Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage (Äthiopien, Genitalverstümmelung, eritreische Abstammung, Konflikt in Tigray)

Aktenzeichen  B 8 K 19.31360

Datum:
24.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 18072
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Eine staatliche oder staatlicherseits geduldete Diskriminierung eritreischstämmiger Personen in Äthiopien im Sinne einer Gruppenverfolgung ist unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Auskunftslage nicht ersichtlich. (Rn. 60 – 62) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die aktuellen Unruhen in der Tigray-Region begründen keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. (Rn. 65 – 71) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Äthiopien ist es möglich, selbst als alleinstehende Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. (Rn. 75) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage, über die auch ohne einen Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
Der Einzelrichter ist (nach Übertragung durch Beschluss vom 20.11.2020) als Mitglied der 8. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth für die Entscheidung zuständig. Insbesondere ist ein von der Bevollmächtigten der Klägerin gerügter Fehler bei der Anwendung der gerichtlichen Geschäftsverteilung betreffend die (zur gemeinsamen mündlichen Verhandlung verbundenen) Verfahren von Frau … (B 8K18.30658), ihres Lebensgefährten Herrn … (B 8 K 19.31270) sowie deren gemeinsamen Töchter … (B 8K 19.31360) und … (B 8 K 19.31507) nicht ersichtlich. In allen genannten Verfahren wird jeweils die eritreische Herkunft behauptet. Gemäß Nr. 3.1 Buchst. l. der Geschäftsverteilung richtet sich die Verteilung staatenloser Asylbewerber und solcher mit ungeklärter Staatsangehörigkeit nach dem jeweiligen behaupteten Herkunftsland. Für asylrechtliche Streitverfahren von Ehegatten, von Geschwistern und Personen, die in gerader Linie verwandt sind, ist zudem die Kammer zuständig, bei der nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans das älteste Verfahren der verwandten bzw. verheirateten Personen anhängig ist, vgl. Nr. 3.1 Buchst. k. der Geschäftsverteilung. Insofern waren alle der genannten, bis zum 31.12.2020 eingegangenen, Asylverfahren aus dem (behaupteten) Herkunftsland Eritrea der 8. Kammer zuzuteilen, (vgl. Geschäftsverteilung i.d.F. vom 20.12.2019). Auf die Übergangsvorschrift Nr. 3.2 Buchst. a der Geschäftsverteilung (i.d.F. vom 16.12.2020) wird hingewiesen.
1.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (s. 1.1). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG sind ebenfalls nicht gegeben (s. 1.2). Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor (s. 1.3). Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind nicht zu beanstanden (s. 1.4 u. 1.5). Die Voraussetzungen zur Gewährung von Asylrecht im Wesentlichen die Gleichen wie zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, so dass auf die Ausführungen hierzu Bezug genommen werden kann (s. 1.1).
1.1
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
In der Sache schließt sich das Gericht zunächst im Wesentlichen den Gründen des angefochtenen Bescheides an und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist zur Sache sowie zur Klage das Folgende auszuführen:
1.1.1
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf Äthiopien als Herkunftsland der Klägerin geprüft und verneint hat, da sowohl die Mutter der Klägerin, Frau …, dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ohne eine andere Staatsangehörigkeit glaubhaft machen zu können (vgl. die Feststellungen in der Entscheidung zum Verfahren B 8 18.30658, insb. u. 1.1.2) und der Vater der Klägerin, Herr … als äthiopischer Staatsangehöriger anzusehen ist (vgl. dazu die Feststellungen in der Entscheidung zum Verfahren B 8 K 19.31270, insb. u. 1.1.2). Hierbei ist auf die Ausführungen im dortigen Verfahren, insbesondere auch zur Ablehnung der Beweisanträge der Bevollmächtigten der Klägerin entsprechend zu verweisen. Das äthiopische Recht betreffend die Staatsangehörigkeit stellt auf das Abstammungsprinzip ab (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien, vom 24.04.2020 in der Fassung vom 10.02.2021, S. 26; s.a. OVG NW, a.a.O. Rn. 34 mit weiteren Nachweisen).
