Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage iran. Staatsangehöriger u. Angehörige der Yari-Glaubensgemeinschaft

Aktenzeichen  AN 1 K 16.32274

Datum:
11.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9973
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4

 

Leitsatz

1. Aus dem formalen Akt der Taufe läßt sich weder ein Übertritt zum christlichen Glauben aus ernsthafter, fester Überzeugung noch eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung der Ausübung des christlichen Glaubens herleiten.  (Rn. 72 – 73) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. November 2016 ist hinsichtlich der Kläger zu 1) und 2) im Ergebnis nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Auch wenn das Bundesamt unzutreffend davon ausgegangen ist, dass die Kläger im Iran ursprünglich dem Jesidentum zugehörig gewesen seien, haben die Kläger unter Berücksichtigung ihrer Zugehörigkeit zu den Yaresan keinen Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich
1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Mit der zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Neuregelung des § 3 Abs. 1 AsylG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 wurden die europarechtlichen Vorgaben für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Teil der Gewährung internationalen Schutzes aus der Richtlinie 2011/95/EU (nachfolgend: RL), welche die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) abgelöst hat, im Asylverfahrensgesetz umgesetzt. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen war den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt worden (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 RL) gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die
1. aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist oder
2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Als Verfolgung in diesem Sinne können nach § 3a Abs. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 2 RL) unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
1.die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 fallen,
6.Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Nach § 3a Abs. 3 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 3 RL) muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist gemäß § 3b AsylG Folgendes zu berücksichtigen:
1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2. der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3. der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4. eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
5. a) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und b) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
Durch § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG wird insbesondere klargestellt, dass auch jegliche an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe darstellt (sog. geschlechtsspezifische Verfolgung; vgl. Hofmann, Ausländerrecht, 2. A. 2016, Rn. 13 f. zu § 3b AsylG).
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts durch Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Religionsfreiheit als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 a) RL angesehen werden können.
Diese Rechtsprechung, die vom Bundesverwaltungsgericht übernommen worden ist (U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12, juris), kann auf § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG übertragen werden, der Art. 9 Abs. 1 a) RL in nationales Recht umgesetzt hat.
Eine Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 a) RL danach nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum) (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12, juris Rn. 24). Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 RL darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 26). Ein solches Verbot hat aber nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, a.a.O., Rn. 28). Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, a.a.O., juris Rn. 29).
Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind gemäß § 3c AsylG
1.der Staat,
2.Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder.
3.nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nichtstaatlichen Akteure i.S. von § 3c Nr. 3 AsylG können auch private Personen sein (z.B. Familienmitglieder). Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der inhaltsgleichen Bestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 4c AufenthG a.F. entschieden, dass unter diese schon ihrem Wortlaut nach einschränkungslos alle nichtstaatlichen Akteure, insbesondere also auch Einzelpersonen, von denen Verfolgungshandlungen ausgehen, fallen (BVerwG, U.v. 18.07.2006 – 1 C 15/05, BVerwGE 126, 243).
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen.
Der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ des Art. 2 Buchst. d) RL enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab („real risk“; vgl. nur EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.1996 – 9 C 77.95, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07, ZAR 2008, 192; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09, BVerwGE 136, 377; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10, BVerwGE 140, 22; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013, a.a.O. und vom 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162).
Die Tatsache, dass ein Drittstaatsangehöriger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 RL).
Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
Art. 4 Abs. 4 RL ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, B.v. 2.7.1980 – 1 BvR 147, 181, 182/80 – BVerfGE 54, 341; dem folgend U.v. 31.3.1981 – 9 C 237.80 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (BVerwG, U.v. 18.2.1997 – 9 C 9.96, BVerwGE 104, 97), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (BVerwG, U.v. 27.4.1982 – 9 C 308.81, BVerwGE 65, 250). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden – auch seelischen – Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (BVerwG, U.v. 18.2.1997 – 9 C 9.96, a.a.O.). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend BVerwG, U.v. 25.9.1984 – 9 C 17.84, BVerwGE 70, 169 und v. 5.11.1991 – 9 C 118.90, BVerwGE 89, 162) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21.92, BVerwGE 91, 150), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95, BVerwGE 99, 324 zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4.6.1996 – 9 C 134.95 – InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
Art. 4 Abs. 4 RL privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten jedoch auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C – 175/08 u.a., Abdulla). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 RL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (zum Ganzen: BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09, BVerwGE 136, 377).
