Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines libyschen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  W 8 K 18.30770

Datum:
3.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25621
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Es kann offen bleiben, ob derzeit in Libyen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht, da jedenfalls  die Gefahrendichte nicht so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Asylbewerber kann sich für ein Abschiebungsverbot nicht darauf berufen, im Falle einer Abschiebung wegen einer möglichen Polizeibegleitung erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein, da ihm eine freiwillige Rückkehr zumutbar ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Asyl. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Libyen politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
Der Kläger hat im Verlauf des Behördenverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auch im Vergleich zum Vorbringen seines Freundes im Verfahren W 8 K 17.33618, welcher sich teilweise auf den gleichen Sachverhalt wie der Kläger bezieht, ungereimte und widersprüchliche sowie teils gesteigerte Angaben gemacht. Auf gerichtliche Fragen antwortete der Kläger teilweise auch ausweichend. Widersprüche und Ungereimtheiten konnte er trotz gerichtlicher Nachfragen und Vorhalte wiederholt nicht überzeugend auflösen. Demgegenüber ließ er eine zweifelsfreie, in sich stimmige Geschichte vermissen. So bleiben aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung letztlich durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens und einer darauf beruhenden tatsächlich drohenden ernsthaften Gefahr.
Auffällig ist schon, dass der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung und damit gesteigert erwähnt hat, dass er inhaftiert gewesen und geschlagen worden sei, auch um ihn zu rekrutieren. Der Einwand des Klägers, der Dolmetscher bzw. der Betreuer der Jugendherberge habe gesagt, er solle diese Sachen nicht über die Miliz sagen, die auch Teil der Armee sei, stimmt schon nicht voll mit dem Vorbringen im Verfahren seines Freundes (W 8 K 17.33618) überein, wonach im Schreiben vom 27. August 2018 ausdrücklich als Begründung aufgeführt ist, sie sollten nichts sagen, weil die dort verbliebenen Eltern und Geschwister in erhebliche Gefahr geraten würden und sie selbst auch. Abgesehen davon wurde der Kläger sowohl im gerichtlichen und behördlichen Verfahren wiederholt dazu aufgefordert, mitzuwirken und alle relevanten Tatsachen vorzubringen, zuletzt durch die gerichtliche Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO. Dies gilt umso mehr als der Kläger in Deutschland um Schutz nachsucht. Es ist dem Gericht überdies nicht nachvollziehbar, dass der Kläger nicht von sich aus die Tatsachen vorbringt, auf die er sein gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geäußertes Schutzbegehren stützen will. Der Kläger hätte zudem schon durch eigenes Nachdenken darauf kommen müssen, die für ihn relevanten und günstigen Taten möglichst früh und umfangreich von sich aus vorzubringen. Hinzu kommt, dass der Kläger auch anwaltlich vertreten war und ist. So erweckt die nachgeschobene Dramatisierung der Erlebnisse und Ereignisse in Libyen den Eindruck, dass die Vorfluchtgeschichte nun aus asyltaktischen Motiven aufgebauscht worden ist, um Vorteile im Asylverfahren in Deutschland zu erlangen.
Hinzu kommen zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten, die ebenfalls erhebliche und durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens begründen.
Dies gilt schon zu den zeitlichen Angaben. Während im Anwaltsschriftsatz vom 27. August 2018 in dem parallelen Verfahren des Freundes (W 8 K 17.33618) davon die Rede ist, der Kläger und sein Freund seien 2014 von Milizen festgenommen worden, erklärt der Kläger, der Vorfall sei im Jahr 2015 gewesen, ca. drei bis vier Monate vor der Ausreise im August 2015. Sein Freund gab demgegenüber in seiner mündlichen Verhandlung am 3. September 2018 an, die Verhaftung sei Anfang 2015 gewesen.
