Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines Klägers aus Sierra Leone

Aktenzeichen  RO 14 K 17.35185

Datum:
21.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15946
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 26a
GG Art. 16a Abs. 1, Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

In Sierra Leone von nichtstaatlichen Akteuren verfolgte Personen können in andere Teile des Landes ausweichen und dort jedenfalls dann, wenn sie über ausreichendes Erwerbspotenzial verfügen, ein zumutbares Existenzminimum erwirtschaften. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Klägern unter Androhung ihrer Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
1. Die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht ein Asylrecht im Sinne des Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz nicht zu. Nach Art. 16a Abs. 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer zur Überzeugung des Gerichts über einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG eingereist ist. Der Kläger hat beim Bundesamt bestätigt, dass er auf dem Landweg über die Balkanroute in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten scheitert somit bereits an Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a AsylG.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3).
Dem Kläger droht keine politischen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Umstände, die zu seiner Ausreise aus Sierra Leone geführt haben. Darüber hinaus wäre er auf die Möglichkeit landesinternen Schutzes nach § 3e Abs. 1 AsylG zu verweisen.
Die Voraussetzungen einer relevanten Verfolgungsmaßnahme durch den Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c AsylG) liegen bei der Klagepartei nicht vor. Dem Kläger droht demnach bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine nach § 3 AsylG relevante politische und zugleich dem sierra-leonischen Staat zuzurechnende Verfolgung. Stellt man auf die vom Kläger geschilderten, offenbar unmittelbar fluchtauslösenden Ereignisse in Form einer vermuteten Verfolgung durch die Bondo-Society oder eine mögliche Inhaftierung durch die Polizei ab, so handelt es sich nicht um eine Verfolgung aufgrund asylrelevanter Merkmale nach § 3 Abs. 1 AsylG. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft würde daher bereits aus diesem Grunde ausscheiden, da der Kläger ersichtlich nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt würde. Es handelt sich insoweit bei Wahrunterstellung um bloßes kriminelles Unrecht oder eine im konkreten Fall nicht zu beanstandende Strafverfolgung der hierfür zuständigen Organe.
Soweit man die vom Kläger geschilderte Fluchtgeschichte als wahr unterstellt, ist gerade nicht von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Klägers im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone auszugehen. Nach seiner eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung wurde nach dem Kläger bereits vor seiner Ausreise aus Sierra Leone nicht nachhaltig durch die Polizei oder die Bondo-Society gefahndet. Demnach seien vermeintliche Verfolger lediglich am Tag, an dem er bei dem Geheimbund den Brand gelegt habe, zu seiner Mutter gekommen und hätten versucht, bei ihr den Aufenthaltsort des Klägers zu ermitteln. Bei zweimaliger Nachfrage des Gerichts hat der Kläger versichert, dass zu einem späteren Zeitpunkt niemand mehr wegen dem Kläger vorstellig geworden sei. Ebenfalls auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger bestätigt, dass bei seinem eigentlichen Wohnort in der …, Freetown, welchen er zusammen mit seinem Cousin bewohnt hat, nie die Polizei oder Mitglieder des Geheimbundes erschienen seien. Die besonders naheliegende Option, nach dem Kläger an dessen Wohnort zu suchen, ist demnach durch die beiden vermeintlichen Verfolgergruppen nicht wahrgenommen worden. Daraus ist zu schließen, dass entweder kein wesentliches Verfolgungsinteresse bestand oder ein Untertauchen in der Hauptstadt Freetown, welche sich nur unweit des Tatortes der Brandlegung in der Nähe der Stadt Lungi befindet, unproblematisch möglich ist. Dass dauerhaft nach dem Kläger gefahndet werde oder er sogar eine Verfolgung bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone zu befürchten habe, ergibt sich somit schon aus dem Vortrag des Klägers nicht und steht auch zur Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit fest. Nichts anderes ergibt sich insbesondere aus der Behauptung des Klägers, dass eine Fahndung nach ihm über Radiosender stattgefunden habe. In der mündlichen Verhandlung bestätigte der Kläger, dass er selbst nie eine derartige Radiomeldung vernommen habe, sondern ihm dies lediglich von Dritten zugetragen worden sei. Demnach sei sein Name im Radio erwähnt worden. Ob es sich dabei überhaupt um eine Fahndung gehandelt hat, ergibt sich daraus nicht. Auch ist schon nicht erkennbar, ob der Name des Klägers, welcher aus einem durchaus geläufigen Vor- und Nachnamen in Sierra Leone besteht, überhaupt auf Radiokanälen Erwähnung fand.
Außerdem sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen von § 3e AsylG gegeben, sodass der Kläger auf die Möglichkeit zu verweisen ist, sog. internen Schutz in Anspruch zu nehmen. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen, weil ihm aus den nachfolgenden Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung steht:
