Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage eines subsidiär schutzberechtigte Syrers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  RO 11 K 21.30245

Datum:
14.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31616
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3a, § 3b, § 3e

 

Leitsatz

1. Die Ausreise und der Aufenthalt im westlichen Ausland rechtfertigen alleine nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen jemanden bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (VGH München Urt. v. 12.12.2016 – 21 B 16.30338, 21 B 16.30364 und 21 B 16.30371). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, drohen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen syrischer Sicherheitskräfte (vgl. VGH München Urt. v. 12.4.2019 – 21 B 18.32459). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen sollen den jeweiligen Betroffenen nicht wegen eines asylerheblichen Merkmals treffen (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 110078), womit es an der erforderlichen Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund fehlt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
4. Kurden werden nicht allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit vom syrischen Staat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht (vgl. VGH München Urt. v. 10.9.2019 – 20 B 19.32549; OVG Schleswig BeckRS 2019, 3147; OVG Saarlouis Urt. v. 2.8.2018 – 2 A 694/17; OVG Münster Urt. v. 22.6.2018 – 14 A 618/18.A). (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. 

Gründe

Die Klage ist zwar zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid ist nämlich in Nr. 2 hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrags rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dieser hat im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist dem Kläger nicht zuzuerkennen, da er sich nach der Überzeugung des Gerichts nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Er hat Syrien nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen. Ihm droht bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von
1. dem Staat,
2.Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen oder
3.nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.
Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U. v. 01.06.2011 Az. 10 C 25.10). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden, sind ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut vor solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. VG Augsburg, U. v. 25.11.2014 Az. Au 2 K 14.30422). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zu.
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
I.
Der Kläger ist nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Insoweit folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf diesen Bezug, § 77 Abs. 2 AsylG. Im Übrigen ist auf Folgendes hinzuweisen:
Ein individuelles Verfolgungsschicksal hat der Kläger weder beim Bundesamt noch im gerichtlichen Verfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Es ist jedoch Sache des Schutzsuchenden, die Umstände, aus denen sich eine politische Verfolgung ergibt, in schlüssiger Form von sich aus vorzutragen, vgl. § 15 Abs. 1, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG. Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, B. v. 21.07.1989 Az. 9 B 239/89).
1. Soweit der Kläger in seiner Anhörung beim Bundesamt auf den Krieg und die allgemein schlechte Sicherheitslage in Syrien Bezug nimmt, die nach eigenen Angaben einer der Hauptgründe für das Verlassen seines Heimatlandes war, kann dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Erforderlich ist vielmehr eine gezielte Rechtsverletzung, d.h. ein gezielter Eingriff in ein asylrechtlich geschütztes Rechtsgut (vgl. BVerwG, U. v. 19.01.2009 Az. 10 C 52.07). Nicht den Einzelnen gezielt treffende Folgen von Handlungen oder allgemeine Ereignisse wie Kriege oder Katastrophen genügen für die Annahme einer Verfolgung nicht. Der genannten Bedrohung wurde im Übrigen bereits durch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus Genüge getan.
2. Das Gericht geht auch nicht aufgrund der seitens des Klägers geschilderten Einziehungsbemühungen durch die YPG und das syrische Regime von einer vorverfolgten Ausreise aus.
a. Im Hinblick auf eine Vorverfolgung durch das syrische Regime ist eine – unmittelbar bevorstehende – Einberufung vor der Ausreise des Klägers bereits deshalb abzulehnen, weil er diesbezüglich keinerlei substantiierte Angaben machte. So schilderte er – mit Ausnahme des Vorliegens eines Einberufungsbefehls – von Seiten des syrischen Regimes vor seiner Ausreise keine Befragungen, Inhaftierungen oder sonstige Rekrutierungsbemühungen. Die Angaben des Klägers gehen diesbezüglich über unsubstantiierte Befürchtungen nicht hinaus. Im Hinblick auf eine befürchtete Einziehung zum Militärdienst ist zudem darauf hinzuweisen, dass eine Bestrafung als Verfolgungshandlung erst mit einer Verweigerungshaltung eintreten kann. Diese Verweigerung ist aber frühestens dadurch begangen worden, dass der Kläger sich durch Flucht ins Ausland dem Zugriff des syrischen Regimes entzogen hatte. Im Moment der letztendlichen Verweigerung (bei endgültiger Ausreise) konnte also gar keine Verfolgung bevorstehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 Az. 14 A 3439/18.A).
Überdies ist – mit Blick auf eine möglicherweise unmittelbar bevorstehende Einberufung durch das syrische Regime – darauf hinzuweisen, dass die Einziehung zum Wehr- bzw. zum Militärdienst (anders als nach Ansicht des Klägervertreters) ohnehin keine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG darstellt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O.). Dabei stellt das Gericht nicht generell in Frage, dass der Kläger grundsätzlich wehrdienstpflichtig ist und im Falle einer Rückkehr wäre. Dies ergibt sich nämlich bereits aus der Tatsache, dass der Kläger im wehrpflichtigen Alter ist (vgl. BayVGH, U. v. 21.09.2020 Az. 21 B 19.32725). Eine Echtheitsüberprüfung des vorgelegten Wehrdienstheftes ist daher nicht erforderlich. In Syrien unterliegen aber nahezu ausnahmslos alle Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren der Wehrpflicht. Eine zielgerichtete Auswahl von Männern mit bestimmten Eigenschaften und Überzeugungen findet nicht statt. Vielmehr erfolgen die Rekrutierungen unabhängig vom ethnischen und religiösen Hintergrund und betreffen unterschiedslos sämtliche großen Volksgruppen (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 01.12.2020 Az. 17 K 6482/19.A). Es ist auch nicht erkennbar, dass die Einberufung selektiv anhand einer tatsächlichen und/oder zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung erfolgt (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 01.12.2020 a.a.O.). Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG kann als Verfolgung nur die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes gelten. Dass dem Kläger eine solche Bestrafung drohte, ist jedoch vor dem Hintergrund seiner Angaben und der Entwicklung der Lage in Syrien (siehe auch unten) nicht hinreichend wahrscheinlich.
Ferner ist die Frage, ob sich durch eine Verweigerung des Militärdienstes in Syrien eine politische Überzeugung zeigt, für den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht (unmittelbar) erheblich (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 27.07.2021 Az. 21 ZB 21.30830 und Az. 21 ZB 21.31005). Entscheidend hierfür ist nämlich nicht, aus welchen subjektiven Gründen der Militärdienstpflichtige den Militärdienst verweigert, sondern ob die wegen der Militärdienstverweigerung drohende Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1 und 2 AsylG gemäß § 3a Abs. 3 AsylG an einen Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b Abs. 1 AsylG anknüpft. Gerade vor dem Hintergrund, dass es dabei gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob der Betroffene tatsächlich ein flüchtlingsrelevantes Merkmal im Sinne von § 3b Abs. 1 AsylG aufweist, das zur Verfolgung führt, bedeutet dies, dass maßgeblich ist, wie die Verweigerung des Militärdienstes von den Verfolgern ausgelegt wird, d.h. ob dem Verweigerer insoweit eine bestimmte, gemäß § 3b Abs. 1 AsylG relevante Überzeugung zugeschrieben wird. Auf die tatsächlichen persönlichen Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes und die dahinterstehende persönliche Haltung bzw. Überzeugung kommt es dagegen nicht (unmittelbar) an (vgl. BayVGH, B. v. 27.07.2021 a.a.O. m.w.N.). Nach den vorliegenden Erkenntnisquellen schreibt das syrische Regime Wehrdienstverweigerern und/oder Deserteuren allgemein und dem Kläger im Speziellen jedoch keine oppositionelle Haltung zu (s.u.).
b. Selbiges gilt für die geschilderten und befürchteten Einziehungsbemühungen durch andere militärische Gruppierungen wie die YPG, die PKK oder die Freie Syrische Armee, was durch die Angaben in der Klagebegründung bestätigt wird. Demnach besteht auch in Nordsyrien ein verpflichtender Militärdienst von 12 Monaten für alle Männer von 18 bis 30 Jahren, die in dieser Region leben, welcher sich im Falle einer Wehrdienstverweigerung oder bei Festnahme auf 15 Monate erhöht. Hierin liegt jedoch keine individuelle an Merkmale des Klägers anknüpfende flüchtlingsrelevante Verfolgung. Auch die eigenen Angaben des Klägers, wonach die YPG „die jungen Männer zwangsrekrutiert“, bestätigt diesen Eindruck. Es ist damit nicht erkennbar, dass die Einziehungsbemühungen der YPG oder der PKK an ein individuelles Merkmal des Klägers i.S.d. § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 AsylG anknüpfen würden.
