Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines afghanischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 5 K 16.32013

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10653
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3b, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, Abs. 8 S. 1

 

Leitsatz

1 Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, bei einer Rückkehr nach Afghanistan durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft zu werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Provinz Samangan gehört zur Nordregion Afghanistans, die trotz der Verschärfung der Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet Afghanistans noch kein signifikant erhöhtes Anschlagsrisiko aufweist. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 21. September 2016 ist – soweit er angefochten wird – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
1.1. Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG (in der ab 6.8.2016 geltenden Fassung des Art. 6 des Integrationsgesetzes v. 31.7.2016, BGBl I S. 1939 ff.; § 77 AsylG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling i.S.d. Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Das AsylG setzt in §§ 3 bis 3e AsylG – wie die Vorgängerregelungen in §§ 3 ff. AsylVfG – die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl Nr. L 337, S. 9) – Qualifikationsrichtlinie (QRL) – in deutsches Recht um.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG muss die Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung nicht nur vom Staat, sondern auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Schutz vor Verfolgung kann gemäß § 3d AsylG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz zu bieten. Der Schutz muss gemäß § 3d Abs. 2 AsylG wirksam und nicht nur vorübergehender Art sein. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e AsylG jedoch nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zum Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat, sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.
Nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet somit die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris). Wird einem Ausländer auf dieser Grundlage die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, darf er gemäß § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht in den Staat abgeschoben werden, in dem er in der beschriebenen Art und Weise bedroht ist.
Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Dies setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei ist maßgeblich, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936/940).
1.2. Der Ausländer muss die geltend gemachten Verfolgungsgründe glaubhaft machen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befindet, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung des Gerichts eine gesteigerte Bedeutung zu. Ein Anspruch auf der Grundlage des § 3 AsylG setzt voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Hierbei ist es seine Sache, unter Angaben von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – Buchholz § 108 VwGO, Nr. 147). An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht, sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärungen erst sehr spät in das Verfahren einführt (BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BVR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94,95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; s. auch Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95 EU).
1.3. Dies zugrunde gelegt hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG.
1.3.1. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung aus familiären Gründen ist das Vorbringen des Klägers sowohl vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch in der mündlichen Verhandlung sehr vage und oberflächlich geblieben. Insbesondere hat der Kläger eine ihn betreffende Verfolgungshandlung durch Mitglieder seiner Familie oder der Familie seiner Ehefrau oder seiner ehemaligen Verlobten nicht in glaubhafter Weise aufgezeigt. So ist nicht anzunehmen, dass von den Eltern, Geschwistern und weiteren Familienangehörigen des Klägers – ungeachtet eines möglicherweise schlechten Verhältnisses und einzelnen körperlichen Übergriffen – eine die erforderliche Verfolgungsintensität aufweisende Behandlung ausgegangen oder zu erwarten ist. Der Kläger selbst hat angegeben, dass seine Ehefrau und sein Kind bei seinen Eltern gelebt hätten und auch er nach Aufgabe seiner Tätigkeit als Polizist zurück zu seinen Eltern gefahren wäre. Beides ließe sich nicht erklären, wenn von den Familienmitgliedern des Klägers eine ernsthafte Bedrohung für diesen ausgegangen wäre. Der Kläger hat auch nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass von der Familie seiner ehemaligen Verlobten eine ernstzunehmende Bedrohungslage ausgegangen oder zu erwarten ist. Bei der Anhörung hat der Kläger insoweit lediglich beiläufig erwähnt, dass er zu Schulzeiten bedroht, geschlagen und mit einem Messer verletzt worden sei. Daraus lässt sich eine aktuelle Drohsituation nicht herleiten. Das erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerte Vorbringen des Klägers, wonach der Ehemann und der Bruder seiner ehemaligen Verlobten ihn bis in die Türkei verfolgt und den Missbrauch seines Kindes angedroht hätten, weil seine ehemalige Verlobte geäußert habe, unter dem Kläger sei es „besser gewesen“, stellt sich aus Sicht des Gerichts als ein übersteigertes und allein aus asyltaktischen Gründen nachgeschobenes Vorbringen dar. Ebenso verhält es sich mit der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach sein Schwiegervater sechs bis sieben Personen auf Motorrädern geschickt haben soll, die ihn – den Kläger – zusammengeschlagen hätten. Denn für den Fall, dass dieses Ereignis tatsächlich stattgefunden hätte, wäre eine entsprechende Schilderung vor dem Bundesamt zu erwarten gewesen. Hinzu kommt, dass das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung auch unter weiteren Gesichtspunkten – insbesondere den angeblich zwei in unmittelbarer Nähe erlebten Selbstmordattentaten – erheblich übersteigert wirkte und das Gericht auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck über die Persönlichkeit des Klägers nicht davon ausgeht, dass sein diesbezügliches Vorbringen der Wahrheit entsprochen hat.