1.1.2
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Klägerin in Äthiopien keine Gefahr der geschlechtsspezifischen Verfolgung in Form der Genitalverstümmelung droht. Hierzu kann zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen werden. Es sei zunächst anzumerken, dass weder Vater noch Mutter in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2021 auch auf konkrete Nachfrage des Gerichts zu ihren Kindern überhaupt befürchteten, ihnen würde bei einer Rückkehr die Beschneidung drohen. Nach den Angaben der Eltern im behördlichen Verfahren seien diese selbst Gegner der Beschneidungspraxis (Bl. 62 ff. d. Akten). Die Mutter, die selbst beschnitten ist, wies auf die damit einhergehenden Probleme und den Verlust eines Teils des Körpers hin. Die Mutter befürchtet bezüglich der Beschneidung Druck der Gemeinde, einer ethnischen Gruppe im Süden Äthiopiens. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Eltern der Klägerin diesem Druck nachgeben müssten, zumal die Mutter nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung diesen Ort im Alter von sieben Jahren verlassen hat und anschließend in Addis Adeba lebte und weiter aufwuchs. Anders als im Fall der Mutter, die nach eigenen Angaben keine Eltern mehr hatte, kann die Klägerin auf den Schutz ihrer Eltern zurückgreifen.
Soweit die Eltern überhaupt noch Druck aufgrund der kulturellen Bedeutung der Beschneidung seitens „der Gesellschaft“ befürchten, ist darauf hinzuweisen, dass die Neubeschneidungsrate in Äthiopien seit Jahren stetig rückläufig ist und der Großteil der Kinder heute nicht mehr beschnitten wird, auch wenn der subjektive Eindruck der Eltern ein anderer sein mag. Wie sich aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24.04.2020 ergibt, erfolgt eine Beschneidung inzwischen bei der überwiegenden Anzahl von Mädchen nicht mehr. Seit der Reformierung des Strafgesetzbuches 2005 ist die Genitalverstümmelung gemäß Art. 565 mit Geldstrafe ab 500 Birr (ca. 15 EUR) oder mit mindestens dreimonatiger, in besonders schweren Fällen mit bis zu zehn Jahren Gefängnisstrafe, bedroht. Diese Norm bleibt auch nicht unangewendet. Vielmehr wurde bereits in einem Bericht aus dem Jahr 2008 betreffend ein Projekt zur Überwindung der weiblichen Genitalverstümmelung ausgeführt, dass es zu Verurteilungen zu nicht unempfindlichen Gefängnisstrafen gekommen ist (vgl. GTZ, Überregionales Projekt v. 2/2008, S. 6 – 8). In den Jahren 2015 bis 2018 seien insgesamt 293 Festnahmen erfolgt, 85 Fälle seien vor Gericht gebracht worden (Accord, Anfragebeantwortung FGM, 30.03.2020). Strafbar ist gem. Art. 569 des äthiopischen Strafgesetzbuches auch die Mitwirkung von Eltern oder anderen Personen an der Beauftragung der Beschneidung. Inzwischen werden, wie sich aus den eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, auf Gesamtäthiopien gesehen noch ca. 25 – 40% der Mädchen neu beschnitten. Es besteht zwar nach wie vor ein starker Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Auch auf dem Land liegt die Quote allerdings „nur noch“ bei ca. 68% (vgl. Accord, Anfragebeantwortung FGM, 30.03.2020). Die Zahlen sind dabei seit Jahren stark rückläufig, sowohl was die Neubeschneidungsrate, als auch was die Zustimmungsrate unter den Frauen und Mädchen zur Beschneidung betrifft. Im Jahr 2017 waren bereits 79% der Frauen und 87% der Männer der Ansicht, dass FGM nicht weiter praktiziert werden solle. Die Zustimmungsrate sank unter den Frauen von 31% im Jahr 2005 auf 18% im Jahr 2016. Wenn in machen Quellen höhere Prozentangaben für den Anteil derzeit beschnittener Frauen angegeben werden, sind diese für eine hier notwendige prognostische Betrachtung nicht brauchbar, soweit darin auch ältere Frauen in die Betrachtung einbezogen werden, bei denen die Beschneidung bereits viele Jahre zurückliegt. Solche Zahlenangaben