Im Übrigen kann sogar dahingestellt bleiben, ob in diesen Maßnahmen der YPG, der PKK oder der Freien Syrischen Armee bereits eine relevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG liegt und die Voraussetzungen des § 3a AsylG erfüllt sind. Dem Kläger droht nämlich bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch diese oder andere (nichtstaatliche) Konfliktparteien (siehe unten II. 4.).
c. Schließlich ist für das Gericht nicht erkennbar, dass der Kläger Syrien aus einem der Gründe des § 3 Abs. 1 AsylG – insbesondere aus religiösen Gründen und/oder seiner politischen Überzeugung – verließ. Soweit er hierzu mit seinem Vorbringen in seiner Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung angab, dass er niemanden töten möchte und selbst nicht getötet werden will, sind diese Befürchtungen zwar nachvollziehbar. Allerdings handelt es sich hierbei um Selbstverständlichkeiten, die auf die meisten Menschen und Syrer zutreffen, ohne dass dem eine bestimmte Weltanschauung zugrunde liegen muss. Es bezeugt in dieser Pauschalität nur eine plausible und weit verbreitete Abneigung gegen den Krieg (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.05.2021 Az. A 4 S 468/21).
II.
Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
1. Das Gericht ging in seiner früheren Rechtsprechung bei Erwachsenen und Jugendlichen davon aus, dass der syrische Staat das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland als Anknüpfung und Ausdruck einer politischen missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (vgl. z. B. VG Regensburg, U. v. 29.06.2016 Az. RN 11 K 16.30666). Ein solches Verhalten werde – ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung – vom syrischen Staat generell und unterschiedslos als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst. Zumindest Rückkehrer aus dem westlichen Ausland und damit auch aus Deutschland hätten in der Regel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an ihre tatsächliche oder wohl zumeist nur vermutete politische Überzeugung mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.
Ferner ging das Gericht in seiner früheren Rechtsprechung davon aus, dass die syrische Regierung Maßnahmen der Reflexverfolgung bzw. Sippenhaft anwendet, die sich insbesondere gegen nahe Angehörige von (potentiellen) Regimegegnern richten, zu denen auch Personen zählen, die sich der Wehrpflicht entzogen haben. Das Gericht bewerte das Gefährdungspotential für eine Person umso größer, je näher ihre verwandtschaftliche Beziehung zu einem Reservisten oder Wehrpflichtigen ist. Diesen Personen drohe bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine menschenrechtswidrige Behandlung unter dem Gesichtspunkt der sog. Reflexverfolgung („Sippenhaft“).
An dieser Rechtsprechung hält das Gericht nicht fest. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen die Ausreise und der Aufenthalt im westlichen Ausland alleine nämlich nicht die begründete Furcht, dass syrische staatliche Stellen jemanden bei einer Rückkehr nach Syrien als Oppositionellen betrachten und ihn deshalb wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung verfolgen (vgl. BayVGH, U. v. 12.12.2016 Az. 21 B 16.30338, Az. 21 B 16.30364 und Az. 21 B 16.30371). Außerdem droht Angehörigen eines Militärdienstflüchtlings nicht beachtlich wahrscheinlich eine Reflexverfolgung (vgl. z. B. BayVGH, U. v. 22.06.2018 Az. 21 B 18.30852; U. v. 20.06.2018 Az. 21 B 18.30825).
2. Dem Kläger droht auch bei einer Rückkehr in seine Heimat nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung, weil er sich durch seinen Auslandsaufenthalt dem Militärdienst entzieht (siehe noch anders z.B. BayVGH, U. v. 12.12.2016 Az. 21 B 16.30372). Das Gericht schließt sich insoweit der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs an, wonach Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter, die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen syrischer Sicherheitskräfte drohen (vgl. z.B. BayVGH, U. v. 12.04.2019 Az. 21 B 18.32459).
a. Die vorliegenden Erkenntnismittel zu Syrien rechtfertigen nämlich nicht mehr die Bewertung, dass das syrische Regime um sein Überleben kämpft und zurückkehrende Syrer allein deshalb flüchtlingsrelevant in ihren Menschenrechten verletzt, weil es ihnen im Hinblick auf den Militärdienstentzug eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt. Insoweit wird in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf folgende Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in dem Urteil vom 21.09.2020 (Az. 21 B 19.32725) Bezug genommen:
„a) Nach dem Gesetz besteht in Syrien für Männer eine allgemeine Wehrpflicht ab 18 Jahren bis zum Alter von 42 Jahren (vgl. u.a. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 20.11.2019, S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11.6.2019, S. 10). Männer, die das wehrpflichtige Alter von 18 Jahren erreicht haben, müssen sich (zur Musterung) beim zuständigen Rekrutierungsbüro melden, wo sie ihr Militärbuch erhalten, in das neben anderem das Ergebnis der medizinischen Tauglichkeitsprüfung und eine etwaige Befreiung vom Militärdienst eingetragen wird. Wer sich nicht bei der Rekrutierungsbehörde meldet, wird nach einer gewissen Zeit auf die Liste der Militärdienstentzieher gesetzt (vgl. u.a. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Vorgehen der syrischen Armee bei Rekrutierung, 18.1.2018; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 23 f.; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E, 13.8.2014, S. 5). Es gibt Berichte, denen zufolge militärdienstpflichtige Männer, die auf einen Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 20.11.2019, S. 11).
Nach Beendigung des obligatorischen Militärdienstes bleibt ein syrischer Mann gemäß Artikel 15 Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 17.10.2019, S. 38; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 26).
Die für die Militärdienstpflicht maßgebenden Altersgrenzen werden zur Überzeugung des Senats seitens der syrischen staatlichen Stellen jedenfalls im Allgemeinen beachtet. Dabei ist berücksichtigt, dass für die syrische Regierung die Rekrutierung von Militärdienstpflichtigen unter militärischen Gesichtspunkten eine hohe Bedeutung hat, um die bisherigen Verluste aufzufüllen und die Freiwilligen sowie Militärdienstpflichtigen zu entlasten, die für lange Zeit Kriegsdienst leisten mussten (vgl. Ministerie van Buitenlandse Zaken, Country of Origin Information Syria – The security situation, July 2019, S. 65).
Im „Fact Finding Mission Report 2017“ des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist insoweit mit Verweis auf die Befragung einer europäischen diplomatischen Quelle (Beirut, 18.5.2017) ausgeführt, die Altersgrenze sei „auf beiden Seiten“ (18 Jahre/42 Jahre) nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinn wehrfähigen Alter könne rekrutiert werden (vgl. S. 18 des Reports). Darüber hinaus gibt es allgemein gehaltene Hinweise auf Berichte von Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in die syrische Armee sowie darauf, in den ersten Jahren des Krieges seien die meisten Kinder, die von bewaffneten Gruppen rekrutiert worden seien, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren gewesen und seit dem Jahr 2014 zögen alle Gruppen immer jüngere Kinder ein (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017, unter Verweis auf Berichte von Aktivisten und auf United States Department of State, Country Reports on Human Rights Practices for 2016, 3.3.2017). Gegen eine solche allgemeine Missachtung der gesetzlichen Altersgrenzen sprechen aber zahlreiche Berichte, denen zu entnehmen ist, dass im Allgemeinen für die Rekrutierung nach wie vor das nach dem Gesetz bestimmte Alter von 18 Jahren bzw. 42 Jahren maßgebend ist.
