Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines männlichen alleinstehenden arbeitsfähigen Afghanen

Aktenzeichen  M 2 K 17.42783

Datum:
7.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5175
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Die allgemeine Gefährdungslage in der Provinz Kabul erreicht unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel keine Intensität, so dass bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände die Voraussetzungen zur Gewährung subsidiären Schutzes erfüllt wären. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob ein Teil des Herkunftslandes als inländische Fluchtalternative anzusehen ist, hängt von den vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie den persönlichen Umständen des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ab. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die allgemeine (Versorgungs-)Lage in Afghanistan stellt für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar; darüberhinaus würde ein Rückkehrer nicht alsbald nach einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. (Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2018 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG); lediglich ergänzend wird ausgeführt:
1. Der Kläger hat – auch im Klageverfahren – keine relevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan vorgetragen. Das vom Kläger vorgetragene Verfolgungsschicksal ist schon nicht glaubhaft. Der Kläger hat als Ausgangspunkt seiner angeblichen Verfolgung einen Drohnenangriff der Amerikaner im Jahr 2012 angegeben. Gleichwohl ist der Kläger erst drei Jahre später ausgereist und wurde nach seinem eigenen Vortrag bis dahin in Kabul nie bedroht oder gar angegriffen. Dies lässt sich auch nicht mit dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung erklären, dass drei bei dem Angriff angeblich verletzte Talibankämpfer erst etwa 2014 aus Pakistan zurückgekehrt sind und durch Nachfrage die Adresse der Familie des Klägers in Kabul erhalten hätten. Der Kläger hat nämlich beim Bundesamt angegeben, bereits 2012 habe der Vater wegen dieses Vorfalls einen Drohbrief erhalten. Schon damals kannten die Taliban also die Familie des Klägers, ließen diese aber dennoch in Kabul jahrelang unbehelligt.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG, da ihm bei seiner Rückkehr nach Afghanistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Dem Kläger droht zur Überzeugung des Gerichts auch aufgrund der von ihm individuell befürchteten Schwierigkeiten in Afghanistan kein ernsthafter Schaden. Insbesondere braucht er nach Überzeugung des Gerichts keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu befürchten.
Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul, wohin eine Abschiebung erfolgen würde, erreicht auch unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel keine Intensität, aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von 4,52 Mio. im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, in der Fassung der Einfügung am 30.1.2018, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) und der Opferzahlen für das Jahr 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2017, February 2018, Anlage 3, S. 67 ff) errechnet sich für die Provinz Kabul eine Wahrscheinlichkeit von 0,04%, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden. Dieselbe Wahrscheinlichkeit ergibt sich unter Zugrundelegung des am 15. Juli 2018 veröffentlichten Halbjahresberichts 2018 der UNAMA. Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nicht in einem rechtlich relevanten Maß. Diesbezüglich wird auf obige Ausführungen verwiesen. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, denen sich das Gericht anschließt, Bezug genommen (U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 76 ff.). Das Gericht schließt sich insbesondere auch der jüngst ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an, in dem dieser diese Einschätzung jüngster Zahlen bestätigt hat. Das Gericht macht sich insbesondere auch die Gründe zu Eigen, mit denen der Verwaltungsgerichtshof Einwände gegen etwaige methodische Mängel bei der Erhebung von Opferzahlen (so etwa Stahlmann in verschiedenen gutachterlichen und anderen wissenschaftlichen Äußerungen) zurückgewiesen hat (VGH BW Urt. v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17).
3. Unabhängig davon scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus auch am Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative gemäß § 3e AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG) in Afghanistan:
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146,12). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände i.S.d. Art. 8 Abs. 2 RL 2011/95/EU kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c dieser Richtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. In diesem Zusammenhang sind Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen in den Blick zu nehmen. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Asylbewerber vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort – was grundsätzlich zumutbar ist – durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2005 – 1 B 100.05 – juris). Maßgeblich ist grundsätzlich also, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Betroffenen jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, U.v. 1.2.2007, aaO).
Vorstehendes zugrunde gelegt, besteht für den Kläger besteht jedenfalls in den Provinzen Herat und Balkh nicht die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen dort nicht vor, da für ihn in diesen Provinzen jedenfalls keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt besteht (§ 3e Abs. 1 Nr.1 AsylG).
Der Kläger kann auch sicher und legal über Kabul nach Herat und Balkh reisen und wird dort aufgenommen werden. Zudem kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Denn in den Provinzen Herat und Balkh ist sein soziales und wirtschaftliches Auskommen in ausreichendem Maße gesichert, selbst wenn er dort über kein familiäres Netzwerk verfügt.