berücksichtigen namentlich nicht den in Äthiopien eingeleiteten und weiter fortschreitenden Einstellungswandel in nicht unbeträchtlichen Kreisen der Bevölkerung. Die Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen, aber auch des äthiopischen Staates zeigen hier deutliche Erfolge (vgl. AA, Lagebericht v. 24.4.2020). Mit einer Trendwende ist diesbezüglich wohl nicht zu rechnen. Vielmehr hat die äthiopische Regierung sich zum Ziel gesetzt, die Beschneidungspraxis bis 2025 vollständig zu beenden. Auch wenn dieses Ziel ambitioniert sein mag, ist doch ersichtlich, dass sich die – jetzt schon nicht ausweglose – Lage aller Voraussicht nach weiter verbessern wird, bis die Klägerin das Alter erreicht, in dem die Beschneidung spätestens durchgeführt wird. Zudem ist es den Eltern der Klägerin durchaus gut möglich, nach Addis Abeba zu ziehen, wo die Mutter bereits gelebt hat. In dieser Großstadt sind die Beschneidungsraten deutlich niedriger als in den ländlichen Regionen, weshalb auch ein relevanter gesellschaftlicher Druck nicht zu erwarten steht.
1.1.3
Der Klägerin droht in Äthiopien insbesondere auch keine Gruppenverfolgung, sofern man ihr überhaupt eine eritreische Abstammung unterstellen würde, was allerdings infolge der unglaubhaften Einlassungen ihrer Eltern auch für die Klägerin nicht angenommen werden kann (s.o.; hierzu wird entsprechend auf die Entscheidungen im Verfahren B 8 18.30658 und B 8 K 19.31270 verwiesen).
Eine staatliche oder staatlicherseits geduldete Diskriminierung eritreischstämmiger Personen in Äthiopien im Sinne einer Gruppenverfolgung ist unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Auskunftslage nicht ersichtlich. Im Grenzkonflikt zwischen Äthiopien und Eritrea ist es zwar zu zahlreichen Deportationen äthiopischer Staatsangehöriger eritreischer oder halberitreischer Abstammung gekommen, aktuell werden eritreischstämmige Flüchtlinge jedoch nicht mehr gegen ihren Willen zurückgeführt. Es sind auch keine anderen Formen von Diskriminierung zu befürchten (vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 24.10.2014, Az.: 12 K 1874/13.A; VG München, Urteil vom 16.12.2012; Az.: M 12 K 12.30504; VG Bayreuth, Urteil vom 27.03.2012; Az.: B 3 K 11.30150; VG Regensburg, Urteil vom 17.11.2011, Az.: RO 7 K 11.30005; VG Kassel, Urteil vom 25.08.2011; G-Nr. 1 K 930/10.KS.A; VG Wiesbaden, Urteil vom 21.07.2010, Az.: 5 K 1381/09.WI.A; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Sigmaringen vom 16.06.2009). Sachkundige Beobachter weisen vielmehr darauf hin, dass sich die Situation für die in Äthiopien lebenden Personen eritreischer Herkunft deutlich verbessert habe und in der Praxis viele der vorherigen Einschränkungen im Hinblick auf Wohnsitznahme, Eigentum, Arbeitsaufnahme und Ausbildung nicht mehr bestehen. Im Hinblick auf die angespannte Lage im Nachbarland flüchten zahlreiche Eritreer nach Äthiopien, um sich der Unterdrückung im eigenen Land zu entziehen; sie sind in Äthiopien willkommen, weil dies propagandistisch gegen die eritreische Regierung ausgewertet werden kann. Äthiopien verfolgt eine Politik der offenen Tür und nimmt Flüchtlinge aus den Nachbarländern in der Regel ohne weitergehende Prüfung auf (vgl. Lagebericht Äthiopien des Auswärtigen Amtes vom 22.03.2018, S. 22). Angesichts der Vielzahl von damals wie heute in Äthiopien lebenden eritreisch stämmigen Personen gibt es keinen nachvollziehbaren Grund für die Annahme, in Äthiopien wegen einer eritreischen Abstammung diskriminiert zu werden. Dass der Kläger in Äthiopien eine Verfolgungsgefahr zu befürchten hätte, steht auch deshalb nicht zu befürchten, da er und seine Mutter auch über die Jahre des Grenzkrieges hinaus ohne erhebliche Diskriminierungen aufhalten konnten und diese anscheinend auch nicht der Anlass der Ausreise des Klägers im Jahr 2004 gewesen sind.
