Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem, Ermahnung beim erstmaligen Erreichen von vier oder fünf Punkten, Ersatzzustellung der Verwarnung, Beweiskraft der Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  11 CS 21.1280

Datum:
19.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20909
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 4 Abs. 5 S. 1, Abs. 6
ZPO § 180, § 182 Abs. 1, Abs. 2, § 418 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 7 S 21.372 2021-03-21 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse 3 (erteilt 1998) nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem.
Am 5. November 2019 ging bei der damals örtlich zuständigen Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Augsburg ein Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts ein, wonach der Antragsteller durch mehrere Ordnungswidrigkeiten vier Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht habe. Dem lagen Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften am 4. Mai 2018 sowie am 4. Juni 2018, ein Rotlichtverstoß am 19. Mai 2018 sowie eine vorschriftswidrige Nutzung eines elektronischen Kommunikationsgeräts als Kraftfahrzeugführer am 13. Juli 2019 zu Grunde. Sämtliche Verstöße wurden rechtskräftig mit Bußgeldbescheid geahndet.
Unter dem 14. November 2019 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der Stadt Augsburg mit, dass gegen den Antragsteller ein weiterer rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen einer vorschriftswidrigen Nutzung eines elektronischen Kommunikationsgeräts am 8. Juli 2019 (bewertet mit einem Punkt) erlassen worden sei und dieser insgesamt fünf Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht habe.
Mit Schreiben vom 25. November 2019 ermahnte die Stadt Augsburg den Antragsteller und wies auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Fahreignungsseminar mit der Folge eines Punkteabzugs hin.
Aufgrund einer Behördenauskunft aus dem Fahreignungsregister verwarnte die Stadt Augsburg den Antragsteller mit Schreiben vom 30. Januar 2020. Der Verwarnung lag eine weitere, mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid geahndete vorschriftswidrige Nutzung eines elektronischen Kommunikationsgeräts am 13. September 2019 (bewertet mit einem Punkt) zu Grunde.
Durch eine weitere Behördenauskunft aus dem Fahreignungsregister vom 9. September 2020 erhielt das mittlerweile örtlich zuständige Landratsamt Augsburg Kenntnis davon, dass gegen den Antragsteller weitere rechtskräftige Bußgeldbescheide wegen vorschriftswidriger Nutzung eines elektronischen Kommunikationsgeräts am 20. Januar 2020 sowie am 11. Mai 2020 (jeweils bewertet mit einem Punkt) erlassen worden waren.
Mit Bescheid vom 29. Oktober 2020 entzog das Landratsamt dem Antragsteller nach Anhörung wegen Erreichens von acht Punkten die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgeldes zur Ablieferung des Führerscheins. In der Rechtsbehelfsbelehrung:heißt es, gegen den Bescheid könne Widerspruch eingelegt oder unmittelbar Klage erhoben werden.
Am 17. November 2020 legte der Antragsteller Widerspruch ein, den die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2021, der dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 20. Januar 2021 zugestellt wurde, als unstatthaft zurückwies. Unter dem 28. Januar 2021 übersandte das Landratsamt dem Antragsteller eine geänderte Rechtsbehelfsbelehrung:dahin, dass gegen den Bescheid vom 29. Oktober 2020 innerhalb eines Monats unmittelbar Klage erhoben werden könne. In dem Begleitschreiben dazu heißt es, die Rechtsbehelfsfrist beginne erst mit Zustellung der korrigierten Rechtsbehelfsbelehrung:zu laufen; diese erfolgte am 2. Februar 2021.