Für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes, sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung – bei gleichbleibender Ausgangssituation – aus tatsächlichen Gründen naheliegt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4/09, BVerwGE 136, 360).
Bei Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sind alle Akte zu berücksichtigen, denen der Kläger ausgesetzt war oder ausgesetzt zu werden droht, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne § 3a Abs. 1 AsylG (Art. 9 Abs. 1 RL) gelten können (vgl. U.v. EuGH vom 5.9.2012, a.a.O. Rn. 68). Liegt keine Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 AsylG vor, ist weiter zu prüfen, ob sich eine solche aus einer Gesamtbetrachtung nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) ergibt.
§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfasst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann auch eine Kumulation unterschiedlicher Maßnahmen die Qualität einer Verletzungshandlung haben, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Nr. 1. Die Maßnahmen im Sinne von Nr. 2 können Menschenrechtsverletzungen, aber auch Diskriminierungen sein, die für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen.
In Nr. 1 beruht die Schwere der Eingriffshandlungen auf ihrer Art oder Wiederholung („nature or repetition“). Während die „Art“ der Handlung ein qualitatives Kriterium beschreibt, enthält der Begriff der „Wiederholung“ eine quantitative Dimension (so auch Hailbronner/Alt, in: Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 2010, S. 1072 Rn. 30).
Setzt die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 1 mithin eine bestimmte gravierende Eingriffshandlung oder die Wiederholung gleichartiger Handlungen voraus, ermöglicht die Tatbestandsalternative der Nr. 2 in einer erweiterten Perspektive die Berücksichtigung einer Kumulation unterschiedlicher Eingriffshandlungen, wie sie beispielhaft in § 3a Abs. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 2 RL) aufgeführt sind. Die Kumulationsbetrachtung entspricht auch dem Verständnis des UNHCR vom Verfolgungsbegriff in Art. 1 A Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rn. 53). In die nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL) erforderliche Gesamtbetrachtung können insbesondere verschiedenartige Diskriminierungen gegenüber den Angehörigen einer bestimmten Glaubensgemeinschaft einbezogen werden, z.B. beim Zugang zu Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen, aber auch existenzielle berufliche oder wirtschaftliche Einschränkungen (vgl. UNHCR Richtlinie vom 28. April 2004 zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung, HCR/GIP/04/06 Rn. 17). Die einzelnen Eingriffshandlungen müssen nicht für sich allein die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung im Sinne von Buchstabe a entspricht.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, die aber den Anforderungen des § 108 Abs. 1 VwGO entsprechen muss, wohingegen für Vorgänge innerhalb des Gastlandes grundsätzlich der volle Nachweis auf Grund von Tatsachen zu fordern ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, BVerwGE, 71, 180).
Bei der Feststellung der für eine Verfolgung im Herkunftsland im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sprechenden Umstände kommt dem Vorbringen des Schutzsuchenden deshalb besondere Bedeutung zu. Er ist auf Grund der ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gehalten, die in seine Sphäre fallenden tatsächlichen Umstände substantiiert und in sich stimmig zu schildern. Das Gericht muss sich die feste Überzeugung vom Wahrheitsgehalt des klägerischen Vorbringens verschaffen können (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84, BVerwGE, 71, 180, 181 und vom 12.11.1985 – 9 C 27.85, EZAR 630 Nr. 23). Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Schutzsuchenden nur geglaubt werden, wenn diese Unstimmigkeiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985, a.a.O., 183 und vom 23.2.1988 – 9 C 32.87, EZAR 630 Nr. 25).