So soll einzelnen Berichten zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst (42 Jahre) erhöht werden, wenn die betreffende Person bestimmte Qualifikationen habe, was etwa für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung gelte. Umgekehrt kann daraus jedoch abgeleitet werden, dass jenseits dieses Qualifikationsprofils kein Anhalt für eine Missachtung der für den Reservedienst geltenden Altersgrenze besteht. Nach anderen Berichten sollen Jungen im Teenageralter, die das Aussehen von 18-Jährigen hatten, an fest installierten Kontrollstellen festgenommen worden sein. UNHCR verweist auch auf die Schilderung der Mutter eines 14-jährigen Sohnes, der an jeder Kontrollstelle seines Weges zum Thema Einberufung befragt worden sei (vgl. UNHCR, Herkunftslandinformationen 2017, S. 24 Fn. 118 und S. 25, dort auch Fn. 120). Auch diese Quellen lassen erkennen, dass sich die Rekrutierung an dem vorgegeben Wehrdienstalter ausrichtet. Das wird zudem durch die aktuellen Feststellungen des Dänischen Einwanderungsdienstes bestätigt. Danach bekundeten alle von der Behörde befragten Quellen, die Kenntnis zum Alter der Einberufung hatten, sie hätten keine Informationen erhalten, die darauf hindeuteten, dass die Syrisch-Arabische Armee (SAA) Männer rekrutiert habe, die jünger als 18 Jahre alt gewesen seien. Die meisten der Quellen hatten darüber hinaus keine Informationen erhalten, dass die SAA Männer eingezogen hat, die älter als 42 Jahre waren (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 18).
Für eine zumindest grundsätzliche Beachtung des für den Militärdienst maßgebenden Alters durch die syrischen Sicherheitskräfte spricht im Übrigen auch, dass eine für Männer erforderliche Ausreisegenehmigung der Rekrutierungsbehörde an das Militärdienstalter anknüpft (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 2.2.2018).
b) Nach der Gesetzeslage ist in Syrien der einzige Sohn einer Familie von der Militärdienstpflicht ausgenommen. Präsident Assad erließ im August des Jahres 2014 die Gesetzesverordnung Nummer 33, welche einige Artikel der Verordnung Nummer 30 aus dem Jahr 2007 zum obligatorischen Militärdienst änderte. Die Regelung, dass der einzige Sohn einer Familie vom Militärdienst freigestellt werden kann, blieb dabei erhalten (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee vom 28.3.2015, S. 5 f.). Die Freistellung wird im Militärbuch vermerkt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“, S. 1; Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde von Kanada, Antworten auf Informationsanfragen SYR104921.E, 13.8.2014, S. 2 f.).
Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes sind Einzelkinder bzw. einzige Söhne auch tatsächlich vom Wehrdienst ausgenommen (Auswärtiges Amt an das VG Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808). Das entspricht den Erkenntnissen des Dänischen Einwanderungsdienstes, der (auch) dazu zahlreiche Gewährsleute befragt hat. Keine dieser Quellen hatte von Fällen einziger Söhne gehört oder solche erfasst, die eingezogen wurden (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 20).
c) Nach dem zuletzt in den Jahren 2014 und 2017 geänderten Erlass Nr. 30/2007 des syrischen Präsidenten können syrische Männer einschließlich registrierter Palästinenser aus Syrien eine Gebühr bezahlen, um vom Pflichtmilitärdienst befreit und nicht erneut einberufen zu werden. Art. 1a des Erlasses regelt, dass Männer im militärdienstpflichtigen Alter (18 bis 42 Jahre), die nicht weniger als vier Jahre außerhalb Syriens gewohnt haben, eine Summe von 8.000 $ zahlen können, um von der Militärdienstpflicht freigestellt zu werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Aufschub des Militärdienstes für Studenten, 11.6.2019, S. 8 f.).
Der Senat geht aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse davon aus, dass dieser Erlass in Syrien Anwendung findet. Delegierte des Dänischen Einwanderungsdienstes und des Dänischen Flüchtlingsrats haben zur Umsetzung dieses Erlasses verschiedene Quellen befragt. Ein in Damaskus ansässiger Rechtsanwalt, Mitarbeiter einer internationalen Organisation in Syrien, Bente Scheller von der Heinrich Böll Stiftung, Christopher Kozak vom Institute for the Study of War, Mitarbeiter von COAR Global sowie Rami Abdurrahman vom Syrian Observatory for Human Rights bekundeten, dass diese Ausnahmeregelung in der Praxis angewendet wird. Mehrere der Befragten hatten Kenntnis von Personen, die durch Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit wurden (u.a internationale Organisation in Syrien, Bente Scheller, Christopher Kozak, COAR Global und Rami Abdurrahman). Zwei der genannten Quellen erwähnten, dass keine der aufgrund der Zahlung befreiten Personen später einberufen wurde. Lediglich zwei Auskunftspersonen stellten die Wirksamkeit und Beständigkeit des Gesetzes zur Befreiung vom Militärdienst durch Zahlung einer Gebühr in Frage, wobei sie, ohne Bezugsfälle zu nennen, lediglich allgemein auf die Erfahrung mit früheren Erlassen, Gesetzen und Aussöhnungsvereinbarungen verwiesen (Sara Kayyali von Human Rights Watch und Mitarbeiter einer internationalen Sicherheitsorganisation).
Die aktuellen Ermittlungen des Dänischen Einwanderungsdienstes (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 25) bestätigen die Einschätzung des Senats, dass die gesetzlich bestimmte Möglichkeit, durch Zahlung einer Gebühr von der Militärdienstpflicht befreit zu werden, tatsächlich vollzogen wird. Dem entspricht auch ein Bericht der unabhängigen Nachrichtenquelle „Enab Baladi“ vom September 2019, wonach die Zahl der jungen syrischen Männer, die mit dem Syrischen Konsulat in Istanbul einen Termin zur Zahlung der Befreiungsgebühr vereinbaren, in der letzten Zeit dramatisch zugenommen hat (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 27).
d) Militärdienstpflichtigen ist es nicht oder nicht uneingeschränkt erlaubt, Syrien zu verlassen. So verbot das Verteidigungsministerium am 20. Oktober 2014 allen Männern die Ausreise, die zwischen dem Jahr 1985 und dem Jahr 1991 geboren sind. Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 42 Jahren müssen vor Ausreise aus Syrien eine Genehmigung der Generaldirektion für Rekrutierung oder einer ihr nachgeordneten Rekrutierungsbehörde einholen (Art. 48 Gesetzesdekret Nr. 30 aus dem Jahr 2007 i.d.F. des Gesetzes Nr. 3 vom Januar 2017). Eine Person, der eine Reisegenehmigung erteilt wird, muss eine Sicherheit von 50.000 syrische Pfund (derzeit etwa 87,00 Euro) hinterlegen und eine verantwortliche Person benennen, welche die Rückkehr des Ausreisewilligen garantiert. Ob eine Ausreisegenehmigung ausgegeben wird, hängt erheblich von den individuellen Umständen ab, wobei Männer, die ihren Militärdienst bereits geleistet haben, eine solche Genehmigung einfacher erhalten (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 4; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion vom 23. März 2017 S. 13 f.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Fact Finding Mission Report Syrien vom August 2017, S. 24).
