Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen vollumfängliche Ablehnung des Asylantrags (Nigeria/Familie mit Kindern)

Aktenzeichen  M 12 K 18.30381

Datum:
31.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32827
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3e § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Für einen aktuell bestehenden ethnischen Konflikt zwischen den Ezza und Ezillo in Nigeria bestehen keine Anhaltspunkte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Nigeria besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 31. Juli 2019 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus oder auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der streitgegenständliche Bescheid ist vielmehr rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Einen Anspruch auf Asylanerkennung gem. Art. 16a Abs. 1 GG haben die Kläger bereits deshalb nicht, da sie nach ihrem eigenen Vortrag aus Italien kommend in das Bundesgebiet eingereist sind (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
b) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an die genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die wegen ihrer Intensität den Betroffenen dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, U.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Auch eine kriminelle Verfolgung muss an ein in § 3 AsylG genanntes Merkmal anknüpfen, um als politische Verfolgung gelten zu können.
Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 337, S. 9-26) – sog. Qualifikationsrichtlinie – RL 2011/95/EG privilegiert dabei den von ihm erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris).
Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. VGH B-W., U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin zu 1) als wahr unterstellt, ist eine Verfolgung der Kläger in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich relevante Merkmale i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG nicht beachtlich wahrscheinlich. Soweit die Klägerin zu 1) vorträgt, dass sie aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen den Ezza und Ezillo verfolgt werde, ist dies vor dem Hintergrund, dass sich diese Auseinandersetzungen vor mehr als 11 Jahren ereignet haben und die Klägerin zu 1) bereits im Jahr 2008 Nigeria verlassen hat, nicht beachtlich wahrscheinlich. Für einen aktuell bestehenden ethnischen Konflikt zwischen den Ezza und Ezillo bestehen auch keine Anhaltspunkte, zumal Gesetze in Bezug auf einen Friedensvertrag zwischen den Ezza und Ezillo verabschiedet wurden (vgl. https://thepress.ng/2018/02/assembly-passes-ezillo-ezza-peace-pact-law-in-ebonyi-state/). Die Kläger zu 2) bis 4) waren zum Zeitpunkt der Auseinandersetzungen noch nicht einmal geboren.
Soweit die Klägerin zu 1) die Gefahr der Genitalbeschneidung für ihre Tochter, die Klägerin zu 4) geltend macht, ist diese nicht beachtlich wahrscheinlich, nachdem ihre Eltern, die Klägerin zu 1) und Herr …, eine Beschneidung ihrer Tochter ablehnen.
Für die Kläger zu 2) und 3) wurden individuelle Verfolgungsgründe weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.
Im Übrigen bestünde auch eine inländische Fluchtalternative gem. § 3e AsylG. Nach den vorliegenden Erkenntnissen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 10. Dezember 2018 [Stand: Oktober 2018] Ziff. II.3). Der Klägerin zu 1) kann zugemutet werden, sich mit ihrer Familie in anderen Gebieten im Süden und Südwesten des Landes, insbesondere den Großstädten, niederzulassen. Angesichts der Größe Nigerias und der fehlenden Meldepflicht ist nichts dafür ersichtlich, dass der Klägerin zu 1) in ganz Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch die damaligen Gegner in der Auseinandersetzung zwischen den Ezza und Ezillo drohen könnte. Gleiches gilt im Hinblick auf eine Gefahr der Beschneidung der Klägerin zu 4) durch Gemeindemitglieder von … bzw. der Heimatgemeinde der Klägerin zu 1). Der Klägerin zu 1) ist zudem eine erwerbsfähige junge Frau, von der vernünftigerweise auch erwartet werden kann, dass sie sich mit ihrer Familie an einem solchen für sie ungefährlichen Ort in Nigeria niederlässt, den sie auch sicher und legal erreichen kann. Insbesondere ist gemessen an der individuellen Situation der Klägerin zu 1) davon auszugehen, dass sie auch in einem anderen Landesteil in der Lage sein wird, für sich und ihre Kinder eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen (s.u.).
c) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend.
Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe ist ersichtlich nicht gegeben. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor. Weder die geschilderte Gefahr seitens der Gegner in der damaligen Auseinandersetzung zwischen den Ezza und den Ezillo noch die Gefahr der Genitalbeschneidung der Klägerin zu 4) ist beachtlich wahrscheinlich (s.o.). Überdies bestünde auch eine inländische Fluchtalternative gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3e AsylG (s.o.). Schließlich besteht in Nigeria landesweit auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Kläger infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
d) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Anhaltspunkte für das Vorliegen eines – nationalen – Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, wonach eine Abschiebung dann verboten ist, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung landesweit droht, sind nicht ersichtlich (vgl. VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A – juris). Eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure droht den Klägern landesweit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (s.o.). Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG lassen sich auch nicht aus den schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria ableiten. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 – 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht.
Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris).
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person der Kläger zwingend gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Für die Kläger kann auch auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Die Klägerin zu 1) ist eine erwerbsfähige junge Frau, die in der Lage sein wird, in Nigeria ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder zu erwirtschaften, zumal sie über eine sechsjährige Schulbildung verfügt und eine Ausbildung als … begonnen hat. Zwar wird sich die Klägerin zu 1) wesentlich auch um die Betreuung ihrer Kinder, der Kläger zu 2) bis 4) sowie ihres weiteren Kindes, im Alter zwischen fünf und zehn Jahren kümmern müssen. Die Klägerin zu 1) ist jedoch auch nicht auf sich allein gestellt. Vielmehr ist sie mit dem Vater ihrer Kinder verheiratet und führt mit diesem eine eheliche Lebensgemeinschaft. Bei einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im – hypothetischen – Rückkehrfall ist derzeit von einer Rückkehr der gesamten Familie einschließlich des Kindsvaters und Ehemannes der Klägerin zu 1) auszugehen, nachdem dessen Asylantrag bereits rechtskräftig abgelehnt wurde. Eine rechtlich relevante Existenzgefährdung der Kläger ist angesichts der Betreuungs- und Erwerbsmöglichkeiten des Kindsvaters und Ehemannes der Klägerin zu 1), der 11 Jahre die Schule besucht hat und über eine 20-jährige Berufserfahrung als … verfügt, nicht ersichtlich. Darüber hinaus hat die Klägerin zu 1) mit ihrer Mutter, drei Brüdern und drei Schwestern auch nahe Verwandte in Nigeria, die sie, sei es durch die Gewährung von Obdach, sei es finanziell oder durch die Betreuung der Kinder zusätzlich unterstützen können.
§ 60 Abs. 5 AufenthG verweist im Übrigen auf die Regelungen der EMRK nur insoweit, als es sich dabei um zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote handelt. Hingegen fallen Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil anderenfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet, wie etwa das Privat- und Familienleben im Sinne von Art. 8 EMRK, verletzt würde, nicht in den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 5 AufenthG (OVG Lüneburg, U.v. 18.5.2010 – 11 LB 186/08 – juris).
Ein (nationales) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Weder die vorgetragene Gefahr seitens der Gegner in der damaligen Auseinandersetzung zwischen den Ezza und den Ezillo noch die Gefahr der Genitalbeschneidung der Klägerin zu 4) besteht landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (s.o.). Gesundheitliche Gründe, die der Abschiebung entgegenstehen, wurden nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht.
Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, vgl. U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6/95 – BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 – 9 C 4/98 – BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 – 1 B 60/06, 1 B 60/06 (1 C 21/06) – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).
Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für die Kläger sind nach den obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wären, nicht vor.
Die Zuständigkeit des Bundesamtes, über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu entscheiden, erstreckt sich ebenfalls nur auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote sind solche, die in Gefahren begründet liegen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen. Demgegenüber fallen Hindernisse, die einer Vollstreckung einer Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet verletzt würde (inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse), nicht unter § 60 Abs. 7 AufenthG. Sie sind nicht vom Bundesamt im Asylverfahren, sondern von den für den Vollzug der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörden zu berücksichtigen (OVG Saarland, B.v. 18.12.2015 – 2 A 128/15 – juris).
e) Die Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist entsprechen §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und sind rechtmäßig.
f) Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im mittleren Bereich der zulässigen Befristungsdauer. Der Kindsvater und Ehemann der Klägerin zu 1) verfügt über kein gesichertes Aufenthaltsrecht in Deutschland.
2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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