1.3.2. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfolgung durch die Taliban unter dem Aspekt einer drohenden Zwangsrekrutierung, ist das Vorbringen des Klägers ebenfalls nicht glaubhaft.
Die Erkenntnismittellage zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt hierzu aus, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden nicht auszuschließen seien. Konkrete Fälle kämen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (Lagebericht vom 19.10.2016, S. 12).
Der UNHCR erläutert im fraglichen Zusammenhang, dass in Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen die Kontrolle über die Bevölkerung ausübten, eine Vielzahl von Mechanismen bestehe, um Kämpfer zu rekrutieren, einschließlich durch Zwangsmaßnahmen. Es gebe Berichte, dass die regierungsfeindlichen Gruppen weiterhin auch Kinder, sowohl Jungen als auch Mädchen, für ihre Zwecke rekrutierten. Daher könnten Männer im kampffähigen Alter oder Kinder, die sich einer zwangsweisen Rekrutierung widersetzt hätten, des internationalen Flüchtlingsschutzes aufgrund deren (unterstellter) politischer Meinung oder aus anderen relevanten Gründen bedürfen (UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 19.4.2016, S. 44 ff.).
Das Bundesasylamt der Republik Österreich hat in seiner Staatendokumentation vom 2. April 2012 zu Afghanistan betreffend die Rekrutierung durch die Taliban ausgeführt, es gebe eine Vielzahl von Gründen, warum sich in Afghanistan Menschen den Taliban anschlössen. Ein wesentlicher Faktor seien Armut, Arbeitslosigkeit und schlechte Ausbildung. So werde die Beteiligung am Aufstand als Möglichkeit gesehen, sich und die eigene Familie zu versorgen. Bis zu 70% der Taliban sollen aus jungen arbeitslosen Männern bestehen, die versuchten, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Vor allem Flüchtlingslager in Afghanistan und Pakistan und die dortigen schlechten Lebensumstände schienen die Rekrutierung zu begünstigen. Ein weiterer Grund, sich den Taliban anzuschließen, könne auch in der persönlichen Rache für die Tötung von Angehörigen liegen. Außerdem gelinge es den Taliban immer wieder geschickt, lokale Konflikte auszunutzen, um neue Verbündete zu finden. Vor diesem Hintergrund einer Vielzahl ökonomischer, machtpolitischer und ideologischer Beweggründe, sich den Taliban anzuschließen, basiere die tatsächliche Rekrutierung jedoch im Wesentlichen auf den persönlichen Kontakten zu lokalen Kommandanten und Mullahs bzw. es würden Personen in Koran-Schulen angeworben und indoktriniert. Eine Facette der Politik der Taliban gegenüber der Bevölkerung liege in der Vermeidung lokaler Konflikte. So suchten die Taliban die Unterstützung der Dorfältesten, bevor sie in ein Gebiet eindringen würden. Seit ihrem Sturz versuchten die Taliban, alle zu rekrutieren, die ihre Herrschaft in den 1990er Jahren unterstützt und mit der Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 an Einfluss verloren hätten. In einigen Fällen seien das auch Nicht-Paschtunen. Grundsätzlich scheine die Zwangsrekrutierung im Sinne einer Rekrutierung durch Waffengewalt eher ein Randphänomen zu sein. Es müsse jedoch festgehalten werden, dass die allgemeine Quellenlage über Rekrutierung durch die Taliban rar sei. Auffällig sei, dass die Fälle von Zwangsrekrutierung mit Waffengewalt sich nach den vorliegenden Quellen ausschließlich in Pakistan zugetragen hätten. Es gebe keine Berichte über konkrete Fälle aus jüngerer Zeit. Die Mehrheit der Kämpfer scheine sich freiwillig den aufständischen Gruppen anzuschließen. Gehe man davon aus, dass die Taliban in einem nicht geringen Ausmaß auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung beim Kampf gegen die Regierung und die internationalen Gruppen angewiesen seien und die Zuverlässigkeit von zwangsrekrutierten Kämpfern sehr zweifelhaft sei, sei eine Politik der Zwangsrekrutierung auch kontraproduktiv. Dies würde die eigene Schlagkraft schwächen und den Widerstand der Bevölkerung provozieren. Dieser Befund decke sich auch mit der Feststellung, dass die Taliban bemüht seien, Konflikte mit der lokalen Bevölkerung weitestgehend zu vermeiden, indem sie die lokalen Würdenträger vor dem Beginn ihrer Aktivitäten in einem bestimmten Gebiet in Kenntnis setzten und ihre Zustimmung einholten. Wenn überhaupt, gehe man davon aus, dass es nur in von Taliban kontrollierten Gemeinschaften zu Zwangsrekrutierungen gekommen sein könne. Zur Frage der ethnischen Diversität der Taliban könne festgehalten werden, dass das Gros der Taliban sich immer noch aus den verschiedenen Teilen der paschtunischen Volksgruppe rekrutiere.