Die derzeitige Auskunftslage unter Berücksichtigung der von der Bevollmächtigten der Klägerin vorgelegten medialen Berichterstattung legt keine stichhaltigen Anhaltspunkte nahe, die ein belastbares Maß an Diskriminierungen in ganz Äthiopien erkennen lassen würden, um von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr auszugehen. Im Falle der Rückkehr der Klägerin und ihrer Familie nach Äthiopien ist jedenfalls eine Niederlassung in der Tigray-Region nicht zu Grunde zu legen, da ihre Eltern schon nach deren Angaben nicht von dort stammen.
1.2
Auch subsidiärer Schutz kommt im Falle der Klägerin in Äthiopien nicht in Betracht. Hierzu wird auf die zutreffende Begründung im Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
1.2.1
Die § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG sind nicht erfüllt. Es ist weder ersichtlich, dass vorliegend die Todesstrafe verhängt wurde, noch ist die Gefahr eines ernsthaften Schadens durch Folter, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung gegeben.
1.2.2
Es ist insbesondere auch kein Fall des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gegeben. Hierfür müsste eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gegeben sein. Ein solcher ist hinsichtlich Äthiopien nicht ersichtlich.
Die aktuellen Unruhen in der Tigray-Region (vgl. die von der Klägerbevollmächtigten und dem Gericht eingeführten Erkenntnismittel, z.B. https://www.tagesschau.de/ausland/aethiopien-unhcr-tigray-101.html) führen nicht dazu, dass die Beklagte verpflichtet wäre, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Dabei wird nicht verkannt, dass die aktuelle Lage in Äthiopien gerade in jener Region durchaus fragil erscheint, wenngleich es dafür, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG dort oder gar landesweit erfüllt wäre, keine belastbaren Anhaltspunkte gibt. Im Falle der Rückkehr der Klägerin ist eine Niederlassung in der Tigray-Region sehr unwahrscheinlich, weil dies nicht die Herkunftsregion der Klägerin oder ihres Lebensgefährten ist. Es sind – entgegen der Angaben der Klägerbevollmächtigten – keine stichhaltigen Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich etwaige lokale Gefahren infolge der Unruhen in der Tigray-Region derart auf das gesamte Gebiet Äthiopiens ausgestrahlt hätten, dass von einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin oder ihrer Familie im Falle einer Rückkehr z.B. in Addis Abeba auszugehen wäre. Nichts Anderes ergibt sich vor dem Hintergrund der „Ad hoc“ aktualisierten Fassung des Berichts des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 24.04.2020 in der Fassung vom 10.02.2021 hinsichtlich der aktuellen Lage in der Tigray-Region (Ziff. II. 4 des Lageberichts). Daraus wird eine nunmehr zeitweise militärische Eskalation eines Konflikts zwischen der äthiopischen Regierung und der ehemaligen Regionalregierung der Volksbefreiungsfront in Tigray (TPLF) von Anfang November 2020 bis zur Einnahme der Regionalhauptstadt Mekelle Ende November 2020 ersichtlich. Es kann offenbleiben, inwiefern „bestätigte Berichte“ ein gewichtiges Maß an Einschränkungen der im gesamten Land lebenden Äthiopier tigrinischer Abstammung im Zuge der zeitweisen Eskalation mit sich gebracht hätten. Inzwischen scheinen auch solche Berichte „abgeebbt“ und nicht mehr „prävalent“ zu sein (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 18 f.).
