Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines russischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  RO 9 K 17.33769

Datum:
2.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 127996
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, 2, Abs. 4, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c
AsylG § 3, § 4
GG Art. 16a

 

Leitsatz

Ein nicht mehr der Wehrpflicht unterliegender russischer Staatsangehöriger, der sich der Wehrdienstentziehung schuldig gemacht hat, muss deswegen bei einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Freiheitsstrafe rechnen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 1. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in ihren Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf einen Schutzstatus im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Bescheids und und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend bleibt auszuführen (§ 77 Abs. 1 AsylG), dass der Kläger mit dem im Verfahren vor dem Bundesamt angegebenen Geburtsdatum 27. Juni 1990 inzwischen das 27. Lebensjahr vollendet hat und damit nicht mehr der Wehrpflicht unterliegt. Somit könnte der Kläger im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation nicht mehr zum Wehrdienst eingezogen werden. Die einjährige Wehrpflicht besteht für Männer zwischen 18 und 27 Jahren (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 24. Januar 2017 zur Russischen Föderation). Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, dass er während seines Studiums, das bis 2015 gedauert haben soll, einen Wehrpass ausgestellt erhalten haben soll, aber noch nicht einberufen worden sei (Bl. 78 d. Bundesamtsakte). Der bei der Bundesamtsakte befindliche Inlandspass des Klägers soll nach der Übersetzung aus dem Russischen auf der Seite 13 einen Stempelabdruck enthalten, wonach der Kläger zur Wehrpflicht verpflichtet sei, gezeichnet durch die Abteilung des Militärkommissariats in der Tschetschenischen Republik in der Stadt Grosny mit Datum 28. Juli 2015 und unleserlicher Unterschrift (Bl. 68 a.a.O.). Der Kläger wusste dagegen nichts davon zu berichten, dass er bereits mit Vollendung des 17. Lebensjahres militärisch erfasst worden sei, was nach der Auskunftslage regelmäßig geschehe (vgl. BayVGH, U.v. 7.1.2015 – 11 B 12.30471 – juris m.w.N.), und eine Musterungsuntersuchung erfolgt sei. Die Angaben des Klägers im weiteren, wonach er immer wieder angerufen worden sein soll, wobei offen blieb, von wem diese Anrufe ausgegangen sein sollen, geben ebenfalls keinerlei Hinweis auf eine bevorstehende Einberufung. Das vorangegangene Geschehen im Anschluss an die Weigerung (gegenüber wem?) „eine Art Militärvertrag“ zu unterschreiben, das im Frühling oder Sommer 2015 sich ereignet haben soll und wobei es zu einem späteren Zeitpunkt (wann?) zu einer Mitnahme des Klägers und zu einer Gewaltanwendung gegen ihn durch 12 bis 15 maskierte Männer gekommen sein soll, ist nicht glaubhaft. Eine Einberufung des Klägers nach Vollendung seines Studiums hätte zunächst einmal genügt, ihn dem Militärdienst zu unterwerfen. Es erscheint völlig realitätsfern, dass sich im Anschluss an das Geschehen, bei dem der Kläger auch mit Strom gefoltert worden sein soll, er sich bei der Miliz wiedergefunden haben soll, die sich dann „für die anderen“ mit dem Hinweis auf eine Verwechslung bei ihm entschuldigt und ihn anschließend heim gebracht haben soll. Anhaltspunkte für eine strafbare Wehrdienstentziehung nach Art. 328 Pkt. 1 russ. StGB haben sich nicht ergeben. Zum einen ist nicht klar, ob der Kläger vom Militärdienst aus gesundheitlichen Gründen zu befreien wäre, zum anderen wäre auch nicht von einem direkten Vorsatz hinsichtlich einer Wehrdienstentziehung auszugehen, weil der Kläger im Falle einer Einberufung das Recht auf einen Ersatzdienst hätte in Anspruch nehmen können, wozu es mangels Einberufung gar nicht kommen musste. Selbst wenn sich der Kläger einer Wehrdienstentziehung schuldig gemacht haben sollte, wäre nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen. In der Praxis wird nach der Auskunftslage nur eine kleine Anzahl von Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, bestraft und die Strafen für Wehrdienstverweigerung fallen sehr gering aus (vgl. BayVGH a.a.O. m.w.N.). Bei der Anhörung vor dem Bundesamt führte der Kläger aus, dass er zwei Cousins in … habe, die schon seit fünf Jahren im Bundesgebiet seien und vor langer Zeit einen Asylantrag gestellt hätten, und die ihn unterstützten. Hieran wird ebenfalls deutlich, dass der Kläger diesen beiden Cousins nachfolgte und die oben auszugsweise wiedergegebenen Angaben des Klägers bei der Anhörung vor dem Bundesamt nur dazu dienen sollten, diesen Ausreisegrund zu verschleiern.
Der angefochtene Bescheid ist auch nicht rechtswidrig, soweit das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate befristet wurde. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots von Amts wegen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden. Das Gericht hat entsprechend § 114 Satz 1 VwGO nur zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Beklagte war nach § 11 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 75 Nr. 12 AufenthG zur Entscheidung über die Befristung berufen. Die Entscheidung, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen ist grundsätzlich ermessensfehlerfrei möglich, da die Länge der Frist in der Mitte des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgezeigten Rahmens von 60 Monaten (fünf Jahren) liegt (vgl. u.a. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16.30463 – juris). Die Beklagte hat im vorliegenden Fall das ihr gesetzlich eingeräumte Ermessen offensichtlich erkannt und sich bei dessen Ausübung nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Die in der Klagebegründung angegebene psychische Erkrankung („behandlungsbedürftige PTBS“) ist weder im Bundesamtsnoch im Klageverfahren in irgendeiner Form medizinisch bestätigt worden, geschweige denn durch ein Attest, das den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt (vgl. § 60 a Absatz 2c AufenthG), belegt worden. Bereits deshalb handelt es sich um keinen Gesichtspunkt, der eine Verkürzung der Frist nahelegt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger seine psychischen Probleme im Bedarfsfall im Herkunftsstaat behandeln lässt. § 11 Abs. 4 AufenthG eröffnet im übrigen die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben oder die Frist zu verkürzen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 22 ff. AufenthG vorliegen. Im übrigen kann der Kläger durch eine freiwillige Ausreise dem wieder Einreiseverbot entgehen.
Danach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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