Am 23. Februar 2021 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage (Az. Au 7 K 21.371) gegen den Bescheid erheben, über die das Gericht noch nicht entschieden hat. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. März 2021 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, soweit er sich gegen die Zwangsgeldandrohung und auf eine Verpflichtung des Antragsgegners richte, dem Antragsteller seinen Führerschein vorläufig wieder auszuhändigen. Im Übrigen sei der Antrag zulässig, aber unbegründet, da der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Die Klage sei bereits verfristet. Die Rechtsbehelfsbelehrung:des Ausgangsbescheids sei zwar fehlerhaft, da das fakultative Widerspruchsverfahren nicht einschlägig sei, so dass an sich die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gegolten habe. Ergehe jedoch – wie hier – trotz Wegfalls des Widerspruchsverfahrens fehlerhaft ein Widerspruchsbescheid, finde nicht § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO Anwendung, sondern § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO, so dass die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids hätte erhoben werden müssen. Diese wäre aber auch unbegründet. Der Antragsteller habe mit der zuletzt geahndeten Tat vom 11. Mai 2020 einen Stand von acht Punkten erreicht und zuvor das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, die Klage sei nicht verfristet, da die einschlägige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erst mit der Berichtigung der Rechtsbehelfsbelehrung:zum Ausgangsbescheid in Lauf gesetzt worden sei. Die Klage habe auch Aussicht auf Erfolg, da das Stufensystem nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden sei. Eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten, wie sie hier vorgenommen worden sei, sei nur zulässig, wenn der Zusteller sich vorher vergewissert habe, dass weder der Adressat noch ein erwachsener Familienangehöriger in der Wohnung anwesend seien. Dazu sei hier der Zusteller als Zeuge zu hören. Ferner hätte das Landratsamt den Antragsteller unmittelbar nach Erreichen von vier Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem ermahnen müssen, sonst verfehle diese Maßnahme ihre Warnfunktion.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, inwieweit die Beschwerdebegründung sich hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt. Selbst wenn man von einer Erfüllung des Darlegungserfordernisses und damit einer zulässigen Beschwerde ausgeht, ist diese nicht begründet. Denn die von der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
1. Dem Antragsteller kann zwar nicht entgegengehalten werden, dass er die Klage im Hauptsacheverfahren nicht fristgerecht erhoben hat.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass das fakultative Widerspruchsverfahren hier nicht einschlägig war (vgl. dazu BayVGH, B.v. 11.5.2012 – 11 CS 12.772 – juris Rn. 11), der Ausgangsbescheid vom 29. Oktober 2020 nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO aber gleichwohl nur innerhalb der mit Zustellung des Widerspruchsbescheids in Lauf gesetzten Klagefrist von einem Monat angegriffen werden konnte. Denn Ausgangs- und Widerspruchsbescheid bilden eine Einheit (vgl. OVG NW, B.v. 6.2.2013 – 14 A 273/12 – juris Rn. 17 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 74 Rn. 4). Diese Frist, auf die der Antragsteller in der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung:zutreffend hingewiesen wurde, lief am 22. Februar 2021 ab (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1, 2 ZPO und § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB) und ist somit versäumt worden.
Dem Antragsteller wird allerdings im Klageverfahren auch ohne ausdrücklichen Antrag gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein (vgl. dazu Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 36), weil ihn erkennbar kein Verschulden an der Fristversäumung trifft. Sein Bevollmächtigter durfte auf die „korrigierte“ Rechtsbehelfsbelehrung:zu dem Ausgangsbescheid und den Hinweis in dem Begleitschreiben des Landratsamts vom 28. Januar 2021, die Monatsfrist beginne erst mit der Zustellung dieses Schreibens zu laufen, vertrauen. Der dadurch verursachte Rechtsirrtum ist nachvollziehbar und damit ersichtlich entschuldbar (vgl. dazu auch BVerfG, B.v. 7.2.2013 – 1 BvR 639/12 – NJW 2013, 1588 = juris Rn. 12; BGH, B.v. 12.1.2012 – V ZB 198/11 u.a. – NJW 2012, 2443 = juris Rn. 10 f.; B.v. 18.10.2017 – LwZB 1/17 – NJW 2018, 165 = juris Rn. 7; Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 233 Z Rn. 23.31; Mattes in Mann/Uechtritz/Sennekamp, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 32 Rn. 39).
2. Die Klage hat jedoch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), vor Erlass des Bescheids vom 29. Oktober 2020 zuletzt geändert durch das zum Teil zum 1. Oktober 2020 in Kraft getretene Gesetz vom 29. Juni 2020 (BGBl I S. 1528), gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 40 i.V.m. Anlage 13 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], vor Erlass des Bescheids zuletzt geändert durch das zum Teil zum 1.6.2020 in Kraft getretene Gesetz vom 5.12.2019 [BGBl I S. 2008]), ergeben.
Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem setzt allerdings voraus, dass der Fahrerlaubnisinhaber zuvor das Stufensystem des § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchlaufen hat (§ 4 Abs. 6 StVG), d.h. dass er bei Erreichen von vier oder fünf Punkten ermahnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten verwarnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) wurde.
b) Daran gemessen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller das Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen und acht Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem erreicht hat.
aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht deshalb rechtswidrig, weil die ihr gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG vorgelagerten Stufen der Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden wären.
(1) Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, kann der Antragsteller sich nicht darauf berufen, dass er bereits beim Stand von vier Punkten hätte ermahnt werden müssen.
