Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines syrisch-ukrainischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  AN 15 K 17.31487

Datum:
2.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35914
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Nach der gegenwärtigen Auskunftslage stellt sich die Grundversorgung in der Ukraine für Rückkehrer als knapp ausreichend dar. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Trotz fehlender Kenntnisse der Landessprachen und fehlendem sozialen Netzwerk kann es einem syrisch-ukrainischen Staatsangehörigen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzefalls gelingen, in der Ukraine seinen Existenzgrundlage zu sichern. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.             Die Klage wird im Übrigen abgewiesen.         
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.           
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige, im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, sowie § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG beschränkte Klage bleibt im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 AsylG) ohne Erfolg. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Zuerkennung eines solchen Abschiebungsverbotes zu (§ 115 Abs. 1 S. 1 VwGO).
1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung in ihrem Streitgegenstand auf die Zuerkennung eines nationalen Abschiebungsverbotes beschränkt wurde, liegt hierin eine teilweise Klagerücknahme, die noch vor Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung erfolgt war und demnach nicht der Zustimmung der Beklagten bedurfte, § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO. Insoweit war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Eine Einstellung bei nur teilweiser Beendigung des Rechtsstreits kann dabei auch im Urteilstenor erfolgen und bedarf keines gesonderten Beschlusses (Rennert, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, VwGO § 92 Rn. 24).
2. Die noch aufrecht erhaltene Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO, form- und fristgerecht erhoben worden, § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG, jedoch in der Sache unbegründet.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung ist nach der EMRK insbesondere dann unzulässig, wenn dem Kläger in der Zielregion eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nur ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot. Denn Art. 3 EMRK kann, so der EGMR, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 249; s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 10). Gleichwohl ist eine Verantwortlichkeit nach Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen, wenn eine vollständig von staatlicher Unterstützung abhängige Person, die behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 253). Zudem muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist relativ und hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Dauer der erniedrigenden Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen, sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Ausländers (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 219; s.a. EGMR, U.v. 13.12.2015 – Paposhvili/Belgien, 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 174). In örtlicher Hinsicht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet, also regelmäßig der Herkunftsregion (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Ls. 2 und Rn. 26; OVG NW, U.v. 28.8.2019 – 9 A 4590/18.A – juris Rn. 175). Eine solche Herkunftsregion ist für den Kläger jedoch nicht klar erkennbar, denn er ist – glaubhaft angegeben und als wahr dem vorliegenden Urteil zugrunde gelegt – weder in der Ukraine geboren worden, noch dort aufgewachsen und hat sich in seinem bisherigen Leben in diesem Land insgesamt nur etwa drei Monate in der Stadt … aufgehalten, wie er in der mündlichen Verhandlung bekundete.
Für die Beurteilung ist durch das Gericht der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung im Abschiebungszielstaat (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – NVwZ 2011, 51 – juris Rn. 22).
Es sind keine durchgreifenden Anhaltspunkte erkennbar, dass im Falle des Klägers – auch unter der Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse – zwingende humanitäre Gründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegen seine Rückkehr in die Ukraine sprechen.
