Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen umfassende Ablehnung eines Asylantrags (alleinstehender Mann, Afghanistan)

Aktenzeichen  M 26 K 17.37506

Datum:
15.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 40802
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul erreicht derzeit keine Intensität, aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Provinzen Herat und Balkh stellen derzeit jedenfalls für einen alleinstehenden gesunden Mann eine inländische Fluchtalternative dar, auch wenn dieser dort über keinen familiären Rückhalt oder nennenswertes eigenes Vermögen verfügt; sie sind von Kabul aus auch in zumutbarer Weise zu erreichen. (Rn. 20 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan begründet für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige nur in außergewöhnlichen Fällen ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 5 AsylG. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
4 Aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan ergibt sich derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. (Rn. 33 – 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 2018 entschieden werden, obwohl für die Beklagte niemand erschienen ist, da in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten sind form- und fristgerecht geladen worden.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG); lediglich ergänzend wird ausgeführt:
1. Der Kläger hat – auch im Klageverfahren – keine flüchtlingsrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat Afghanistan vorgetragen. Der Kläger wurde nach eigenen Angaben als Kollaborateur und Informant der afghanischen Polizei von den Taliban mit dem Tode bedroht. Insoweit fehlt es an einem Anknüpfungsmerkmal i.S.d. § 3b AsylG. Insbesondere haben ihn die Taliban nach seinem eigenen Vortrag nicht wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 4 AsylG, da ihm bei seiner Rückkehr nach Afghanistan weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Insbesondere braucht er nach Überzeugung des Gerichts keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu befürchten.
2.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Dabei kommt es auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und schlüssige Angaben ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen zu den Umständen machen, die für die von ihm befürchtete Gefahr der Verfolgung bzw. einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung maßgeblich sind. Der Antragsteller hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Gefahr der Verfolgung oder eines ernsthaften Schadens besteht und es ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren; es müssen kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben gemacht werden (vgl. Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU sowie BVerfG, B.v. 7.4.1998 – 2 BvR 253/96 – juris).
Nach diesen Maßstäben steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der der Kläger ausführlich informatorisch gehört wurde, nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland ernsthaft Gefahr durch die Taliban drohen würde.
Obwohl der Kläger sowohl bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit hatte, kohärente und schlüssige Angaben zu machen, hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, dass sich die vom Kläger als fluchtauslösend geschilderten Ereignisse so zugetragen haben, wie von diesem behauptet. Der Vortrag des Klägers in der Anhörung vor dem Bundesamt blieb zunächst detailarm und vage, was nach Vortrag der Klägerbevollmächtigten daran gelegen haben soll, dass der Kläger in der Anhörung unter Zeitdruck gesetzt worden sein und es außerdem Verständigungsschwierigkeiten gegeben haben soll. Dagegen spricht aber, dass der Kläger explizit erklärt hat, ausreichend Gelegenheit gehabt zu haben, seine Gründe vorzubringen und er außerdem erklärt hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe.
Der Kläger hat jedenfalls in der mündlichen Verhandlung sein Vorbringen vertieft und inhaltlich angereichert, ohne dass es ihm gelungen ist, das Gericht zu überzeugen. Es fallen zunächst einige Widersprüche zu dem in der Anhörung Erklärten auf, die ihn unglaubwürdig und sein Vorbringen unglaubhaft machen. So hat er in der Anhörung erklärt, er habe umsonst Informationen geliefert, hinzusetzend, dass er das für „sein Volk“ gemacht habe. In der mündlichen Verhandlung dagegen hat er angegeben, dass er bei zutreffender Information etwa 4.000 bis 5.000 Afghani erhalten habe. Weiter hat er in der Anhörung angegeben, sein Vater habe einen Drohbrief von den Taliban erhalten, in der informatorischen Befragung dagegen, dass der örtliche Mullah diesen Brief erhalten habe. In der mündlichen Verhandlung war der Kläger sichtlich bemüht, das Kerngeschehen mit Details anzureichern, ohne dass das Gericht die Überzeugung hatte, der Kläger spreche über selbst Erlebtes. Er musste sich immer wieder von seiner Bevollmächtigten den Faden der Erzählung mit Stichworten geben lassen. Das so Geschilderte überzeugt im Ganzen wie im Detail nicht. Es ist schon nicht schlüssig und glaubhaft, dass der Kläger, der keinerlei militärische Ausbildung hat, es gewagt haben sollte, in einer Angriffssituation, wo doch die Leute aus Furcht vor Beschuss nicht einmal in die Nähe eines Fensters gehen bzw. unterirdische Räume aufsuchen, sein Haus zu verlassen, um Polizisten bei sich zu verstecken. Genauso wenig glaubhaft ist, dass diese Polizisten bzw. lokale Milizen, die einen Checkpoint bewacht haben, sich unter Zurücklassung ihrer Waffen zusammen in die Obhut des Klägers begeben. Sehr unwahrscheinlich ist es, dass die Polizisten, wie vom Kläger in der Befragung geschildert, erst am nächsten Abend ihre Uniformen ausziehen, sie gegen Zivilkleidung tauschen und das Haus des Klägers verlassen. Lebensnah wäre, dass sie dies sobald wie möglich tun, um nicht bei einer Razzia der Taliban im Hause des Klägers entdeckt zu werden. Ebenso wenig konnte der Kläger schlüssig erklären, wie die Taliban auf ihn gekommen sein sollen. Die Erklärung, sie hätten aus den zurückgelassenen Waffen darauf geschlossen, dass man den Milizen geholfen haben musste, überzeugt jedenfalls nicht.