1.2.3
Die in diesem Zusammenhang von der Bevollmächtigten der Klägerin gestellten Beweisanträge (vgl. Ziff. 1-4 der zweiten Beweisantragsreihe im Protokoll der mündlichen Verhandlung; s.a. entsprechend im Schriftsatz der Klägerin vom 25.02.2021, S. 4) sind abzulehnen:
a.
Der Beweisantrag zu Ziff. 1 zielt zum einen auf die Auslegung einer Rechtsfrage ab und ist schon deshalb unzulässig. Die Frage des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (im Sinne von Art. 15c der Qualifikationsrichtlinie) hat das Gericht als rechtliche Voraussetzung zum Vorliegen subsidiären Schutzes selbst zu bewerten und ist als solche dem Beweis nicht zugänglich. Im Übrigen kann dahinstehen, ob infolge der Unruhen in der Tigray-Region in Äthiopien von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne von § 4 AsylG auszugehen wäre. Im Falle der Rückkehr der Familie ist eine Niederlassung in der Tigray-Region nicht zu Grunde zu legen, da sie schon nach eigenen Angaben nicht von dort stammen. Dabei kann unterstellt werden, dass – wie die Bevollmächtigte der Klägerin in ihrem zweiten Teil des Beweisantrags nach Ziffer 1 begutachtet haben will – in der Tigray-Region bewaffnete Regierungstruppen auf Anhänger der TPLF getroffen sind, selbst wenn man diesen Beweisantrag überhaupt für substantiiert halten würde, wovon das Gericht nicht überzeugt ist. Die Auskunftslage deutet darauf hin, dass der im November 2020 aufgekeimte Konflikt der Regierung Äthiopiens als militärische „Eskalation“ zu verstehen ist. Die Militäroperation wurde nach Einnahme der Regionalhauptstadt Mekelle am 28.11.2020 nach deren Aussagen für beendet erklärt. Dabei wird nicht verkannt, dass Berichten zufolge Kämpfe in geringerer Intensität noch fortgeführt werden (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 18 f.). Dadurch werden aber keine stichhaltigen Anhaltspunkte ersichtlich, dass auf dieser Basis ein Sachverhalt anzunehmen wäre, der die Intensität eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in dieser Region erreichen würde. Erst recht ergeben sich aus der Auskunftslage auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerbevollmächtigten keine belastbaren Anhaltspunkte für eine im Rahmen des § 4 AsylG beachtliche landesweite Ausdehnung eines bewaffneten Konflikts.
b.
Der Beweisantrag zu Ziffer 2 ist als unsubstantiiert abzulehnen. Die derzeitige Auskunftslage unter Berücksichtigung der von der Klägerbevollmächtigten vorgelegten medialen Berichterstattung legt keine stichhaltigen Anhaltspunkte nahe, die ein belastbares Maß an willkürlicher Gewalt durch Massaker, Tötungen, Plünderungen, Zurückhaltung humanitärer Hilfe gegen die Zivilbevölkerung in Äthiopien erreichen würden. Es kann offenbleiben, inwiefern „bestätigte Berichte“ ein gewichtiges Maß an Einschränkungen der im gesamten Land lebenden Äthiopier tigrinischer Abstammung im Zuge der vorübergegangenen militärischen Eskalation (s.o.) mit sich gebracht hätten. Inzwischen scheinen auch solche Berichte „abgeebbt“ und nicht mehr „prävalent“ zu sein (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 18 f.). Darüber hinaus würde ein solcher Beweisantrag auf eine unzulässige Ausforschung abzielen, da nicht hinreichend dargelegt wurde und auch sonst nichts darauf hindeutet, dass etwaig aufgezählte (Einzel-)Vorfälle ein gewichtiges landesweites Maß im Hinblick auf § 4 AsylG überhaupt erreichen könnten. Die Bevollmächtigte kann auch nicht hinreichend darlegen, inwiefern die aktuelle Auskunftslage nicht ausreichen würde, um die rechtliche Frage der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu beantworten.
c.
Der Beweisantrag zu Ziffer 3 ist unzulässig. Er betrifft Rechtsfragen, die das Gericht eigenständig zu bewerten hat und als solche der Beweiserhebung und damit auch einem Sachverständigengutachten nicht zugänglich sind. Inwiefern durch die willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger besteht, betrifft die unmittelbare Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
d.
