Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einer Gewerkschaft auf Erlass einer infektionsschutzrechtlichen Maßnahme im schulischen Bereich

Aktenzeichen  20 CE 20.3002

Datum:
30.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38220
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146
Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die gegenüber Freistaat Bayern  einen ihr selbst zustehenden Anspruch auf Erlass einer infektionsschutzrechtlichen Maßnahme nach den §§ 28, 28a IfSG bzw. § 32 IfSG geltend macht (Verkleinerung der Klassen zum Zweck der Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m), kann sich weder auf Art. 9 Abs. 3 GG noch auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen. (Rn. 9 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Macht die Antragstellerin mit ihrem Antrag ausdrücklich nur eigene Rechte anspruchsbegründend geltend, kommt eine Prozessstandschaft von vorneherein nicht in Betracht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26a E 20.5999 2020-11-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass der Antragsgegner Regelungen trifft, durch die die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zur Verkleinerung der Klassen zum Zweck der Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m umgesetzt werden.
Mit Beschluss vom 30. November 2020 hat das Verwaltungsgericht den Antrag als unzulässig abgelehnt. Die Antragsbefugnis fehle, da die Antragstellerin keine Tatsachen vortrage, die die Verletzung eigener Rechte möglich erscheinen lasse. Die Antragstellerin könne sich insbesondere nicht darauf berufen, durch die fehlende Umsetzung der Empfehlung des Robert-Koch-Institutes (RKI) zur Verkleinerung der Klassen zur Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m in ihrem Recht aus Art. 9 GG verletzt zu sein, da der Schutzbereich dieses Rechts nicht betroffen sei.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags als unzulässig und begehrt die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung, hilfsweise die Verpflichtung des Antragsgegners zur Umsetzung der Empfehlungen, für den Fall, dass eine Zurückverweisung an das Ausgangsgericht abgelehnt wird. Sie habe keine Popularklage erhoben und sei der Meinung, dass sie für ihre Mitglieder und aus eigenem Recht für den Arbeitsplatz Schule wegen konkreter und allgemeiner Gefährdung der Gesundheit ihrer Mitglieder in der Schule und in Bildungseinrichtungen nicht nur allgemein politisch tätig werden könne. Vielmehr müsse ihr wegen der konkreten Gefahrensituation am Arbeitsplatz Schule die Möglichkeit eröffnet werden, vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre Rechte bezüglich der Gestaltung der materiellen Arbeitsbedingungen in Form des Schutzes vor Infektionskrankheiten einzuklagen. Ob und inwieweit die Rechte bestünden, sei in der Begründetheit eines Rechtsbehelfs zu prüfen, nicht in der Zulässigkeit. Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG sei bereits deshalb berührt, weil der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu den Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zähle, zu deren Wahrung und Förderungen Vereinigungen, wie die Antragstellerin eine sei, gebildet werden könnten. Grundrechtsträger des Art. 9 Abs. 3 GG sei auch die Gewerkschaft als Koalition, in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihrer koalitionsspezifischen Betätigung. Ob die Antragstellerin zudem die Rechte ihrer Mitglieder aus Art. 2 Abs. 1 GG geltend machen könne oder nicht, und ob der Antragstellerin insoweit ein eigenes Recht zustehe oder nicht, seien bedeutungsvolle Rechtsfragen, die – soweit ersichtlich – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht geklärt seien.
Der Antragsgegner verteidigt den Beschluss des Verwaltungsgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin bereits die Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) fehlt. Im Rahmen des einstweiligen Anordnungsverfahrens muss die Antragstellerin plausibel und schlüssig darlegen, dass ihr der geltend gemachte Anordnungsanspruch zustehen kann (Schoch in Schoch/Schneider VwGO, 39. EL Juli 2020, VwGO § 123 Rn. 107). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die Antragstellerin geltend machen kann, durch eine Maßnahme oder Unterlassung in ihren Rechten verletzt zu sein. Unter Zugrundelegung des Vorbringens muss eine Verletzung des geltend gemachten Rechts möglich erscheinen. Daran fehlt es, wenn die geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder den Rechtsschutzsuchenden zustehen kann (vgl. BVerwG, U.v. 19.11.2015 – 2 A 6.13 – BVerwGE 153, 246 – juris Rn. 15).
a) Im Kern macht die Antragstellerin gegen den Antragsgegner einen ihr selbst zustehenden Anspruch auf Erlass einer infektionsschutzrechtlichen Maßnahme nach den §§ 28, 28a IfSG bzw. § 32 IfSG geltend. In der Sache zielt der Antrag darauf, dass der Staat seiner grundsätzlich aus Art. 2 Abs. 2 GG folgenden Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit nachkommt. Auf eine derartige subjektive Rechtsposition kann sich die Antragstellerin im Streitfall nicht berufen.