Insgesamt erscheint der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung als nachträglich gegenüber der Anhörung beim Bundesamt künstlich mit auswendig gelernten Details angereichert und asyltaktisch motiviert. Er ist daher nicht glaubhaft und führt daher nicht zur Überzeugung, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan ernsthaft Gefahr durch die Taliban drohen würde. Daran ändern auch die vorgelegten Unterlagen nichts, da für deren Echtheit keine Gewähr besteht und eine Vielzahl solcher Dokumente in Umlauf ist.
2.2. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in der Provinz Kabul, wohin eine Abschiebung erfolgen würde, erreicht auch unter Zugrundelegung der aktuellen Erkenntnismittel keine Intensität, aufgrund derer bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Unter Zugrundelegung einer Einwohnerzahl der Provinz Kabul von 4,52 Mio. im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, in der Fassung der Einfügung am 30.1.2018, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) und der Opferzahlen für das Jahr 2017 (UNAMA, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual Report 2017, February 2018, Anlage 3, S. 67 ff) errechnet sich für die Provinz Kabul eine Wahrscheinlichkeit von 0,04%, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden. Dieselbe Wahrscheinlichkeit ergibt sich unter Zugrundelegung des am 15. Juli 2018 veröffentlichten Halbjahresberichts 2018 der UNAMA. Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nicht in einem rechtlich relevanten Maß. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, denen sich das Gericht anschließt, Bezug genommen (U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 76 ff.).
2.3. Unabhängig davon scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch am Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative gemäß § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG in Afghanistan:
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die im sicheren Teil des Herkunftslandes vorhandenen allgemeinen Gegebenheiten sowie die persönlichen Umstände des Klägers zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146,12). Zur Interpretation des Begriffs der persönlichen Umstände i.S.d. Art. 8 Abs. 2 RL 2011/95/EU kann auf Art. 4 Abs. 3 Buchst. c dieser Richtlinie zurückgegriffen werden, wonach die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Asylsuchenden einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter bei der Entscheidung zugrunde zu legen sind. In diesem Zusammenhang sind Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangene Aufenthalte in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen in den Blick zu nehmen. Zu fragen ist sodann auf der Grundlage dieses gemischt objektiv-individuellen Maßstabs, ob von einem Asylbewerber vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich am Ort der internen Fluchtalternative aufhält. Erforderlich hierfür ist, dass er am Zufluchtsort unter persönlich zumutbaren Bemühungen jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Fehlt es an einer solchen Möglichkeit der Existenzsicherung, ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben. Erwerbsfähigen Personen bietet ein verfolgungssicherer Ort das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel, wenn sie dort – was grundsätzlich zumutbar ist – durch eigene und notfalls auch weniger attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ stattfinden (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2005 – 1 B 100.05 – juris). Maßgeblich ist grundsätzlich also, ob das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – juris), d.h. ob mit den erlangten Mitteln auch die notwendigsten Aufwendungen für Leben und Gesundheit bestritten werden können. Ein Leben in der Illegalität, das den Betroffenen jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, stellt demgegenüber keine zumutbare Fluchtalternative dar (BVerwG, U.v. 1.2.2007, aaO).
Vorstehendes zugrunde gelegt, besteht für den Kläger jedenfalls in den Provinzen Herat und Balkh nicht die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 3e AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegen dort nicht vor, da für ihn in diesen Provinzen jedenfalls keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt besteht (§ 3e Abs. 1 Nr.1 AsylG).