Nach der gegenwärtigen Auskunftslage stellt sich die Grundversorgung für Rückkehrer aus Deutschland, wie für die meisten Menschen in der Ukraine, als knapp ausreichend dar. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenlos und flächendeckend, obgleich für qualitativ hochwertige Leistungen bisweilen private Zuzahlungen geleistet werden müssen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 29.2.2020, Stand Januar 2020, S. 8, 19; Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 30.5.2021, Stand Februar 2021, S. 7 f., 18 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation – Ukraine, Version 5, veröffentlicht am 19.10.2021, Punkte „Grundversorgung und Wirtschaft“, S. 48 ff. und „Medizinische Versorgung“, S. 51ff. sowie „Rückkehr“, S. 54 f.). Überdies bietet die Organisation IOM Unterstützung bei der (Re) Integration von ukrainischen Staatsbürgern an, welche freiwillig aus Europa in die Ukraine zurückkehren (vgl. auch: IOM Deutschland, Unterstützung bei freiwilliger Rückkehr, Informationsportal unter: https://germany.iom.int/de/freiwillige-rückkehr-und-reintegration, abgerufen am 2. November 2021). Die dabei konkret gewährten Unterstützungsleistungen betreffen u.a. Transfer ab Eintreffen beim Flughafen, Bereitstellung kurzfristiger Unterbringungsmöglichkeiten auf Anfrage, Berufsausbildung und Unterstützung bei der Gründung von Kleinunternehmen. Ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Staatenlose und Flüchtlinge, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine haben, haben Anspruch auf soziale Unterstützung seitens des ukrainischen Staates. Es gibt zahlreiche Rechtsvorschriften, die diejenigen Personengruppen definieren, die Unterstützung erhalten können. Die gewährten sozialen Leistungen sind in der Regel nur knapp ausreichend bis unzureichend. Es gibt zwei Hauptformen der staatlichen Unterstützung: Materielle Unterstützung (Geld, Nahrung, Kleidung, Schuhe, Brennstoff etc.), wobei die Höhe der finanziellen Unterstützung entsprechend dem monatlichen Einkommen der betreffenden Person festgelegt wird, und Soziale Dienstleistungen (Essen, Transportdienste, Lieferung von Medikamenten etc.). Die Voraussetzungen für die Gewährung sozialer Unterstützung sind sehr verschieden und richten sich nach der Art der beantragten Leistung. In der Regel muss der Antragsteller die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personengruppe nachweisen, z.B. nach dem Verlust des Arbeitsplatzes, Arbeitsunfall bzw. Arbeitsunfähigkeit. Es gibt Leistungen im Falle von Schwangerschaft und Mutterschaft, für Senioren und Hinterbliebene. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen unterstützen ebenfalls Menschen in sozialen Notlagen (vgl. etwa: IOM, Ukraine Crisis Response Plan 2021 – 2023, abrufbar unter: https://crisisresponse.iom.int/response/ukraine-crisis-response-plan-2021-2023/year/2021, abgerufen am 2. November 2021; UNHCR, Ukraine: UNHCR Coverage, abrufbar unter: https://www.unhcr.org/ua/en/ngo-partners, abgerufen am 2. November 2021). Im Jahr 2020 war ein Wirtschaftswachstum nach den Krisenjahren 2014/2015 zu verzeichnen, dem jedoch im ersten Quartal 2021 ein starker Anstieg der Inflation und eine Senkung des realen Brutto-Inlandsproduktes – auch bedingt durch Auswirkungen der Corona-Pandemie – gegenüberstanden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation – Ukraine, Version 5, veröffentlicht am 19.10.2021, Punkte „Grundversorgung und Wirtschaft“, S. 48). Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt zum 1. Januar 2021 auf 6.000 UAH, knapp 175,00 EUR festgelegt. In der Ukraine herrscht eine starke Schattenwirtschaft vor, wobei insbesondere in ländlichen Gebieten die dort lebenden Menschen zusätzliche Einkommensquellen zum Überleben benötigen. Insofern ist die Arbeitsmigration für ukrainische Staatsbürger ein wichtiges Thema.
In Anbetracht dessen und unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse des Klägers besteht für diesen nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verelendung im Falle einer Rückkehr in die Ukraine, speziell in die Region um die Stadt … als eine der größten Städte der Ukraine. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass er das Land nicht besonders gut kennt, keine Sprachkenntnisse in Ukrainisch oder Russisch vorweisen kann und auch vor Ort über kein festes familiäres oder sonstiges soziales Netzwerk verfügt. Dies sind Faktoren, die eine Verelendung im Falle der Rückkehr in die Ukraine befördern können. Jedoch ist dem unter Beachtung eines streng anzulegenden Maßstabes im vorerwähnten Sinne gegenüberzustellen, dass der Kläger als junger, gesunder Mann alleinstehend, ohne Unterhaltsverpflichtungen und Bindungen frei ist, seinen Wohnsitz in der Ukraine dort zu nehmen, wo er voraussichtlich die besten Unterstützungsmöglichkeiten erhält, sich ihm eine reale Chance auf den Erhalt von Integrationsleistungen des ukrainischen Staates und von NGOs bietet und er die Möglichkeit hat, eine Arbeit aufzunehmen. Insbesondere ist die Situation des Klägers nicht vergleichbar mit derjenigen von Menschen, die aus dem Ostteil der Ukraine stammen und sich nicht auf eine Rückkehr in diese Region aufgrund immer noch vorherrschender Konflikte verweisen lassen müssen. Der Kläger hat es auch in Deutschland vermocht, eine ihm bis dahin völlig fremde Sprache auf gutem Niveau zu erlernen, was sich in der mündlichen Verhandlung dadurch gezeigt hat, dass es des Einsatzes des hinzugezogenen Dolmetschers nicht weiter bedurfte. Im Weiteren ist der Kläger arbeitsfähig und -willig und hat auch bereits im Libanon, dem ersten Land seines Aufenthalts nach seiner Ausreise aus Syrien, nach eigenem Bekunden Arbeit gefunden und ausgeübt. Das Gericht hat keine Zweifel, dass es dem Kläger auch in der Ukraine bei entsprechenden Eigenbemühungen gelingen wird, zumindest eine Arbeit im Hilfsbereich, etwa im Baugewerbe oder in der Lagerwirtschaft zu finden. Die Integrationsfähigkeiten des Klägers erscheinen dem Gericht insgesamt als gut ausgeprägt. Der Kläger hat außer fehlenden persönlichen Beziehungen zum Land Ukraine nichts vorgetragen, das für Defizite körperlicher oder kognitiver Art und damit für eine geminderte Chance auf Integration in einem neuen Umfeld bei ihm spricht.
Das Gericht geht zudem davon aus, dass sich der Kläger auch weiterhin der Unterstützung seiner Mutter, die ukrainisch spricht und aus diesem Land stammt, versichern kann, selbst wenn auch die Mutter des Klägers nicht über weitergehende Verwandtschaftsbeziehungen in der Ukraine verfügen sollte. Immerhin ist es der Mutter des Klägers nach dessen Bekunden gelungen, sowohl ukrainische Reisepässe für den Kläger und seinen Bruder zu besorgen als auch eine erste Unterkunft in … für immerhin drei Monate. Dies spricht für ein gewisses Organisationstalent der Mutter des Klägers und gegen Hilflosigkeit auch dieser nahen Verwandten. Der Kläger muss sich auf eine entsprechende Hilfe durch seine Mutter, die ggf. auch im Kontakt zu in der Ukraine ansässigen Hilfsorganisationen oder Religionsgemeinschaften, denen der Kläger angehört, bestehen kann, verweisen lassen.
Dass der Kläger bereits in Deutschland über Integrationsleistungen verfügt und seit einigen Jahren ein geordnetes Leben in diesem Land führt, ist rechtlich gesehen für die Beurteilung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG unbeachtlich. Denn nach der vorzitierten Rechtsprechung des EGMR bietet die EMRK keinen Anspruch auf das Beibehalten des Status-Quo und einer ggf. besseren Versorgungslage, sondern nur den Schutz vor einer Verelendung im Rückführungszielstaat.
b) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG liegt für den Kläger ebenfalls nicht vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Von einer abschiebungsschutzrelevanten wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn eine Heilung des Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist; eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise des Betroffenen in den Zielstaat drohen (BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30851 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16).
