Verwaltungsrecht

Erfoglose Klage eritreischer Asylbewerber

Aktenzeichen  B 8 K 18.31050

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18070
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 26
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Es besteht kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein ernsthafter Schaden durch Todesstrafe droht erst dann in beachtlicher Weise, wenn stichhaltige, dh für die notwendige richterliche Überzeugung konkrete, nachvollziehbare und ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene individuell von der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe betroffen ist. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nur in “ganz außergewöhnlichen Fällen”, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung “zwingend” sind, liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor. (Rn. 117) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Die zulässigen Klagen, über die auch ohne einen Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), haben keinen Erfolg.
1. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
1.1.1
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.04.1985 – 9 C 109.84 – BVerwGE 71, 180 ff.). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 – BVerwGE 146, 67 ff.; VG Augsburg, U.v. 11.07.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris Rn. 20).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 04.09.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG).
1.1.2
Eine Vorverfolgung der Klägerin zu 1 wurde nicht glaubhaft gemacht. Ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung lassen vielmehr tiefgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des asylrelevanten Sachvortrags zu einer in Eritrea erfolgten Verfolgung wegen der Glaubenszugehörigkeit der Klägerin zu 1 aufkommen.
So ist bereits nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin zu 1 erstmalig in der mündlichen Verhandlung – entgegen der von ihr vorgelegten ID-Card und entgegen ihren bisherigen Einlassungen in der Schweiz und beim Bundesamt – ein anderes Geburtsdatum geltend macht, ohne dieses zuvor beim Bundesamt innerhalb der letzten zwei Jahre korrigiert zu haben. Entgegen ihren Behauptungen in der mündlichen Verhandlung sind in den Anhörungsprotokollen keinerlei Hinweise zu finden, dass sie eine Korrektur ihres Geburtsdatums versucht hätte.
Auch ihre weiteren Angaben zu ihrem angeblichen Fluchtgrund – eine asylrechtlich relevante Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft – sind derart widersprüchlich, so dass ihr eine Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft und der daraus angeblich resultierenden Folgen (Inhaftierung) nicht geglaubt werden kann: Während sie beim Bundesamt noch angegeben hatte, seit ihrer Rückkehr nach Eritrea, die 2004 erfolgt sei sein soll, dieser Religionsgemeinschaft anzugehören, vermochte sie in der mündlichen Verhandlung trotz mehrmaliger, unterschiedlicher Nachfragen des Gerichts keine ungefähre Zeitangabe für einen Beitritt/Konversion o.ä. anzugeben. Vielmehr erklärte sie auf entsprechende Fragen lediglich, sie sei anfangs keine Angehörige dieser Religionsgemeinschaft gewesen, sondern dies sei erst später so gekommen. Sie möge diese Religion einfach und habe sich einiges auch über you tube angesehen. Wenn sie allerdings bereits seit 2004 Kontakt zur Pente-Gemeinschaft gehabt haben will, so ist nicht nachvollziehbar, wenn sie dieser Religionsgemeinschaft innerhalb bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2014 nicht auch ernsthaft „beigetreten“ sein sollte. Hinderungsgründe, den ungefähren Zeitpunkt einer zumindest inneren Konversion, eines Beitritts o.ä. anzugeben, sind nicht ersichtlich.
Soweit der Kläger zu 2 in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, seine Mutter habe seiner Meinung sagen wollen, nicht offiziell zur Pente-Gemeinschaft zu gehören, sondern sich vielmehr dazugehörig zu fühlen, so trägt dies zur Aufklärung des Sachverhalts wenig bei.
Soweit die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Frage zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung erklärte, dies sei 2010 erfolgt, so steht dies in einem eklatanten Widerspruch zu ihren Angaben beim Bundesamt. Dort hatte sie angegeben, sie sei etwa zwei Wochen nach ihrer zweimonatigen Inhaftierung im Jahr 2014 geflohen. Dann aber kann ihre Angabe in der mündlichen Verhandlung, sie sei bereits 2010 inhaftiert worden, unter keinen erdenklichen Gesichtspunkten stimmen.
Da die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung noch angegeben hatte, etwa zwei bis drei Tage nach der Verwarnung durch die Polizei bereits inhaftiert worden zu sein, was ihren Angaben beim Bundesamt – sie sei etwa zwei Monate nach der Verwarnung durch die Polizei inhaftiert worden – vollständig widerspricht, werden ihre Angaben zur Vorverfolgung vollkommen unglaubhaft und die Klägerin wirkt deshalb unglaubwürdig.
Gerade wenn ein derart einschneidendes Ereignis wie eine längere Inhaftierung der alleinige Grund für ihre Ausreise gewesen sein soll, ist es für das Gericht in keiner Weise mehr nachvollziehbar, dass die Klägerin weder etwa das Jahr ihrer Inhaftierung noch den zeitlichen Abstand zwischen der „Ermahnung“ bis zur Inhaftierung zutreffend angeben kann. Soweit sie auf Nachfrage als Erklärung hierfür angeboten hat, dass es ihr schlecht gehe und sie alles nur noch aus ihrem Kopf streichen möchte, so genügt dies als Erklärung für derartige Widersprüchlichkeiten nicht. Erkenntnisse darüber, dass die Klägerin eine tiefgreifende intellektuelle Minderbegabung aufweist, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Sie gab auf Nachfrage zu ihrem gesundheitlichen Befinden lediglich an, Probleme mit ihren „Blutadern“, ihren Füßen sowie die Hüfte zu haben.
1.1.3
Im Falle einer Rückkehr nach Eritrea droht den nicht vorverfolgten Klägern auch aus sonstigen Gründen keine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne von § 3 ff. AsylG.
Das Gericht geht hinsichtlich des eritreischen Militär- bzw. zivilen Nationaldienstes und der dort erwartbaren Lebensumstände sowie etwaig drohender Bestrafungen nach den verfügbaren Erkenntnissen von vorliegendem Sachverhalt aus:
Hinsichtlich des Nationaldienstes gilt grundsätzlich Folgendes: Gemäß Art. 8 der Proclamation on National Service No. 82/1995 vom 23. Oktober 1995 sind in Eritrea Männer und Frauen vom 18. bis zum 40. Lebensjahr (nach anderen Angaben Frauen bis zum 27. bzw. 47. und Männer bis zum 57. Lebensjahr) grundsätzlich verpflichtet Nationaldienst abzuleisten (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea vom 09.12.2021, S. 15; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst, 30.06.2017, S. 4). Die Dauer des aktiven Nationaldienstes beträgt nach der Proclamation on National Service No. 82/1995 grundsätzlich 18 Monate (sechs Monate militärisches Training und anschließend zwölf Monate Dienst). Als Resultat des Grenzkrieges mit Äthiopien von 1998 bis 2000 und des anschließend ungelösten Grenzkonflikts, bekannt als „no war, no peace“ Situation, hat die eritreische Regierung aber von Art. 21 Abs. 1 der Proclamation on National Service No. 82/1995 Gebrauch gemacht. Danach ist jeder, der sich während einer Mobilisierung oder zu Kriegszeiten im aktiven Dienst befindet, verpflichtet, auch nach Ablauf der vorgeschriebenen Dienstzeit im Nationaldienst zu bleiben. Die Dienstpflicht besteht danach formal zeitlich unbefristet. Es ist diesbezüglich auch nicht zu erkennen, dass der im Juli 2018 geschlossene Friedensvertrag mit Äthiopien zu Veränderungen geführt hat. Stand Juli 2019 waren sich alle befragten Gesprächspartner in Eritrea einig, dass es keine Hinweise auf erfolgte Reformen oder Veränderungen im Nationaldienst gebe. Auch publizierte Berichte gehen damit einig. Diese Beobachtung wurde von der eritreischen Regierung bestätigt (vgl. Danish Refugee Council, Country Report, Country of Origin Information (COI) Eritrea: National service, exit and entry von January 2020, S. 22; Informationsbericht von EASO „Eritrea Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr“ (EASO) vom September 2019, a.a.O., S. 26). Die tatsächliche Dauer des aktiven Nationaldienstes unterliegt in der Realität aber erheblichen Schwankungen. Während in einigen Fällen Rekruten bereits nach Ablauf der regulären Dienstzeit von 18 Monaten entlassen wurden, dienen andere seit dem Anfang des Grenzkrieges mit Äthiopien im Jahr 1998 (vgl. EASO, a.a.O., S. 34). Es wird jedoch berichtet, dass Dienstzeiten von 5 bis 10 Jahren bzw. nach anderen Angaben von 10 bis 20 Jahren üblich seien (vgl. EASO, a.a.O., S. 38; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Eritrea: Nationaldienst vom 30.06.2017, S. 8). Die Dauer des Nationaldienstes scheint insgesamt von unterschiedlichen Faktoren abzuhängen. Frauen werden üblicherweise früher aus dem Dienst entlassen als Männer. Die Entlassung erfolgt regelmäßig nach der Eheschließung oder jedenfalls nach der Geburt eines Kindes. Zudem ist von Bedeutung, wo die Rekruten den Nationaldienst verrichten. In manchen Bereichen befinden sich zu viele Rekruten, während in anderen die Qualifikation und Arbeitskraft der Rekruten dringend benötigt wird. Im militärischen Teil scheinen ernsthafte Erkrankungen oder Verletzungen der einzige Weg zu sein, formell entlassen zu werden. Aber auch persönliche Beziehungen zu dem jeweiligen Vorgesetzten oder Kommandanten, die einer Entlassung zustimmen müssen, haben Einfluss auf den Zeitpunkt der Entlassung. Zudem scheinen auch persönliche Beziehungen zu einflussreichen Personen für die Dauer des Nationaldienstes eine Rolle zu spielen (vgl. EASO, a.a.O., S. 36-37; zur Dienstpflicht von Frauen: OVG Hamburg, Urteil vom 21.09.2018 – 4 Bf 186/18.A -, Rn. 48, juris).