Das European Asylum Support Office stellt in seinem Herkunftsländer-Report zu Afghanistan „Taliban Strategies – Recruitment“ vom Juli 2012 u.a. dar, die Basis für die Rekrutierung durch die Taliban stelle die lokale Zelle dar. Dies könne eine Koran Schule, ein Mullah, ein örtlicher Kommandant oder ein Stammesältester sein. Die Taliban versuchten, besser ausgebildete Menschen von den Schulen und Universitäten in den großen Städten zu rekrutieren, um die Kommunikation sowie das technische und medizinische Know How der Organisation weiterzuentwickeln. Zwangsrekrutierung habe in der Vergangenheit in Afghanistan stattgefunden. Quellen aus den Jahren 2010 bis 2012 erwähnten, dass Zwangsrekrutierungen in der Provinz Helmand stattgefunden hätten, ebenso in Marjah sowie in Camps, in denen sich Binnenvertriebene aufhielten. Berichte über Ängste vor Vergeltung wegen verweigerter Rekrutierung gebe es aus Kunduz, Kunar und Gebieten in Pakistan. Zwei Quellen erwähnten den Gebrauch von Zwang und Einschüchterung zum Zwecke der Rekrutierung in der Provinz Uruzgan. Andere Quellen berichteten explizit, dass Gewalt und Zwang in ihren Provinzen nicht für Rekrutierungsmaßnahmen angewendet worden seien, nämlich in Ghazni, Herat und Logar. Quellen, die die generelle Situation in Afghanistan diskutierten, würden feststellen, dass Zwang beim Rekrutierungsprozess selten sei. Vorkommen könne dies in Flüchtlingscamps und Gebieten unter dem starken Einfluss der Taliban. Einige Quellen erwähnten Argumente, die gegen Zwangsrekrutierungen sprächen. So würden diese die Bevölkerung verstimmen, zum anderen bestehe hierfür auch keine Notwendigkeit, da die Taliban auf ausreichend Freiwillige zurückgreifen könnten. Zusammenfassend wird festgestellt, dass Zwangsrekrutierungen durch die Taliban als außergewöhnlich anzusehen seien. Eine Vielzahl glaubwürdiger Quellen stelle dies explizit heraus und gebe plausible Argumente für diese Einschätzung. Seit 2006 hätten die Taliban auch begonnen, andere Volksgruppen außerhalb der Paschtunen zu rekrutieren. Finanzielle und religiöse Motive seien bedeutsam bei der Rekrutierung anderer Ethnien.