Hiervon ausgehend können die Kläger nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG beanspruchen. Die Kläger konnten nicht glaubhaft machen, im Iran Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 a AsylG ausgesetzt gewesen zu sein, womit ihnen auch die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL nicht zu Gute kommt.
Die Einzelrichterin konnte sich nicht die volle Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der Schilderungen der Kläger zu den angeblichen, fluchtauslösenden Ereignissen im Iran verschaffen.
Für die Einzelrichterin steht aufgrund der mündlichen Verhandlung fest, dass die Kläger – so wie auch beim Bundesamt vorgetragen, dort aber fälschlicherweise mit dem Jesidentum gleichgesetzt – dem Yari-Glauben angehören. Diese Zugehörigkeit allein führt jedoch nicht zu einer Verfolgung der Kläger.
Die Religionsgemeinschaft der Ahl-e Haqq, die unter anderem in den kurdischen Gebieten im Westen des Irans und im Osten des Iraks beheimatet ist, zählt nicht zu den nach Art. 13 der Verfassung der Islamischen Republik Iran anerkannten religiösen Minderheiten (vgl. Accord, Iran: Freedom of Religion; Treatment of Religious and Ethnic Minorities, COI Comilation, Sept. 2015, Ziff. 1.5.11). Nach dem Bericht des Danish Immigration Service vom 6. April 2017 gibt es innerhalb dieser Glaubensrichtung die „Reformierten“, die sich dem schiitischen Glauben zugehörig fühlen und denen vor allem die gut Ausgebildeten und städtisch Geprägten angehören, sowie die vor allem in den ländlichen Gebieten um … anzutreffenden „Traditionalisten“, die ihren Glauben als nicht muslimische Religion betrachten (Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, 6. April 2017, S. 4). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen werden Mitglieder der Ahl-e Haqq im Iran indes nicht als solche wegen ihrer Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft durch staatliche Stellen verfolgt. Ausweislich der Auskunft des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl liegen keine Anhaltspunkte für systematische staatliche Repressionen gegen die Mitglieder der Ahl-e Haqq allein aufgrund der Tatsache, dass man Yaresan ist, vor (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12.Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff 16.6). Zwar sind einzelne Fälle bekannt, in denen Mitglieder der Ahl-e Haqq von Mitgliedern iranischer Behörden verhaftet und/oder belästigt wurden. Allerdings werden die Mitglieder nach dem Bericht nicht als Gruppe verfolgt. Danach verüben staatliche Stellen im Iran keine systematischen Verhaftungen und/oder Belästigungen gegen Mitglieder der Religionsgemeinschaft der Ahl-e Haqq (vgl. VG Berlin, U.v. 15.5.2018 – 3 K 330.17 A -, juris), auch wenn es, ähnlich wie bei anderen religiösen Gruppen, immer wieder zu Schikanen einschließlich der Verweigerung des Baus von Gotteshäusern oder des Zugangs zu höherer Bildung und Regierungsjobs kommen kann (vgl. VG Bayreuth, U.v. 13.11.2017 – B 2 K 17.30583 -, juris, Rn. 27; vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12.Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff 16.6; Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, 6. April 2017, S. 8).
Demnach führt allein die Zugehörigkeit zum Yari-Glauben nicht zu einer flüchtlingsrelevanten Gefährdung und Verfolgung. Das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt dazu aus, dass vor allem Yaresan, die ihre Yari-Identität und Religion öffentlich und aktiv bekunden, das Interesse der Behörden auf sich ziehen können. Wenn Personen religiös und/oder politisch aktiv sind und beispielsweise im Besitz von illegalen Schriften erwischt werden, ist es möglich, dass sie festgenommen und befragt werden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12.Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff 16.6).