Der eritreische Nationaldienst hat nicht nur die militärische Verteidigung des Landes zum Ziel, sondern soll mit seiner zivilen Komponente auch zur Konsolidierung der eritreischen Identität führen und ist somit ein wichtiger Teil des „Nation Building“. Der Nationaldienst wurde 1994 eingeführt, kurz nach der Unabhängigkeit Eritreas. Sein Ziel ist nicht nur die Verteidigung, sondern auch den Wiederaufbau des Landes nach dem Unabhängigkeitskrieg und die Verbreitung der Staatsideologie. Der Nationaldienst wird in Eritrea als «Schule der Nation» angesehen. Der Nationaldienst hat also einen gemischt militärisch-zivilen Charakter und kann deshalb grob in einen militärischen und einen zivilen Teil eingeteilt werden. Alle Dienstpflichtigen absolvieren zuerst eine militärische Ausbildung und werden dann entweder dem militärischen Teil unter dem Verteidigungsministerium zugeteilt oder einer zivilen Aufgabe, die von einem der anderen Ministerien verwaltet wird. Ein Teil der Wehrpflichtigen wird einem der ungefähr 30 Unternehmen zugeteilt, die der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) oder der Armee gehören. Diese Unternehmen sind u.a. in den Bereichen Landwirtschaft, Bau, Transport, Tourismus und Handel tätig. Die eritreische Regierung macht kaum Angaben dazu, wie viele Bürger Nationaldienst leisten. Col. Ezra Woldegebriel sagte in einer Rede am EriYouth Festival 2010 im Militärlager Sawa, die Gesamtzahl der Rekrutierten zwischen 1994 und 2010 betrage 400.000; in einer ähnlichen Rede 2014 wurde die Zahl 500.000 genannt. 2016 teilten Regierungsmedien mit, dass Eritrea eine Armee von 300 000 Soldaten innerhalb von 48 bis 72 Stunden bereitstellen könne, falls Kampfhandlungen ausbrechen würden. Schätzungen von Experten basieren meist auf Bevölkerungs- und Bildungsstatistiken sowie auf Annahmen darüber, wie viele Personen im dienstpflichtigen Alter das Land verlassen haben. Die meisten Quellen schätzen die Anzahl der Nationaldienst Leistenden auf 300.000 bis 400.000. Die Anzahl der im militärischen bzw. zivilen Teil aktiven Angehörigen des Nationaldiensts ist umstritten. Zwei Quellen geben an, etwas weniger als die Hälfte diene im Militär (Armee, Marine und Luftwaffe), d.h. etwa 150.000 Personen. Die Datenbank zu Streitkräften der Weltbank. nannte 2017 eine Zahl von 202.000 Personen. Im September 2018 gab der Präsidentenberater Yemane Gebreab an, dass weniger als ein Fünftel des Nationaldienst-Angehörigen im Militär diene, 80% hätten eine zivile Aufgabe.98 Wegen der großen Anzahl Deserteure sollen viele Armeeinheiten weit unter ihrer Sollstärke operieren, teils sollen nur ein Drittel oder ein Viertel der benötigten Soldaten zur Verfügung stehen (vgl. EASO S. 24-26).
Die wichtigste Methode der Rekrutierung zum Nationaldienst stellt das Schulsystem dar. Das eritreische Bildungssystem sieht den Besuch allgemeiner Schulen während zwölf Jahren vor. Die zwölf Jahre teilen sich auf in 5 Jahre Grundschule, 3 Jahre Mittelschule und 4 Jahre Sekundarschule, wovon das letzte in Sawa stattfindet. Die meisten Kinder gehen außerdem für ein oder zwei Jahre in den Kindergarten. Viele Schüler brechen den Schulbesuch bereits vor Abschluss des 12. Schuljahrs ab. Es kommt auch vor, dass Schüler absichtlich schlechte Schulleistungen erbringen, um Klassen repetieren zu müssen und so die Rekrutierung hinauszuzögern bzw. zu verhindern. Auch andere Gründe (insbesondere in ländlichen Gegenden) können dazu führen, dass Schüler ihren Schulbesuch aussetzen und ein oder mehrere Jahre später wiederaufnehmen. Die meisten Schüler, die alle Schulklassen durchlaufen, absolvieren ihr 12. Schuljahr an der W. Y. Schule im Militärlager Sawa. Das Jahr in Sawa umfasst üblicherweise physisches Training, vier Monate militärische und politische Ausbildung sowie sechs bis acht Monate schulische Bildung, die jährlich Ende März mit der Abschlussprüfung (Eritrean Secondary Education Certificate Examination, ESECE), umgangssprachlich als ‘Matrik’ bezeichnet, endet. Schüler mit etwas schlechteren Abschlussnoten können eine Berufslehre in einer von fünf Berufsschulen machen. Die Berufsschulabsolventen werden danach zum zivilen oder militärischen Nationaldienst eingezogen (Schweizerische Eidgenossenschaft, Focus Eritrea: Alltag, Bildung, Gesundheit, 05.02.2014, S. 22; EASO S. 27).
2019 teilten die eritreischen Behörden mit, dass 16.064 Schüler am ESECE teilgenommen hätten. Diese Anzahl schließt die Schüler der technischen Schulen (TVET) mit ein, welche das 12. Schuljahr nicht in Sawa absolvieren (EASO S. 28).
Die Mehrheit der Schüler jeder Alterskohorte bricht den Schulbesuch vor dem Erreichen der 12. Klasse ab und damit auch vor der ‘regulären’ Rekrutierung. In ländlichen Gebieten ist der Anteil der Schulabbrecher deutlich höher als in den Städten. Diese Gruppe wird entweder von der Lokalverwaltung aufgeboten, von der Armee eingezogen oder vom Nationaldienst freigestellt. Einem Teil der Jugendlichen gelingt es auch, dem Aufgebot zu entgehen oder vor einem Aufgebot ins Ausland zu fliehen. Da die Regierung üblicherweise von der ‘regulären’ Rekrutierung spricht, gibt es keine offiziellen Angaben zur Rekrutierung von Schulabbrechern. Die Armee beauftragt die Lokalverwaltungen periodisch, Schulabbrecher zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu versammeln, von wo sie in die militärische Ausbildung gebracht werden. Teils fordert die Armee auch nur Listen der betroffenen Jugendlichen. Einer Quelle zufolge werden jährlich 5.000 bis 8.000 Personen auf diese Weise rekrutiert (EASO a.a.O. S. 29-30).
