Verwaltungsrecht

Erfolglose Anhörungsrüge gegen einen asylverfahrensrechtlichen negativen Eilbeschluss

Aktenzeichen  M 21 S9 17.49342

Datum:
27.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 152a
GG GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Aus dem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt weder ein Anspruch darauf, dass das Gericht dem Vorbringen der Beteiligten folgt, noch eine Verpflichtung des Gerichts sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich auseinanderzusetzen. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge des Antragstellers wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Am 28. April 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den seinen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnenden Bundesamtsbescheid vom 19. April 2017 aufzuheben und festzustellen, dass für ihn die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, festzustellen, dass der subsidiäre Schutzstatus vorliegt und festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.38497) ist noch nicht entschieden.
Zudem ließ der Antragsteller am 28. April 2017 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen, die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 28. April 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe bei einer Rückführung nach Mali nach entsprechender Verurteilung den Tod zu erwarten. In Mali seien Ende 2016 53 Personen zum Tode verurteilt worden. Dort herrsche zudem Bürgerkrieg. Islamistische Gruppierungen seien dort landesweit aktiv. Für den Antragsteller bestehe die Gefahr, von ihnen zwangsrekrutiert zu werden. Wegen seiner gesundheitlichen Situation sei eine Rückführung nach Mali ebenfalls nicht möglich. Wegen Blinddarm und urologischen Eingriffen sei er in ärztlicher Behandlung gewesen. Die ärztlichen Stellungnahmen würden nachgereicht. Seine körperlichen Leiden seien in Mali nicht behandelbar.
Durch Schriftsatz vom 26. Mai 2017 ließ der Antragsteller diese Antragsbegründung als Klagebegründung wiederholen.
Durch Einzelrichterbeschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2017 (M 21 S. 17.38500) wurde der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abgelehnt. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, der unbegründete Asylantrag sei auch deshalb als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil das Vorbringen in wesentlichen Punkten nicht substantiiert und in sich widersprüchlich sei. Wenn der Antragsteller wirklich mit einem zwölfjährigen Mädchen mit Todesfolge geschlafen hätte, hätte er in der Bundesamtsanhörung zu dieser Tat umstands- und datumsgenaue Angaben machen können und müssen, die ihn dann wiederum wegen dieser Tat der Gefahr der Bestrafung in der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt hätten. Nach dem vorliegenden Einlassungsverhalten des Antragstellers komme für ihn dagegen eine Strafbarkeit nach § 145d StGB in Betracht, wie dem Gericht mittlerweile aus anderen vergleichbaren Fällen bekannt sei. Davon abgesehen habe der Antragsteller schon nichts zu einer konkreten Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder zum Erlass eines Haftbefehls in Mali gegen ihn vorgetragen. Abgesehen von der Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens müsse sich der Antragsteller auf Basis aktueller Lageberichte sowohl überstaatlicher als auch staatlicher und nichtstaatlicher Stellen jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako verweisen lassen. Laut Empfangsbekenntnis erhielten die Bevollmächtigten des Antragstellers diesen Beschluss am 3. November 2017.
Am 10. November 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Anhörungsrüge erheben und beantragen,
ihm das bisher vorenthaltene rechtliche Gehör zu gewähren und das durch Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 20. Oktober 2017, zugestellt am 3. November 2017, beendete Verfahren auf dieser Grundlage fortzuführen.