Konkret ist eine gesundheitsbedingte Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn die Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung alsbald nach der Abschiebung des Betroffenen einträte (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 3.11 – InfAuslR 2012, 261 – juris Rn. 34). Bei der Prognose, ob dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat dort eine erhebliche konkrete Gefahr wegen der Verschlimmerung einer individuellen Erkrankung droht, sind alle zielstaatsbezogenen Umstände zu berücksichtigen, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Die wesentliche Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung durch die Abschiebung kann etwa auf unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat beruhen. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG). Neben den Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sind auch sämtliche andere zielstaatsbezogene Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Krankheit führen können, in die Beurteilung miteinzubeziehen. Eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung kann demnach insbesondere auch dann eintreten, wenn in dem Abschiebezielstaat Behandlungsmöglichkeiten zwar vorhanden, für den betreffenden Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (BVerwG, B.v. 17.1.2019 – 1 B 85.18 – juris Rn. 5).
Gesundheitliche Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ausnahmsweise kann hier Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre (näher BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 13a B 20.30957 – BeckRS 2020, 43384 Rn. 50 m.w.N.).
In diesem Sinne fehlt es bereits an jeglichem Vortrag des Klägers zu möglichen Erkrankungen, die relevant für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG sein können. Das Gericht geht vielmehr aufgrund des bisherigen Vortrags des Klägers im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren sowie aufgrund des persönlichen Eindrucks, den das Gericht vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, davon aus, dass dieser entsprechend seinem Lebensalter gesund ist.
Auch die weltweite Corona-Pandemie rechtfertigt hinsichtlich des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 7 AufenthG ist festzuhalten, dass die COVID-19-Pandemie in der Ukraine mangels einer allgemeinen Abschiebestopp-Anordnung allenfalls eine allgemeine Gefahr darstellt, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (vgl. etwa BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris; Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 60 AufenthG, Rn. 100 m.w.N.). Die drohende Gefahr, dass sich der Ausländer im Zielland mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert, muss nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage den baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – juris).
Eine solche extreme, konkrete Gefahrenlage ist vorliegend für den Kläger im Hinblick auf die Auswirkungen des „Corona-Virus“ in der Ukraine (vgl. dazu etwa: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation – Ukraine, Version 5, veröffentlicht am 19.10.2021, Punkt „Covid-19-Situation“, S. 1 f.) für das Gericht derzeit nicht erkennbar. Dabei hat der Kläger schon nicht vorgetragen, dass er einer Risikogruppe für einen schwerwiegenden Verlauf einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zugehört. Derartiges ist für das Gericht auch nicht aus der Aktenlage heraus ableitbar. Im Übrigen ist auch die Ukraine – wie beinah alle Länder weltweit – nunmehr bereits seit fast zwei Jahren mit der Coronavirus-Pandemie befasst und hat es nach Auskunftslage geschafft, ein Managementsystem für den Umgang mit der Pandemie im eigenen Land unter Berücksichtigung der eigenen Krankenhaus- und Versorgungskapazitäten und -möglichkeiten zu installieren (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation – Ukraine, Version 5, veröffentlicht am 19.10.2021, Punkt „Covid-19-Situation“, S. 1 f.). Damit kann nicht mehr von einer Situation gesprochen werden, die dem zu Beginn der Pandemie entsprach und die weltweit von Unkenntnis und Unsicherheit geprägt war. Vielmehr geht das Gericht unter Berücksichtigung der Auskunftslage zur Ukraine davon aus, dass den Kläger nunmehr in der Ukraine kein im Vergleich zu Deutschland signifikant höheres Risiko einer Erkrankung mit schwerem Verlauf oder gar der Gefahr des Todes, etwa auch aufgrund unzureichender medizinischer Behandlungs- und Testkapazitäten, trifft.
Da nach alldem die in Ziffer 4 des Bescheids vom 9. März 2017 getroffene Verfügung rechtmäßig war und dem Kläger zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zustand und sich im Weiteren auch die in den Ziffern 5 und 6 des Bescheids getroffenen Nebenentscheidungen als rechtmäßig erweisen, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, trägt er die Kosten des Verfahrens aufgrund von § 155 Abs. 2 VwGO.
Gerichtskosten werden im vorliegenden Verfahren nicht erhoben, § 83b AsylG.


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