Der Kläger kann auch sicher und legal über Kabul nach Herat und Balkh reisen und wird dort aufgenommen werden. Zudem kann von ihm vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Denn in den Provinzen Herat und Balkh ist sein soziales und wirtschaftliches Auskommen in ausreichendem Maße gesichert, selbst wenn er dort über kein familiäres Netzwerk verfügt.
Dies dürfte – bei jungen, gesunden Männern wie dem Kläger – nach wie vor auch für die Provinz und Stadt Kabul, die der Kläger von früheren Aufenthalten kennt und wo sein Bruder arbeitet, gelten, vgl. insoweit die aktuellen Leitlinien des UNHCR vom 30. August 2018 vgl. dort insbesondere S. 110. Dies kann jedoch offen bleiben, da er jedenfalls mit den Provinzen Herat und Balkh über eine inländische Fluchtalternative verfügt.
Bei einer Einwohnerzahl von rund 1,93 Millionen und 495 zivilen Opfern (238 Tote und 257 Verletzte) in der Provinz Herat und einer Einwohnerzahl von rund 1,38 Millionen und 129 zivilen Opfern (52 Tote und 77 Verletzte) in der Provinz Balkh lag die Wahrscheinlichkeit, in den genannten beiden Provinzen im Jahre 2017 ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt zu werden bei 0,026% (Herat) und 0,009% (Balkh; vgl. zum Zahlenmaterial beider Provinzen EASO Country of Origin Information Report – Afghansitan Security Situation, Dezember 2017, S. 88 und 137; UNAMA, Afghanistan – Protection of Civilians in Armend Conflict – Annual Report 2017, S. 67). Damit ist in diesen Provinzen eine Gefahrendichte zu konstatieren, die ganz erheblich unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als indiziell für die Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefährdung anerkannten statistischen Auslösewertes des Tötungs- und Verletzungsrisikos von 1:800 bzw. 0,125% liegt (vgl. BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 ff). Eine maßgebliche Änderung und Überschreitung der rechtlich erheblichen Gefahrendichte ist insoweit auch nach den für das Jahr 2018 verfügbaren Informationen nicht ersichtlich. Nach dem Midyear Update für das 1. Halbjahr 2018 von UNAMA bewegt sich die Gesamtzahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2018 leicht unter dem Niveau der Jahre 2016 und 2017; nichts anderes ergibt sich aus den neuesten Erkenntnissen von EASO (EASO, Afghanistan Security Situation, Update May 2018, S. 25 ff.). Auch aus den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 ergeben sich insoweit keine Tatsachen, die nach den vorgenannten rechtlichen Maßstäben zu einer anderen Bewertung führen. Der UNHCR beschreibt darin allgemein eine volatile Sicherheitslage sowie eine Verschlechterung der Situation seit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte im Jahr 2014. Für das Jahr 2018 spricht der UNHCR von einer hohen Zahl ziviler Opfer und verweist dazu im Einzelnen insbesondere auf das o.g. Midyear Update von UNAMA. Im Übrigen betont der UNHCR, dass die Schutzberechtigung aufgrund einer Einzelfallbetrachtung („depending on the specific circumstances of the case“) zu bewerten ist (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan vom 30. August 2018, S. 37, 103 f.). Dabei ist allerdings stets auch zu beachten, dass der UNHCR bei seinen Bewertungen selbst definierte Maßstäbe zugrunde legt und die daraus abgeleiteten Empfehlungen für den Schutzbedarf sowie die aufgezeigten Risikoprofile nicht notwendig den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen für die Bewertung der Frage, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit inmitten steht bzw. ob von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, entsprechen (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2018 – 13a ZB 17.31970 – juris Rn. 9). Im Übrigen hat der Kläger auch keine individuellen Umstände geschildert, aus der sich in glaubhafter Weise eine besondere Verletzlichkeit bzw. Schutzbedürftigkeit ergibt.
Das Gericht geht davon aus, dass die beiden Provinzen Herat mit Herat Stadt als Hauptstadt und Balkh mit der Hauptstadt Mazar-e-Sharif von Kabul als Zielort einer Rückreise oder auch (möglichen) Abschiebung aus in zumutbarer Weise zu erreichen sind. Nach den überzeugenden aktuellen Auskünften des britischen Außenministeriums (vgl. Home Office UK, Afghanistan: Security and humanitarian situation, April 2018, S. 10) gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Zivilisten auf den Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten Gefahren solcher Intensität drohen, dass sie die unter dem Gesichtspunkt des subsidiären Schutzes rechtlich erhebliche Schwelle erreichen. Dies steht auch nicht in Widerspruch zu den Ausführungen des Auswärtigen Amtes (AA) im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 (Stand Mai 2018, S. 20), wonach sich Afghanen zwar formell im Land frei bewegen und niederlassen dürfen, allerdings Sicherheitsbedenken als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit innerhalb Afghanistans genannt würden und besonders das Reisen auf dem Landweg aufgrund des Anstiegs von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen betroffen sei (vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan – Security Situation, Dezember 2017, S. 67 f.). Denn nach den vorgenannten Feststellungen des Home Office sind im Sinne einer möglichen Erheblichkeit für die Gewährung subsidiären Schutzes nicht die Hauptrouten zwischen Kabul und den großen Städten maßgeblich, sondern vielmehr nur die Verbindungen von Städten zu Dörfern und zwischen Dörfern betroffen.
Zudem besteht nach den Feststellungen der EASO (vgl. Country of Origin Information Report Afghanistan – Key socio-economic indicators, state protection and mobility in Kabul City, Mazar-e-Sharif and Herat City, S. 123 ff.; zudem auch AA, Lagebericht vom 31. Mai 2018, S. 20) die Möglichkeit, inländische Flugverbindungen von Kabul nach Mazar-e-Sharif und Herat (Stadt) zu nutzen, die jeweils mehrmals täglich zur Verfügung stehen. Auch die Erreichbarkeit der Flughäfen dieser Städte für den landseitigen Zu- und Abgangsverkehr ist dabei in ausreichend sicherer Weise gewährleistet (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2018, S. 102).
Dem Kläger ist es zuzumuten und es kann von ihm daher auch vernünftigerweise erwartet werden, seinen Aufenthalt in den Provinzen Herat oder Balkh, namentlich in den dortigen Hauptstädten zu nehmen. Für einen alleinstehenden, gesunden Mann wie den Kläger, der keine Unterhaltslasten zu tragen hat, schließen die genannten Provinzen einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes selbst dann aus, wenn dieser über keinen familiären Rückhalt – anders aber beim Kläger, dessen Großfamilie nach seinen Angaben in der Anhörung in Afghanistan verblieben ist, – oder nennenswertes eigenes Vermögen verfügt. Denn in Würdigung der vom Gericht herangezogenen Erkenntnismittel, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018, des EASO-Berichts vom Juni 2018 und der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018, ist davon auszugehen, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter grundsätzlich dazu in der Lage sind, in Afghanistan ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semi-urbanen Umgebungen wie insbesondere den Städten Herat und Mazar-e-Sharif zu leben und dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen, gegebenenfalls auch unter Inanspruchnahme internationaler Hilfe, zu erzielen (vgl. auch VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; BayVGH, B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris).
Damit ist auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 23) nicht von einer erheblichen individuellen Gefahr im genannten Sinne auszugehen, zumal auch die medizinische Versorgungslage in den Nord- und Zentralprovinzen besser als in anderen Teilen des Landes ist (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 – Stand September 2016, S. 23).
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
3.1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine gegen Art. 3 EMRK oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
Die allgemeine (Versorgungs-)Lage in Afghanistan stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem humanitären Gründe „zwingend“ sind. Eine solche Situation ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung gebieten würden, liegen nicht vor.
3.2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dem Kläger droht aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein alleinstehender arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Betroffene wäre selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (stRspr, z.B. BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 4.1.2018 – 13a ZB 17.31652 – juris; B.v. 21.8.17 – 13a ZB 17.30529 – juris; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; B.v. 19.6.2017 – 13a ZB 17.30400 – juris; B.v. 6.4.2017 – 13a ZB 17.30254 – juris; BayVGH, B.v. 23.1.2017 pro – 13a ZB 17.30044 – juris; B.v. 27.7.2016 – 13a ZB 16.30051 – juris; B.v. 15.6.2016 – 13a ZB 16.30083 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris; VGH BW, U.v.11.4.2018 – A 11 S 924.17 – juris Rn. 470; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241.17 – juris; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 21.10.2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U.v. 20.7.2015 – 9 LB 320/14 – juris).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln, namentlich den Berichten des AA vom 31. Mai 2018, der EASO vom Juni 2018, der UNAMA (Midyear Update 1. Halbjahr 2018) und des UNHCR vom 30. August 2018, ergibt sich nichts anderes. Hierzu wird vollinhaltlich auf die vorstehenden Ausführungen unter Nr. 2.3. verwiesen. Nachdem das Gericht davon ausgeht, dass für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit in Herat und Balkh besteht und deren Voraussetzungen über diejenigen im Rahmen des Vorliegens einer extremen Notlage nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinausgehen, ist auch ein Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbot nach dieser Vorschrift nicht gegeben.
4. Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG bestehen schließlich ebenfalls keine Bedenken. Gleiches gilt für die Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen; das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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