Widersprüchliche Angaben erfolgten auch zu den Umständen der gemeinsamen Inhaftierung. Der Kläger hatte im Behördenverfahren zunächst angegeben, es habe Anwerbeversuche gegeben, sie seien aber nicht geschlagen worden und auch von einer Inhaftierung war nicht die Rede, vielmehr nur von Beleidigungen. Er sei als Mädchen bezeichnet worden. Im Gegensatz dazu gab er in der mündlichen Verhandlung an, sie seien auch inhaftiert worden. Man habe sie mitgenommen und eingesperrt. Die Milizionäre hätten zu ihnen gesagt, dass sie jetzt richtige Männer werden müssten. Demgegenüber ist im Verfahren seines Freundes W 8 K 17.33618 von diesem erklärt worden, dass Grund für die gemeinsame Verhaftung gewesen sei, dass der Bruder des Klägers gesucht worden sei. Der Kläger sei auch geschlagen worden, um aus ihm herauszupressen, ob er selbst beim IS sei und ob er wisse, wo der Bruder sei. Auf entsprechenden gerichtlichen Vorhalt machte der Kläger zunächst ausweichende Angaben zu seinem Bruder, der angesichts seiner Tätigkeit im Krankenhaus unter dem Verdacht der Milizen gestanden habe, auch den Gegnern geholfen zu haben. Dann erst räumte der Kläger ein, dass er und seine Freunde festgenommen worden seien, weil die Milizen bei der Kontrolle den Bruder nicht erwischt hätten.
Erstmals erwähnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, auch geschlagen worden zu sein, wobei es in dem Zusammenhang ebenfalls Widersprüche zum Motiv der Schläge gibt. Der Kläger brachte zum Motiv eindeutig vor, die Milizionäre seien in die Wohnung gekommen, einer habe nach Alkohol gerochen, dieser habe mit seiner Mutter gesprochen, er habe einen der Milizionäre weggeschubst. Daraufhin seien sie mitgenommen worden und dem Anführer seien die Auffälligkeiten gesagt worden, deshalb sei der Kläger geschlagen worden. Das im anderen Verfahren W 8 K 17.33618 genannte Motiv für die Schläge, den Aufenthaltsort seines Bruders freizupressen, erwähnte der Kläger von sich aus zunächst nicht. Demgegenüber erklärte der Freund des Klägers in seinem Verfahren ausdrücklich als Grund der Schläge, sie sollten sagen, wo der Bruder des Klägers sei, und fügte noch als weiteren Grund auch das Schubsen des Klägers an.
Widersprüchlich und ungereimt sind des Weiteren die Angaben zu der Freilassung des Klägers. Dieser führte in der mündlichen Verhandlung dazu aus, sein ältester Bruder sei zusammen mit anderen älteren Leuten zu der Miliz gegangen und habe die Freilassung gefordert. Die älteren Leute würden respektiert, deshalb seien sie freigelassen worden. Sie seien auch deshalb freigelassen worden, weil sie Sport getrieben hätten. Demgegenüber hat sein Freund in dem anderen Verfahren W 8 K 17.33618 schriftlich sowie mündlich erklärt, sie seien nur deshalb wieder freigelassen worden, weil die Milizen mittlerweile den Bruder des Klägers festgenommen hätten. Sein Freund bestätigte auch in seiner mündlichen Verhandlung nicht, dass der Bruder mit den älteren Menschen gekommen sei und sie deshalb freigekommen seien.
Abgesehen davon ist selbst bei einer Wahrunterstellung zweifelhaft ob dem Kläger bei einer Rückkehr eine Zwangsrekrutierung droht. Denn auch nach dem eigenen Bekunden des Klägers ist eine Zwangsrekrutierung nicht zwingend. Der Kläger erklärte selbst auch mit Hinweis auf den Sport und seinen Fußball, dass sie unbehelligt geblieben seien. Man habe nur gesagt, sie sollten sich nicht mehr auf der Straße zeigen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, wenn man nicht herausgehe, dann passiere nichts, nur wenn man auf der Straße sei, werde man angesprochen. Außerdem gebe es Auseinandersetzungen und Schlägereien, alle Leute hätten Waffen.
Gegen eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Gefahr der Zwangsrekrutierung spricht auch die weitere Angabe des Klägers, dass sein Bruder, der zunächst von der Miliz gesucht worden sei, nach einem Auslandsaufenthalt in Ägypten wieder zurückgekommen und trotzdem nicht von der Miliz zwangsrekrutiert worden sei. Des Weiteren leben zahlreiche weitere Verwandte sowie die gesamte Großfamilie des Klägers noch in Libyen. Gleichwohl hat der Kläger nicht berichtet, dass von diesen weitere Mitglieder zwangsrekrutiert worden seien. Auch dies ist ein Indiz dafür, das gegen eine ernsthaft drohende Gefahr spricht. Der Kläger hat jedenfalls nichts Gegenteiliges vorgetragen. Es wäre aber lebensnah, sich konkrete weitere Informationen über ein Fortbestehen der Gefahr zu besorgen und gegebenenfalls auch dem Gericht und den deutschen Behörden vorzulegen. In diese Richtung hat der Kläger indes nichts Substanzielles vorgetragen.