Eine weitere Methode der Rekrutierung zum Nationaldienst sind Razzien durch die Sicherheitskräfte (sog. „giffas“). Bei einer solchen Razzia wird ein Gebiet oder eine Ortschaft abgeriegelt und alle anwesenden Personen werden hinsichtlich ihres Nationaldienststatus kontrolliert. Wer nicht nachweisen kann, dass er entweder dem Nationaldienst angehört oder seine Dienstpflicht erfüllt hat, wird festgehalten, inhaftiert und anschließend in die militärische Ausbildung überführt. Es ist allerdings unklar, wie systematisch und häufig derartige Razzien stattfinden. Diplomatische und internationale Quellen in Asmara haben seit dem Friedensabkommen mit Äthiopien Mitte 2018 keine militärischen Razzien mehr beobachtet. Verschiedene Quellen deuten jedoch an, dass insbesondere außerhalb von Asmara keine Veränderungen stattgefunden haben und Razzien weiterhin stattfinden. Insoweit bestehen aber signifikante regionale Unterschiede. In manchen ländlichen Gebieten sind Razzien nur eine sehr seltene Erscheinung (vgl. EASO a.a.O. S. 31).
Gemäß der Nationaldienst-Proklamation von 1995 sind vollständig vom Militärdienst ausgenommen nur ehemalige Kämpfer des Unabhängigkeitskriegs (Art. 12) sowie behinderte, sehbehinderte und psychisch kranke Personen (Art. 15). Für den Militärdienst untaugliche Personen sind von dem militärischen Teil ausgenommen, müssen aber stattdessen zivilen Dienst leisten (Artikel 13). Abgesehen von diesen gesetzlich vorgesehenen Freistellungen, die Berichten zufolge nicht systematisch angewandt werden, gibt es faktische Freistellungen für bestimmte Personenkategorien. Die zuständigen Behörden beachten diese faktischen Freistellungen in der Regel, sind aber nicht gesetzlich dazu verpflichtet. Darum kommt es in Einzelfällen auch zu Abweichungen. Am häufigsten sind schwangere Frauen oder Frauen mit Kind faktisch freigestellt. Das eritreische Außenministerium erwähnte selbst in einer offiziellen Mutterschaft als Grund für eine Ausnahme. Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Militär bzw. dem „National Service“ entlassen. Dies betrifft jedoch in erster Linie die militärische Komponente des Nationalen Dienstes, keineswegs ausgeschlossen bleibt eine Weiterarbeit im zivilen Bereich. Verheiratete Frauen, die weder Mütter noch schwanger sind, sind häufig ebenfalls vom Nationaldienst ausgenommen. Diese Praxis wird aber nicht einheitlich angewandt (EASO a.a.O. S. 15, 23-24).
Bei der Zuweisung zum militärischen oder zivilen Teil des Nationaldienstes scheinen mehrere Faktoren relevant zu sein. Rekruten, die nach dem 12. Schuljahr zum Nationaldienst einberufen werden, werden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dem zivilen Teil des Nationaldienstes zugewiesen. Entscheidend hierfür sind die Noten in den Abschlussprüfungen zur eritreischen Sekundarschulausbildung. Auch Frauen werden voraussichtlich eher im zivilen Teil des Nationaldienstes eingesetzt. Personen, die von der lokalen Verwaltung eingezogen werden, weil sie die Schule bereits vor der 12. Klasse verlassen haben, werden wohl überwiegend aber nicht ausschließlich im militärischen Teil eingesetzt. Gleiches gilt bildungsbedingt wohl für die ländliche Bevölkerung. Personen, die im Rahmen einer Razzia rekrutiert werden, werden voraussichtlich dem militärischen Teil des Nationaldienstes zugewiesen (vgl. EASO, a.a.O., S. 25-26). Der eritreische Informationsminister bestätigte in einem Interview 2018, dass weniger als ein Fünftel der Nationaldienstleistenden eine militärische Funktion ausübt (österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt S. 12).
Hinsichtlich der Lebensbedingungen ist zwischen dem militärischen und dem zivilen Teil des Nationaldienstes zu differenzieren. Die Situation der Rekruten im zivilen Teil des Nationaldienstes wird als besser angesehen als im militärischen Teil. Die Arbeits- und Lebensbedingungen im zivilen Teil des Nationaldienstes entsprechen weitestgehend den Arbeits- und Lebensbedingungen der übrigen Bevölkerung außerhalb des Nationaldienstes. Dies betrifft insbesondere Personen, die ihre zugeteilte Funktion am Wohnort ihrer eigenen Familie ausführen können. (vgl. EASO, a.a.O., S. 40). Laut einer akademischen Quelle von COI leben Wehrpflichtige im Nationaldienst unter Bedingungen, die die normalen Lebensbedingungen der allgemeinen Bevölkerung in Eritrea widerspiegeln. Im Interview betonte sie außerdem, dass die Ernährung der Wehrpflichtigen nicht unbedingt schlechter sei als die Nahrungsaufnahme der allgemeinen Bevölkerung. Sie fügte jedoch hinzu, dass das Leben für die Wehrpflichtigen in den Städten härter sei als für die Wehrpflichtigen auf dem Land, weil die Lebenshaltungskosten in den Städten höher sind (COI, a.a.O, S. 22-23).
Im Jahr 2015 implementierte die eritreische Regierung zudem ein neues Besoldungssystem für den zivilen Teil des Nationaldienstes, mit dem die Löhne, abhängig vom Bildungsstand der Rekruten, signifikant angehoben wurden. Die meisten Quellen deuten aber an, dass den Lohnerhöhungen neu eingeführte staatliche Abgaben gegenüberstehen. Im Ergebnis ist es daher unklar, ob sich die Entlohnung faktisch tatsächlich erhöht hat (vgl. EASO, a.a.O., S. 39.). Einige Angehörige des Nationaldiensts arbeiten privat in einem anderen Job, da die Arbeitsbelastung in ihrer zugewiesenen Funktion gering ist (EASO, a.a.O. S. 40).
Die disziplinarischen Maßnahmen sind nicht gleich hart wie im Militärdienst, die Quellen berichteten beispielsweise nicht von Folter. Potentielle Bestrafungen sind allerdings eine Neuzuteilung in den Militärdienst, Haft oder beides. Eine mögliche Ausnahme sind die Unternehmen im Besitz der PFDJ, die eigene Gefängnisse haben. Die Bedingungen in diesen Gefängnissen sind nicht bekannt (EASO a.a.O. S. 40).
Im Vergleich hierzu ist die Situation der Rekruten im militärischen Teil des Nationaldienstes deutlich härter. Dies liegt zu einem gewissen Grad daran, dass die militärischen Kommandanten fast unbeschränkte Macht über ihre Untergebenen haben. Es sind keine Regeln oder Richtlinien bekannt, welche die Befugnisse der Kommandanten, die Behandlung der Untergebenen oder Maßnahmen gegen Machtmissbrauch regeln würden. Berichten zufolge werden die Dienstpflichtigen geschlagen oder für Stunden oder Tage gefesselt. Die meisten Militäreinheiten haben eigene Gefängnisse, in welchen die Bedingungen prekär sind. Einige Gefängnisse sind unterirdisch oder in Schiffscontainern. Sie sind häufig überfüllt; Hygiene, Medizin und Ernährung sind problematisch.
Zu den problematischen Umständen im Militärdienst gehören nach EASO a.a.O. S. 40/41:
– Bestrafungen für fehlende Disziplin – dazu gehört auch, wenn jemand Übungen nicht richtig lernt – sind häufig drakonisch und willkürlich. Sie werden von militärischen oder für Stunden oder Tage gefesselt.
– Die meisten Militäreinheiten haben eigene Gefängnisse, in welchen die Bedingungen prekär sind. Einige Gefängnisse sind unterirdisch oder in Schiffscontainern. Sie sind häufig überfüllt; Hygiene, Medizin und Ernährung sind problematisch.
– Arbeitseinsätze sind hart, es gibt Berichte über 72-Stunden-Wochen.Zudem seien die militärischen Übungen übertrieben anspruchsvoll.
– Urlaube sind nicht geregelt. Die Kommandanten verlängern, verkürzen oder verweigern sie häufig willkürlich.
– Viele weibliche Dienstpflichtige sind sexuellen Übergriffen ausgesetzt (siehe Kapitel 2.6.3.).