Zwar wird die Genitalverstümmelung in allen Landesteilen Sierra Leones praktiziert und damit auch in größeren Städten wie Freetown, so dass auch dort die hierfür am häufigsten verantwortlichen Bondo-Gesellschaften gegenwärtig sind. Stärker vertreten sind sie jedoch in den eher weniger entwickelten Randgebieten, allerdings auch dort mit zunehmend sinkender Tendenz. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich nämlich schwerpunktmäßig und jeweils lokal begrenzt auf die ländlichen Provinzen (AA vom 2.12.2005 an VG Stuttgart). Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb der Republik Sierra Leone, deren Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, daher jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones vorfinden. Verfolgte Personen können in andere Landesteile umziehen. Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger, soweit diese nach über sechs Jahren nach den angeblich fluchtauslösenden Umständen überhaupt noch ein Interesse an einer Verfolgung des Klägers haben sollten oder diesen auffinden können sollten, wenn sich der Kläger beispielsweise in einer Großstadt wie Kenema, Makeni oder Bo niederließe. Ebenso könnte sich der Kläger den Zugriff der Polizei durch einen Umzug entziehen. Nachdem diese vor seiner Ausreise nicht einmal an seinem Wohnort nach ihm gefahndet hat, ist eine landesweite Suche durch staatliche Organe nach über sechs Jahren nach den fluchtauslösenden Ereignissen gänzlich unwahrscheinlich.
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich auch in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Er ist jung, gesund und ohne Unterhaltsverpflichtung. Seine Tochter wird seit seiner Ausreise im Jahr 2013 von seiner Schwester versorgt, so dass nicht ohne Weiteres davon auszugehen ist, dass der Kläger für ihre Versorgung nach seiner Rückkehr in Sierra Leone aufkommen muss. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner weit überdurchschnittlichen vierzehnjährigen Schul- und Collegeausbildung und seiner Berufserfahrung im Verkauf zumindest durch Gelegenheitsarbeit ein zumutbares Existenzminimum erwirtschaften. Dass er in der Lage ist, seinen und ggf. auch den Lebensunterhalt für seine Familie in Sierra Leone sicherzustellen, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht zweifelhaft.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernst-hafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nicht ersichtlich. Soweit jedoch die Befürchtung im Raum steht, der Kläger sähe sich im Fall seiner Rückkehr der Gefahr eines menschenrechts- und rechtsstaatswidrigen Strafverfahrens und daraus folgenden Strafvollstreckung ausgesetzt, basiert dies aufgrund eines Vortrags des Klägers, der eine nicht hinreichende Wahrscheinlichkeit der Gefährdung des Klägers vermuten lässt. Abgesehen davon ergibt sich aus den der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnismitteln nicht, dass trotz aller Unzulänglichkeiten des sierra-leonischen Justizwesens eine klägerseits vorgebrachte menschenrechtswidrige Behandlung oder sogar Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 2 AsylG zu befürchten wäre.
b) Es droht ihm zudem kein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG).
Hinsichtlich der durch den Kläger geltend gemachten Gefahr durch einen Geheimbund besteht – wie oben bereits ausgeführt – die Möglichkeit des landesinternen Schutzes in den Großstädten oder anderen Landesteilen der Republik Sierra Leone. Sie ist entsprechend dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht beachtlich wahrscheinlich. Es wird insoweit auf die Ausführungen unter Ziff. 2 verwiesen.
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen.
Der in Sierra Leone 11 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 4.7.2018, S. 5; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des EGMR aus der Konvention, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der Rechtsprechung des EGMR noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ bzw. „ganz außergewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unter-binden. Dies kann auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass nach Auffassung des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3 c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann, (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris, Rn. 25). Klägerseits wurde keine diesen Voraussetzungen entsprechende konkret-individuelle Gefahr geltend gemacht. Eine allgemeine Bedrohung genügt hierfür nicht.
b) Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach Satz 1, denen eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, oder die Bevölkerung als Ganzes, ausgesetzt ist, sind aber bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Allerdings verlangt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer konkreten Gefahr ohne Rücksicht darauf ab, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt ebenso wenig wie im Asylrecht die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Die Gefahr muss vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegen, wobei das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Dies wäre in etwa anzunehmen, wenn Ausländer einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würde, was dann der Fall ist, wenn der er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder ihm erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen würden (BVerwG U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung liegt jedoch im Falle des Klägers bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nicht vor.
Dem Kläger wäre es auch zumutbar, sich auch in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des Klägers im Fall einer Rückkehr nach Sierra Leone wird insoweit auf die Ausführung unter Ziff. 2 a.E. verwiesen.
5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.


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