Zwar lässt der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG, wonach, ergeben sich „vier oder fünf Punkte“, der Fahrerlaubnisinhaber beim Erreichen „eines dieser Punktestände“ schriftlich zu ermahnen ist, offen, ob die Fahrerlaubnisbehörde beim Erreichen von vier Punkten unmittelbar eine Ermahnung auszusprechen hat oder zuwarten darf, bis sich aufgrund weiterer Verstöße fünf Punkte ergeben. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt, stand dem Normgeber jedoch vor Augen, dass diese Maßnahme beim erstmaligen Erreichen eines der Punktestände der Maßnahmenstufe ergriffen wird (vgl. BT-Drs. 17/12636 S. 21, 41). Daher dürfte die Fahrerlaubnisbehörde objektiv-rechtlich gehalten sein, den Fahrerlaubnisinhaber beim Erreichen von vier Punkten unmittelbar und zeitnah zu ermahnen.
Dass die damals zuständige Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Augsburg hier in vorwerfbarer Weise zugewartet hätte, ist aus der Akte, auch mit Blick auf den Eingang der Mitteilung über das Erreichen von vier Punkten am 5. November 2019 und die üblichen Bearbeitungszeiten, bereits nicht ersichtlich. Letztlich kann es aber auch dahinstehen. Denn selbst wenn die Stadt Augsburg bewusst einen Stand von fünf Punkten abgewartet hätte, führte dies nicht dazu, dass die Stufe der Ermahnung zu Lasten des Antragstellers nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden wäre. Die Frage, welche Folge ein etwaiges fehlerhaftes Zuwarten der Fahrerlaubnisbehörde hat, regelt § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG abschließend dahin, dass die nächste Stufe, hier die Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG), erst ergriffen werden darf, wenn die Maßnahme der jeweils davor liegenden Stufe bereits ergriffen worden ist. Dabei wird der Punktestand bei Nachholung einer zunächst nicht ergriffenen Maßnahme grundsätzlich an die jeweilige Maßnahmenstufe angepasst (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG). Damit ist sichergestellt, dass keine der Maßnahmenstufen übersprungen wird und der Betroffene vor wesentlichen Nachteilen durch ein Abwarten der Fahrerlaubnisbehörde geschützt ist (vgl. dazu auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 4 StVG Rn. 85).
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Norm. Nach der Konzeption des Gesetzgebers kommt der Ermahnung keine Warnfunktion dergestalt zu, dass sie den Betroffenen zwingend erreichen und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumen muss, bevor er weitere Verstöße begeht. Dem Gesamtsystem ist zwar durchaus eine Erziehungswirkung zugedacht; die Ermahnung dient aber in erster Linie der Information des Betroffenen (vgl. BT-Drs. 18/2775 S. 9 f.; BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21.15 – BVerwGE 157, 235 = juris Rn. 23). Dieser Funktion wird die hier erfolgte Ermahnung bei einem Stand von fünf Punkten hinreichend gerecht. Wenn der Antragsteller sinngemäß geltend macht, eine Ermahnung erst bei fünf Punkten erschwere es dem Betroffenen gegebenenfalls, von einem Punktabzug nach Besuch eines Fahreignungsseminars zu profitieren (§ 4 Abs. 7 Satz 1 StVG), mag dies in Einzelfällen zutreffen. Denn ein Abzug kommt nur bei einem Punktestand von ein bis fünf Punkten zum Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung in Betracht. Dabei handelte es sich jedoch – abgesehen davon, dass der Antragsteller die zum Erreichen von fünf Punkten führende Tat bereits am 8. Juli 2019 begangen hatte – um eine reine Zufälligkeit. Diese ist nach dem typisierenden Ansatz des Fahreignungs-Bewertungssystems, bei dem sich eine Reihe von Unwägbarkeiten aus dem Ablauf des betreffenden Straf- oder Bußgeldverfahrens sowie des daran anknüpfenden Verwaltungsverfahrens ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2017, a.a.O. Rn. 40), hinzunehmen.
(2) Mit dem Einwand des fehlenden Zugangs, der sich wohl auf die Verwarnung vom 30. Januar 2020 bezieht, kann der Antragsteller nicht durchdringen.
Die Stadt Augsburg hat sich nach Art. 2 Abs. 3 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) für die förmliche Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde entschieden, für deren Ausführung die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend gelten (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Hiernach kann das zuzustellende Schriftstück in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt werden, wenn der Zusteller den Zustellungsempfänger am Zustellungsort im Sinne von § 178 Abs. 1 ZPO nicht persönlich antrifft und keine Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 1 und 2 ZPO vornehmen kann (§ 180 Satz 1 ZPO). Nach § 180 Satz 2 ZPO gilt das Schriftstück mit der Einlegung in den Briefkasten an dem vom Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks vermerkten Datum (§ 180 Satz 3 ZPO) als zugestellt. Zum Nachweis der Zustellung dient eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular (§ 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO), sofern sie die nach § 182 Abs. 2 Nr. 1, 4, 6 bis 8 ZPO erforderlichen Angaben enthält.