Zur Begründung wurde durch Schriftsatz vom 10. November 2017 im Wesentlichen ausgeführt, mit Schriftsatz vom 28. April 2017 sei dargelegt worden, dass dem Antragsteller wegen des Geschlechtsverkehrs mit einer Zwölfjährigen, der bei dieser zum Tode geführt habe, die Verhängung der Todesstrafe im Raum stehe. Im Jahr 2016 habe es 53 Verurteilungen zum Tode in Mali gegeben. Eine Quelle dafür sei benannt worden. Das Gericht sei diesem Vortrag nicht nachgegangen. Nachdem durch diesen Vortrag feststehe, dass die Todesstrafe auch künftig ausgesprochen werde und den rückgeführten Antragsteller betreffen könne, sei es nötig, sich mit diesem Vortrag konkret auseinanderzusetzen, was nicht erfolgt sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die genannte Quelle in die Entscheidungsfindung miteinbezogen worden sei. Das Gericht hätte der Frage zum Todesstrafenausspruch in Mali nachgehen müssen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Berücksichtigung des Sachvortrags zu einer anderen, für den Antragsteller günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Das Gericht habe zudem den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es dem Antragsteller vorwerfe, er habe nichts zu einer konkreten Ermittlungsverfahrenseinleitung oder zum Erlass eines Haftbefehls gegen ihn vorgetragen. Zumindest hätte ein Hinweis dahingehend erfolgen müssen, dass das Gericht diesen Tatsachen entscheidungserhebliche Bedeutung beimesse. In seiner weiteren Beschlussbegründung habe das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Antragsteller könne sich im Süden Malis, insbesondere in der Gegend um Bamako, aufhalten. Hierdurch werde ebenfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Insoweit hätte dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden müssen. Es sei auch nicht vorhersehbar gewesen, dass das Gericht auf die Lage im Süden Malis abstellen werde, um hiermit seinen Beschluss tragend zu begründen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Anhörungsrüge ist jedenfalls unbegründet.
Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO fortzuführen, wenn 1. ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und 2. das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese zweitgenannte Voraussetzung ist im Fall des Antragstellers jedenfalls nicht erfüllt.
Bei der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG muss aus dem Vortrag des Beschwerdeführers deutlich werden, in welchen Punkten das Gericht gegen die Verfassungsnorm verstoßen haben soll. Dabei genügt es nicht, darzulegen, dass das Gericht abweichend von der Argumentation eines Beteiligten entschieden hat, ohne sich in der Begründung seiner Entscheidung mit allen vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG umfasst weder einen Anspruch darauf, dass das Gericht dem Vorbringen der Beteiligten folgt, noch verpflichtet es das Gericht, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. nur BVerfG, U.v. 2.3.2006 – 2 BvR 2099/04 – juris Rn. 56 m.w.N.).
Diese Maßgaben verkennt die Anhörungsrüge schon im Ausgangspunkt, weil sie ignoriert, dass der Eilbeschluss vom 20. Oktober 2017 in erster Linie und selbstständig tragend mit der Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers begründet ist. Mangels Begehung der schweren Straftat, deren sich der Antragsteller bezichtigt hat, droht ihm auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Mali keine Strafverfolgung. Damit kommt es auf weitere Fragen zur Todesstrafe oder zu einem Ermittlungsverfahren nicht mehr an.
Die Anhörungsrüge ist auch sonst unter keinem von ihr thematisierten Gesichtspunkt, insbesondere nicht unter dem Aspekt des behaupteten Verstoßes gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung, begründet.
Zur Lagebeurteilung hat sich das Gericht in den Gründen des Eilbeschlusses ausschließlich auf allgemeinkundige Tatsachen gestützt, über die sich jedermann ohne besondere Fachkunde aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen unterrichten kann (Internet). Jedenfalls auf die beabsichtigte Verwertung solcher Umstände, die allen Beteiligten mit Sicherheit gegenwärtig sind und von denen sie auch wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, muss das Gericht nicht ausdrücklich hinweisen (vgl. nur BVerwG, B.v . 11.2.1982 – 9 B 429/81 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Auch das verkennt die Anhörungsrüge. In den Gründen des angegriffenen Bundesamtsbescheids ist unter Bezugnahme auf mehrere, überwiegend etwa in juris recherchierbare Entscheidungen des VG Magdeburg insbesondere ausgeführt worden, im Herkunftsland des Antragstellers bestehe kein landesweiter Konflikt, mithin drohe ihm dort kein Schaden nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Schon allein deshalb hat der Antragsteller gewusst, dass insbesondere die Sicherheitslage in Mali auch im gerichtlichen Verfahren entscheidungserheblich sein kann. Dementsprechend sind in der Klage- und Antragsbegründung auch Ausführungen zu einem Bürgerkrieg in Mali gemacht worden, die das Gericht so auch unter Berücksichtigung der im zur weiteren Klagebegründung dienenden Schriftsatz vom 10. November 2017 enthaltenen Ausführungen in der Sache allerdings nach wie vor nicht überzeugen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben