Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Familiennachzug)

Aktenzeichen  B 6 K 19.1249

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45997
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 2 Abs. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Eine Lebensunterhaltssicherung ist bereits dann ausgeschlossen, wenn ein Anspruch auf öffentliche nicht auf eigenen Beiträgen beruhenden Leistungen besteht; es ist nicht erforderlich, dass die Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen werden.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Lebensunterhalt ist im aufenthaltsrechtlichen Sinne nicht gesichert, wenn der Gesamtbedarf einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.     
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Gemäß § 102 Abs. 2 VwGO konnte trotz Ausbleibens der Parteien verhandelt und entschieden werden. Die Ladung mit dem entsprechenden Hinweis wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.09.2020 per Postzustellungsurkunde zugestellt. Seinem Antrag auf Terminsverlegung vom 28.09.2020 wurde nicht entsprochen, was dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch am 29.09.2020 per Fax mitgeteilt wurde.
Die Klage bleibt, auch nach Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung nach Gerichtsbescheid, ohne Erfolg, da sie unbegründet ist. Durch die mündliche Verhandlung haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen.
Es wird auf die Begründung des Gerichtsbescheids verwiesen, dem die Kammer gem. § 84 Abs. 4 VwGO folgt.
Ergänzend ist noch auszuführen, dass die kommentarlos am 30.09.2020 kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung per Telefax übermittelten Unterlagen, deren rechtliche Relevanz der Deutung des Gerichts überlassen wurde, keine andere Beurteilung begründen. Die Nachreichung der Unterlagen erfolgte verspätet, da alle Unterlagen auf Zeitpunkte vor der Fristsetzung nach § 87b VwGO datieren und daher unproblematisch bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegt hätten werden können. Bereits nach Erlass des Gerichtsbescheides am 22.04.2020 kannte der Prozessbevollmächtigte die rechtliche Einschätzung des Gerichts. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum vorhandene Unterlagen nicht zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegt wurden.
Damit hat der Kläger ohne genügende Entschuldigung (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) trotz Hinweis des Gerichts im Schreiben vom 02.09.2020 (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 VwGO) die, bis 18.09.2020 gesetzte, Frist nicht eingehalten und auch keine neuen Tatsachen und Beweismittel vorgelegt, die erst nach Ablauf der Frist aufgetaucht wären. Die Unterlagen sind jedoch trotzdem zu berücksichtigen, da die Zulassung der Dokumente den Rechtsstreit nicht verzögert (§ 87b Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO).
Auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht als gesichert anzusehen.
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers i. S. v. § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert ist. Das ist dann der Fall, wenn aufgrund realistischer Annahmen und konkreter Dispositionen positiv prognostiziert werden kann, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (BVerwG, B. v. 18.04.2013 – 10 C 10/12 – NVwZ 2013, 1339 Rn. 13). Es ist hierbei nicht erforderlich, dass tatsächlich öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden. Eine Lebensunterhaltssicherung ist bereits dann ausgeschlossen, wenn ein Anspruch auf öffentliche nicht auf eigenen Beiträgen beruhenden Leistungen besteht (vgl. Zeitler in: HTK-AuslR, Stand 06.08.2020, § 2 AufenthG, zu Abs. 3, Rn. 12). Hierfür ist ein Vergleich des voraussichtlich bestehenden Unterhaltsbedarfs und den zu Verfügung stehenden Mitteln anzustellen.
Daher kann von einer Sicherung des Lebensunterhalts nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, wofür die Betrachtung über einen längeren Zeitraum erforderlich ist und nicht nur punktuell auf die aktuelle Einkommenssituation abgestellt werden kann (vgl. Samelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 5 AufenthG, Rn. 28).
Nach alledem ist der Lebensunterhalt des Klägers nicht gesichert. Es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine positive Prognose darüber getroffen werden, dass der Lebensunterhalt des Klägers dauerhaft und nachhaltig gesichert ist, ohne dass öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müssen. Der Kläger bildet mit seiner Mutter und seinem Stiefvater eine Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SBG II (vgl. hierzu grundsätzlich Dienelt in: Bergmann/Dienelt, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG, Rn. 74f.). Der Lebensunterhalt des Klägers ist demnach im aufenthaltsrechtlichen Sinne nicht gesichert, wenn der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: 10.2019, § 2 AufenthG, Rn. 38).
Der Bedarf der Familie lässt sich derzeit mit etwa 1.351,90 EUR beziffern, bestehend aus dem Regelbedarf gem. § 20 Abs. 4 SGB II (Regelbedarfsstufe 2) für die Mutter und den Stiefvater des Klägers und gem. § 23 Nr. 1 SGB II (Regelbedarfsstufe 5) für den Kläger sowie dem Bedarf für Unterkunft und Heizung gem. § 22 Abs. 1 SGB II. Gem. § 20 Abs. 1a SGB II wird der Regelbedarf in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 des SGB XII in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 des SGB XII in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Der Bedarf nach der Regelstufe 2 beträgt derzeit 389 EUR und nach der Regelstufe 5 derzeit 308 EUR (https://www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/neue-regelsaetze-bedarfsermittlungsgesetz.html). Die Kosten für Unterkunft und Heizung wurden vom Prozessbevollmächtigten in seinem Klageschriftsatz mit 265,90 EUR beziffert.
Damit ist der Bedarf der Familie unter Zugrundelegung der aktuell zur Verfügung stehenden Mittel nicht gedeckt. Erst Recht kann keine positive Prognose einer nachhaltigen Sicherung des Lebensunterhalts abgegeben werden.
Das Einkommen der Mutter des Klägers von 396,94 EUR reicht gerade zur Deckung ihres eigenen Regelbedarfs. Auch unter Berücksichtigung des Erwerbseinkommens des Stiefvaters des Klägers kann keine Prognose einer nachhaltigen Lebensunterhaltssicherung begründet werden. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ehemann der Mutter des Klägers, dem Kläger gegenüber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unterhaltsverpflichtet ist. Zwar können auch freiwillige Unterhaltsleistungen bei der Lebensunterhaltssicherung berücksichtigt werden, hierbei muss jedoch anhand einer Prognoseentscheidung wahrscheinlich sein, dass der freiwillig Leistende auch weiterhin für den Lebensbedarf der Bedarfsgemeinschaft aufkommen kann und wird (vgl. Samelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG, Rn. 41). Jedoch auch wenn man davon ausgeht, dass der Stiefvater des Klägers für diesen langfristig aufkommen wollte, ist er hierzu prognostisch nicht dauerhaft in der Lage. Vorliegend sind dem Gericht nur die Einkommensverhältnisse aus drei Monaten bekannt in welchem die Einkommensbeträge nicht unerheblich variieren (588,85 EUR im Juni; 750,76 EUR im Juli; 696,81 EUR im August). Ausweislich des Lohnzettels handelt es sich bei der Beschäftigung des Stiefvaters des Klägers um eine Aushilfstätigkeit. Hieraus ergibt sich gerade nicht die begründete Annahme stabiler Einkommensverhältnisse. Fest steht auch, dass die Mutter des Klägers Ende des Jahres 2020 ein gemeinsames Kind mit ihrem Ehemann erwartet. Damit mindert sich seine Leistungsfähigkeit jedenfalls ab diesem Zeitpunkt, da er diesem Kind gegenüber gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist.
Auch ergibt sich ab der Geburt des Kindes im Dezember eine gänzlich neue Bedarfsberechnung, da nunmehr auch das zweite Kind in den Lebensbedarf der Familie einzubeziehen ist.
Da der Lebensunterhalt des Klägers nach wie vor nicht gesichert ist, kommt es auf die Frage, welchen Einfluss die Schwangerschaft der Mutter des Klägers für die Zumutbarkeit der Nachholung des Visumsverfahrens durch den Kläger hat, nicht mehr an.


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