– Die Dienstdauer ist unbeschränkt, die Dienstpflichtigen kennen ihr Entlassungsdatum nicht. Dienstdauern von zehn oder 20 Jahren sind üblich.
Die Umstände im Militärdienst hängen stark vom Kommandanten ab. Die dokumentierte Behandlung durch manche Kommandanten kommt mutmaßlich tatsächlich vor, normale (d. h. nicht übergriffige) Behandlung hingegen wird normalerweise nicht dokumentiert. Nach den Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.06.2017 soll das Foltern und Demütigen von Rekruten weit verbreitet sein und Bestrafungen, die mit Folter gleichgesetzt werden können, sollen in den Militärcamps zur täglichen Routine gehören (Schweizerische Flüchtlingshilfe Eritrea: Nationaldienst, S. 10,15; österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt S. 9).
Nach Kenntnissen des Auswärtigen Amtes sind willkürliche Bestrafungen und auch körperliche Züchtigungen zwar nicht auszuschließen, aber Folter findet, zumindest in systematischer Art und Weise, nicht statt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig-Holstein, 27.07.2018). Hierauf weist auch das Bundesverwaltungsgericht der Schweiz in einem Urteil vom 10.07.2018 (dortiges AZ: E-5022/2017) hin. Allein die alphabetische Nennung der für die Analyse der Bedingungen im eritreischen Nationaldienst verwendeten Quellen nimmt in dem genannten Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 10.07.2018 vier Seiten ein (S. 7 bis 10) und stellt – soweit ersichtlich – die derzeit umfangreichste gerichtliche Quellenauswertung dar. Auch die dann zitierten Erkenntnisse der englischen und norwegischen Asylbehörden relativieren nach den Angaben in diesem Urteil die Häufigkeit von Misshandlungen deutlich (BVerwG der Schweiz‚ a.a.0. S. 19). Eine ungefähre Schätzung, wie viele Rekruten im militärischen Teil von den genannten Misshandlungen betroffen sind, erscheint nach den vorhandenen Erkenntnissen nicht möglich (vgl. EASO, a.a.O., S. 41).
Frauen werden im Militär häufig, aber nicht ausschließlich, Funktionen zugeteilt wie Köchin, Putzkraft, Wäscherin, persönliche Assistentin des Kommandanten oder Büromitarbeiterin. Filipos Woldeyohannes, der Generalstabschef der eritreischen Verteidigungskräfte, betonte in einem Fernsehinterview im Juli 2019, dass Frauen auch weiterhin in Kampfeinheiten rekrutiert werden (EASO a.a.O. S. 41 ff.). Gesprächspartner einer britischen Fact-Finding Mission gaben 2016 an, die Regierung würde keine sexuelle Gewalt im Nationaldienst tolerieren, da dies den Nationaldienst untergraben würde. 23 von 190 Befragten einer 2017 veröffentlichten akademischen Studie machten ähnliche Angaben, während 167 Befragte sagten, sexuelle Gewalt komme vor. Die Befragten waren weibliche vormalige Angehörige des Nationaldiensts. Es sind keine Regeln oder Richtlinien bekannt, die ein solches Verhalten von Kommandanten gegenüber Dienstpflichtigen verbieten würden. Dies gibt ihnen faktisch Straffreiheit (vgl. EASO a.a.O. S. 42).
Nach Art. 37 Abs. 1 der Proclamation on National Service No. 82/1995 werden Verstöße gegen die Proklamation (inklusive Desertion und Umgehung des Nationaldienstes) mit Haftstrafen von zwei Jahren und/oder einer Geldstrafe i.H.v. 3.000 Birr (ca. 180 EUR) geahndet, sofern sich aus dem eritreischen Strafgesetzbuch von 1991 keine härteren Strafen ergeben. Gemäß Art. 297 Abs. 2 des Strafgesetzbuches wird die Umgehung des Nationaldienstes während Kriegszeiten mit fünf Jahren Haft bestraft. Nach Art. 300 des Strafgesetzbuches wird Desertion in Friedenszeiten mit Haft bis zu fünf Jahren bestraft. In Kriegszeiten beträgt die Haftstrafe mindestens fünf Jahren bis hin zu lebenslänglicher Haft; in schweren Fällen wird auch die Todesstrafe verhängt. Auch nach Abschluss des Friedensvertrages mit Äthiopien im Jahr 2018 gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der genannte Strafrahmen aufgehoben oder angepasst wurde (vgl. EASO, a.a.O., S. 43). Familienmitglieder von Deserteuren oder Dienstverweigerern werden manchmal für einige Wochen oder Monate inhaftiert, um Druck auf die gesuchten Personen auszuüben, sich wieder bei ihrer Einheit zu melden. Dies gilt so lange wie die gesuchte Person noch in Eritrea vermutet wird. Wenn die Person das Land verlassen hat, werden die Familienangehörigen üblicherweise entlassen. Zwischen 2005 und ungefähr 2010 mussten die Familienangehörigen von Deserteuren und Dienstverweigerern, die das Land verlassen hatten, eine Buße von 50.000 ERN (ca. 3.000 EUR) bezahlen. Falls sie diese Buße nicht bezahlen konnten, wurden sie für bis zu einem Jahr verhaftet. In einigen Fällen wurden ihnen auch Geschäftslizenzen entzogen oder der Besitz konfisziert. In den letzten Jahren ist diese Art von Verfolgung seltener geworden. Stand 2019 gibt es nur noch sporadische Berichte davon, in einigen Fällen kommt es aber weiterhin vor (EASO, a.a.O. S. 44,45).
Der Versuch, die Grenze illegal zu überschreiten oder andere hierbei zu unterstützen, wird nach Art. 29 Abs. 2 der Proclamation No. 24/1992 mit bis zu fünf Jahren Haft und/oder einer Geldstrafe bis zu 10.000 Birr (ca. 600,00 EUR) geahndet (vgl. EASO, a.a.O., S. 56). Die Haftbedingungen in Eritrea sind zum Teil unmenschlich hart und lebensbedrohlich. Die hygienischen Zustände und die medizinische Versorgung in den Gefängnissen und Straflagern sollen völlig unzureichend sein (vgl. AA, a.a.O, S. 20; BFA, a.a.O., S. 15). Mangelnde Transparenz und fehlender Zugang zu Informationen machen es unmöglich, die Zahl oder die Umstände von Todesfällen infolge von Folter oder schlechten Haftbedingungen zu ermitteln. Eine allgemeine staatliche Verfolgung allein aufgrund der unerlaubten Ausreise kann nicht festgestellt werden. Erfahrungen deutscher Behörden mit anerkannten Asylbewerbern aus Eritrea, die trotz ihrer behaupteten politischen Verfolgung besuchsweise nach Eritrea gereist sind, ohne dort von den Behörden behelligt worden zu sein, deuten darauf hin, dass die bloße Stellung eines Asylantrags im Ausland und die Anerkennung als Flüchtling keine Bestrafung nach sich ziehen (vgl. AA, a.a.O., S. 21,22).
Dem Auswärtigen Amt ist kein Fall aus neuerer Zeit bekannt, in dem es zu Sanktionen gegen in Eritrea verbliebene Familienangehörige nur wegen einer unerlaubten Ausreise gekommen wäre (AA, a.a.O., S. 22; ähnlich COI S. 22 Nr. 33 und 34).
Von Bedeutung ist für Rückkehrer u.a., ob die Betroffenen freiwillig oder unter Zwang zurückkehren, ob sie Eritrea zuvor legal oder illegal verlassen haben, ob sie ihrer Pflicht zum Ableisten des Nationaldienstes bereits nachgekommen sind sowie ob und in welcher Art und Weise sie im Ausland politisch aktiv waren. Die Behandlung von eritreischen Staatsbürgern, die nach einem Auslandsaufenthalt nach Eritrea zurückkehren, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab (vgl. EASO, a.a.O., S. 59,60; COI a.a.O. S. 30 ff.).
