Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 26 K 17.36220

Datum:
15.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10671
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan erreicht keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG oder des subsidiären Schutzes i.S.d. § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, der das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
Hinsichtlich des vom Kläger behaupteten Verfolgungsschicksals geht das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger informatorisch gehört wurde, nicht davon aus, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG oder ein ernsthafter Schaden im Sinne von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Dabei kommt es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und schlüssige Angaben ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen zu den Umständen machen, die für die von ihm befürchtete Gefahr der Verfolgung bzw. einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung maßgeblich sind. Der Antragsteller hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens besteht und es ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren; es müssen kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben gemacht werden (vgl. Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris).
Die Angaben des Klägers zu den behaupteten Ereignissen sind nicht nachvollziehbar und stellen sich als gesteigertes Vorbringen dar. Obwohl der Kläger sowohl bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hatte, schlüssige und detaillierte Angaben zu machen, hat er das nicht getan, so dass das Gericht erhebliche Zweifel daran hat, dass sich die vom Kläger als fluchtauslösend geschilderten Ereignisse so zugetragen haben, wie von diesem behauptet. Sein Vortrag blieb nicht nur in der Anhörung vor dem Bundesamt, sondern auch in der mündlichen Verhandlung vage und detailarm. Während der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt von einem Drohbrief der Taliban sprach, war in der mündlichen Verhandlung von insgesamt dreien die Rede, wobei dem Kläger mindestens zwei vor der Anhörung beim Bundesamt bekannt gewesen sein mussten. Während von einer Flucht nach Mazar-i-Sharif in der Anhörung nirgends die Rede war, will der Kläger nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zunächst dorthin geflohen sein, bevor er nach Kabul weiterreiste. Einen dieser vermeintlichen Drohbriefe konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht übersetzen. Er meinte gerade so eben seinen Namen entziffern zu können. Vollends die Schilderung, kurz vor der mündlichen Verhandlung seien sein Bruder und seine Schwester von den Taliban bei einem Raketenengriff getötet worden, schildete der Kläger dem Gericht so emotionslos und ohne Anteilnahme, dass das Gericht den Kläger insgesamt für nicht glaubwürdig hält.
Insgesamt erscheint sein Vortrag daher auch nach dem persönlichen Eindruck, den sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung vom Kläger machen konnte, nicht glaubhaft und führt daher nicht zur Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan ernsthaft Gefahr drohen würde.
Darüber hinaus hat der Kläger auch nach den aktuellen Erkenntnismitteln keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Denn es liegen keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei einer Abschiebung nach Afghanistan einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre.
Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan erreicht keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Davon geht auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiterhin aus (etwa BayVGH, B. v. 27.3.2018 – 13a ZB 17.30982) Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist nach den von der Rechtsprechung hierfür angelegten Maßstäben noch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2017 – 13a ZB 17.31251 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris unter Bezugnahme auf U. v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167).
Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan im Jahr 2016 bzw. 10.453 Opfern im Jahr 2017 (nach UNAMA) lag die Gefahrendichte in den Jahren 2016 und 2017 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800 (vgl. für das Jahr 2016 BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756 – juris).
Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen für die einzelnen Provinzen Afghanistans im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, in der Fassung der Einfügung am 30.1.2018, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) und der Opferzahlen für das Jahr 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2017, February 2018, Anlage 3, S. 67 ff) errechnen sich folgende Wahrscheinlichkeiten, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden: Provinz Kabul – 0,04%, Provinz Ghazni – 0,03%; Provinz Herat – 0,03%. Diese Zahlen sind bei Anlegung der dargelegten Maßstäbe auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt.
Soweit Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl sowie Presseberichte auf die Zunahme von Anschlägen – vor allem in Kabul – verweisen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Annahme von erheblichen Gefahren aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BayVGH, U.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris).
Für den Kläger besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch insoweit wird auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht anschließt, ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen derzeit keine extreme Gefahrenlage anzunehmen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (BayVGH, B. v. 29.11.2017 a.a.O.; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13 a ZB 16.30600 – juris; U.v. 12.2.2015 a.a.O.; U.v. 30.1.2014 – 13a B 13.30279 –juris). Auf ein unterstützendes Netzwerk kommt es dabei nicht an.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht weiterhin davon aus, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann, wie der Kläger, regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens sein Existenzminimum zu sichern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden dabei nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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