Das Auswärtige Amt berichtet ohne Beleg davon, Männern im wehrpflichtigen Alter werde der Reisepass vorenthalten und Ausnahmen würden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros gewährt, welche bescheinige, dass der Wehrdienst geleistet worden sei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 20.11.2019, S. 11 f.).
e) In Syrien gibt es keine Möglichkeit, anstelle des Militärdienstes einen (zivilen) Ersatzdienst zu leisten. Ebenso wenig kann der Militärdienst legal verweigert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 20.11.2019, S. 11; UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 23). Jeder Militärdienstpflichtige, der in Friedenszeiten der Einberufung nicht innerhalb eines Monats gefolgt und geflüchtet ist, bevor er sich seiner Einheit angeschlossen hat, wird nach dem syrischen Militärstrafgesetzbuch mit einer Freiheitsstrafe von einem Monat bis sechs Monaten bestraft (Art. 98 Abs. 1 Gesetzesdekret Nr. 61 vom 27.2.1950, im Jahr 1973 geänderte Fassung – Gesetzesdekret Nr. 61). Einem Militärdienstpflichtigen, der in Kriegszeiten der Einberufung nicht gefolgt ist, droht nach Art. 99 des Gesetzesdekrets Nr. 61 je nachdem, ob und wann er freiwillig zurückgekehrt ist oder verhaftet wurde, eine Freiheitsstrafe von einem Monat bis zu fünf Jahren (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen 2017, S. 23; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2.1.2017, 508-9-516.80/48808; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017, S. 8 f.).
Es ist davon auszugehen, dass (allein) die Entziehung vom Militärdienst in der Regel nicht zu einem Wehrstrafprozess führt. Vielmehr werden Militärdienstentzieher nach weitgehend übereinstimmender Quellenlage im Allgemeinen unverzüglich eingezogen und nach einer unter Umständen nur kurzen Ausbildung militärisch verwendet (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 31; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 9 und zum Ganzen auch OVG Nds, U.v. 16.1.2020 – 2 LB 731/19 – Juris Rn. 42).
2.3.2 Der syrische Staat reagierte auf die militärische Bedrohung seiner Macht und die zu seinen Gunsten veränderte militärische Lage bezogen auf die Militärdienstpflicht syrischer Männer im Wesentlichen wie folgt:
„Die syrische Armee hatte seit dem Beginn des Konflikts durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen erhebliche Verluste zu erleiden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 25.1.2018, S. 45). Seit Herbst 2014 ergriff der syrische Staat verschiedene Maßnahmen, um die dezimierte syrische Armee zu stärken. Es kam zu einer großflächigen Mobilisierung von Reservisten, Verhaftungswellen von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Militärdienst entzogen hatten. Die syrische Armee und regierungstreue Milizen errichteten Kontrollstellen und intensivierten Razzien im öffentlichen sowie privaten Bereich. Bereits in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights über 5.400 Verhaftungen von militärdienstpflichtigen jungen Männern. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen wurden, erhielten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und wurden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.3.2015, S. 3 f.).“
Mittlerweile ist es dem syrischen Staat nach der im Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Erkenntnislage mit der militärischen Unterstützung der Russischen Föderation und der Islamischen Republik Iran gelungen, die Kontrolle über große Teile des Landes zurückzuerlangen. Die Kampfhandlungen beschränken sich auf die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez Zours (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 17.10.2019, S. 13). Die syrische Regierung hat dementsprechend hinsichtlich des Militärdienstes verschiedene einer Normalisierung dienende Maßnahmen ergriffen.
So wurde am 9. Oktober 2018 das Präsidialdekret Nr. 18/2018 veröffentlicht. Danach sollen alle syrischen Männern, die desertiert sind oder sich dem Militärdienst entzogen haben, einer Amnestie unterfallen, wenn sie sich innerhalb einer Frist von vier Monaten (bei einem Wohnsitz in Syrien) oder von sechs Monaten (bei einem Wohnsitz außerhalb Syriens) zum Militärdienst melden. Der Erlass beseitigt allerdings nicht die Pflicht, den obligatorischen Militärdienst zu leisten. Kriminelle und Personen, die auf der Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben, sind von der Amnestie ausgenommen. Diese Amnestie ist mittlerweile ausgelaufen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, 17.10.2019, S. 45).
Zur Umsetzung des Präsidialdekrets Nr. 18/2018 hat das Verteidigungsministerium am 28. Oktober 2018 ein Rundschreiben an das Innenministerium sowie an die Militärpolizei geleitet, wonach die Festnahme militärdienstflüchtiger Reservisten untersagt ist und für den aktiven Dienst vorgesehenen Reservisten nicht mehr eingezogen werden sollen (Ministerie van Buitenlandse Zaken, Country of Origin Information Report Syria – The security situation, July 2019, S. 67 f).
Im Dezember 2018 wurden die Reservisten aus der SAA entlassen, die mehr als fünf Jahre Dienst geleistet hatten. Zusätzlich musterte die syrische Regierung im Januar 2019 Reservisten aus und befreite Militärdienstentzieher von der Dienstpflicht, die vor dem Jahr 1977 geboren wurden. Gemäß der amtlichen Nachrichtenagentur der syrischen Regierung wurden zum 15. Februar 2019 alle Militärdienstentzieher und Reservisten aus der Dienstpflicht entlassen, die vor dem Jahr 1981 geboren wurden (vgl. The Danish Immigration Service, Syria: Issues Regarding Military Service, Oktober 2019, S. 11 f.).
Am 15. September 2019 erging das Präsidialdekret Nr. 20/2019, das unter anderem die Amnestie für Desertion und Militärdienstentziehung vom 9. Oktober 2018 erneuerte, wobei aber wiederum bestimmte gegen den Staat gerichtete Straftaten ausgenommen blieben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 20.11.2019, S. 12; The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, May 2020, S. 35).
Nunmehr gewährt das Präsidialdekret Nr. 6/2020 vom 22. März 2020 Militärdienstentziehern und Deserteuren eine Amnestie, die sich innerhalb einer Frist von drei Monaten (Wohnsitz in Syrien) oder sechs Monaten (Auslandswohnsitz) den syrischen Behörden stellen (vgl. Auswärtiges Amt, Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, 19.5.2020, S. 5; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7.5.2020, S. 12 Fn. 44). Die Pflicht den Militärdienst abzuleisten bleibt wie schon bei den vorangegangenen Amnestien bestehen, ebenso umfasst die Amnestie nicht bestimmte gegen den Staat gerichtete Straftaten.
Es liegen nach wie vor keine konkreten Hinweise dafür vor, dass die syrischen staatlichen Stellen die genannten Amnestie-Erlasse regelhaft nicht beachtet haben oder nicht beachten werden.
Der Dänische Einwanderungsdienst hat zur Umsetzung der Amnestien im ersten Quartal des Jahres 2020 verschiedene Auskunftspersonen befragt. Elizabeth Tsurkov (Fellow am Foreign Policy Research Institute) bekundete, dass Männer, die sich auf die Amnestie beriefen, nicht bestraft, aber eingezogen würden. Alle syrischen Männer, die entweder durch Vermittlung der Hisbollah oder auf andere organisierte Weise aus dem Libanon zurückgekehrt seien, hätten die Amnestie beansprucht. Sie seien bei der Rückkehr nicht bestraft, jedoch zum Militärdienst eingezogen worden (Interview am 6.2.2020). Suhail Al-Ghazi (unabhängiger Forscher) informierte wie folgt: Einige Flüchtlinge hätten von den vom Präsidenten erlassenen Amnestien Gebrauch gemacht. Sie seien angewiesen worden, sich innerhalb von drei Monaten nach Erlass der Amnestie an ein örtliches Wehrpflicht-Direktorat zu wenden, damit sie ohne eine Strafe eingezogen werden konnten. Diese Männer hätten sechs Monate lang an militärischen Ausbildungskursen teilgenommen und seien später wie normale Wehrpflichtige auf andere Militärstützpunkte und -einrichtungen verlegt worden (Interview am 19.2.2020). Dem Mitarbeiter einer in Syrien tätigen humanitären Organisation zufolge hätten sich viele Militärdienstentzieher selbst gestellt, weil sie erkannt hätten, dass sie den Militärdienst nicht dadurch vermeiden können, indem sie sich vor den Behörden verstecken. Sie seien sogleich zum Militärdienst geschickt worden, ohne, wie in der Amnestie versprochen, bestraft zu werden (Interview am 21.2.2020). Navar Shaban (Militärexperte am Omran Center for Strategic Studies) bekundete allgemein, dass die syrische Regierung die Amnestien beachtet habe (Interview am 18.2.2020). Darin fügt sich ein, dass Gregory Waters (geschäftsführender Herausgeber bei International Review) keine Information dazu hatte, dass die syrische Regierung die neueste Amnestie vom September 2019 nicht beachtet (Interview am 30.1.2020). Sara Kayyali (Human Rights Watch) verwies zwar unter Berufung auf Gespräche mit zurückkehrenden Syrern darauf, dass keine der seit dem Jahr 2016 veröffentlichten Amnestien beachtet worden seien. Allerdings gab sie letztlich einschränkend an, ihr sei bekannt, dass bei der Rückkehr nach Syrien (nur) einige der Syrer, die von der Amnestie Gebrauch gemacht haben, verhaftet worden seien (Interview am 5.2.2020). Ohne Konkretes anzuführen, sprach die syrische Journalistin Asaad Hanna davon, dass sie von Deserteuren aus der Provinz Latakia gehört habe, welche die Amnestie genutzt hätten, aber dennoch für einige Monate inhaftiert gewesen seien (Interview am 18.2.2020 – vgl. zum Ganzen The Danish Immigration Service, Syria: Military Service, Mai 2020, S. 46 ff.).