aa) Aus der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG kann sie einen entsprechenden Anspruch nicht herleiten. Hierzu wäre erforderlich, dass das Unterlassen des von der Antragstellerin geforderten Erlasses einer infektionsschutzrechtlichen Maßnahme sich negativ auf die Verwirklichung des Koalitionsrechts der Antragstellerin auswirken könnte. Ausreichend kann es sein, dass eine Regelung, auf die sich die Betroffene beruft, auch dem Schutz des Interesses von Vereinigungen und Gewerkschaften am Erhalt günstiger Rahmenbedingungen für gemeinschaftliches Tun dient und in diesem Sinne drittschützend ist, was etwa bei Bestimmungen über die Sonntagsöffnung von Ladengeschäften der Fall ist, weil Mitglieder an diesem Tag an der Teilnahme an gemeinschaftlichen Veranstaltungen der Gewerkschaft oder der Vereinigung gehindert sind (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – BVerwGE 153, 183 – juris Rn. 15 ff.). Hierfür hat die Antragstellerin – in Bezug auf die von ihr geltend gemachten Rechtspositionen und die maßgeblichen Normen – keine Tatsachen vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Soweit sie meint, der Gesundheitsschutz ihrer Mitglieder an Schulen sei sehr wohl zu ihrem Aufgabenbereich zu zählen, hat sie damit nicht dargelegt, wie sie durch das Unterlassen der von ihr geforderten Maßnahmen in dem ihr zustehenden Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG betroffen sein könnte.
bb) Im Kern macht sich die Antragstellerin vielmehr zur Sachwalterin des Rechtes auf Leben und Gesundheit ihrer Mitglieder. Das Grundrecht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG steht jedoch allein den betroffenen Mitgliedern der Antragstellerin zu. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Verband die Verletzung von Grundrechten seiner Mitglieder auch dann nicht im eigenen Namen geltend machen kann, wenn er diese Aufgabe in seiner Satzung übernommen hat. Das Bundesverfassungsgericht (U.v. 22.5.1963 – 1 BvR 78/56 – BVerfGE 16, 147/158 – juris Rn. 45) hat dazu ausgeführt:
„Das Grundrecht aus Art. 9 GG schützt zwar die Freiheit, eine Vereinigung – auch zum Schutze von Grundrechten – zu bilden, gewährt damit aber nicht darüber hinaus auch das Recht, dieser Vereinigung Grundrechte der Mitglieder zu übertragen, damit sie sie im eigenen Namen geltend mache. Seine Aufgabe, den Mitgliedern bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte beizustehen, kann der Beschwerdeführer, wie dies auch sonst geschieht, dadurch erfüllen, dass er ihnen rechtlichen Rat erteilt, geeignete Rechtsvertreter beschafft und die Kosten etwaiger Rechtsstreitigkeiten übernimmt.“
Daher kann auch die Antragstellerin die betreffenden Grundrechte ihrer Mitglieder nicht ausüben und nicht gerichtlich geltend machen. Allein die Tatsache, dass der gewerkschaftliche Aufgabenbereich betroffen ist, macht die Gewerkschaft nicht zum Rechtsträger höchstpersönlicher Rechte Dritter. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass mit der Corona-Pandemie eine epidemische Lage von nationaler Tragweite (§ 5 IfSG) gegeben ist und dass die Antragstellerin sich auf daraus resultierende Gesundheitsgefahren für ihre Mitglieder beruft.
b) Nachdem die Antragstellerin mit ihrem Antrag ausdrücklich nur eigene Rechte anspruchsbegründend geltend macht, kommt eine Prozessstandschaft von vorneherein nicht in Betracht. Darunter ist die Befugnis einer Person zu verstehen, die Rechte einer anderen Person im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen. Sie kann auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage beruhen (gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschaft). Die gewillkürte Prozessstandschaft ist die Übertragung der Prozessführungsbefugnis auf einen anderen als den Rechtsinhaber (BVerwG, B.v. 4.6.2003 – 6 PB 2.03 – BeckRS 2003, 23564). Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin den behaupteten Anspruch im Wege der Prozessstandschaft geltend macht, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Eine solche könnte auch nicht ohne Weiteres angenommen werden. Die gewillkürte Prozessstandschaft setzt nämlich neben einem eigenen schutzwürdigen rechtlichen Interesse des Ermächtigten an der Geltendmachung des Rechts im eigenen Namen die Erteilung einer Ermächtigung des Rechtsinhabers voraus (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.1981 – 6 P 20.80 – BVerwGE 61, 334/341 – juris Rn. 22 f.). Dass dies der Fall wäre, hat die Antragstellerin nicht dargelegt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, 2 GKG. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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