Die USA schieben z.B. verurteilte Straftäter weiterhin nach Eritrea ab. Insgesamt scheint die Einstellung der eritreischen Regierung Flüchtlingen gegenüber ambivalent zu sein: Einerseits versucht sie mit drakonischen Maßnahmen (angeblicher Schießbefehl bei Fluchtversuchen von Deserteuren, nicht näher bekannte Strafen nach fehlgeschlagenen Fluchtversuchen, Verweigerung von Reisepässen und Ausreisegenehmigungen) zu verhindern, dass Eritreer sich der nationalen Dienstpflicht entziehen. Andererseits scheint die Regierung den Exodus, soweit er sich trotz der drastischen Gegenmaßnahmen nicht verhindern lässt, zu nutzen, um potentielle Regimegegner loszuwerden, die im Lande herrschende Arbeitslosigkeit zu lindern und durch die Erhebung einer 2%igen sogenannten „Aufbausteuer“ von im Ausland lebenden Eritreern Deviseneinnahmen zu erzielen (AA. a.a.O., S. 21).
Der ‘Diaspora-Status’ ist in erster Linie gedacht für Eritreer, die im Ausland leben und Eritrea für eine kurze Zeit besuchen. Nach einer Auskunft der zuständigen Behörde von 2016 können ihn auch Personen erhalten, welche sich längerfristig wieder in Eritrea niederlassen möchten. Gemäß den Beamten müssen Antragsteller die 2%-Steuer bezahlt, das Formular 4/4.2 („letter of regret“ bzw. Reueerklärung) unterzeichnet und mindestens drei Jahre im Ausland gelebt haben. Unabhängige Quellen fügen hinzu, dass informell weitere Bedingungen gelten, wie unzweifelhafte politische Loyalität. Bei Antragstellern, die sich im Ausland oppositionell engagiert haben, ist es unwahrscheinlich, dass sie den Status erhalten (EASO, a.a.O., S. 62; COI a.a.O. S. 37). Alle Quellen stimmen darin überein, dass Personen, die sich in Eritrea länger permanent aufhalten als vorgesehen, wieder als in Eritrea Niedergelassene angesehen werden, wodurch sie die Privilegien des ‘Diaspora-Status’ verlieren (EASO, a.a.O., S. 63; COI S. 36).
In den letzten Jahren sind Eritreer aus verschiedenen Staaten Europas, Israel, Saudi-Arabien, Libyen, Ägypten und anderen Ländern für einen permanenten Aufenthalt nach Eritrea zurückgekehrt. Personen nach Eritrea zurückgekehrt seien und sich ins «normale Alltagsleben» integriert hätten (EASO, a.a.O., S. 64). Die meisten Quellen erklären, dass nach sechs bis zwölf Monate die bevorzugte Behandlung von Rückkehrern ende und sie wieder wie normale Einwohner Eritreas behandelt würden, die nationaldienstpflichtig sind. Rückkehrer, die wieder als Einwohner Eritreas angesehen werden und die ihre Nationaldienst-Pflicht noch nicht erfüllt werden, können wieder in den Nationaldienst oder in die Volksarmee aufgeboten werden. Sie werden unter Umständen für Desertion, Dienstverweigerung oder illegale Ausreise bestraft. Ob sie tatsächlich bestraft werden, hängt vom Ermessen der Behörden ab; von Bestrafungen wird aber berichtet (EASO, a.a.O., S. 65). Bei den meisten Fällen gibt es allerdings überhaupt keine Informationen über die Behandlung (EASO, a.a.O., S. 66). Der Quelle nach COI war hingegen kein Fall bekannt, in dem ein Betroffener nach seiner freiwilligen Rückkehr wieder zum Ableisten des Nationaldienstes gezwungen wurde (vgl. COI, a.a.O., S. 30).“
Im Übrigen nimmt Eritrea gegen ihren Willen rückgeführte Personen nicht auf (vgl. EASO a.a.O. S. 69; COI a.a.O. S. 38).
1.1.3.1 Ausgehend hiervon erwächst weder für die Klägerin zu 1 noch für den Kläger zu 2 wegen einer etwaig drohenden Einberufung zum Nationaldienst, ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie wurde in Eritrea ihren eigenen Angaben zufolge bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2014 im Alter von etwa 36 Jahren schon nicht zum Militärdienst eingezogen, so dass bereits aus diesem Grund wenig Anlass für eine jetzt drohende Einziehung besteht.
Den weiteren Klägern zu 3 und 4 droht schon aufgrund ihres geringen Alters keine Einberufung.
Auch grundsätzlich ist nicht davon auszugehen, dass der alleinerziehenden Klägerin zu 1 überhaupt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Einziehung droht: dies widerspricht grundsätzlich der überwiegenden Auskunftslage (vgl. AA a.a.O. S. 15, EASO Bericht über Herkunftsländer-Information Länderfokus Eritrea Mai 2015, S. 23; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 13.06.2019, GZ 508-516.80; EASO Country of Origin Information Report, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, S. 33). Zwar besteht hinsichtlich der Anwendung der o.g. Befreiungstatbestände durch die eritreischen Behörden keine Rechtssicherheit, da die Anwendung willkürlich erfolgt. Doch angesichts der faktischen Freistellungen für schwangere Frauen und Frauen mit Kind (vgl. EASO Country of Origin Information Report, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 33 ff.) zumindest vom Militärdienst, ist nicht von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Einziehung auszugehen.
Die den Erkenntnismitteln zu entnehmenden Fälle, in denen verheiratete oder schwangere Frauen sowie Mütter trotz der ungeschriebenen Praxis der Dienstverschonung zum Nationaldienst einberufen worden sind, stellen dennoch nur Einzelschicksale dar, die der unzweifelhaft willkürlichen Anwendung dieser Praxis geschuldet sein dürften. Sie lassen jedoch keinen Rückschluss darauf zu, dass der Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls die Einberufung zum Nationaldienst droht, obschon sie Mutter mehrerer Kinder, darunter Kleinkinder ist, und damit zum Kreis der Begünstigten der Praxis der Dienstverschonung zu rechnen ist (vgl. auch VG Arnsberg, U.v. 04.05.2018 – 12 K 5098/19.A – juris, Rn. 43).
Allein die drohende Einberufung zum Nationaldienst durch den eritreischen Staat stellt jedoch schon keinen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG beachtlichen Verfolgungsgrund dar, so dass daraus auch für den Kläger zu 2 kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erwächst.
Eine im Rückkehrfall drohende Einberufung zum eritreischen Nationaldienst knüpft als solche nicht – wie es § 3a Abs. 3 AsylG für die Annahme einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung erfordert und wie es vor allem auch der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG „aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen [Hervorhebung durch den Senat] …“ vorsieht – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an einen der in den § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe an, da die Verpflichtung zur Ableistung des Wehr- bzw. Nationaldienstes im Wesentlichen alle eritreischen Staatsangehörigen gleichermaßen trifft und zwar ohne Unterscheidung nach Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Anhaltspunkte dafür, dass der Staat Eritrea mit einem Einzug zum Nationaldienst an eine ihr zugeschriebene politische Überzeugung (Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), oder an eine ihr zugeschriebene Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpft, fehlen. Diese Auffassung entspricht der gesamten hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG NRW U.v. 21.09.2020 – 19 A 1857/19 -, juris; BayVGH U.v. 05.02.2020 – 23 B 18.31593 -., juris mit weiteren Nachweisen).
Darüber hinaus hat jeder souveräne Staat grundsätzlich das Recht, seine Staatsangehörigen zum Wehr- bzw. Militärdienst heranzuziehen. Es besteht (bislang) kein Grundrecht auf eine Wehr- bzw. Militärdienstverweigerung (vgl. Treiber in: GK-AufenthG, Stand: März 2016, § 60 Rn. 167 f.). Die Heranziehung zum Militärdienst unterfällt daher flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen.
1.1.3.2
Eine den Klägern drohende Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung bzw. Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise und Asylantragstellung im Ausland wäre vorliegend nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen) oder wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Keiner der Kläger hat sich vorliegend einer Wehrpflicht entzogen. Zudem erfolgt eine in Eritrea drohende Bestrafung wegen Wehrpflichtentziehung/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise nicht in Zusammenhang mit einem Konflikt i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn Eritrea befindet sich derzeit in keinem Konflikt im Sinne dieser Norm; weder mit anderen Staaten (internationaler Konflikt) noch mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt).
Eine etwaige Strafverfolgung wegen Wehrdienstentzugs droht im Falle einer Rückkehr den Klägern jedenfalls nicht in Anknüpfung an eine ihnen zugeschriebene politische Überzeugung. Eine mögliche Strafverfolgung wird nicht zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen in Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrelevantes Merkmal eingesetzt.