Für eine Mäßigung im Umgang mit Militärdienstentziehern spricht auch die Auskunft eines in Damaskus ansässigen Rechtsanwalts gegenüber dem Dänischen Einwanderungsdienst. Er wies darauf hin, dass seit dem Oktober 2018 etliche Syrer, die wegen des Militärdienstes in den Libanon geflohen seien, nach Syrien zurückgekehrt seien. Es sei auch für Militärdienstentzieher und Deserteure, die Syrien illegal verlassen haben, mindestens vier Jahre im Ausland geblieben sind und aufgrund des Erlasses Nr. 18/2018 einen Straferlass erhalten haben, möglich durch Zahlung der Freistellungsgebühr von 8.000 $ vom Militärdienst befreit zu werden. Ebenso bekundete Rami Abdurrahman, Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, ihm seien persönlich mehrere Syrer bekannt, die nach einer Begnadigung gemäß des Erlasses 18/2018 aufgrund der Freistellungsgebühr vom Militärdienst befreit worden seien (vgl. Danish Refugee Council/The Danish Immigration Service, Syria – Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, Februar 2019, S. 30 f.).
Die Quellenlage zur Umsetzung vorangegangener Amnestien, die (auch) zugunsten von Militärdienstentziehern erlassen wurden, rechtfertigt angesichts der lediglich allgemeinen Feststellungen nicht die Schlussfolgerung, dass die seit Oktober 2018 ergangenen Amnestieerlasse für die syrischen staatlichen Stellen bedeutungslos sind.
So führt der UNHCR Folgendes aus: „Seit 2011 hat der syrische Präsident al-Assad für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstentzieher und Deserteure eine Serie von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. Am 17. Februar 2016 veröffentlichte der Präsident das Gesetzesdekret Nr. 8, mit dem Deserteure innerhalb und außerhalb von Syrien sowie Wehrdienstentzieher und Reservisten eine Amnestie erhalten. Weder über die Umsetzung dieser Dekrete noch darüber, wie viele Wehrdienstentzieher seit 2011 in den Genuss dieser Amnestien kamen, liegen Informationen und genaue Zahlen vor. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert. Ihrer Ansicht nach profitierten nicht die vorgeblich angesprochenen Personengruppen von ihnen“ (vgl. UNHCR, Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien vom April 2017, S. 27 f.).
Zwar verweist der UNHCR nunmehr darauf, das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte habe Berichte von Rückkehrern erhalten, die verhaftet worden seien, nachdem sie im Hinblick auf das Amnestiedekret vom September 2019 nach Syrien zurückgekehrt sein (vgl. UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application Of UNHCR´s Country Guidance on Syria, 7. Mai 2020, S. 12). Allerdings ist das auch unter Berücksichtigung der übrigen Erkenntnisse wiederum zu allgemein gehalten, um die Bewertung zu rechtfertigen, die seit September 2018 ergangenen Amnestiedekrete würden regelhaft nicht umgesetzt.
Die Schweizer Flüchtlingshilfe befasst sich in ihrer Auskunft „Syrien: Umsetzung der Amnestien“ vom 14. April 2014 im Wesentlichen mit der Generalamnestie vom 9. Juni 2014 (Erlass Nr. 22/2014), die erstmals ausdrücklich auch Personen berücksichtigte, die unter dem Anti-Terrorismusgesetz des Jahres 2012 angeklagt oder verurteilt worden sind. Konkrete Erkenntnisse zur Anwendung dieser Amnestie auf Militärdienstpflichtige oder Deserteure lassen sich dieser Auskunft nicht entnehmen.
2.3.3 Bei einer zusammenfassenden Bewertung dieser Erkenntnislage fehlt es zur Überzeugung des Senats an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Militärdienstpflichtige, Reservisten) allein deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung Verfolgungshandlungen syrischer Sicherheitskräfte zu befürchten haben, weil sie sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben (vgl. auch VGH BW, U.v. 27.3.2019 – A 4 S 335.19; U.v. 23.10.2018 – A 3 S 791.18; OVG Berlin-Bbg, U.v. 12.2.2019 – OVG 3 B 27.17; OVG Hamburg, U.v. 11.1.2018 – 1 Bf 81/17.A; NdsOVG, B.v. 16.7.2020 – 2 LB 39.20; OVG NRW, U.v. 13.3.2020 – 14 A 2778/18.A; OVG RhPf, U.v. 24.1.2018 – 1 A 10714/17.OVG; OVG Saarl, U.v. 26.4.2018 – 1 A 543.17; SächsOVG, U.v. 21.8.2019 – 5 A 644/18.A; OVG SH, U.v. 7.3.2019 – 2 LB 29.18 und U.v. 10.7.2019 – 5 LB 23/19; a.A. HessVGH, U.v. 26.7.2018 – 3 A 809/18.A; ThürOVG, U.v. 15.6.2018 – 3 KO 155.18; OVG MV, U.v. 21.3.2018 – 2 L 238.13 – alle juris).“
b. Das Gericht geht in Anbetracht dieser Verhältnisse davon aus, dass die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen den jeweiligen Betroffenen – und damit auch den Kläger – nicht wegen eines asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, B. v. 24.04.2017 Az. 1 B 22.17). Es fehlt damit an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen der Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG.
Die an eine Militärdienstentziehung geknüpften Sanktionen stellen nämlich nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (vgl. BVerwG, B. v. 24.04.2017 a.a.O.). Diese Verknüpfung fordert auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19.11.2020 (Az. C-238/19). Er geht davon aus, dass die zuständigen nationalen Behörden unter gerichtlicher Kontrolle in Anbetracht sämtlicher von der um internationalen Schutz nachsuchenden Person vorgetragener Anhaltspunkte die Plausibilität der Verknüpfung zwischen zumindest einem der in Art. 2 Buchstabe d der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 genannten Gründe (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und der Strafverfolgung oder Bestrafung zu prüfen haben, mit der der Betroffene im Fall der Verweigerung des Militärdienstes zu rechnen hat (vgl. Rdnr. 56). Daher folgt aus diesem Urteil auch nicht, dass unterschiedslos jedem Syrer im wehrpflichtigen Alter „automatisch“ die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.05.2021 a.a.O.; B. v. 22.12.2020 Az. A 4 S 4001/20). Es bedarf vielmehr einer individuellen Prüfung der Plausibilität der Verknüpfung in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.05.2021 a.a.O.).
aa. Eine dem Kläger bei einer Rückkehr drohende – und von ihm im Wesentlichen befürchtete – Einziehung zum Wehr- bzw. Militärdienst stellt keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG dar (s.o.).
bb. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung wegen der politischen Überzeugung im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG auszugehen.