Der Beweisantrag zu Ziffer 4 zielt auf die rechtliche Bewertung der „tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens“ i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG sowie einer „zumutbaren“, „sicher“ und „legal“ erreichbaren internen Schutzalternative i.S.v. § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG ab. Das Gericht hat auf Basis der Auskunftslage selbstständig rechtlich zu bewerten, inwiefern eine solche „Gefahr“ § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegt. Gleichermaßen handelt es sich um eine rechtliche Bewertung bei der Frage, ob ein Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes kein ernsthafter Schaden droht und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Diese Gesichtspunkte bilden im Grunde die rechtlichen Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG ab. Der Beweisantrag ist schon deshalb unzulässig und zielt im Übrigen auf eine gleichsam unzulässige Ausforschung ab, da nicht hinreichend substantiiert vorgetragen wurde, auf welcher konkreten Tatsachenbasis von einer tatsächlichen Gefahr auszugehen wäre. Im Übrigen ist die Frage des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG nicht entscheidungserheblich. Im Falle der Rückkehr der Klägerin ist von einer Niederlassung in der Tigray-Region nicht auszugehen, da weder ihre Mutter noch ihr Vater nach eigenen Angaben von dort stammen (s.o.), sodass sich die Frage einer inländischen Schutzalternative in dieser Form nicht stellt.
1.3
Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.
1.3.1
Der Klägerin steht kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG zu. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Insbesondere darf gemäß Art. 3 EMRK niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes aus humanitären Gründen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG ist ein „sehr hohes Niveau“ anzulegen und eine „besondere Ausnahmesituation“ erforderlich. Nur in „ganz außergewöhnlichen Fällen“, nämlich wenn die humanitären Gründe gegen die Abschiebung „zwingend“ sind, sind liegen bei den Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG vor (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris m.w.N.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris).
Gemessen daran ist bei der Klägerin auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf die gegenwärtig schwierigen humanitären Bedingungen in Äthiopien zu verneinen.
Es ist realitätsnah davon auszugehen, dass die minderjährige Klägerin zusammen mit ihren beiden Eltern und ihrer minderjährigen Schwester im Familienverband nach Äthiopien zurückkehren wird. Die beiden Eltern sind für den Fall ihrer hypothetischen Rückkehr nach Äthiopien auf den Einsatz ihrer Arbeitskraft zu verweisen, wobei sie sich in Sachen Kinderbetreuung gegenseitig ergänzen und unterstützen können. Der in Äthiopien aufgewachsene Vater der beiden minderjährigen Kinder ist gesund und arbeitsfähig; hierzu wird entsprechend auf die Entscheidung im Verfahren B 8 K 19.31270 (vgl. 1.3.1) verwiesen. Auch die in Äthiopien aufgewachsene Mutter ist gesund und arbeitsfähig; hierzu wird entsprechend auf die Entscheidung im Verfahren B 8 K 18.30658 (vgl. 1.3.1) verwiesen. In Äthiopien ist es möglich, selbst als alleinstehende Mutter einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Erwerbsmöglichkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Schulbildung. Kinder werden häufig – bei Alleinerziehenden wie bei erwerbstätigen Personen – nach der Schule von privatem Betreuungspersonal betreut, auch in den unteren Gehaltsschichten (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stuttgart vom 13.07.2017 – Gz. 508-516.80/49153).
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt. Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose im Regelfall auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – juris). Die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich je nach Konstellation im Einzelfall dahin auswirken, dass in extremen Mangelsituationen zugunsten aller Mitglieder einer Kernfamilie ein Abschiebungsverbot festzustellen ist oder auch dahin, dass die Gefährdung etwa alleinstehender Frauen (mit oder ohne Kleinkindern) durch das Hinzutreten einer weiteren Person so weit herabgesenkt wird, dass die Schwelle einer (drohenden) Verletzung des Art. 3 EMRK/Art. 4 EGrC nicht erreicht wird (vgl. Berlit, jurisPR-BVerwG 24/2019, Anm. 5).