Dies dürfte grundsätzlich nach wie vor auch für die Provinz und Stadt Kabul gelten, vgl. insoweit die aktuellen Leitlinien des UNHCR vom 30. August 2018 (vgl. dort insbesondere S. 110; in diese Richtung auch VGH BW Urt. v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17). Dies kann jedoch offen bleiben, da er jedenfalls mit den Provinzen Herat und Balkh über eine inländische Fluchtalternative verfügt.
Bei einer Einwohnerzahl von rund 1,93 Millionen und 495 zivilen Opfern (238 Tote und 257 Verletzte) in der Provinz Herat und einer Einwohnerzahl von rund 1,38 Millionen und 129 zivilen Opfern (52 Tote und 77 Verletzte) in der Provinz Balkh lag die Wahrscheinlichkeit, in den genannten beiden Provinzen im Jahre 2017 ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden bei 0,026% (Herat) und 0,009% (Balkh; vgl. zum Zahlenmaterial beider Provinzen EASO Country of Origin Information Report – Afghansitan Security Situation, Dezember 2017, S. 88 und 137; UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in Armend Conflict – Annual Report 2017, S. 67). Damit ist in diesen Provinzen eine Gefahrendichte zu konstatieren, die ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos von 1:800 bzw. 0,125% liegt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff). Eine maßgebliche Änderung und Überschreitung der rechtlich erheblichen Gefahrendichte ist insoweit auch nach den für das Jahr 2018 verfügbaren Informationen nicht ersichtlich. Nach dem Midyear Update für das 1. Halbjahr 2018 von UNAMA bewegt sich die Gesamtzahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2018 leicht unter dem Niveau der Jahre 2016 und 2017; nichts anderes ergibt sich aus den neuesten Erkenntnissen von EASO (EASO, Afghanistan Security Situation, Update May 2018, S. 25 ff.). Auch aus den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ergeben sich insoweit keine Tatsachen, die nach den vorgenannten rechtlichen Maßstäben zu einer anderen Bewertung führen. Der UNHCR beschreibt darin allgemein eine volatile Sicherheitslage sowie eine Verschlechterung der Situation seit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte im Jahr 2014. Für das Jahr 2018 spricht der UNHCR von einer hohen Zahl ziviler Opfer und verweist dazu im Einzelnen insbesondere auf das o.g. Midyear Update von UNAMA. Im Übrigen betont der UNHCR, dass die Schutzberechtigung aufgrund einer Einzelfallbetrachtung („depending on the specific circumstances of the case“) zu bewerten ist (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30. August 2018, S. 37, 103 f.). Dabei ist allerdings stets auch zu beachten, dass der UNHCR bei seinen Bewertungen selbst definierte Maßstäbe zugrunde legt und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für den Schutzbedarf sowie die aufgezeigten Risikoprofile nicht notwendig den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Bewertung der Frage, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit inmitten steht bzw. ob von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, entsprechen (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9). Im Übrigen hat der Kläger auch keine individuellen Umstände geschildert, aus der sich in glaubhafter Weise eine besondere Verletzlichkeit bzw. Schutzbedürftigkeit ergibt. Dass der Kläger besonderer Bedrohung ausgesetzt ist, wurde – insoweit wird auf die Ausführungen unter 1. verwiesen – nicht glaubhaft vorgetragen. Die oftmals vorgetragene Behauptung, ein Leben ohne Netzwerke sei praktisch unmöglich, sieht das Gericht aufgrund der vorstehenden Erkenntnisse als widerlegt an.
Das Gericht geht davon aus, dass die beiden Provinzen Herat mit Herat Stadt als Hauptstadt und Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e-Sharif von Kabul als Zielort einer Rückreise oder auch (möglichen) Abschiebung aus in zumutbarer Weise zu erreichen sind. Nach den überzeugenden aktuellen Auskünften des britischen Außenministeriums (vgl. Home Office UK, Afghanistan: Security and humanitarian situation, April 2018, S. 10) gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten Gefahren solcher Intensität drohen, dass sie die unter dem Gesichtspunkt des subsidiären Schutzes rechtlich erhebliche Schwelle erreichen. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Auswärtigen Amtes (AA) im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 (Stand Mai 2018, S. 20), wonach sich Afghanen zwar formell im Land frei bewegen und niederlassen dürfen, allerdings Sicherheitsbedenken als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit innerhalb Afghanistans genannt würden und besonders das Reisen auf dem Landweg aufgrund des Anstiegs von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen betroffen sei (vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan – Security Situation, Dezember 2017, S. 67 f.). Denn nach den vorgenannten Feststellungen des Home Office sind im Sinne einer möglichen Erheblichkeit für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht die Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten maßgeblich, sondern vielmehr nur die Verbindungen von Städten zu Dörfern und zwischen Dörfern betroffen.