Die vorliegenden Erkenntnismittel zu Syrien rechtfertigen gerade nicht mehr die Bewertung, dass das syrische Regime um sein Überleben kämpft und zurückkehrende Syrer allein deshalb flüchtlingsrelevant in ihren Menschenrechten verletzt, weil es ihnen im Hinblick auf den Militärdienstentzug oder die Desertion eine regimefeindliche politische Gesinnung unterstellt. Nach den aktuellen Erkenntnissen hat sich das syrische Herrschaftssystem stabilisiert. Der syrischen Regierung ist es gelungen, die Kontrolle über große Teile des Landes zurückzuerlangen. Die Kampfhandlungen haben insgesamt deutlich abgenommen. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt nunmehr in Gebieten, die unter der Kontrolle des syrischen Staates sind (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13.11.2018, S. 5). Die syrische Regierung hat daher bereits verschiedene, einer Normalisierung dienende Maßnahmen in Bezug auf den Militärdienst ergriffen. Insbesondere ist der militärische Konflikt in Syrien so weit eingedämmt, dass die Regierung die Demobilisierung eingeleitet hat. Ein Erlass des syrischen Präsidenten gewährt syrischen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben oder desertiert sind, eine Amnestie. Konkrete Hinweise, dass die syrischen staatlichen Stellen den Amnestie-Erlass bei einer für den syrischen Staat weiterhin günstigen militärischen Lage nicht beachten werden, liegen nicht vor (vgl. BayVGH, U. v. 21.09.2020 a.a.O; U. v. 11.07.2019 Az. 21 B 19.30207; U. v. 12.04.2019 a.a.O.). So soll Männern, die nach Syrien zurückkehren und wegen der Ableistung des Wehrdienstes gesucht werden, 15 Tage Zeit gegeben werden, ihre Angelegenheiten zu regeln. Anschließend sollen sie sich in einem Rekrutierungsbüro zum Einsatz melden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O. m.w.N.). Die Einziehung zum Wehrdienst selbst stellt aber keine Verfolgung dar (s.o.).
Auch der unterschiedliche Umgang des syrischen Regimes mit Oppositionellen einerseits und Wehrdienstentziehern sowie Deserteuren andererseits zeigt, dass das syrische Regime Rückkehrern im militärdienstpflichtigen Alter nicht generell eine regimefeindliche politische Überzeugung unterstellt. So drohen Oppositionellen willkürliche Verhaftung, Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren, Verschwindenlassen, tätliche Angriffe, Folter und Tötung im Gewahrsam der Sicherheitskräfte sowie Mordanschläge (vgl. z.B. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 04.12.2020, S. 13). Demgegenüber werden die meisten Wehrdienstentzieher ohne ernstliche weitere Konsequenzen den Streitkräften zugeführt (vgl. z.B. The Danish Immigration Service, Syria, Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding, Return to Syria, Februar 2019, S. 15). Das gilt auch für Rückkehrer (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20.11.2019, S. 25). Auch kann insoweit auf den oben bereits angesprochenen Amnestieerlass Bezug genommen werden, der gerade Personen mit oppositioneller Haltung nicht zu Gute kommt. Dieser Amnestieerlass belegt das erhebliche Interesse des Regimes, seine Armee durch die Rekrutierung von geflohenen Staatsangehörigen zu verstärken und zeigt gerade den unterschiedlichen Umgang des syrischen Regimes mit Wehrdienstentziehern einerseits und Oppositionellen andererseits (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O.; OVG Lüneburg, B. v. 31.08.2020 Az. 2 LB 674/18).
Gleiches gilt für Deserteure (vgl. BayVGH, U. v. 09.09.2019 Az. 20 B 19.32017). Die dem Gericht zugänglichen neueren Quellen stellen diese mit Wehrdienstentziehern im Allgemeinen gleich (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 20.11.2019, S. 25; UNHCR, Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR’s Country Guidance on Syria vom 07.05.2020, S. 3) und lassen daher den Schluss auf eine politisch motivierte Verfolgung nicht zu. Der UN-Menschenrechtsrat beschreibt lediglich noch ein erhöhtes Risiko für eine willkürliche Verhaftung (United Nations Human Rights Council, Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic vom 31.01.2019, S. 15), aber keine systematische Praxis einer über die üblichen Folgen der Wehrdienstentziehung hinausgehenden Verfolgung.
Ferner entspricht ein politisches Motiv als tatsächlicher Ausreisegrund offenkundig nicht der Realität. Bei Männern im militärdienstpflichtigen Alter wird das Ziel, sich dem Militärdienst zu entziehen, als Hauptgrund zum Verlassen des Landes angesehen, was sich auch mit dem Eindruck deckt, den das erkennende Gericht in seiner langjährigen Entscheidungspraxis gewonnen hat. Da sich weit über eineinhalb Millionen Männer im wehrfähigen Alter dem Militärdienst entzogen haben (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 31.08.2020 a.a.O.), ist nicht anzunehmen, dass das syrische Regime jedem Einzelnen von ihnen eine politisch oppositionelle Haltung unterstellt (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 09.08.2017 Az. A 11 S 710/17; VG Berlin, B. v. 08.12.2020 Az. 13 K 146.17 A; VG Düsseldorf, U. v. 01.12.2020 a.a.O.). Die Lage in Syrien ist gefährlich, insbesondere für Militärdienstpflichtige. Das Leben in Syrien ist schlecht und Perspektiven – insbesondere für junge Menschen – sind kaum vorhanden. Diese tatsächliche Situation ist bereits ein ausreichender Grund für das Verlassen des Landes. Gerade weil das Regime insbesondere in militärischer und politischer Hinsicht rational und interessengeleitet handelt und weil diese Sachlage so offensichtlich ist, hält es das Gericht nicht für wahrscheinlich, dass der syrische Staat diese verkennt und dennoch jeden Rückkehrer politisch verfolgt (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O.; OVG Lüneburg, B. v. 31.08.2020 a.a.O.).
An dieser rechtlichen Beurteilung ändert auch das Urteil des EuGH vom 19.11.2020 (a.a.O.) nichts. Auch danach haben die Gerichte zu prüfen, ob objektive und subjektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, wegen politischer Überzeugung oder Anschauung verfolgt zu werden. Wie sich dabei der Auslegungsregel des § 3b Abs. 2 AsylG entnehmen lässt, kommt es alleine darauf an, ob die angeführten Verfolgungsgründe der antragstellenden Person durch die verfolgenden Akteure zugeschrieben werden. Es ist somit unerheblich, ob der Ausländer die Merkmale, die ihm zugeschrieben werden, tatsächlich aufweist (vgl. BeckOK AuslR/Kluth, AsylG § 3b Rdnr. 7). Es ist insoweit für die Frage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen der Verweigerung des Militärdienstes unerheblich, aus welchen subjektiven Gründen der Militärdienstpflichtige den Militärdienst verweigert. Entscheidend ist vielmehr, dass die Verweigerung des Militärdienstes von dem potentiellen Verfolger – hier dem syrischen Staat – nach der Auffassung des erkennenden Gerichts unter Heranziehung der aktuellen Erkenntnismittel (vgl. insoweit die obigen Ausführungen) nicht als politisch regimefeindliche Gesinnung aufgefasst wird. Auf die tatsächlichen persönlichen Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes und die dahinterstehende persönliche Haltung bzw. Überzeugung des Klägers kommt es nicht an (vgl. BayVGH, B. v. 27.07.2021 a.a.O.).
