Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  9 ZB 20.30729

Datum:
30.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9700
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine Divergenzrüge kann nicht auf die fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall gestützt werden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 18.31174 2020-02-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) liegt nicht vor.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete, noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr eine allgemeine, über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zugemessen wird (BayVGH, B.v. 18.11.2019 – 9 ZB 19.33872 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen, mit dem keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und auch kein über den bloßen Einzelfall hinausgehender Klärungsbedarf aufgezeigt wird, nicht gerecht.
2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) wird ebenfalls nicht hinreichend dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5 ff.). Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2014 – 10 B 50.14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 9 ZB 19.32738 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Indem der Kläger vorbringt, das erstinstanzliche Urteil verstoße gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 2011 (10 C 14.10 – juris), weil die Anforderungen von ärztlichen Attesten im Sinne des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG lediglich auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht jedoch auf § 60 Abs. 5 AufenthG anzuwenden seien und es sich bei den national begründeten Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK und dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handele, legt der Kläger keinen abstrakten Rechtssatz des Verwaltungsgerichts dar, mit dem es von einem ebensolchen Rechtssatz eines Divergenzgerichts abweicht. Die Einwendungen sind darüber hinaus inhaltlich nicht nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG u.a. ausgeführt, dass dem Kläger die Rückkehr nach Sierra Leone als jungem und arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtung und mit gewisser Schulbildung auch vor dem Hintergrund seiner Erkrankungen zumutbar sei. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG hat es im Hinblick auf die Erkrankungen des Klägers an Hepatitis B und Diabetes (Typ II) verneint, weil die vorgelegten Atteste nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG entsprächen und die nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorausgesetzte erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben daher – unabhängig von Behandlungsmöglichkeiten in Sierra Leone, die betreffend Hepatitis B vorhanden und preisgünstig seien – nicht vorliege. Der Kläger äußert sich zwar auch noch dahingehend, dass er behandlungsbedürftige Erkrankungen ausreichend nachgewiesen habe, deshalb von einer erheblichen konkreten Gesundheitsgefahr im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auszugehen sei und er nicht über ein familiäres Netzwerk verfüge sowie nicht als junger arbeitsfähiger Mann betrachtet werden könne. Hierdurch wird aber der Sache nach allenfalls eine fehlerhafte Anwendung eines nicht bestrittenen Rechtssatzes im Einzelfall geltend gemacht, auf die eine Divergenzrüge nicht gestützt werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 16).
2. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich schließlich kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30057 – juris Rn. 21 m.w.N.). Dass dem das Verwaltungsgericht nicht ausreichend nachgekommen wäre, hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Mit der vom Kläger geübten Kritik an der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht im Einzelfall kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Soweit ein Verstoß gegen die umfassende Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) behauptet wird, ist damit kein in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht. Ein solcher Vortrag vermag somit die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen (vgl. BayVGH, B.v. 22.5.2019 – 9 ZB 19.31904 – juris Rn. 3). Ein beachtlicher Verfahrensfehler im Sinne einer Gehörsverletzung kann ausnahmsweise zwar dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2019 – 9 ZB 19.33217 – juris Rn. 8). Einen derartigen Mangel zeigt das Zulassungsvorbringen aber nicht auf.
Das Verwaltungsgericht traf hinsichtlich etwaiger Widersprüche im Sachvortrag des Klägers und zwecks Vermeidung einer Überraschungsentscheidung auch keine Hinweis- oder Nachfragepflicht. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder seine (mögliche) Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, zumal sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2020 – 9 ZB 20.30060 – juris Rn. 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


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