Dr. M. D. führt in seinem Gutachten vom 30. April 2013 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zu der Frage, ob in den letzten Jahren in Afghanistan Fälle von Rückkehrern aus dem Ausland oder von Binnenflüchtlingen bekannt geworden seien, die in der Stadt Kabul von den Taliban aufgespürt und getötet oder bestraft worden seien, weil sie sich durch Flucht einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, und wenn ja, wie häufig dies vorkomme, aus, ihm seien drei Personen bekannt geworden, die hätten zwangsrekrutiert werden sollen und nach ihrer Rückkehr nach Afghanistan erneut von den Taliban behelligt worden und daraufhin ein weiteres Mal geflohen seien. Des Weiteren berichtet er über zwei weitere Fälle von Binnenflüchtlingen, die aus ihrer Heimatregion geflohen und in der Hauptstadt Kabul von den Taliban wiederum bedroht worden seien. Es gebe keine Statistik über solche Fälle, aber Informanten berichteten, dass es häufig zu Fällen komme, in denen junge Männer getötet würden und Gerüchte wollten wissen, dass es sich um Racheakte der Taliban handele. Konkret könne er die Frage nach der Häufigkeit solcher Racheaktionen nicht beantworten. Zur weiteren Frage, ob die Taliban in Kabul über Netzwerke verfügten, mittels derer sie gezielt Nachforschungen anstellten, ob sich unter Rückkehrern und Binnenflüchtlingen Personen befänden, die sich in ihrer Heimatregion einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, erklärt Herr Dr. D., konkret könne er diese Frage nicht beantworten, seine Informanten hätten bei ihren Recherchen nicht feststellen können, ob innerhalb der Informationszentren der Taliban Strukturen existierten, die dazu dienten, nach solchen Personen zu suchen. Seine Kollegen seien jedoch der Überzeugung, dass die Taliban selbst in der Hauptstadt zwangsrekrutierten. Ob die Taliban in den genannten Fällen, in denen sie abgeschobene Personen ein zweites Mal zu rekrutieren versuchten, gezielt nach ihnen gesucht hätten, könne er nicht beantworten. Er müsse davon ausgehen, dass die Taliban mindestens in der Lage seien, viele der Personen, die eine Zwangsrekrutierung abgelehnt hätten, zu finden. Auf die weitere Frage, ob Rückkehrer und Binnenflüchtlinge, die sich einer Zwangsrekrutierung entzogen hätten, einer erhöhten Gefahr ausgesetzt seien, in Kabul von den Taliban entdeckt zu werden, wenn sie aus einer Region im näheren Umkreis von Kabul stammten, führt Dr. D. aus, dass es vor allem darauf ankomme, ob sie einem paschtunischen Stamm angehörten, aus dem viele Taliban kämen. Dann sei eine solche Person in Kabul leichter zu identifizieren als jemand, der aus einem nicht-paschtunischen Volk stamme.
Dies zugrunde gelegt, besteht nach Überzeugung des Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchten müsste, durch die Taliban zwangsrekrutiert oder im Falle der Ablehnung einer Zusammenarbeit bestraft zu werden. Der Erkenntnismittellage lässt sich nämlich insoweit zusammenfassend entnehmen, dass derartige Vorkommnisse zwar nicht auszuschließen sind, insbesondere in Gebieten, die unter der Kontrolle der Taliban stehen. Insoweit ist bereits fraglich, ob der Kläger aus einem solchen Gebiet stammt. Darüber hinaus lässt sich den Erkenntnismitteln jedoch in klarer Weise auch entnehmen, dass es sich bei Zwangsrekrutierungen um seltene Fälle handelt, da sich die Menschen in aller Regel freiwillig den Taliban anschließen, wobei insbesondere finanzielle Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Dies scheint aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in Afghanistan und der hohen Arbeitslosigkeit auch zwanglos nachvollziehbar. Die Taliban sind also in der Lage, auf einen sehr großen Pool an freiwilligen Kämpfern und Unterstützern zurückzugreifen. Auch die Tatsache, dass der Rückhalt in der Bevölkerung für die Taliban unverzichtbar ist, stützt die Annahme, dass es sich bei zwangsweisen Rekrutierungen allenfalls um ein Randphänomen in Afghanistan handelt. Schließlich ist auch für die Taliban vorhersehbar, dass zwangsweise rekrutierte Menschen allenfalls eine eingeschränkte Motivation und Zuverlässigkeit bieten und daher für die eigenen Zwecke wenig zielführend sind. Diese Einschätzung wird auch nicht durch die Darstellung des Dr. D. erschüttert. Er berichtet in seinem Gutachten von insgesamt fünf konkreten Personen, die nach einem erfolglosen Zwangsrekrutierungsversuch durch die Taliban erneut von diesen behelligt worden seien, sich dann aber erneut durch Flucht entzogen hätten. Dass derartige Fälle im Einzelfall vorkommen, ergibt sich jedoch bereits aus den anderen ausgewerteten Erkenntnismitteln. Die darüber hinausgehenden Aussagen des Dr. D. sind jedoch ausgesprochen vage und geben teilweise nur Gerüchte wieder. Sie beruhen nach Auffassung des Gerichts nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage und lassen keinen tragfähigen Erkenntnisgewinn über die anderweitigen Erkenntnismittel hinaus zu. Auch ist der Umstand, dass sich aus sämtlichen Erkenntnismitteln keine eingehenden konkreten Informationen zu Zwangsrekrutierungen entnehmen lassen, als starkes Indiz dafür zu werten, dass es sich bei derartigen Vorfällen tatsächlich nur um eine Randerscheinung handelt. Das verbleibende Restrisiko, nach einer Rückkehr nach Afghanistan zwangsweise von den Taliban rekrutiert oder nach einer Verweigerung derselben bestraft zu werden, ist nach alledem als gering einzustufen, jedenfalls besteht nach Überzeugung des Gerichts nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür.