Überdies hat der Kläger hier diese Verknüpfung auch nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen können. Zwar spricht nach dem EuGH in einer Bürgerkriegssituation – wie in Syrien – eine starke Vermutung dafür, dass die Verweigerung des Militärdienstes unter den in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der RL 2011/95/EU näher erläuterten Voraussetzungen mit einem der fünf in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründe in Zusammenhang steht. Die Verknüpfung ist jedoch unter sämtlicher von der um internationalen Schutz nachsuchenden Person vorgetragener Anhaltspunkte zu beurteilen. Soweit er angibt, seinen Militärdienst nicht leisten zu wollen, weil er im Krieg weder töten, noch getötet werden möchte, ist dies eine Selbstverständlichkeit, die auf die meisten Menschen zutrifft (so auch im Ergebnis VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.05.2021 a.a.O.). Eine Verknüpfung zwischen der – potentiellen – Verfolgungshandlung und einem der Verfolgungsgründe ist damit nicht erkennbar.
Weitere relevante gefahrerhöhende Merkmale des Klägers sind hier weder nachvollziehbar vorgebracht noch für das Gericht erkennbar. Er hat niemals militärisch gegen das syrische Regime agiert. Eine relevante politische Tätigkeit in Syrien lässt sich seinen Angaben nicht entnehmen. Weitere Faktoren aus denen der Kläger den Regierungskräften als (besonders) verdächtig erscheinen müsste, wurden hier ebenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt. So hatte der Kläger keine Probleme mit staatlichen Stellen, hat niemals an Demonstrationen teilgenommen oder sich anderweitig oppositionell engagiert. Auch die Echtheit des vorgelegten Haftbefehls kann unterstellt werden. An der Entscheidung ändert sich insoweit dennoch nichts. Diesem lässt sich allenfalls entnehmen, dass der Kläger vorgeführt werden soll, „um seine Wehrdienstpflicht schnellst fortzuführen.“ Dem Dokument – und auch dem Vorbringen des Klägers – lässt sich aber nicht entnehmen, dass ihm darüberhinausgehende Maßnahmen oder Bestrafungen drohen werden. Auch im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt schilderte der Kläger lediglich, dass er bei einer Rückkehr befürchtet seinen Militärdienst leisten zu müssen. Die Einberufung zum Wehrdienst stellt aber keine Verfolgung dar (s.o.). Im Übrigen wird nochmals auf die Präsidialdekrete Nr. 18/2018, Nr. 20/2019 und Nr. 6/2020 und die damit zusammenhängenden Amnestien hingewiesen, die ausdrücklich zwischen bloßen Militärdienstentziehern, denen Straffreiheit zukommen soll, und jenen unterscheiden, die mit der bewaffneten Opposition gekämpft haben (vgl. insoweit BayVGH, U. v. 21.09.2020 a.a.O.).
Die kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers wirkt sich ebenfalls nicht in einem relevanten Ausmaß gefahrerhöhend aus. Den vorliegenden Erkenntnismitteln lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass politisch nicht hervorgehoben aktive kurdische Volkszugehörige bei einer Rückkehr nach Syrien seitens des syrischen Regimes eine von der allgemeinen Gefährdungslage für alle Rückkehrer abweichende strengere Behandlung droht. Soweit der UNHCR in seinen Ausführungen zum Schutzbedarf geflohener Syrer vom November 2017 auf Seite 34 verschiedene Risikoprofile aufführt, sind Kurden nicht erwähnt. Auch in den Ausführungen zu den Mitgliedern religiöser und ethnischer Minderheiten (S. 54 f.) finden sich zwar Erwägungen zu Drusen, Alawiten, Christen etc. aber nicht zu Kurden. Soweit der UNHCR zu der Einschätzung gelangt, dass einzelne religiös-fundamentalistische Rebellengruppen in ihren Herrschaftsgebieten Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten verfolgen (vgl. S. 58 f.), ist dies hier ohne rechtliche Relevanz, da eine hypothetische Rückführung nur in vom syrischen Staat beherrschte Gebiete erfolgen könnte.
cc. Verfolgung droht einem Wehrdienstentzieher oder Deserteur auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
Dies gilt deshalb, weil Wehrpflichtige keine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG sind. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn deren Mitglieder angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Beide Anforderungen müssen kumulativ vorliegen. Eine bestimmte soziale Gruppe wird nicht allein dadurch begründet, dass eine Mehr- oder Vielzahl von Personen in vergleichbarer Weise von etwa als Verfolgungshandlung zu qualifizierenden Maßnahmen betroffen wird. Nach seinem Wortlaut greift auch § 3b Abs. 2 AsylG erst bei der zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einem der im jeweiligen Absatz 1 genannten Verfolgungsgründe, nicht für die Konstitution der „sozialen Gruppe“ selbst (vgl. BVerwG, B. v. 17.09.2018 Az. 1 B 45.18).
Es fehlt bereits an einer gemeinsamen „Glaubensüberzeugung“, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AsylG. Eine Wehrdienstverweigerung kann zwar aus einer politisch-ethischen Überzeugung resultieren, deren Aufgabe von dem Betroffenen nicht verlangt werden kann, vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Die Gruppe der syrischen Wehrdienstverweigerer ist nach ihrer Motivationslage aber so uneinheitlich, dass von einer gemeinsamen Überzeugung nicht gesprochen werden kann. So wollen manche Wehrpflichtige nicht getötet werden und andere Personen nicht töten. Daneben treten auch häufig Ängste um die Familie oder Befürchtungen dieser, dass ein Wehrpflichtiger zu Schaden kommen könnte. Es kommt auch vor, dass der Wunsch eine Berufsausbildung abzuschließen oder zu beginnen bzw. in das Berufsleben einzusteigen, zu einer Verweigerung des Wehrdienstes führt. Schließlich kann der Wehrdienstentzug auch auf mehrere Gründe zurückzuführen sein.
Die Gruppe der Wehrdienstentzieher hat auch keine deutlich abgegrenzte Identität in dem Sinne, dass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Wehrdienstentzieher werden nicht als fest umrissene und schon gar nicht als homogene Gruppe wahrgenommen (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.03.2019 Az. 2 LB 284/19). Schließlich folgt die Andersartigkeit auch nicht daraus, dass Wehrdienstentziehung nach syrischem Recht strafbar ist. Die Strafbarkeit der Wehrdienstentziehung knüpft nämlich nicht unmittelbar an die Verwirklichung eines gemeinsamen unveräußerlichen Merkmals bzw. einer gemeinsamen Überzeugung an, sondern lediglich daran, dass der Betreffende dem Wehrdienst ferngeblieben ist (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 11.03.2019 a.a.O.).
dd. Eine Verfolgung aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität oder eines anderweitigen verfolgungsrelevanten Grundes ist ebenfalls weder glaubhaft gemacht noch anderweitig ersichtlich.
c. Einem Wehrdienstentzieher oder Deserteur droht im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch keine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG.
Danach kann als Verfolgung die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG ist eine Person von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausgeschlossen, wenn sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat (Nr. 1), vor ihrer Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat (Nr. 2), oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (Nr. 3).
Zwar steht die Entziehung vom Militärdienst in Syrien grundsätzlich unter Strafandrohung. So wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und mit bis zu fünf Jahren Haft in Kriegszeiten bestraft, wer sich dem Wehrdienst entzieht. Wer das Land verlässt, ohne eine Adresse zu hinterlassen und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Desertion wird mit fünf Jahren Haft bestraft und wenn der Deserteur das Land verlässt, mit fünf bis zehn Jahren. Ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, wird mit lebenslanger Haft bestraft. Exekution ist gesetzlich bei Überlaufen zum Feind und bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Auskunft vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf). Alleine in diesen Strafvorschriften liegt jedoch keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da es jedem Staat obliegt, seine Selbstverteidigung zu organisieren und in Ausübung dieser Wehrhoheit seinen Bürgern einen Militärdienst aufzuerlegen und die Erfüllung dieser Pflicht strafbewehrt durchzusetzen und zu verfolgen (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 01.12.2020 a.a.O. m.w.N.).
