Verwaltungsrecht

Erfolglose Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO

Aktenzeichen  13a ZB 17.31278

Datum:
15.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 1004
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, 3
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Bei einem Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO handelt es sich nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (BayVGH BeckRS 2017, 136936). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Relevanz einer psychischen Beeinträchtigung für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG kann bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung haben, da sie wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 17 K 17.34249 2017-07-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 13. Juli 2017 bleibt ohne Erfolg.
Zur Begründung seines Zulassungsantrags trägt der Kläger vor, das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes nach § 86 VwGO. Nach dem Bombenanschlag am 31. Mai 2017 im Diplomatenviertel Kabuls habe das Bundesamt eine Neubewertung der Sicherheitslage abgewartet. Vor diesem Hintergrund sei klägerseits u.a. beantragt worden, das Verfahren auszusetzen. Diesen Antrag habe das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2017 abgelehnt, da die Voraussetzungen einer Aussetzung nicht vorlägen. Ergänzend habe er in der mündlichen Verhandlung beantragt, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Auch dieser Antrag sei abgelehnt worden. Das Verwaltungsgericht habe damit gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 VwGO und sein Recht auf Gehör verstoßen. Die Berufung sei auch zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Das Verwaltungsgericht habe das Vorliegen von Abschiebungsverboten mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verneint, nach der gesunde, alleinstehende junge Männer in Afghanistan auch dann eine das wirtschaftliche Überleben ermöglichende Existenz begründen könnten, wenn sie im Iran aufgewachsen seien und nach der es auf ein spezielles Vertrautsein mit afghanischen Verhältnissen nicht ankomme. Das Verwaltungsgericht habe diese Rechtsprechung auf seinen Fall angewandt, obwohl er psychisch krank sei. Mit dieser Situation habe sich das Verwaltungsgericht nicht näher auseinandergesetzt. Die Urteilsgründe beschränkten sich insoweit vielmehr darauf, das Zurückbleiben der Diagnosen hinter den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zu rügen und auf seine im zuletzt vorgelegten Attest attestierte Arbeitsfähigkeit zu verweisen. Deshalb sei obergerichtlich klärungsbedürftig, ob die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu afghanischen Flüchtlingen ohne Vertrautsein mit den afghanischen Lebensverhältnissen und ohne familiären und sozialen Rückhalt in Afghanistan auch für die Personengruppe derjenigen Flüchtlinge gelte, die zudem noch an nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigungen litten.
Hiervon ausgehend sind Zulassungsgründe gemäß § 78 Abs. 3 AsylG nicht gegeben:
Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe gegen den Untersuchungsgrundsatz des § 86 VwGO und das Recht des Klägers auf Gehör verstoßen, weil es die klägerischen Anträge auf Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO und Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 173 VwGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO abgelehnt habe, ist seinem Vortrag kein Verfahrensfehler zu entnehmen, der gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO zur Zulassung der Berufung führen könnte. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BayVGH, B. v. 14.3.2018 – 13a ZB 18.30454 – juris Rn. 5). Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO berührt den Regelungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht; denn der Grundsatz des rechtlichen Gehörs stellt nur sicher, dass das Gericht die Ausführungen der Beteiligten würdigt. Art. 103 Abs. 1 GG gibt den am Prozess Beteiligten jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht Tatsachen erst beschafft oder von sich aus Beweis erhebt (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 12 unter Bezugnahme auf BVerfG, B.v. 2.12.1969 – 2 BvR 320/69 – BVerfGE 27, 248/251; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 – Vf. 93-VI-78 – VerfGH 34, 47 = BayVBl 1981, 529). Jenseits des Gebots des rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG gilt zudem, dass es sich bei einem Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO für sich genommen nicht um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 VwGO handelt, der von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG erfasst wäre (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2017 – 11 ZB 17.31711 – juris Rn. 9). Auch sonst hat der Kläger nichts dargelegt, das darauf hindeuten könnte, das Verwaltungsgericht habe durch die Ablehnung des Aussetzungs- und Ruhensantrags gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen. Darauf hingewiesen sei, dass der Kläger hinsichtlich des Aussetzungsantrags schon nicht dargetan hat, welches Rechtsverhältnis Gegenstand eines anderen Verfahrens gewesen sein soll und warum das Verwaltungsgericht sein im Rahmen des § 94 VwGO bestehendes Ermessen dahingehend hätte ausüben müssen, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Hinsichtlich des Ruhensantrags hat der Kläger nicht dargelegt, dass die Beklagte ebenfalls das Ruhen des Verfahrens beantragt hatte, was indes eine grundlegende Voraussetzung für eine Ruhensanordnung nach § 173 VwGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO gewesen wäre.
Das weitere Vorbringen des Klägers, es sei obergerichtlich klärungsbedürftig, ob die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu afghanischen Flüchtlingen ohne Vertrautsein mit den afghanischen Lebensverhältnissen und ohne familiären und sozialen Rückhalt auch für die Personengruppe derjenigen Flüchtlinge gelte, die zudem noch an nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigungen litten, führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 36).
Hiervon ausgehend hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die klägerseitig aufgeworfene Frage nach der Relevanz einer psychischen Beeinträchtigung für die Annahme eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung haben, da diese einer allgemeinen Klärung nicht zugänglich ist. Ihre Beantwortung hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von der Art und Schwere der psychischen Beeinträchtigung ab (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 12.9.2018 – 13a ZB 17.31890 – BA Rn. 10; B.v. 6.2.2018 – 13a ZB 17.31786 – BA Rn. 12; B.v. 16.8.2017 – 13a ZB 17.30851 – BA Rn. 13; B.v. 23.5.2012 – 13a ZB 11.30517 – juris; zur Erkrankung allgemein B.v. 13.3.2017 – 13a ZB 17.30063 – juris). Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auf seinen Fall angewandt, obwohl er psychisch krank sei, und das Verwaltungsgericht habe sich hiermit nicht näher auseinandergesetzt, sondern sich darauf beschränkt, das Zurückbleiben der Diagnosen hinter den Mindestanforderungen des Bundesverwaltungsgerichts zu rügen und auf die im zuletzt vorgelegten Attest attestierte Arbeitsfähigkeit zu verweisen, macht der Kläger in der Sache letztlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Diese stellen jedoch keinen Zulassungsgrund i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.


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