretende Eigentumsbeschränkungen könnte so weitreichende Folgen für die staatlichen Finanzen haben, dass hierdurch dem Haushaltsgesetzgeber die freie Entscheidungskompetenz aus der Hand genommen würde, wie, wofür und in welchem Umfang er in einer nationalen Krisensituation die begrenzten staatlichen Mittel einsetzt. Dies widerspräche dem Grundsatz der Gewaltenteilung, da die grundlegenden Entscheidungen über die Verwendung der staatlichen Mittel zum Kern der parlamentarischen Rechte in der Demokratie gehören (vgl. BVerfGE 129, 124 = NJW 2011, 2946 Rn. 104) und es insoweit für die Auswirkung auf den Entscheidungsspielraum des parlamentarischen Gesetzgebers unerheblich ist, welche Rechtsform der als entschädigungspflichtig angesehene staatliche Akt hat. Das richterrechtlich entwickelte Rechtsinstitut des enteignenden Eingriffs bietet keine geeignete Grundlage, um die generellen und typischen Folgen einer in einem formellen Gesetz enthaltenen oder auch auf einem formellen Gesetz beruhenden Inhalts- oder Schrankenbestimmung finanziell abzugelten. Denn die Gewährung von Ausgleichsansprüchen durch die Zivilgerichte würde hier im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass das den hoheitlichen Eingriff betreffende Gesetz kraft Richterrechts um eine Klausel für Ausgleichsleistungen ergänzt wird. Eine solche Befugnis steht aber dem an Recht und Gesetz gebundenen Richter nicht zu (BGHZ 102, 350 = NJW 1988, 478 Rn. 34).“
Dieser Argumentation schließt sich die Kammer vollumfänglich an. Da es dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspricht, dass Richterrecht eine Entschädigungsgrundlage für massenhaft auftretende Schäden darstellen soll, gilt diese Argumentation sowohl für den enteignenden als auch den enteignungsgleichen Eingriff.
6. Darüber hinaus besteht auch kein Entschädigungsanspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. § 839 BGB regelt die Haftung von Personen, die bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes eine Pflicht verletzen.
a. Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Regelmäßig steht den von einer behördlichen Anordnung Betroffenen verwaltungsgerichtlicher Eilrechtsschutz zur Verfügung (vgl. §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO). Dies gilt auch für aufgrund von § 32 IfSG erlassene Rechtsverordnungen der Länder (vgl. § 47 Abs. 6 VwGO). Ein solcher vorrangiger Primärrechtsschutz wäre zwar möglich gewesen, allerdings vorliegend nicht zielführend, da ein Antrag womöglich abgelehnt worden wäre. Bislang haben die zuständigen Verwaltungsgerichte die Maßnahmen der Staatsregierung aus der Allgemeinverfügung und den folgenden Verordnungen im einstweiligen Rechtsschutz bestätigt. Auch die Verwaltungsgerichte haben die entsprechenden Anordnungen daher nicht als offensichtlich unwirksam angesehen.
b. Allerdings setzt § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB auch voraus, dass ein Amtsträger schuldhaft gehandelt hat. Dies ist vorliegend abzulehnen.
Vorsatz liegt ersichtlich nicht vor und wurde auch nicht von der Klägerin vorgetragen. Aber es liegt auch keine Fahrlässigkeit vor. Zwar waren die Regelungen des IfSG nicht mehr „neu“, wenngleich sie bislang in der Rechtsprechung kaum zur Anwendung gekommen waren. Ferner wurden die Vorschriften des IfSG im Wesentlichen aus dem BSeuchG übernommen. Ein erheblicher Umstand, der gegen eine Fahrlässigkeit spricht, ist allerdings, dass die Behörden sich erstmals nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes mit einer Pandemie auseinandersetzen mussten, also jegliche Erfahrung im Hinblick auf deren Bekämpfung fehlte. Zudem sind die Behörden auf die Expertise von Fachleuten, insbesondere Virologen, angewiesen, und auch diese waren im Hinblick auf die Erforderlichkeit bestimmter Maßnahmen nicht immer einer Meinung (vgl. Schmidt/Winter/Thürk, Covid-19, 3. Aufl. 2021, § 22 Rn. 104; Tholl, Staatshaftung und Corona, Rn. 121).
7. Soweit die Klägerin meint, das Verfahren sei nach Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG auszusetzen um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungskonformität der §§ 56 und 65 IfSG einzuholen, geht diese Annahme fehl, da die Vorlagevoraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Ein solcher Antrag auf konkrete Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist nämlich nur zulässig, wenn das vorgelegte Gesetz entscheidungserheblich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm.
Die Entscheidungserheblichkeit ist zu bejahen, wenn es für die abschließende (BVerfGE 50, 108, 113; 79, 240, 243) Entscheidung des Rechtsstreits, der beim vorlegenden Gericht anhängig ist, auf die Gültigkeit des vorgelegten Gesetzes ankommt. Es kommt also darauf an, ob das Gericht – unter Zugrundelegung seiner eigenen Rechtsauffassung – bei Gültigkeit der vorgelegten Norm zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (BVerfGE 7, 171, 173 f.; 84, 233, 236 f.). Die Normenkontrolle muss also für die Entscheidung des anhängigen Verfahrens unerlässlich sein (BVerfGE 63, 1, 22; zum Ganzen: BeckOK GG/Morgenthaler, 46. Ed. 15.2.2021, GG Art. 100 Rn. 17).
Vorliegend ist es jedoch nicht entscheidungserheblich, ob §§ 56 und 65 IfSG verfassungskonform sind. Die Kammer kommt bei der Gültigkeit der Normen zu keinem anderen Ergebnis als im Falle ihrer Ungültigkeit.
Bei Gültigkeit der Normen ist die Klage abzuweisen, da die Klägerin keine Ansprüche aus diesen Normen, auch nicht in entsprechender Anwendung, herleiten kann. Ginge man nun von der Ungültigkeit der Normen aus, hätte die Klägerin dennoch keinen Anspruch auf Entschädigung, da bei Ungültigkeit der Norm auch keine weitere Anspruchsgrundlage in Betracht käme, woraus sich ein Entschädigungsanspruch ergeben könnte, sodass sich der Ausgang des Rechtsstreits nicht ändern würde.
Der Staat haftet nicht für legislatives Unrecht und somit in concreto nicht für verfassungswidrige Gesetze (BGH, Urteil v. 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478, 480; Berwanger, NJOZ 2019, 1521, 1524; MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2020, Vor § 903, Rn. 94; Geiger, NVwZ 2020, 1234, 1237 f.). Im Übrigen lässt sich ein umfassender Entschädigungsanspruch für Vermögenseinbußen aus der tatsächlichen Beachtung verfassungswidriger Rechtsnormen auch nicht aus dem Sinnzusammenhang der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums herleiten (BVerfG, Beschl. v. 13.11.1987; BGH, Urteil vom 10.12.1987 – III ZR 220/86, NJW 1988, 478, 480).
8. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
C.
Für die Bemessung des Streitwerts war der klägerische Zahlungsantrag maßgebend.


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