Auch ist im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht davon auszugehen, dass einem wehrpflichtigen Rückkehrer überhaupt eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung droht. Wie sich den obigen Ausführungen entnehmen lässt, fehlt es nämlich vor dem Hintergrund der zu Gunsten des syrischen Regimes geänderten Lage nach der Überzeugung des Gerichts nunmehr an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass Rückkehrer im militärdienstpflichtigen Alter (Militärdienstpflichtige, Reservisten), die sich durch Flucht ins Ausland dem Militärdienst entzogen haben, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an eine (unterstellte) oppositionelle bzw. regimefeindliche Gesinnung Verfolgungshandlungen in der Form einer Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zu befürchten haben. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass diesen in der Regel nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes – sondern allenfalls eine unmittelbare Einziehung – droht (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O.). Damit liegen die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht vor, der verlangt, dass eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (vgl. auch BayVGH, U. v. 21.09.2020 a.a.O. unter Berücksichtigung der Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 28.05.2020 im Vorlageverfahren Az. C-238/19). Die Einziehung zum Militärdienst selbst stellt jedoch noch keine Strafverfolgung oder Bestrafung im Sinne des § 3a AsylG dar (s.o.).
Außerdem ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr Kriegsverbrechen im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG begehen oder sich bei der Ausübung anderer Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Verbrechen beteiligen müsste (vgl. hierzu EuGH, U. v. 26.02.2015 Az. C-472/13).
Zwar hält der EuGH in seinem Urteil vom 19.11.2020 (a.a.O.) die Begehung von Kriegsverbrechen durch die syrische Armee für beachtlich wahrscheinlich. Jedoch stellt er hierbei auf die tatsächliche Situation zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag des betroffenen Asylbewerbers ab (vgl. Rdnr. 37). Dies ist der April 2017. Wie sich den Erkenntnisquellen zu Syrien jedoch entnehmen lässt, ist es im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht (mehr) für jeden Militärangehörigen der mindestens 100.000 Mann starken Truppen plausibel, solche Kriegsverbrechen zu begehen (zu den Zahlen vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Syrien, Gesamtaktualisierung vom 25.01.2018, S. 29). Viele Militärangehörige nehmen ausschließlich Aufgaben wie beispielsweise die Besetzung von Checkpoints oder Kampfeinsätze ohne den Einsatz verbotener Waffen und ohne Angriffe auf die Zivilbevölkerung wahr. Diese sind gerade nicht mit der Begehung von Kriegsverbrechen verbunden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich die Lage in Syrien nach den vorliegenden Erkenntnismitteln in weiten Teilen des Landes zu Gunsten des syrischen Regimes verändert hat (s.o.). Mit der Stabilisierung des Regimes und der Rückeroberung vieler Landesteile durch die syrische Armee und ihrer Verbündeten hat die Intensität der militärischen Auseinandersetzung und damit die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen abgenommen. So sind insbesondere kaum noch Städte vorhanden, die unter der Kontrolle der Opposition stehen. Gerade diese Städte waren aber besonders von Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung betroffen (vgl. auch OVG Lüneburg, B. v. 31.08.2020 a.a.O.). Im Übrigen geben die vorhandenen Erkenntnismittel nichts für eine wiederholte und systematische Begehung von Kriegsverbrechen unter Einsatz von Wehrpflichtigen her (vgl. hierzu VG Berlin, B. v. 08.12.2020 a.a.O.). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit eines mit Kriegsverbrechen verbundenen (Front-)Einsatzes des Klägers lässt sich nicht feststellen, zumal von einem erkennbaren System der Bestrafung von Wehrdienstentziehern durch „Frontbewährung“ nicht auszugehen ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.03.2021 a.a.O.). Es liegen auch keine neuen Erkenntnismittel vor, die dafür sprechen, dass nunmehr ausnahmslos jeder militärdienstflüchtige Mann bei einer Rückkehr nach Syrien als „Oppositioneller“ mit regimekritischer Meinung oder Grundhaltung verfolgt wird (so VGH Baden-Württemberg, B. v. 22.12.2020 a.a.O. unter Verweis auf BayVGH, U. v. 21.09.2020 a.a.O.).
3. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht im Hinblick auf den Bericht „You´re Going To Your Death“ von Amnesty International vom September 2021 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung.
Zwar werden in diesem 66 Fälle dokumentiert, in denen nach Syrien zurückkehrende Flüchtlinge schwere Menschenrechtsverletzungen erlitten haben sollen (Seite 9 des Berichts). Nach den Angaben der UN sollen jedoch zwischen 2016 und Mitte 2021 280.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt sein, wobei die Zahl unter Berücksichtigung der Rückkehrer über informelle Routen noch höher sein dürfte (Seite 6 des Berichts). Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass Rückkehrern von Seiten des syrischen Regimes eine oppositionelle Haltung unterstellt wird, bewegt sich damit die Zahl der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen in einem Promillebereich, sodass von der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG nicht ausgegangen werden kann. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger besondere, individuell gefahrerhöhende Merkmale aufweist, die ihn aus der Masse – potentieller – Rückkehrer heraushebt. Schließlich ist der Aufforderung von Amnesty International, Menschen aus Syrien internationalen Schutz zu gewähren und keine Abschiebungen nach Syrien durchzuführen, im Fall des Klägers genügt. Diesem wurde nämlich mit dem streitgegenständlichen Bescheid der subsidiäre Schutzstatus und damit internationaler Schutz zuerkannt, vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung kann von einer Abschiebung nach Syrien daher nicht die Rede sein.
4. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Syrien auch keine Verfolgung durch die YPG/PKK.
Eine Verfolgung scheidet deshalb aus, weil die YPG/PKK allenfalls in einem kleinen Teil Syriens im Norden Herrschaftsgewalt ausübt und der Kläger damit eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG hätte. Im Übrigen würde eine Abschiebung allenfalls nach dem Flughafen in Damaskus erfolgen. Damaskus steht jedoch unter Kontrolle der syrischen Regierung und nicht der YPG/PKK oder anderen Kräften.
Im Übrigen dürfte sämtlichen nichtstaatlichen Akteuren zudem (gleichermaßen wie dem syrischen Regime) klar sein, dass die zahlreichen Flüchtlinge im In- und Ausland nicht regimetreue Personen oder Kombattanten sind, sondern einfache Bürger, die wieder in ihre angestammte Heimat und gegebenenfalls zu ihren dort noch verbliebenen restlichen Familienmitgliedern oder Besitztümern zurückkehren wollen. Darüber, dass Oppositionskräfte unterschiedslos jeden der in ihre Gebiete Zurückkehrenden alleine wegen seines Auslandsaufenthaltes oder seiner Asylantragstellung oder gar aufgrund seiner bürgerkriegsbedingten Ausreise politisch verfolgen würden und als Regimetreuen ansehen würden, ist nichts bekannt und auch nichts dargelegt. Dies mag gerade bei einem Militärdienstentzug, der die Kampfkraft des syrischen Regimes letztlich schwächt, auch nicht wahrscheinlich sein. Rein spekulative Erwägungen reichen nicht aus, um mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgung auszugehen (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 05.05.2017 Az. 17 K 8493/16.A).
5. Der Kläger ist auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Kurden von Verfolgung bedroht.
In den allgemein zugänglichen Erkenntnismitteln finden sich keine Anhaltpunkte dafür, dass Kurden allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit in Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht sind. Dementsprechend kommt auch die aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. z. B. BayVGH, U. v. 10.09.2019 Az. 20 B 19.32549; OVG Schleswig-Holstein, U. v. 28.02.2019 Az. 2 LB 28/18; OVG Saarland, U. v. 02.08.2018 Az. 2 A 694/17; OVG Münster, U. v. 22.06.2018 Az. 14 A 618/18.A) unter Auswertung der aktuellen Erkenntnismittel zu dem Ergebnis, dass Kurden nicht wegen ihrer Volkszugehörigkeit vom syrischen Staat verfolgt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).


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