Nach alledem fehlt es an einem glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, das Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr oder sonst einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben sein könnte.
Nach der Auskunftslage ist das Gericht auch sonst nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr Verfolgung oder sonst ein ernsthafter Schaden droht (vgl. § 4 Abs. 1 AsylG).
Zwar ist zusammengefasst nach der Erkenntnislage von folgender Situation in Libyen auszugehen:
Nach dem Auswärtigen Amt (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018) befindet sich Libyen Mitte 2018 im siebten Jahr nach dem Tod des Diktators Gaddafi weiterhin im politischen Umbruch. Landesweite Sicherheit bleibt die größte und wichtigste Herausforderung des seit Dezember 2015 bestehenden Präsidialrats. Große Teile des Landes und der Gesellschaft werden von Milizen kontrolliert, andere Teile sind praktisch unregiert. Bewaffnete Gruppen beanspruchen jeweils auf ihrem Gebiet die Ausübung einer Art staatlicher Kontrolle. Eine der größten Gefahren für die Bevölkerung ist es, als Unbeteiligte in die immer wieder aufflammenden Auseinandersetzungen zwischen Milizen zu geraten bzw. Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden. Menschenrechtsverletzungen in Libyen sind an der Tagesordnung. Die vulnerabelste Gruppe sind Migranten und Flüchtlinge. Aber auch Libyer sind Menschenrechtsverletzungen durch staatliche wie nichtstaatliche Akteure ausgesetzt, ohne sich dagegen wirksam schützen zu können. Ein einheitliches funktionierendes Rechtssystem steht nicht zur Verfügung. Besonders betroffen sind Minderheiten. Die Sicherheitslage in Libyen ist instabil. Dem Präsidialrat gegenüber loyalen Milizen aus der westlibyschen Stadt Misrata gelang es den sogenannten IS im Dezember 2016 aus seiner Hochburg in der zentrallibyschen Küstenstadt Sirte zu vertreiben. Er ist weiterhin in Libyen aktiv und hat auch 2017 bis 2018 Anschläge verübt. In Ostlibyen geht General Haftar gegen islamistische und dschihadistische Gruppen mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor. Auch Tripolis ist faktisch im Einflussbereich von vier Milizen. Eine davon ist die salafistische Rada-Miliz. Diese Miliz übt inzwischen die vollständige Kontrolle über den einzigen funktionstüchtigen Flughafen (Mitiga) von Tripolis und das dort gelegene größte Gefängnis Westlibyens aus. Einer Vielzahl von Milizen werden Folter und standrechtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Auch die im Osten vorherrschende LNA ist kein einheitliches Gebilde, vielmehr eine Klammer für einzelne Milizen, die auch eigene Interessen verfolgen und denen ihrerseits Menschenrechtsverletzungen sowie die Hinnahme ziviler Opfer nachgesagt werden.
Alle Konfliktparteien verübten wahllose sowie gezielte Angriffe auf dicht besiedelte Gebiete, die zum Tod von Zivilpersonen und der rechtswidrigen Tötungen führten. Tausende Menschen wurden von bewaffneten Gruppen verschleppt, willkürlich festgenommen und zeitlich unbegrenzt inhaftiert. In den Gefängnissen waren Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung. Menschen wurden aufgrund ihrer Überzeugung, ihrer Herkunft, ihrer vermuteten politischen Zugehörigkeit und ihres mutmaßlichen Reichtums von bewaffneten Gruppen und Milizen verschleppt und rechtswidrig inhaftiert (Amnesty International, Report Libyen 2017/2018).
Die Lage im ganzen Land ist extrem unübersichtlich und unsicher. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. In großen Teilen des Landes herrschen bewaffnete Milizen oder sonstige bewaffnete Kräfte. In Abwesenheit staatlicher Kontrolle über das gesamte Territorium setzen sich Dutzende rivalisierende Milizen und militärischen Streitkräfte mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Allianzen straffrei über internationales Recht hinweg. Rivalisierende Milizen und militärische Streitkräfte entführen Personen und lassen diese verschwinden, foltern, inhaftieren willkürlich und führen ungesetzliche Tötungen durch (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017).