Zur möglichen Strafverfolgungspraxis (Tatbestände, Strafmaß) liegen dem Auswärtigen Amt (s.o.) keine Informationen vor. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich. Umgekehrt werden Häftlinge auch ohne Angabe von Gründen freigelassen. Rechtsstaatliche Verhältnisse und eine militärische oder zivile Rechtsordnung sind nicht vorhanden. Misshandlungen, Folter und Willkür treffen in Eritrea weite Kreise der Bevölkerung. Harte Haftbedingungen und gewaltorientierte Behandlung von Gefängnisinsassen treffen alle inhaftierten Eritreer gleichermaßen, ohne dass insoweit eine Abgrenzung nach Merkmalen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erkennbar ist.
Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Bestrafung der Wehrdienstentziehung. Von daher knüpft die Pflicht zur Ableistung des Nationaldienstes sowie die Bestrafung im Falle der Wehrdienstentziehung nicht an flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgründe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG an. Gerade die große Bandbreite möglicher Folgen bei der Rückkehr von Personen, die illegal ausgereist sind, um sich dem Nationaldienst zu entziehen (von einer bloßen Belehrung und Ableistung des Nationaldienstes bis zu Haftstrafen; vgl. AA, a.a.O. S. 14) spricht dagegen, dass diese Personen automatisch als Regimegegner eingestuft werden und damit generell einer politischen Verfolgung unterliegen (vgl. EASO Country of Origin Information Report, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 43 ff., S. 61 ff.). Diese aktuellen Erkenntnisse lassen nicht den Schluss auf eine grundsätzlich politisch motivierte Verfolgung im Falle der illegalen Ausreise und der Verweigerung des National- oder Wehrdienstes zu (vgl. BayVGH, U.v. 05.02.2020 – 23 B 18.31593 -, juris).
Alleine eine möglicherweise illegale Ausreise der Klägerin zu 1 vermittelt ihr keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Eine solche Bestrafung ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, da nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes eine allgemeine Verfolgung allein aufgrund einer unerlaubte Ausreise nicht festgestellt werden kann (vgl. AA a.a.O. S. 21).
Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass illegal ausgereisten eritreischen Staatsbürgern allein wegen der Ausreise und einer gegebenenfalls erfolgten Asylantragstellung im Ausland von staatlichen Institutionen Eritreas eine regimekritische Haltung unterstellt wird und dass sie deshalb im Fall der Rückkehr nach Eritrea von relevanten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG betroffen sein könnten.
Gegen eine generelle politische Verfolgung aller Personen, die sich dem Nationaldienst entziehen oder die Grenze illegal überschreiten, spricht der derzeitige Umgang der eritreischen Regierung mit freiwilligen – zumindest vorübergehenden – Rückkehrern. Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage des Gerichts (s.o.) werden die gesetzlichen Bestimmungen für Desertion, Dienstverweigerung und illegale Ausreise zumindest für Rückkehrer, die eine sog. „Diaspora-Steuer“ leisten und einen „Reuebekenntnis“ unterschreiben nicht angewandt. Diese Optionen, die gerade auch für Personen gelten, die sich dem Nationaldienst durch die illegale Ausreise entzogen haben, sprechen gegen eine generelle Einstufung als politischer Gegner (vgl. BayVGH a.a.O.).
Gleiches gilt hinsichtlich im Ausland gestellter Asylanträge. Eine solche begründet ebenfalls keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vgl. BayVGH a.a.O.). Die zahlreichen Reisen von anerkannten Asylberechtigten/Flüchtlingen nach Eritrea werden sogar von der eritreischen Regierung als Beleg dafür herangezogen, dass die Migration aus Eritrea vorwiegend aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt (AA a.a.O. S. 21). Aus der vorzitierten Auskunft geht klar hervor, die trotz ihrer behaupteten politischen Verfolgung besuchsweise nach Eritrea gereist sind, ohne dort von den Behörden behelligt worden zu sein, deuten darauf hin, dass die bloße Stellung eines Asylantrags im Ausland und die Anerkennung als Flüchtling keine Bestrafung nach sich ziehen.
Nachdem Asylberechtigten und Flüchtlingen unter den o.g. Voraussetzungen in der Regel ohne Probleme eritreische Pässe ausgestellt werden und bei Besuchsreisen keine Repressalien erfolgen, ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die bloße Asylantragstellung ohne Hinzutreten weiterer Umstände zu flüchtlingsrechtlich relevanten politischen Verfolgungsmaßnahmen führt.
1.1.3.3
Aufgrund der Auskunftslage ist auch davon auszugehen, dass der Klägerin zu 1 auch keine Bestrafung oder Verfolgung aufgrund des Verschwindens des Ehemannes droht AA a.a.O. S. 14). Die kurzfristig praktizierte Bestrafung von Familienangehörigen wird derzeit, wenn überhaupt nur noch in Ausnahmefällen angewandt (vgl. EASO Country of Origin Information Report, Eritrea, Nationaldienst, Ausreise und Rückkehr, September 2019, S. 44.). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls ist den Akten jedoch nicht zu entnehmen; solches hat die Klägerin zu 1 auch nicht behauptet.
1.1.4 Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung des Familienflüchtlingsschutzes im Sinne des § 26 Abs. 1, 3 AsylG sind nicht ersichtlich.
1.1.5
Soweit die Klägerin zu 1 eine Genitalverstümmelung erlitten haben sollte, vermag diese ebenfalls keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung zu begründen. Zwar erfolgt eine Genitalverstümmelung wegen der Zugehörigkeit der betroffenen Frau oder des betroffenen Mädchens zu einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Hs. 4 AsylG, wonach eine Gruppe insbesondere auch als eine bestimmte soziale Gruppe i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gilt, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft. Aber eine bereits Genitalverstümmelung spräche dagegen, dass ihr solches nach ihrer Rückkehr erneut drohen könnte.
1.2 Den Klägern steht auch kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG zu.
Nach § 4 AsylG ist ein Ausländer ein subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens muss von einem Verfolgungsakteur i.S.d. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c AsylG ausgehen.
1.2.1 Vorliegend ist kein Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben.
Hierfür müsste eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gegeben sein. Ein solcher ist hinsichtlich Eritrea nicht ersichtlich.
1.2.2
Auch die § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG sind nicht erfüllt.
Es ist nicht ersichtlich, dass vorliegend die Todesstrafe verhängt worden ist oder eine solche drohen könnte (vgl. AA a.a.O. S. 19). Stichhaltige Gründe für die Annahme eines ernsthaften Schadens durch Folter, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung sind nicht gegeben.
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt (nach der insoweit v.a. maßgebenden Rechtsprechung des EGMR) vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist jedoch, abhängig von sämtlichen Umständen des Falles, wie z.B. die Art der Behandlung oder Bestrafung und der Zusammenhang, in dem sie erfolgte, die Art u. Weise ihrer Vollstreckung, ihre zeitliche Dauer, ihre physischen und geistigen Wirkungen sowie in einigen Fällen von Geschlecht, Alter u. Gesundheitszustand des Opfers.. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer gegen Menschenrechte verstoßen wird.
Ein ernsthafter Schaden durch Todesstrafe droht erst dann in beachtlicher Weise, wenn stichhaltige, das heißt für die notwendige richterliche Überzeugung (§ 108 VwGO) konkrete, nachvollziehbare und ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betroffene individuell von der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe betroffen ist (Kluth/Hornung/Koch ZuwanderungsR-HdB, § 5 Aufenthaltsbeendigung/Abschiebung/Sicherheit Rn. 261, beck-online). Die in einem Staat allgemeine festzustellende Praxis, in bestimmten Situationen zu bestimmten Zwecken Foltermaßnahmen etc. anzuwenden, lässt deshalb noch keine individuelle Gefährdung für jeden dorthin abgeschobenen Staatsbürger erkennen (Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60 Rn. 73). Die Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit darf zudem nicht unter Verzicht auf die Feststellung objektivierbarer Prognosetatsachen auf bloße Hypothesen und ungesicherte Annahmen gestützt werden (vgl. BVerwG, U.v. 04.07.2019 – 1 C 33/18 -, Rn. 18 ff., juris). Entscheidend ist, ob bei wertender Gesamtbetrachtung objektiv eine Gefahrenlage besteht, die aufgrund der zu erwartenden Verfolgung eine Rückkehr in den Herkunftsstaat unzumutbar erscheinen lässt. Es geht darum, welche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts noch zugemutet werden kann bzw. wann ein hinzunehmendes (letztlich asylrechtlich sozialadäquates) Verfolgungsrisiko in eine unzumutbare Gefahr im asylrechtlichen Sinne umschlägt (Maunz/Dürig/Gärditz, 92. EL August 2020, GG Art. 16a Rn. 290).