Zudem besteht nach den Feststellungen der EASO (vgl. Country of Origin Information Report Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection and mobility in Kabul City, Mazar-e-Sharif and Herat City, S. 123 ff.; zudem auch AA, Lagebericht vom 31. Mai 2018, S. 20) die Möglichkeit, inländische Flugverbindungen von Kabul nach Mazar-e-Sharif und Herat (Stadt) zu nutzen, die jeweils mehrmals täglich zur Verfügung stehen. Auch die Erreichbarkeit der Flughäfen dieser Städte für den landseitigen Zu- und Abgangsverkehr ist dabei in ausreichend sicherer Weise gewährleistet (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, S. 102).
Dem Kläger ist es zuzumuten und es kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, seinen Aufenthalt in den Provinzen Herat oder Balkh, namentlich in den dortigen Hauptstädten zu nehmen. Für einen alleinstehenden, gesunden Mann wie den Kläger, der keine Unterhaltslasten zu tragen hat, schließen die genannten Provinzen einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes selbst dann aus, wenn dieser über keinen familiären Rückhalt oder nennenswertes eigenes Vermögen verfügt. Denn in Würdigung der vom Gericht herangezogenen Erkenntnismittel, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, des EASO-Berichts vom Juni 2018 und der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, ist davon auszugehen, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter – so auch der Kläger – grundsätzlich dazu in der Lage sind, in Afghanistan ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen wie insbesondere den Städten Herat und Mazar-e-Sharif zu leben und dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen, gegebenenfalls auch unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe, zu erzielen (vgl. auch VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; BayVGH, B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris).
Für den Kläger besteht – insbesondere im Fall seiner freiwilligen Ausreise – die Möglichkeit, Rückkehr- und Starthilfen im Rahmen des REAG/GARP-und des ERIN-Programms in nicht unerheblichem Umfang in Anspruch zu nehmen. Für einen alleinstehenden Mann umfasst das „REAG/GARP-Programm 2018“ neben der Übernahme der Beförderungskosten, eine Reisebeihilfe in Höhe von 200 EUR sowie eine Starthilfe in Höhe von 500 EUR (vgl. REAG/GARP-Programm 2018, Stand: Januar 2018). Hinzu kommen die kumulativ zur Verfügung stehenden Leistungen nach dem Europäischen Reintegrationsprogramm „ERIN“. Diese beinhalten z.B. Services bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und karitativen Einrichtungen, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche sowie Hilfestellungen bei der Existenzgründung. Die Unterstützung wird über eine vor Ort tätige Partnerorganisation in Form von Sachleistungen gewährt und kann bei einer freiwilligen Rückkehr Leistungen im Wert von bis zu 1.500 EUR, bei rückgeführten Personen bis zu 700 EUR umfassen (vgl. ERIN-Programmsteckbrief). Angesichts einer Rückkehr- und Starthilfe im Gegenwert von insgesamt 2.200 EUR sowie Ankunftsservice und Unterstützung bei Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche vor Ort sind damit weitere Umstände gegeben, aufgrund derer es dem Kläger zumutbar ist, sich in den Provinzen Herat oder Balkh, insbesondere den Hauptstädten, niederzulassen. Dabei entspricht die Berücksichtigung der Starthilfen in diesem Zusammenhang dem Grundsatz, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – die Gefahr politischer Verfolgung oder sonstige ihm im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hat (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris Rn. 27). Gleiches hat mit Blick auf § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG für die Gewährung subsidiären Schutzes zu gelten.
Damit ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 23) nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr im genannten Sinne auszugehen, zumal auch die medizinische Versorgungslage in den Nord- und Zentralprovinzen besser als in anderen Teilen des Landes ist (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016, S. 23).
4. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
Die allgemeine (Versorgungs-)Lage in Afghanistan stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. jüngst VGH BW Urt. v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17; siehe auch BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem humanitären Gründe „zwingend“ sind. Eine solche Situation ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht gegeben.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dem Kläger droht aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (stRspr, z.B. jüngst VGH BW Urt. v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17; im Übrigen siehe BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 pro – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; VGH BW, U.v.11.4.2018 – A 11 S 924.17 – juris Rn. 470; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241.17 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln, namentlich den Berichten des AA vom 31. Mai 2018, der EASO vom Juni 2018, der UNAMA (Midyear Update 1. Halbjahr 2018) und des UNHCR vom 30. August 2018, ergibt sich nichts anderes. Hierzu wird vollinhaltlich auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 1 verwiesen werden. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Herat und Balkh besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift abzulehnen.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG aufgrund von etwaigen gesundheitlichen Einschränkungen liegt ebenfalls nicht vor. Der Kläger hat insofern auch nichts vorgetragen.
5. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keine Bedenken. Gleiches gilt für die Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.


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