Das Gericht geht gleichwohl davon aus, dass dem Kläger kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Form einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht. Im Ergebnis kann offen bleiben, ob derzeit in Libyen ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht (vgl. bejahend VG Dresden, U.v. 22.9.2017 – 12 K 1598/16.A – Asylmagazin 4/2018, S. 123 [auszugsweise] – juris; VG Ansbach, U.v. 29.3.2018 – AN 10 K 16.32482 – juris; offengelassen VG Chemnitz, U.v. 31.5.2018 – 7 K 2166/16.A – juris; U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; U.v. 2.1.2018 – 7 K 692/16.A – juris; jeweils mit weiteren Nachweisen). Denn selbst wenn, ist die Gefahrendichte jedenfalls nicht so hoch, dass praktisch jede Zivilperson bei einer Rückkehr in die Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dies bleibt außergewöhnlichen Situationen vorbehalten, die durch einen sehr hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198).
Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt ist, reichen grundsätzlich nicht, eine individuelle Bedrohung zu begründen. Es ist auch nichts von einer Gefahrendichte ersichtlich, dass hier für jedermann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben besteht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in zwei Entscheidungen festgestellt, dass jedenfalls ein Risiko von 1:800 bzw. 1:1.000 in dem betreffenden Gebiet im Laufe eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – NVwZ 2012, 454 – juris Rn. 22 und 10 C 11.10 – juris Rn. 20). Ein solcher Gefährdungsgrad ist bei weitem nicht ersichtlich. Dem Gericht fehlen gegenteilige Erkenntnisse. Auch die Klägerseite hat Entsprechendes nicht substanziiert vorgebracht.
Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers sind nicht erkennbar. Die bloße Aufforderung durch andere, sich ebenfalls einer Miliz oder sonstigen Gruppierung anzuschließen, rechtfertigt bei weitem nicht die Annahme einer politischen Verfolgung oder eines drohenden ernsthaften Schadens (so VG Bayreuth, U.v. 5.7.2017 – B 4 K 16.31506 – juris). Sonstige gefahrerhöhende Umstände, die eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG bedeuten würden, sind nicht gegeben. Vielmehr ist jedenfalls einem alleinstehenden jungen Mann zumutbar, nach Libyen zurückzukehren (so im Ergebnis auch VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris).
Dem Kläger droht insbesondere auch kein ernsthafter Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG infolge Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Zwar hat das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht angegeben (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 15), es ist davon auszugehen, dass zurückkehrende Libyer, insbesondere dann, wenn sie durch ausländische Polizei begleitet werden, Aufmerksamkeit und gegebenenfalls Misstrauen erwecken und bei der Einreise strengen Kontrollen unterzogen werden. Eine anschließende Inhaftierung ist insbesondere am Flughafen Mitiga, der von der salafistischen Rada-Miliz kontrolliert wird, nicht auszuschließen. Es gibt Berichte von Menschenrechtsverletzungen in diesem Gefängnis. Es ist davon auszugehen, dass die salafistische Rada-Miliz, die den Flughafen Mitiga und das dort befindliche Gefängnis kontrolliert, Listen von gesuchten Libyern einsehen kann und bei der Einreisekontrolle strenge Maßstäbe anlegt. Auch die anderen libyschen Flughäfen werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert, die meist ihre eigenen Kriterien für Einreise, Befragung und Festnahme setzen. Einzelfalluntersuchungen des Risikos für Abzuschiebende werden in diesem Licht durchzuführen zu sein.
Insofern ist jedoch festzuhalten, dass bei dem Kläger auch insoweit individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen. Darüber hinaus kann sich der Kläger nicht darauf berufen, im Falle einer Abschiebung wegen einer möglichen Polizeibegleitung erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein, weil ihm eine freiwillige Rückkehr zumutbar ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – BverwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris).
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen – in dem schon ausführliche dargelegt ist, dass das Existenzminimum des Klägers bei einer Rückkehr gesichert und die Grundversorgung in Libyen gewährleistet ist (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libyen vom 3. August 2018, Stand Juli 2018, S. 14 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Libyen vom 20.10.2017, S. 14 f.) – und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt für sich durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Libyen noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Insofern ist die Lage nicht anders als bei zahlreichen Landsleuten in vergleichbarer Lage (ebenso VG Chemnitz, U.v. 24.5.2018 – 7 K 3986/16.A – juris; U.v. 15.3.2018 – 7 K 2975/16.A – juris; VG Dresden, U.v. 26.1.2018 – 12 K 2548/16.A – juris; U.v. 26.9.2017 – 12 K 304/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 13.9.2017 – W 2 K 17.32898 – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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