Die Kläger bestätigten in der mündlichen Verhandlung, dass sie dem traditionellen Zweig des Yaresan angehörten. Auch wenn sich der Kläger zu 1) hinsichtlich seiner Glaubensausübung im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung durchaus different geäußert hat, ist aufgrund der Einlassung der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass die Kläger ihren Glauben zumindest praktiziert und geachtet haben. Ihre Zugehörigkeit zum Yari-Glauben sowie die Glaubensausübung seien sowohl den Behörden als auch dem Ettelaat bekannt gewesen. Insoweit fällt auf, dass diese Aussage der Kläger nicht mit den Ausführungen der in die mündliche Verhandlung eingeführten Erkenntnismittel, wonach der Großteil der Yaresan dazu gezwungen ist, zur Vermeidung von Problemen mit den Behörden in Bezug auf ihren Glauben zu lügen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12.Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff 16.6), übereinstimmt.
Aber selbst bei Annahme, dass die Kläger bereits die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen haben könnten, da ihre Zugehörigkeit zum Yari-Glauben den Behörden bekannt gewesen seien, konnten die Kläger aber gerade nicht glaubhaft machen, dass es aufgrund zusätzlicher besonderer Aktivitäten religiöser bzw. politischer Art zu einer Verfolgung im Iran gekommen ist.
Die Klägerin zu 2) macht dabei keine eigene Verfolgung vor der Ausreise aus dem Iran geltend. So trug sie in der mündlichen Verhandlung vor, dass sie wegen der Probleme ihres Ehemannes aus dem Iran ausgereist sei, da sie mit ihrem Mann habe zusammenbleiben wollen. Sie selbst habe in der Kindheit unter Diskriminierungen gelitten. Allgemeine Einschränkungen und Diskriminierungen, die nicht die Schwere von Verfolgungsmaßnahmen erreichen, können jedoch grundsätzlich nicht zur Flüchtlingsanerkennung führen.
Der Kläger zu 1) führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass er nach der Teilnahme an einer Demonstration am 19.3.1392 (9.6.2013) Probleme mit dem Ettelaat bekommen habe. Dass es tatsächlich zu entsprechenden Demonstrationen anlässlich der Selbstverbrennung zweier Angehöriger der Ahle-Haqq gekommen ist, ergibt sich unter anderem aus einem Bericht im Weblog von Ali Schirasi vom 10. Juni 2013 (http://alischirasi.blogsport.de/2013/06/10/ahle-haqq-iran-eine-minderheit-wehrt-sich/). Danach kamen am 10. Juni 2013 mehrere 1000 Ahle-Haqq vor der Provinzverwaltung von … zum Sitzstreik zusammen und forderte u.a. die Anerkennung ihrer religiösen Rechte im iranischen Grundgesetz. Der Vize-Gouverneur der Provinz versprach den Demonstranten die Weiterleitung der Forderungen an obere Stellen. Die Angst vor einem Überspringen der Proteste dürfte die Staatsorgane daran gehindert haben, brutaler gegen die Demonstranten einzuschreiten.