Eine abweichende Risikobewertung für den Kläger ergibt sich auch nicht aus den von ihm geschilderten Vorfluchtereignissen, so dass diesem auch nicht die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zugutekommt. Das klägerische Vorbringen ist auch insoweit ausgesprochen vage und oberflächlich geblieben und vermittelt nicht die Wiedergabe tatsächlich erlebter Ereignisse. Insbesondere ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb die Taliban den Kläger nach dessen kurzer Diensttätigkeit bei der Polizei und der ihm zugewiesenen Funktion, für das Essen der im Sicherheitsdienst tätigen 30 Personen zu sorgen (vgl. Anhörung vor dem Bundesamt, Frage 13), als „Verräter“ in Bezug auf einen Polizeieinsatz gegen den örtlichen Talibanführer hätten ansehen oder ihn als „Spion“ für die Auskunft über Regierungstätigkeiten hätten in Betracht ziehen sollen. Abgesehen davon hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals von angeblich Drohbriefen und einer Durchsuchung seines Hauses durch die Taliban und seiner Flucht durch ein Fenster zum Nachbar berichtet, wodurch das Vorbringen des Klägers auch in dieser Hinsicht erheblich übersteigert wirkt. Andererseits wurden gewichtige, vor dem Bundesamt geschilderte Ereignisse – wie der Übergriff der Taliban auf den Bruder des Klägers mit einem Messer – in der mündlichen Verhandlung vom Kläger nicht mehr erwähnt.
Insgesamt hält das Gericht deshalb das Vorbringen des Klägers zu den angeblichen Übergriffen der Taliban für aus asyltaktischen Gründen frei erfunden.
1.3.3. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen scheidet ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb aus, weil die vorgetragene Verfolgung durch Mitglieder seiner Familie, der Familie seiner Ehefrau und der Familie seiner Verlobten sowie die Verfolgung durch die Taliban nicht an einen der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG anknüpft (vgl. VG Augsburg, U.v. 5.12.2016 – Au 5 K 16.31757 – juris Rn. 33).
Nach der Überzeugung des Gerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban jedem, der eine Rekrutierung ablehnt, eine abweichende politische Überzeugung zuschreiben. Die Ziele der Taliban sind insoweit nämlich nicht eindeutig politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage aus politischen, religiösen und wirtschaftlich sozialen Motiven auf. Es kann auch nicht angenommen werden, dass Personen, die von den Taliban rekrutiert werden sollen, einer sozialen Gruppe angehören, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere unter zwei kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen als bestimmte soziale Gruppe. Zum einen müssen deren Mitglieder angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 – X und Y, C 199/12 u.a. – juris Rn. 44 ff.). Es ist bereits nicht ersichtlich, worin der unveränderbare Hintergrund einer derartigen von Zwangsrekrutierung betroffenen Personengruppe liegen sollte. Denn grundsätzlich kommen alle afghanischen Jugendlichen und jungen Männer im kampffähigen Alter für eine Rekrutierung in Frage. Der Kreis möglicher Rekruten wird demgemäß mangels einer deutlich abgrenzbaren Identität auch gar nicht von der Gesellschaft als solcher wahrgenommen. Auch bei der Eigenschaft als (ehemaliger) Polizist schon nicht um ein angeborenes Merkmal oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann bzw. gleichfalls nicht um ein Merkmal, welches so bedeutsam für die persönliche Identität ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, hierauf zu verzichten.
Der Kläger wird daher auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG verfolgt.