Ausgehend hiervon kann nach den vorliegenden Erkenntnissen jedenfalls im Falle der Kläger nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea diese beachtliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung bei Einziehung zum Militärdienst oder im Rahmen einer Bestrafung wegen einer illegalen Ausreise oder der Asylantragstellung erreicht wird.
1.2.2.1
Die Klägerin zu 1 hat – angesichts ihrer bisherigen Freistellung vom Militärdienst – im Übrigen entsprechende Bedenken einer drohenden Rekrutierung auch nicht vorgetragen. Hinsichtlich der fehlenden beachtlichen Wahrscheinlichkeit, im Falle ihrer Rückkehr zum Nationaldienst eingezogen zu werden, wird auf die obigen Ausführungen zu Nr. 1.1.3.1 verwiesen.
Auch hinsichtlich einer etwaigen Bestrafung wegen einer illegalen Ausreise erwächst kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Die Reaktion der eritreischen Behörden hängt von den Umständen der Ausreise, dem Nationaldienst-Status, etwaigen exilpolitischen Aktivitäten, dem Netzwerk in Eritrea und der Bezahlung der 2%-Diasporasteuer ab. Hinsichtlich des privilegierten Diaspora-Status wird von einem Zeitraum zwischen 3 und 10 Jahren ausgegangen (COI a.a.O. S. 36; EASO a.a.O. S. 63.), in dem dann keine staatlichen Maßnahmen drohen. Es sind somit in erster Linie nicht die illegale Ausreise, sondern deren Begleitumstände, welche zu einer Bestrafung führen. Im Hinblick auf die Klägerin zu 1 sprechen die Begleitumstände (keine Heranziehung zum Nationaldienst wegen Mutterschaft) gegen eine Verfolgung. Ferner ist bereits fraglich, inwiefern die Strafbestimmungen der illegalen Ausreise überhaupt noch zur Anwendung gelangen, zumal – wohl auch durch den massiven „Braindrain“, mit welchem sich Eritrea derzeit konfrontiert sieht – ein gewisses Umdenken der Behörden stattgefunden zu haben scheint und gegen Rückkehrer nicht (mehr) rigoros vorgegangen wird. Unbestritten und auch von regimekritischen Quellen bestätigt ist zudem, dass Personen aus der Diaspora in nicht unerheblichem Ausmaß (für kurze Aufenthalte) nach Eritrea zurückkehren. Es ist ferner anzunehmen, dass sich unter diesen Personen auch solche befinden, welche Eritrea illegal verlassen haben. Auch sind den internationalen Vertretern keine neueren Fälle von Personen bekannt, welche bei der Einreise nach Eritrea verhaftet worden sind. Zwar sei nicht allen Personen eine gefahrlose Rückkehr möglich. Gefährdet seien Personen, welche sich im Ausland oppositionell beziehungsweise regimekritisch betätigt hätten oder für Menschenrechtsorganisationen aktiv gewesen seien oder solche, welche sich vor der Ausreise in den Augen der Regierung etwas zu Schulden hätten kommen lassen, abgesehen von Dienstverweigerung oder Desertion (vgl. insoweit Schweizer. Bundesverwaltungsgericht, U.v. 30.01.2017, S. 36, 39ff. m.w.N.; EASO a.a.O. S. 55 ff., zu dauerhaften Reintegration S. 60f.). Ein solcher Fallkonstellation ist bei der Klägerin jedoch nicht ersichtlich.
Der Umgang mit unfreiwilligen Rückkehrern scheint ebenso mannigfaltig, wie der Umgang mit freiwilligen Rückkehrern, insbesondere ist nach den Erkenntnissen des Danisch Refugee Council, der Umgang wiederrum abhängig von den Umständen der Ausreise und der Nationaldienstpflicht, die für die Kläger im vorliegendem Verfahren entfällt (COI S. 38). Nachdem Eritrea die zwangsweise Rückführung von Personen ablehnt, können sich die Berichte nur auf vereinzelte Rückführungen und anekdotische Erzählungen beziehen. Diese reichen nicht aus, um eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer dem § 4 AsylG widersprechenden Behandlung der Klägerin anzunehmen, da sie sich im Wesentlichen auf die Pflicht zum Ableisten des Militärdienstes beziehen (AA a.a.O. S. 23f.), die für die Kläger nicht gilt (s.o.).
Vor diesem Hintergrund erachtet das Gericht es als nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Klägerin zu 1 im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea ein ernsthafter Schaden in Gestalt von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung droht.
1.2.2.2
Auch dem Kläger zu 2 droht im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung. Da der Kläger zu 2 bereits im Kleinkindalter Eritrea zusammen mit seiner Mutter verlassen hat, kann nicht von einer drohenden Bestrafung wegen illegaler Ausreise oder wegen Umgehung des bzw. Desertion vom Nationaldienstes ausgegangen werden. Eine unmenschliche Behandlung droht ihm auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn er zum Nationaldienst eigezogen werden sollte.
Aufgrund der besonderen Umstände beim Kläger zu 2 zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist im Falle seiner Rückkehr nach Eritrea bereits nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seine Einziehung Nationaldienst zu erwarten. Infolgedessen droht auch ihm dort eine schwerwiegende Verletzung von Menschenrechten nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Nach den Erkenntnissen findet Folter und unmenschliche Behandlung zudem weniger im zivilen Teil, sondern eher im militärischen Teil des Nationaldienstes statt, was die individuelle Betroffenheit des Klägers zu 2 weiter reduziert.
Da zudem auch nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes (vgl. Auskunft an das VG Schleswig-Holstein v. 27.07.2018) keine Anhaltspunkte zumindest dafür bestehen, dass systematisch Folter bzw. unmenschliche Behandlungen oder Bestrafungen angewandt werden, die jeden Eingezogenen gleichermaßen betreffen, kann nicht allgemein von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, von entsprechenden unmenschlichen Behandlungen oder Bestrafungen betroffen zu werden.
Ausgehend von den oben ausgeführten Erkenntnissen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 2 im Falle einer freiwilligen Rückkehr mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit zum Nationaldienst eingezogen wird und dort einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt sein wird. Da er zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung gerade erst das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist eine Rekrutierung, die in aller Regel erst ab dem 18. Lebensjahr erfolgt, im Falle einer Rückkehr, nach der zudem ein weiterer Schulbesuch erwartet werden kann, schon nicht beachtlich wahrscheinlich. Darüber hinaus war der Sachverständigen T. R. … keine Betroffener bekannt, der nach einer freiwilligen Rückkehr wieder zum Ableisten des Nationaldienstes gezwungen wurden (s.o.).
Weiterhin wären dem Kläger zu 2 auch eine Zahlung der Diaspora-Steuer und die Unterzeichnung eines „letters of regret“ mit Blick auf die in der Praxis dann erfolgende Aussetzung einer etwaigen Bestrafung zuzumuten. Eine Unzumutbarkeit kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht und ist vom Ausländer darzulegen und glaubhaft zu machen. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Es ist auch weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, weshalb es ihm nicht möglich sein sollte, den „Diaspora-Status“ zu erlangen und freiwillig nach Eritrea zurückzukehren. Der Kläger zu 2 befindet sich nach den Angaben seiner Mutter und Klägerin zu 1 seit 2004 außerhalb seines Heimatlandes Eritrea und hält sich damit bereits seit weit mehr als drei Jahren im Ausland auf. Er hat auch nicht vorgetragen, exilpolitisch tätig zu sein. Da es sich bei allen Klägern um eritreische Staatsangehörigen handelt, die in Eritrea auch noch über eine Verwandtschaft verfügen (vgl. Angaben der Klägerin zu 1 in ihrer Anhörung am 25.01.2018 beim Bundesamt, Bl. 4 der Niederschrift), wird es ihnen auch möglich sein, die notwendigen Personalpapiere zu beschaffen, um den „Diaspora-Status“ beantragen zu können. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass er mindestens ein Jahr, wahrscheinlich drei oder mehr Jahre von der Pflicht zum Nationaldienst befreit sein wird.