Die Einzelrichterin glaubt insoweit nicht, dass der Kläger – selbst wenn man die Teilnahme des Klägers an dieser Demonstration unterstellt – Schwierigkeiten mit dem Ettelaat, die ihn dann zur Ausreise gezwungen haben, bekommen hat. Dabei ist bereits auffällig, dass die Mitarbeiter des Ettellaat überhaupt erst zwei Jahre später, nämlich am 1.5.1394 (23.7.2015) beim Kläger erschienen sein sollen. Die Begründung des Klägers, dass dies daran gelegen habe, dass er nicht die einzige Person gewesen sei, die bei der Demonstration gewesen sei, und dass es viele Festnahmen gegeben habe, überzeugt nicht. Zum einen findet sich im o.g. Beitrag des Ali Schirasi keine Bestätigung für die vom Kläger erwähnten Verhaftungen anlässlich der Demonstration. Vielmehr ist von einem eher zurückhaltenden Agieren der Sicherheitskräfte die Rede. Zum anderen würde das bekannte professionelle Vorgehen der iranischen Sicherheitsbehörden und des Geheimdienstes ein anderes Vorgehen erwarten lassen, vor allem unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers, dass der Geheimdienst davon ausgegangen sei, dass er eine der Glaubensgemeinschaft nahestehende Person und eine Vertrauensperson der Führer der Glaubensgemeinschaft – sowie sein Vater und Großvater – gewesen sei. Hätte der Geheimdienst den Kläger als Teilnehmer der Demonstration identifiziert und ihm eine entsprechende Bedeutung innerhalb der Glaubensgemeinschaft zugeschrieben, wären entsprechende Aktivitäten des Geheimdienstes eher zeitnah zu der geschilderten Demonstration erfolgt, um den Kläger an weiteren Aktionen oder der Flucht zu hindern. Im Übrigen glaubt die Einzelrichterin dem Kläger diesen Vortrag im Hinblick auf seine Stellung innerhalb der Glaubensgemeinschaft unabhängig davon, dass dies erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, bereits deshalb nicht, da die Ehefrau des Klägers, die Klägerin zu 2), eine entsprechende Vertrauensstellung weder des Vaters bzw. Großvaters noch des Klägers bestätigen konnte. Die Klägerin zu 2) erklärte hierzu, dass ihr Mann ein ganz normaler Mann gewesen sei und keine besondere Stellung gehabt habe. Auch habe kein besonderer Kontakt zwischen dem Ehemann und den Glaubensführern bestanden. Kontakt habe nur bestanden, wenn Opfer zu erbringen gewesen seien. Im Übrigen sei das Verhältnis der Familie des Klägers zu 1) zu den Glaubensführern freundschaftlich gewesen, wobei Kontakt häufiger erfolgt sei als bei anderen Familien. Auch dürfte die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung geschilderte eher zurückhaltende Glaubensausübung, die allerdings nicht in Einklang mit der Einlassung beim Bundesamt gebracht werden kann, einer Vertrauensstellung innerhalb der Glaubensgemeinschaft entgegenstehen.
Im Übrigen stellte sich der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung gegenüber seiner Einlassung beim Bundesamt erheblich ausgeschmückter und umfangreicher dar. Dies betrifft neben der bereits erwähnten Vertrauensstellung des Klägers auch den Ablauf des ersten Treffens mit den Mitarbeitern des Ettelaat. So hätten die Ettelaat-Mitarbeiter unter Hinweis auf das Vorliegen von Beweismitteln den Kläger veranlassen wollen, Informationen für den Ettelaat zu besorgen. Während dieses Gespräch nach dem Vortrag beim Bundesamt noch in dem Laden, in dem der Kläger zu 1) beschäftigt war, stattgefunden haben soll, erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass ihn die vier erschienenen Personen zu einem Gespräch mit in ein Auto genommen hätten und mit ihm auf der Autobahn herumgefahren seien. Die Erklärung des Klägers, dass sein Vortrag beim Bundesamt wegen Verständigungsproblemen mit dem aus Afghanistan stammenden Dolmetscher nicht vollständig protokolliert worden sei, überzeugt bereits deshalb nicht, da der Kläger bei seiner Anhörung durch seinen Bevollmächtigten begleitet worden war und Verständigungsprobleme diesem gegenüber sofort hätte geltend machen können. Daran ändert sich auch nichts, wenn man zugunsten des Klägers tatsächlich kleinere Übersetzungsfehler annimmt (vergleiche zum Beispiel S. 4 des Bundesamtsprotokolls hinsichtlich des Wortes „Fermandahi“, das beim Bundesamt mit Polizeiinspektion, in der mündlichen Verhandlung mit Gouverneursamt übersetzt wurde). Hätte die Übersetzung durch den Dolmetscher tatsächlich nicht mit der zu Protokoll genommenen Fassung übereingestimmt, so darf davon ausgegangen werden, dass der Bevollmächtigte des Klägers dies unverzüglich gerügt hätte.