Bereits mit der Zuleitung des streitgegenständlichen Bescheids an die Klägerseite hatte das Bundesamt auf die Rückkehrhilfen bei freiwilliger Ausreise hingewiesen. Aus dem sog. REAG-/GARP-Programm (vgl. Bl. 98 f. d. Akten) kann u.a. eine Reisebeihilfe i.H.v. 200,00 EUR sowie eine Starthilfe von 1.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückkehrende Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR und im Familienverbund bis zu 4.000,00 EUR (vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin).
Es liegt auf der Hand, dass die genannten Rückkehrhilfen und Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm gerade in der Anfangszeit nach der Rückkehr und vor dem Hintergrund der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie mit dazu beitragen, dass die Familie des Klägers mit diesem in Äthiopien wiederum wird Fuß fassen können. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96). Dementsprechend ist es der Klägerin möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Äthiopien freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen. Legt man dies zugrunde, kann die Klägerin auch eine etwaige Quarantäne oder Beschränkungen in der Erreichbarkeit seiner Herkunftsregion bewältigen, soweit eine Niederlassung dort beabsichtigt sein sollte.
1.3.2
Auch unter Einbeziehung der schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland, insbesondere infolge der Corona-Pandemie und der Heuschreckenplage, ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach dieser Bestimmung setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Fehlt eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kann ein Ausländer im Hinblick auf die (allgemeinen) Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris; VG Würzburg, Gb. v. 11.5.2020 – 8 K 20.50114 – juris).
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien – und damit auch infolge der Verbreitung des Coronavirus bzw. der Ausbreitung der Heuschrecken in Äthiopien – begründet derartige Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff.).
Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne, die die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung durchbrechen könnte, ausgesetzt wäre. Weder aus den Darlegungen der Klägerseite, noch aufgrund anderweitiger Erkenntnisse kann geschlossen werden, dass die Klägerin als gesunde junges Mädchen ohne glaubhaft gemachte Vorerkrankungen allein aufgrund der Verbreitung des Coronavirus (auch) in Äthiopien bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wäre, zumal für den Kläger nicht einmal behauptet wurde, dass dieser aufgrund besonderer persönlicher Merkmale einer Personengruppe angehören würde, für die die beachtliche Gefahr eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs einer hypothetischen Infektion mit dem Coronavirus anzunehmen wäre. In rechtlicher Hinsicht ist somit das Vorliegen einer Extremgefahr im oben beschriebenen Sinn zu verneinen.
Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu (vgl. RKI, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html). Dass der Kläger zu einem gefährdeten Personenkreis (hohes Alter, maßgebliche Vorerkrankungen) zählt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Bisher ist weiterhin nicht bekannt, dass Personen, die sich ohne entsprechende Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe mit dem Virus infizieren, im Allgemeinen einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären.
Daneben gibt es keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen durch die Corona-Pandemie, die Heuschreckenplage und regionale Konflikte – gegenwärtig derart desolat wäre, dass der Klägerin dort der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten (vgl. hierzu etwa DW, Wie Ostafrika eine Heuschreckenplage bekämpft – inmitten einer Pandemie; Aus Politik und Zeitgeschichte: Am Ende kann nur Gott uns helfen. Das Coronavirus in Äthiopien; WFP East Africa: Update on the Desert Locust Outbreak; Africanews, coronavirus-covid19-hub-updates). Hierzu ist entsprechend nach oben zu verweisen (s. 1.3.1). Auch aus den weiteren eingeführten Quellen ergibt sich eine solche Zuspitzung der Situation in Äthiopien im aktuellen Zeitpunkt nicht. Dabei ist nicht zuletzt zu würdigen, dass erhebliche Hilfsgelder – nicht zuletzt auch von Deutschland – bereitgestellt werden (vgl. u.a. den Beitrag von www.dw.com: Entwicklungsminister Müller: 120 Millionen Euro für Äthiopien in Corona-Krise).
1.4
Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung hinsichtlich der Klägerin einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5
Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes, sowie gegen die von Amts wegen getroffene Entscheidung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind nicht ersichtlich.
2.
Nach allem ist die Klage insgesamt mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.


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