Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage einer muslimischen Familie aus Myanmar

Aktenzeichen  M 17 K 17.34599

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151030
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer nach Myanmar sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass sie den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2017 trotz Ausbleibens der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der fristund formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Das Gericht nimmt insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen im Bescheid vom 21. Februar 2017 Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
1. Das Bundesamt hat zu Recht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) abgelehnt.
1.1 Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung … “ des Art. 2 Buchst. d) Richtlinie 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. VG Ansbach, U.v. 28.4.2015 – AN 1 K 14.30761 – juris Rn. 65ff. m.V. auf: BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerw-GE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – NVwZ 2013, 936; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162).
Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Insbesondere wenn keine weiteren Beweismittel zur Verfügung stehen, ist für die Glaubwürdigkeit auf die Plausibilität des Tatsachenvortrags des Asylsuchenden, die Art seiner Einlassung und seine Persönlichkeit – insbesondere seine Vertrauenswürdigkeit – abzustellen. Der Asylsuchende ist insoweit gehalten, seine Gründe für eine Verfolgung bzw. Gefährdung schlüssig und widerspruchsfrei mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27.85 – juris).
1.2 Diese Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind hier nicht erfüllt:
a) Der Vortrag der Klägerin zu 1. war sehr konfus, pauschal, trotz zahlreicher Nachfragen ausweichend und inhaltsarm sowie in sich bzw. zum Vortrag der Schwester (s. Vf. M 17 K 17.34598) extrem widersprüchlich und damit – auch unter Berücksichtigung des Gesamteindrucks, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat – nicht glaubwürdig.
So gab sie z.B. beim Bundesamt an, vier Geschwister in Myanmar zu haben, während sie vor Gericht ausführte, dass sie sechs Geschwister habe. Zuerst sagte sie, dass ihr Mann sich April 2013 versteckt habe und sie einen Monat später, d.h. im Mai, mit ihm telefoniert habe. Vor Gericht gab sie an, er sei im Mai 2013 untergetaucht und sie habe im Juni mit ihm telefoniert. Ihre Schwester sagte in der mündlichen Verhandlung, dass der Mann der Klägerin innerhalb der muslimischen gemeinnützigen Gruppe, in der er tätig gewesen sei, keine bestimmte Funktion gehabt habe, während die Klägerin beim Bundesamt ausführte, dass er die Nummer eins dieser Gesellschaft gewesen sei. Die Schwester gab auch an, dass der Mann der Klägerin zu 1. Mitte 2013 bei einem Überfall mit einem Messer verletzt worden sei. Die Klägerin selbst erwähnte dagegen eine Verletzung des Schwagers trotz mehrfacher entsprechender Nachfragen des Gerichts mit keinem Wort. Dagegen sprach sie von telefonischen Bedrohungen ihres Ehemanns, die wiederum ihre Schwester nicht ansprach. Während die Klägerin beim Bundesamt aussagte, sie sei zuhause nicht belästigt worden, sagte ihre Schwester, nach dem Angriff auf den Schwager seien zwei- bis dreimal Leute gekommen und hätten nach diesem gefragt. Auch wenn die Klägerin bei allen Besuchen dieser Leute unterwegs gewesen sein sollte, wie sie auf Vorhalt andeutete, wäre zu erwarten gewesen, dass die Schwester oder andere Familienangehörige ihr davon erzählt hätten.
Selbst die Angaben zu ihrem angeblich muslimischen Glauben waren sehr pauschal und wenig überzeugend. Auch konnte sie, nach den Unterschieden zwischen Sunniten und Schiiten befragt, lediglich angeben, dass Sunniten an Mohammed und Schiiten an Isa glaubten. Isa ist jedoch der Name Jesus im Islam (vgl. www.wikipedia.de) und damit alles andere als maßgeblich für den schiitischen Glauben. Den grundlegen Unterschied der beiden Religionsrichtungen (Nachfolger Mohammeds/Legitimation der religiösen Führung) nannte sie dagegen nicht.
b) Im Übrigen ist auch eine inländische Fluchtalternative zu bejahen (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. der entsprechenden Anwendung von § 3e AsylG).
Die Kläger könnten sich bei einer Rückkehr in einem anderen Landesteil Myanmars, z.B. in der Nähe der Geschwister der Klägerin zu 1. oder ihres Ehemanns, niederlassen. Diese leben anscheinend unbehelligt in Myanmar und die Klägerin zu 1. hatte beim Bundesamt insoweit lediglich angegeben, dass sie nicht habe umziehen wollen.
2. Aufgrund der fehlenden Glaubwürdigkeit konnte den Klägern auch nicht der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 AsylG) zuerkannt oder Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) bejaht werden.
Allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnissen in Myanmar vermögen sich die Kläger weder auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG noch auf § 60 Abs. 5 AufenthG unter Berücksichtigung von Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder als erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 ff. sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern eine Existenzgrundlage bei ihrer Rückkehr gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen. Als relativ junge, gesunde und arbeitsfähige Frau ist die Klägerin zu 1. grundsätzlich in der Lage, ihren Lebensunterhalt und den der Klägerin zu 3. in ihrem Herkunftsland durch eigene Tätigkeit, z.B. Gelegenheitsarbeiten, sicherzustellen. Da die Klägerin zu 3. bald 15 Jahre alt wird, ist sie auch nicht auf eine ständige Betreuung durch ihre Mutter angewiesen. Der Kläger zu 2. ist mittlerweile volljährig und als gesunder junger Mann ebenfalls in der Lage, sich durch Gelegenheitsarbeiten u.ä. zumindest ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Im Übrigen könnten die Kläger gegebenenfalls den Kontakt zu ihren noch in Myanmar lebenden Verwandten wieder aufnehmen, die sie unterstützen könnten.
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
4. Schließlich begegnet auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 und 2 AufenthG in Nr. 6 des angegriffenen Bescheids keinen rechtlichen Bedenken.
Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind im Rahmen der auf den Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung nicht zu beanstanden, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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