Letztlich deuten aber schon die weiteren Ausführungen des Klägers zu den durch die Mitarbeiter des Ettelaat erwähnten Beweismitteln über eine Beteiligung an einer illegalen Zusammenkunft darauf hin, dass der Kläger seinen Vortrag nach Belieben verändert, wodurch er seine Glaubwürdigkeit erheblich in Zweifel zieht. So erklärte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, ob er denn die vom Geheimdienst benannten Beweismittel gesehen habe, dass ihm ein Video gezeigt worden sei, er Gelegenheit gehabt habe, dieses auf sein Handy zu speichern und dass dieses Video identisch sei mit dem YouTube-Beitrag, den er bei der Anhörung beim Bundesamt über seinen Bevollmächtigten in das Verfahren eingebracht habe. Selbst wenn es durchaus möglich erscheint, dass der Geheimdienst Beweismittel vorzeigt, um Druck auf Betroffene auszuüben, so ist es nach Überzeugung der Einzelrichterin aber ausgeschlossen, dass der Geheimdienst dem Betroffenen Gelegenheit gibt, vorhandene Beweismittel zu kopieren und gegebenenfalls zu veröffentlichen. Dass diese Annahme so zutreffend ist, bestätigte das weitere Verhalten des Klägers auf einen entsprechenden Vorbehalt hin, indem er darum bittet, den Vortrag korrigieren zu können, und dann erklärt, dass ihm der Ettelaat entsprechende Beweismittel nicht gezeigt, sondern nur erwähnt habe.
Erstmals in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass ihm der Ettelaat bei nützlichen Informationen im Rahmen der geforderten Spionagetätigkeit sogar Geld in Aussicht gestellt habe. Allerdings dürfte der Ettelaat kaum einen Grund haben, den Kläger mit Geldzahlungen zu belohnen, wenn er schon ausreichende Beweismittel gehabt haben soll, um den Kläger zu einem bestimmten Verhalten, dem der Kläger nur durch Flucht entgehen konnte, zu veranlassen.
Nach Überzeugung der Einzelrichterin ist es nach der Flucht des Klägers auch nicht zu der insbesondere durch die Klägerin zu 2) dargestellten Durchsuchung des Elternhauses des Klägers und der gemeinsamen Familienwohnung der Kläger gekommen. Auffällig ist dabei, dass die Sicherheitsbehörden die Wohnung der Eltern und die Familienwohnung durchsucht haben sollen, nicht jedoch die Wohnung der Schwester, bei der sich der Kläger zu 1) bis kurz vor seiner Flucht aufgehalten haben will. Des Weiteren erscheint unglaubwürdig, dass in der Familienwohnung der beiden Kläger zwei Blätter mit einer Einladung zu der Demonstration, die zum Zeitpunkt der Durchsuchung mehr als zwei Jahre zurücklag, aufbewahrt und dann von den Sicherheitskräften entdeckt worden sein sollen.
Allein aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin zu 2) ca. zweieinhalb Monate nach der Flucht des Klägers zu 1) zusammen mit ihrer Tochter mit eigenen Reisedokumenten auf dem Luftweg aus dem Iran ausreisen konnte, drängt sich für die Einzelrichterin die Annahme auf, dass es vor der Ausreise des Klägers weder hinsichtlich des Klägers zu 1) noch hinsichtlich der Klägerin zu 2) zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung gekommen ist. Zur Ausreise benötigt ein iranischer Staatsangehöriger einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühren. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen Ausreisebewilligungen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12.Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff. 20 und 20.1). Wären iranische Behörden tatsächlich an einem Auffinden des Klägers interessiert gewesen, so erscheint es für die Einzelrichterin unwahrscheinlich, dass die Ehefrau des Klägers mit der gemeinsamen Tochter problemlos auf legalem Weg den Iran verlassen konnte, da diese beiden Personen für iranische Behörden die einzige Möglichkeit darstellten, eine Rückkehr des Klägers zu erreichen.
