Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines ivorischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 2 K 17.33464

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9925
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3d, § 3e, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Die Korruption im Polizeibereich in der Elfenbeinküste führt nicht dazu, dass staatlicher Schutz dort nicht zu erlangen ist. Der Versuch, staatlichen Schutz gegen die Verfolgung nicht-staatlicher Dritter zu erlangen, ist nur dann entbehrlich, wenn dies aus objektiver Sicht von vorne herein aussichtslos erscheint. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO auch in Abwesenheit eines Beteiligten verhandelt werden konnte, ist unbegründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 15. September 2017 ist in dem verfahrensgegenständlichen Umfang rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
Es liegen auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig.
1.1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gem. § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gem. Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig ist, oder die gem. Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Kläger eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht. Dabei kann die Schilderung des Klägers hinsichtlich der behaupteten Bedrohungen und tätlichen Übergriffe des Onkels wegen der Religionszugehörigkeit der damaligen Freundin des Klägers als wahr unterstellt werden. Nach den eigenen Einlassungen des Klägers und auch dem Vortrag seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung war das Zerwürfnis mit dem Onkel nur einer von zwei Gründen für seine Entscheidung, das Land zu verlassen. Ein zweiter sei seine „Hoffnungslosigkeit“ gewesen. Er habe keine Arbeit und keine Wohnung mehr gehabt. Vor diesem Hintergrund bestehen mithin schon erhebliche Zweifel daran, dass die geltend gemachte „Bedrohung“ durch den Onkel überhaupt fluchtauslösend gewesen sei kann, zumal die beiden konkret geschilderten Vorfälle zeitlich vor der Schwangerschaft bzw. unmittelbar nach der Geburt des anschließend verstorbenen Kindes, d.h. nach eigenen Einlassungen des Klägers im September 2014 – mithin vier Monate vor seiner Ausreise – stattgefunden haben sollen. Zweifelhaft ist außerdem, ob der Vortrag, der Onkel habe ihn bedroht und geschlagen, die Miete des Klägers nicht mehr übernommen und veranlasst, dass der Kläger seine Ausbildung als Mechaniker nicht mehr fortsetzen könne, überhaupt die gem. § 3a AsylG für Verfolgungshandlungen notwendige Intensität aufweisen. Auch kann letztlich offen bleiben, ob der flüchtlingsschutzrechtlich allein in Betracht kommende Verfolgungsgrund der „Religion“ einschlägig wäre. Denn der Kläger hat sich vor seiner Ausreise nicht an die örtliche Polizei bzw. die vor Ort bestehende Gendarmerie gewandt, die – auch wenn sie dem Verteidigungsministerium untersteht (vgl. AA, Lagebericht v. 15. Januar 2018, S. 2) – polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Zwar ist Korruption im Polizeibereich in der Elfenbeinküste auch aktuell ein Problem und wird systematisch betrieben (vgl. AA, a.a.O.). Unter dem Gesichtspunkt der Nachrangigkeit flüchtlingsrechtlicher Schutzgewährung ist es jedoch dann nicht entbehrlich, staatlichen Schutz gegen die Verfolgung nicht-staatlicher Dritter zu suchen, wenn dies aus objektiver Sicht nicht von vorne herein aussichtslos erscheint. Der beim Bundesamt vorgetragene pauschale Hinweis des Klägers, er habe sich gar nicht erst an die Gendarmerie gewandt, weil die nur Geld wolle, ist alleine nicht geeignet, zu begründen, dass staatliche Schutzgewährung von vornherein aussichtslos gewesen sei. Letztendich kann aber auch dies dahinstehen. Denn jedenfalls stand und steht dem Kläger eine interne Fluchtalternative innerhalb der Elfenbeinküste zur Verfügung. Denn, selbst wenn man die geschilderte Bedrohungslage durch den Onkel als wahr unterstellt, hat der Kläger eine landesweite Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Mit Man und Dabou, den Wohnorten seiner beiden verheirateten Schwestern hätte er landesintern jedenfalls zwei Ausweichmöglichkeiten gehabt, die er ohne weiteres sicher und zumutbar hätte erreichen können. Bei beiden Städten hätte er mit seinen Schwestern Anlaufstationen, mit deren Unterstützung er bis zu einer Integration in den dortigen Arbeitsmarkt hätte rechnen können. Anhaltspunkte, dass es ihm nicht zumutbar gewesen sein soll, sich dort niederzulassen, sind – auch unter Berücksichtigung seines konkreten Bildungsstandes – weder vorgetragen noch ersichtlich. Selbst ohne Schulbildung hätte er an die im Rahmen der Ausbildung zum Mechaniker gewonnenen Fähigkeiten und Kenntnisse auch in Dabou oder Man nutzen können, um dort wirtschaftlich Fuß zu fassen.
Dem Kläger steht mithin jedenfalls unter dem Aspekt des vorrangigen internen Schutzes kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
1.2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder für die Vollstreckung noch Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht. Für eine eventuell drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch den Onkel wird auf die Ausführungen zum Bestehen interner Fluchtalternativen Bezug genommen.
1.3. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24. Mai 2000 – 9 C 34/99 –, juris Rn. 11).
Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27. Mai 2008 – 26565/05, U.v. 28. Juni 2011 – 8319/07). Solche Umstände sind vom Kläger weder vorgetragen, noch ersichtlich. Mit seiner jedenfalls begonnen Ausbildung als Automechaniker ist davon auszugehen, dass der gesunde, junge, arbeitsfähige Kläger trotz fehlender Schulbildung in der Lage sein wird, sich in einer der zahlreichen Großstädte der Elfenbeinküste eine den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechende Existenz aufbauen kann. Hinzu kommt, dass er mit seinen Schwestern in Man und Dabou auch jenseits seines Geburtsorts San Pedró familiäre Anlaufstellen hat, an die er sich bei einer Rückkehr wenden kann. Für die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in der Elfenbeinküste wird gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen im verfahrensgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen, wie sie beim Bundesamt vorgetragen wurden (Hämorrhoiden und Schmerzen in der Brust), wurden im Gerichtsverfahren weder durch ärztliche Atteste unterfüttert, noch erreichen sie auf der Grundlage seiner Behauptungen überhaupt den für ein Abschiebungsverbot relevanten Schweregrad. Auftreten und Erscheinungsbild des Klägers in der mündlichen Verhandlung gaben zudem keinen Anlass an seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu zweifeln, so dass auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt.
1.4. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
1.5. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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