1.4. Nach allem kommt es nicht mehr darauf an, ob für den Kläger in Afghanistan die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG in Kabul besteht.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG), Folter oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
2.1. Dem Kläger steht kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG zu. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger die Todesstrafe droht, bestehen nicht. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen ebenfalls nicht vor. In diesem Zusammenhang ist vor allem Art. 3 EMRK sowie die Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07, Elgafaji – juris Rn. 28; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris). Nachdem der Kläger eine Bedrohungslage nicht glaubhaft machen konnte, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten hat (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Aufgrund der früheren Tätigkeit des Klägers als Polizist folgt für sich genommen nicht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
2.2. Dem Kläger droht auch keine individuelle und konkrete Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund der Sicherheitslage in der Provinz Samangan, wo der Kläger nach eigenen Angaben vor seiner Ausreise gelebt hat.
Die Provinz Samangan gehört – unabhängig von der Frage, ob dort ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt vorliegt – zur Nordregion Afghanistans, die trotz der Verschärfung der Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet Afghanistans noch kein signifikant erhöhtes Anschlagsrisiko aufweist (vgl. BayVGH, B.v. 19.2.2015 – 13a ZB 14.30450 – juris; B.v. 18.3.2014 – 13a ZB 13.30269 – juris).
Auch wenn man bei Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel (insbesondere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016, S. 4; UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.4.2016; UNHCR-Anmerkungen zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage – vom 30.9.2016; amnesty international, Amnesty Report 2016 und 2017; EASO, Afghanistan Security Information, November 2016) davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Nordregion, zu der die Provinz Samangan gehört, weiterhin angespannt bleibt und sich teilweise auch verschlechtert hat, ergibt sich keine derart hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson schon alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz Herat einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte. Nach dem Jahresbericht der UNAMA (Annual Report 2017 v. Februar 2018) hat sich die Zahl der zivilen Opfer mit 3.438 in Gesamtafghanistan 2017 im Vergleich zum Vorjahr (3.510) leicht verringert. Jedoch liegt das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, immer noch im Promillebereich. In der Nordregion wurden im Jahr 2017 1032 Zivilpersonen getötet oder verletzt (UNAMA, Annual Report 2017 v. Februar 2018, S. 7). Gleichwohl lag die Anschlagswahrscheinlichkeit für die Nordregion im Jahr 2017 bei deutlich unter 1:800 und damit nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris). Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich keine derart hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson schon alleine aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz Samangan einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar; auch insoweit ist auf die Ausführungen des Gerichts zu § 3 AsylG zu verweisen.
Damit ist die für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderliche kritische Gefahrenschwelle nicht erreicht.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht. In Konstellationen wie der vorliegenden, in der gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet bei Verneinung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, weshalb in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; VG München, U.v. 8.5.2014 – M 15 K 12.30903 – juris Rn. 37). Es bestehen keine Anhaltspunkte für eine hiervon abweichende Fallgestaltung. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt demgegenüber keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 12). Besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger nicht arbeitsfähig ist.
3.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte.
Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Dies gilt grundsätzlich auch für Rückkehrer, die keine Berufsausbildung haben und über keinen aufnahmefähigen Familienverband verfügen. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris m.w.N.; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Das Gericht schließt sich für das vorliegende Verfahren dieser Rechtsprechung an. Auch aus den aktuellen Erkenntnismitteln lässt sich darüber hinaus nichts Gegenteiliges herleiten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update – Die aktuelle Sicherheitslage, vom 30.9.2016, S. 20 ff.).
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger nicht alsbald nach seiner Rückkehr nach Afghanistan einer extremen Gefahr für Leib und Leben im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG ausgesetzt wäre. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach seinen Angaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung die Schule bis zur 10. Klasse besucht und im Anschluss daran in seinem Heimatland als Polizist und Fotograf gearbeitet hat. Der Kläger hat außerdem angegeben, keine schwereren Krankheiten zu haben und auch nicht auf Medikamente angewiesen zu sein. Mit diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer zwangsweisen Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Das entspricht auch der Auffassung des UNHCR, wonach bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt (UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016, S. 9). Eine gegenteilige Schlussfolgerung lässt sich allein unter Hinweis auf die Vortragsunterlagen des UNHCR vom 12. März 2018 und den darin enthaltenen Aussagen nicht ziehen. Im Übrigen geht das Gericht in Anbetracht des Vorbringens des Klägers zu seinen familiären Verhältnissen davon aus, dass er entgegen seinen Angaben zumindest in einer Notlage – ebenso wie seine Ehefrau und sein Kind – von seiner Verwandtschaft bei der Erwirtschaftung des Existenzminimums in hinreichender Weise unterstützt werden würde.
4. Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung (Nr. 5 des Bescheides) bestehen im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
5. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 6 des Bescheides) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
6. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.


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