Vielmehr war nach Überzeugung der Einzelrichterin Ausreisegrund die grundsätzliche Unzufriedenheit mit der für die Kläger bestehenden Situation im Iran. Insoweit erachtet die Einzelrichterin die Einlassung des Klägers zu 1), dass er sich lange Zeit mit den Diskriminierungen habe arrangieren können, nun aber für seine Familie ein anderes Leben gewünscht habe und zur Umsetzung dieses Ziels als alleinige Möglichkeit die Flucht gesehen habe, als zutreffend.
Die Kläger können sich auch nicht auf einen beachtlichen Nachfluchtgrund berufen.
Unabhängig davon, ob die Kläger aus ernsthafter, fester Überzeugung im Bundesgebiet zum christlichen Glauben übergetreten sind und für sie die Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat, geht die Einzelrichterin aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel davon aus, dass die Kläger selbst bei Konversion zum christlichen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran nicht von Verfolgung bedroht sind. Eine Strafbarkeit wegen der Konversion zum Christentum knüpft nach bestehender Auskunftslage daran an, dass es muslimischen Staatsangehörigen kraft Gesetzes verboten ist, ihren Glauben zu ändern oder auf zu geben (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse, Iran: Gefährdung von Konvertierten, 7. Juni 2018, Ziff. 2.2). Dementsprechend wird durch The Danish Immigrations Service (Danish Immigration Service, Iran: The Yaresan, 6. April 2017, S. 12) eine Quelle dahingehend zitiert, dass Personen, die von Behörden als Nicht-Muslime angesehen werden, bei einer Konversion zum Christentum wahrscheinlich nicht als Abtrünnige betrachtet würden. Dies gelte für Bahai, die zum Christentum konvertierten, aber wahrscheinlich auch für „traditionelle“ Yaresan, die zum christlichen Glauben konvertieren.
Die Kläger bestätigten in der mündlichen Verhandlung, dass sie Anhänger des traditionellen Yari-Glaubens gewesen seien und dass dies sowie auch ihre Glaubensausübung den iranischen Behörden bekannt gewesen seien. Damit ist nach Bewertung der Einzelrichterin davon auszugehen, dass die Kläger gerade nicht als ursprünglich muslimische Staatsangehörige von den iranischen Behörden wahrgenommen worden sind und auch bei einer Rückkehr in den Iran wahrgenommen werden würden, so dass ihnen keiner Verfolgung wegen „Abfalls vom islamischen Glauben“ (Apostasie), wegen „moharebeh“ (Waffenaufnahme gegen Gott), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ (Verdorbenheit auf Erden) oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“ droht (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Iran, 12. Mai 2017 mit letzter Kurzinformation eingefügt am 16. Februar 2018, Ziff 16.2).
Darüber hinaus konnte das erkennende Gericht nicht die volle Überzeugung gewinnen, dass die Kläger aus ernsthafter, fester Überzeugung im Bundesgebiet zum christlichen Glauben übergetreten sind und für sie die Ausübung des christlichen Glaubens eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung hat (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207, v. 7.5.2013 – 14 ZB 13.30083 und v. 29.4.2010 – 14 ZB 10.30043). Eine derartige feste innere Überzeugung lässt sich insbesondere nicht aus dem formalen Akt Taufe herleiten (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 – 1 B 40/15; BayVGH, B.v. 16.11.2015 – 14 ZB 13.30207; OVG NW, B.v. 27.4.2015 – 13 A 440/15.A). Die Kläger wurden am 24. September 2016 bzw. am 18. März 2018 in der Freien Evangelischen Gemeinde, …, getauft.
Der Kläger zu 1) konnte bereits nicht überzeugend schildern, welche Bedeutung der christliche Glaube für ihn und sein Leben hat. Selbst nach längerem Überlegen konnte er nur in allgemein gehaltener Form erklären, dass das Christentum sein Leben verändert habe und Gott durch einen Vers, der nicht einmal näher benannt werden konnte, in der Kirche sein Herz berührt habe. Selbst nachdem der Kläger etwa eine Stunde zur Befragung der Klägerin zu 2) den Sitzungssaal verlassen hatte, konnte er nicht konkretisieren, wie sich sein Leben durch den neuen Glauben verändert hätte.