Auch bei einer unterstellten Zwangsrückführung des Klägers zu 2 und ohne vorherigen Erhalt des Diaspora-Status ist nicht davon auszugehen, dass ihm in Eritrea ein Einzug zum Nationaldienst und dort eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen wird. Da Eritrea offenbar Zwangsrückführungen ablehnt, kann eine solche schwerlich einer wertenden Betrachtung unterstellt werden.
Trotz alledem kann in diesem Fall bereits nicht davon ausgegangen werden, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zum Nationaldienst verpflichtet werden würde. Soweit nach den Erkenntnissen (s.o.) ca. 11% der Einwohner Eritreas im Nationaldienst befinden und sich Personen einer Razzia (durch „giffa“) offenbar erfolgreich entziehen können, spricht dies gegen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Rekrutierung.
Selbst im Falle einer Einziehung zum zivilen Teil des Nationaldienst kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm zwangsläufig eine unmenschliche Behandlung droht. Vielmehr entsprechen die Arbeits- und Lebensbedingungen im zivilen Teil des Nationaldienstes weitestgehend den Arbeits- und Lebensbedingungen der übrigen Bevölkerung außerhalb des Nationaldienstes. Dies betrifft insbesondere Personen, die ihre zugeteilte Funktion am Wohnort ihrer eigenen Familie ausführen können (vgl. EASO, a.a.O., S. 40). Laut einer akademischen Quelle von COI leben Wehrpflichtige im Nationaldienst unter Bedingungen, die die normalen Lebensbedingungen der allgemeinen Bevölkerung in Eritrea widerspiegeln. Im Interview betonte sie außerdem, dass die Ernährung der Wehrpflichtigen nicht unbedingt schlechter sei als die Nahrungsaufnahme der allgemeinen Bevölkerung. Sie fügte jedoch hinzu, dass das Leben für Wehrpflichtige in den Städten härter sei als für Wehrpflichtige auf dem Land, weil die Lebenshaltungskosten in den Städten höher seien (COI, a.a.O, S. 22-23).
Die Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldienstes – soweit eine Rekrutierung erfolgen sollte – ist unter den vorliegenden Umständen ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Im Falle einer zwangsweisen Rückführung nach Eritrea hat der Kläger zu 2 eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge in der Bundesrepublik Deutschland eine gute Schulbildung absolviert und voraussichtlich zumindest den Hauptschulabschluss erreicht sowie einer fehlenden früheren strafrechtlich verfolgbaren Handlung, so dass sich die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Einziehung nach den oben ausgeführten Erkenntnissen weiter reduziert. Mit größerer Wahrscheinlichkeit ist aufgrund dessen zu erwarten, dass – soweit eine Rekrutierung erfolgt – eine Verwendung im zivilen Teil erfolgt.
Zwar sind im militärischen Teil des Nationaldienstes unmenschliche Behandlungen von Rekrutierten willkürlich und deshalb nicht auszuschließen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen geschieht dies offenbar willkürlich, da sich keine nachvollziehbare Vorgehensweise des eritreischen Machtapparates erkennen lässt (s.o.). Entsprechendes ist vielmehr abhängig vom jeweiligen Kommandanten, dem offenbar nahezu unbegrenzte Befugnisse zustehen.
Wenn aber im Falle des Klägers zu 2 schon die Einziehung zum Nationaldienst nicht beachtlich wahrscheinlich (s.o.) erscheint und die Wahrscheinlichkeit einer Einziehung zum militärischen Teil des Nationaldienstes nochmals verringert ist, dann reduziert sich die Wahrscheinlichkeit dort einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung durch einen Kommandanten zu erfahren, weiterhin. Da der Kläger zu 2 bislang nicht – auch nicht strafrechtlich relevant – negativ aufgefallen ist, wird dadurch die Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung zumindest nicht erhöht.
Dies zugrunde gelegt, kann im vorliegenden Einzelfall nach Überzeugung des Gerichts im Falle der Rückkehr des Klägers zu 2 nach Eritrea nicht von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit von einer ihm drohenden Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgegangen werden.
Auch wenn der Kläger zu 2 aufgrund seiner Alters keine strafrechtlichen Konsequenzen wegen einer etwaigen illegalen Ausreise zu erwarten hat, wird hilfsweise auf die obigen Ausführungen bei der Klägerin zu 1 Bezug genommen.
Es besteht damit kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
1.3 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
1.3.1 Den Klägern steht auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Durch diesen allgemeinen Verweis auf die EMRK sind die Normen der EMRK unmittelbar anwendbar. Bei der Prüfung der Voraussetzungen ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen.
Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG ist ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind, liegen die Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Gemessen an diesem Maßstab ist bei den Klägern auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die schlechten humanitären Bedingungen in Eritrea zu verneinen. Im Falle der Kläger handelt es sich jedenfalls auch nicht um einen „ganz außergewöhnlichen“ Fall, in dem humanitäre Gründe der Abschiebung „zwingend“ entgegenstehen.
Hinsichtlich der Voraussetzungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wird auf die obigen Ausführungen zum subsidiären Schutz verwiesen.
In Eritrea leben noch zwei Cousine, zwei Onkel und eine Tante der Klägerin zu 1. Es ist daher davon auszugehen, dass die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea zunächst bei diesem Teil der Familie unterkommen und unterstützt werden. Bis die Klägerin zu 1 für sich und ihre Kinder eigenständig sorgen kann, besteht also ein hinreichendes Unterstützungsangebot.
1.3.2 Anhaltspunkte für die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind vorgetragen oder sonst den Akten zu entnehmen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung Afghanistans als solcher auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten.
Ein Abschiebungsverbot ergibt sich insbesondere nicht aus der Covid-19-Pandemie im vorliegenden Einzelfall. Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch die Verbreitung des Corona-Virus bzw. die massive Ausbreitung der Heuschrecken in Eritrea – begründet nur Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45).
Fehlt – wie hier – eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 10.10.2014 – 13 K 1279/14.A -, juris, Rn. 57) kann die Klägerin Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (vgl. zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.) BVerwG, Urteile vom 29.06.2010 – 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 (232), und vom 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f.). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Ein Abschiebungsverbot ist demnach dann gegeben, wenn der Betroffene ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. (vgl. OVG NW, B.v. 17.12.2014 a.a.O. – juris Rn. 10 ff.; BVerwG, U.v. 29.06.2010 – 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226, und v. 29.09.2011 – 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a. F.)).
Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Eritrea einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung einschränken könnte, ausgesetzt wäre.
Die Gefahr einer Infektion ist zwar grundsätzlich vorhanden. Die Gefahren, die durch die aktuelle Corona Pandemie verursacht werden, führen aber nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Hinsichtlich der Pandemielage in Eritrea wird auf die Erkenntnisse der World Health Organisation (WHO) (https://www.who.int/countries/eri/, abgerufen am 01.02.2021) verwiesen. Nach der Auskunftslage (s.a. Länderanalyse des Bundesamts, Gesundheitssystem und Covid-19-Pandemie; Stand November 2020; Länderinformation des Bundesamts, Covid-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern; Stand 06/2020) sind hinsichtlich § 60 Abs. 7 AufenthG keine entsprechenden Gefahren nach dem oben genannten Maßstab ersichtlich.
Darüber hinaus drohten daraus resultierende Gefahren nicht nur den Klägern in Eritrea, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Eritreas. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren grundsätzlich bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (s.o.).
Soweit die Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung Probleme mit ihren „Blutadern“ sowie ihren Füßen und ihrer Hüfte so hat sie damit nicht ausreichend dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Gleiches gilt auch hinsichtlich der für den vom Kläger zu 2 vorgetragenen Einschränkungen. Seine Angabe zu traumatisierenden Erlebnissen sagt auch mangels Vorliegen eines entsprechenden Attests noch nichts hinsichtlich einer Erkrankung mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD 10 F 43.1) aus.
1.4 Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes, sowie gegen die von Amts wegen getroffene Entscheidung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.
Die Klagen sind nach alledem insgesamt abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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