Diesen Anforderungen genügt die Zustellungsurkunde vom 1. Februar 2020. Sie enthält insbesondere den Grund für das Einlegen des Schreibens in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung, den Zeitpunkt der Zustellung, dessen Vermerk auf dem Umschlag des Schriftstücks sowie Name und Unterschrift der Zustellerin.
Wenn der Antragsteller meint, der Zusteller sei als Zeuge dazu zu hören, ob er sich vergewissert habe, dass weder der Antragsteller noch ein erwachsener Familienangehöriger in der Wohnung anwesend waren, kann dies den Nachweis der Zustellung nicht in Frage stellen. Nach § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO begründet die Zustellungsurkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Diese Beweiskraft erstreckt sich bei einer Postzustellungsurkunde über die Ersatzzustellung nach § 182 ZPO insbesondere auch darauf, dass der Postbedienstete unter der angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Postsendung in Betracht kommenden Person angetroffen hat (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2002 – 2 WDB 15.01 – Buchholz 235.0 § 82 WDO Nr. 1 = juris Rn. 6 m.w.N.). Zwar kann nach § 418 Abs. 2 ZPO derjenige, zu dessen Nachteil sich die gesetzliche Beweisregel auswirkt, den Beweis für die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen antreten. Ein derartiger Beweisantritt verlangt jedoch den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Aus diesem Grunde muss ein Beweisantritt substantiiert sein, d.h. es muss nach dem Vorbringen des Beteiligten eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen dargelegt werden. Ein schlichtes Bestreiten der Richtigkeit der beurkundeten Angaben über die erfolgte Niederlegung der Postsendung reicht aber ebenso wenig wie das Vorbringen bloßer Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen zur Führung des Gegenbeweises aus. Vielmehr müssen Umstände dargelegt werden, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind (vgl. BVerwG, B.v. 1.10.1996 – 4 B 181.96 – Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 17 = juris Rn. 7; B.v. 19.3.2002, a.a.O.). Daran fehlt es hier.
bb) Die gegen die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung gerichtete Rüge, die sich der Natur der Sache nach nur auf die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins und nicht auf die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 9 StVG) beziehen kann, greift nicht durch. Die gegebene Begründung in dem angegriffenen Bescheid genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, reicht es bei häufig wiederkehrenden Sachverhaltsgestaltungen, der eine typische Interessenlage zugrunde liegt, aus, wenn die Fahrerlaubnisbehörde diese Interessenlage aufzeigt und deutlich macht, dass sie ihrer Auffassung nach auch im konkreten Fall vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2019 – 11 CS 19.1434 – juris Rn. 20). Dem wird der Bescheid gerecht, indem er auf das Interesse an der Beseitigung des Rechtsscheins einer bestehenden Fahrerlaubnis und die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung des Führerscheins verweist.
3. Davon ausgehend bleibt die Klage des Antragstellers in der Sache voraussichtlich ohne Erfolg und überwiegt somit das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins das Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2021 – 11 CS 20.2979 – juris Rn. 23; B.v. 16.11.2016 – 11 CS 16.1957 – juris Rn. 14). Dem steht hier auch das von der Beschwerde angesprochene berufliche Interesse des Antragstellers am Führen von Kraftfahrzeugen nicht entgegen. Denn dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 22.5.2012 – B.v. 22.5.2012 – 16 B 536/12 – juris Rn. 33; SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – juris Rn. 22).
4. Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.3 und Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Gegenstand der Entziehung ist, wie sich aus dem angegriffenen Bescheid, dem Auszug aus der Führerscheindatei vom 21. September 2020 sowie dem in der Behördenakte befindlichen Führerschein ergibt, eine 1998 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3. Diese umfasst nach Abschnitt A I Nr. 19 der Anlage 3 zur FeV die Fahrerlaubnisklassen A, A1, AM, B, BE, C1, C1E, CE sowie L. Maßgeblich sind davon die Klassen B, BE sowie C1, C1E, für die nach den Nummern 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs jeweils der Auffangwert von 5.000,- Euro (im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte) anzusetzen ist. Die Fahrerlaubnis der mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04 versehenen Klassen A und A1 sowie die Führerscheinklasse CE mit der Schlüsselzahl 79 (C1E > 12 000 kg, L ≤ 3) wirken sich hingegen nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – BayVBl 2014, 373 = juris Rn. 24). Gleiches gilt nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV für die von der Fahrerlaubnisklasse B eingeschlossenen Unterklassen AM und L. Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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