Unter Berücksichtigung der früheren Feststellung des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, dass er den Yari-Glauben nur ausgeübt, aber nicht geglaubt habe, verliert der Hinweis, dass er durch seine Hinwendung zum Christentum alles beiseite gelegt habe, woran er zuvor geglaubt habe, letztlich eine tiefere Wirkung, da es durch die Befassung mit dem Christentum nach Überzeugung der Einzelrichterin gerade nicht zu einem bedeutsamen Einschnitt für den Kläger gekommen ist. Während des Verlaufs entstand bei der Einzelrichterin der Eindruck, dass der Kläger seinen vorgetragenen Glauben sowohl als Yaresan als auch als Christ so einsetzte, wie es ihm gerade zielführend erschien: so erweckte der Kläger beim Bundesamt den Eindruck, gläubiger Yaresan gewesen zu sein, während er in der mündlichen Verhandlung einmal behauptete, nicht gläubig gewesen zu sein, andererseits aber darlegte, dass er seinen früheren Glauben beiseite gelegt habe.
Die Klägerin zu 2) schilderte zwar ausführlich ihren Weg zur Hinwendung zum Christentum, macht dabei aber deutlich, dass sie über längere Zeit in Deutschland gerade kein Interesse am Christentum gehabt habe. Ihr plötzliches Interesse am Christentum begründete sie mit den Veränderungen ihres Ehemannes, die sie aber auch nicht näher beschreiben konnte. Ebenfalls wage blieb sie bei der Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Christentums für sie persönlich. Zwar mag es durchaus sein, dass die Klägerin innerhalb der Kirchgemeinde freundliche Aufnahme gefunden hat. Die Einzelrichterin geht dabei aber davon aus, dass es der Klägerin dabei eher um die geselligen Aspekte zur Milderung der von ihr geschilderten Einsamkeit nach ihrer Flucht aus dem Iran gegangen ist.
Die Einzelrichterin ist davon überzeugt, dass die Kläger erkannt haben, dass eine Konversion zum Christentum die einzige erfolgversprechende Möglichkeit darstellen kann, um den begehrten Flüchtlingsstatus im Bundesgebiet zu erhalten. Dies gebietet eine kritische Würdigung der Aktivitäten der Kläger innerhalb der von Ihnen besuchten Kirchengemeinde sowie der vorgetragenen christlichen Erziehung der Tochter, die dann allein schon erforderlich ist, um den Schein, sich dem Christentum zugewandt zu haben, aufrecht zu erhalten.
Allein durch die behauptete Konversion zum Christentum haben die Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Den iranischen Sicherheitsbehörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen, hierzu Asylverfahren betreiben und häufig eine Konversion zum Christentum behaupten (vgl. BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 14 ZB 16.30380, juris; B.v. 8.8.2017 – 14 ZB 17.30924; B.v. 28.8.2017 – 14 ZB 30.625).
Bei der Rückkehr in den Iran kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft ist aber bislang ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Es gibt derzeit auch keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis (vgl. OVG NRW, B.v. 10.2.2017 – 13 A 293/17.A, juris; B.v. 15.6.2011 – 13 A 1050/11.A; VGH BW, U.v. 15.4.2015 – A 3 S 1459/13, juris; SächsOVG, U.v. 14.1.2014 – A 2 A 911/11, juris; BayVGH, B.v. 25.2.2013 – 14 ZB 13.30023, juris; B. v. 21.1.2013 – 14 ZB 12.30456, juris; OVG Lüneburg, B.v. 13.5.2011 – 13 LA 176/10, AuAS 2011, 174; VG Düsseldorf, U.v. 11.10.2011 – 5 K 7134/10.A und vom 9.3.2011 – 5 K 3257/10.A).
Den Klägern steht unter diesen Umständen auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG bzw. auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu.
Rechtsgrundlage der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG.
Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).


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