Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines bangladeschischen Staatsangehörigen (Volksgruppe der Bihari)

Aktenzeichen  AN 9 K 17.32824

Datum:
31.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 39556
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, 4, § 3a Abs. 1, § 4, § 15
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Gruppenverfolgung der Bihari findet in Bangladesch derzeit nicht statt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 60 Abs. 5 AufenthG schützt iVm Art. 3 EMRK auch vor allgemeinen Gefahren im Herkunftsland, wobei nicht verlangt wird, dass den Ausländer schlechtere humanitäre Verhältnisse treffen als den Rest der Bevölkerung. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat zum Entscheidungszeitpunkt keinen Anspruch auf die begehrten Schutzgegenstände (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) und der streitgegenständliche Bescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gem. § 3 Abs. 1, 4 AsylG liegen nicht vor. Der Kläger befindet sich nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes Bangladesch.
Eine Gruppenverfolgung der Bihari findet nach Überzeugung des Gerichts nicht statt (so auch die Rechtsprechung anderer Gerichte, s. zuletzt VG Saarland, U.v. 8.8.2018 m.w.N. zur Rechtsprechung auch der Obergerichte). Eine solche setzt eine gewisse Intensität und Häufigkeit von Verfolgungsmaßnahmen voraus, aus denen die Gefahr von erheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen für jedes Gruppenmitglied resultiert (BVerwG, U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08). Nach der aktuellen Auskunftslage (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Juli 2018) besteht eine derartige Situation derzeit nicht, da keine gezielten und systematischen staatlichen Repressionen aufgrund Rasse oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe existieren (S. 9 des Lageberichts). Übergriffe Dritter gegen Minderheiten kommen in Bangladesch zwar zunehmend vor und das staatliche Gewaltmonopol ist durchbrochen, zumal das Wirken der Polizei durch einen Mangel an Ressourcen gekennzeichnet ist (S. 9, 16). Anhaltspunkte für die für die Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsintensität und Dichte liegen damit jedoch nicht vor.
Nach Überzeugung des Gerichts drohen dem Kläger auch individuell im Hinblick auf seinen Vortrag bzw. der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bihari keine Verfolgungshandlungen. Die geschilderten Schläge sowie die Schilderung, keine Rechte zu haben, erreichen nicht den erforderlichen Substantiierungsgrad (BVerwG, U.v. 22.3.1983, 9 C 68.81). Der Kläger hat freiwillig auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet und somit die Gelegenheit, den Vortrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu substantiieren, ungenutzt gelassen. Zum Entscheidungszeitpunkt ist daher davon auszugehen, dass die Verfolgungshandlungen auch bei Wahrunterstellung des Sachvortrags den Schweregrad des § 3a Abs. 1 AsylG nicht erreichen.
Die Voraussetzungen für den hilfsweise begehrten subsidiären Schutz nach § 4 AsylG liegen nicht vor. Das Gericht nimmt insofern gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Würdigung im angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug.
Die Voraussetzungen für die hilfshilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nach Überzeugung des Gerichts nicht vor.
Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vermittelt im Verhältnis zu §§ 3, 4 AsylG grundsätzlich zusätzlichen Schutz vor einer Abschiebung bei ungewöhnlich schlechten humanitären Verhältnissen im Herkunftsland, wenn humanitäre Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind bzw. in Fällen einer durch Konfliktparteien bedingten humanitären Krise, wenn der Kläger seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation wie familiärer Unterstützung nicht decken kann (EGMR, U.v. 28.6.2011, 8319/07; im Anschluss daran BVerwG, U.v. 31.1.2013, 10 C 15/12). Ob und wann dieser Fall nach Einschätzung der Beklagten für Bangladesch, speziell für Bihari gegeben ist, vermochte die Beklagte trotz Aufforderung des Gerichts nicht zu sagen obwohl dies wegen der extremen Armut in Bangladesch (S. 5 des Lageberichts) veranlasst war. Vielmehr ging die Beklagte, wie es auch sonst in anderen Fällen und für andere Länder der üblichen Vorgehensweise der Beklagten entspricht, so vor, dass die (schlechte) humanitäre Lage im Herkunftsland grob skizziert wurde, jedoch offen gelassen wurde, ob diese allgemein oder für bestimmte Gruppen die Schwelle des Art. 3 EMRK erreicht und im Anschluss das Vorliegen von Art. 3 EMRK wegen der individuellen Merkmale des Falles verneint wurde. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass die vom Kläger geltend gemachten Umstände ihn nicht von den Lebensverhältnissen anderer Bewohner unterscheiden würden und daher unbeachtlich sind. Es bleibt daher offen, ob die Beklagte erkannt hat, dass § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vor allgemeinen Gefahren schützt, also nicht verlangt wird, dass den Kläger schlechtere humanitäre Verhältnisse treffen als den Rest der Bevölkerung. Weiter bleibt offen, ob und in welchen Fällen die Beklagte § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Hinblick auf schlechte humanitäre Verhältnisse für Bangladesch bzw. in anderen Ländern zur Anwendung bringt. Die Maßstäbe, die die Beklagte an die Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anlegt bleiben daher unklar, so dass sie bei gerichtlicher Prüfung schwer nachvollziehbar sind. Weiter negiert die Beklagte bei ihrer Prüfung die besondere individuelle Situation, die der Kläger vorträgt (Verletzung, Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bihari, Familienlosigkeit).
Nach Auffassung des Gerichts liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. § 3 EMRK im Hinblick auf humanitäre Verhältnisse bei konkreter Existenzgefährdung vor. Angesichts des Vortrags des Klägers erscheint es möglich, dass diesem bei Rückkehr eine Situation droht, die eine Abschiebung, die den Kläger diesem aussetzt als unmenschliche Behandlung nach Art. 3 EMRK qualifizieren würde. Denn nach der Erkenntnismittellage ist die Lage in Bihari-Camps desolat und diese werden teilweise in der Gesellschaft immer noch marginalisiert (S. 12 des Lageberichts). Der Kläger verfügt nach seinen Angaben zudem über keinerlei familiäres Netzwerk, dies ist jedoch für Rückkehrer maßgeblich (S. 22 des Lageberichts). Bei den maßgeblichen, vorgetragenen Aspekten der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit, den familiären Verhältnissen sowie den konkreten Problemen wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bihari, insbesondere den konkreten Verhältnissen im Camp, in dem der Kläger gelebt hat, handelt es sich um solche aus der persönlichen Sphäre des Klägers. Daher trifft ihn insoweit gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO, § 15 AsylG die Darlegungs- und Mitwirkungslast. Er muss sein Fluchtschicksal glaubhaft machen, insbesondere durch Schilderung eines schlüssigen, substantiierten Vortrages (BVerwG, U.v. 22.3.1983, 9 C 68.81). Die Angaben des Antragstellers gegenüber dem Bundesamt und in den Schriftsätzen hierzu sind jedoch zu vage und unsubstantiiert. Das Gericht ist nach diesen Angaben daher nicht von der Wahrheit dieser vorgetragenen Umstände überzeugt im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO. Der Kläger hat von sich aus auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und daher auf die Möglichkeit, seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung zu substantiieren bzw. sein Verfolgungsschicksal in der mündlichen Verhandlung glaubhaft zu machen, verzichtet.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen kam auch die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht.
Die dem Antragsteller in Ziffer 5 des Bescheids gesetzte Ausreisefrist von einer Woche und die Abschiebungsandrohung ergeben sich aus den §§ 34 Abs. 1 und 26 Abs. 1 AsylG.
Justiziable Ermessensfehler (§ 114 VwGO) hinsichtlich der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 2 AufenthG sind nicht ersichtlich.
Damit war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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